In der Gruppentherapie: MOTÖRHEAD - "Motörizer"
27.08.2008 | 01:19Im Gegensatz zu vergleichbar großen Bands wird über die Alben MOTÖRHEADs selten ausgiebig diskutiert, und doch werden sie gekauft. Das dürfte daran liegen, dass der MOTÖRHEAD-Fan deutlich seltener enttäuscht oder geschockt wurde, als Fans anderer Acts dieses Kalibers. Für uns ein Anlass doch mal ein Album der Veteranen zu diskutieren ...
An MOTÖRHEAD-Scheiben gehe ich immer relativ emotionslos heran, da ich glaube zu wissen, was mich erwartet. So auch bei "Motörizer". Bereits die Eröffnungsnummer 'Runaround Man' erhöht meinen Aufmerksamkeitspegel, denn diese Nummer ballert gnadenlos heftig nach vorne, ist treibend, rotzig und frisch. Unterstützt von einem tollen, erdigen Klang, der die Triobesetzung in allen Schattierungen transparent in Szene setzt, röhrt sich Lemmy hier bereits in mein Herz. Und genau in diesem Stil geht es auch weiter. Herrlich unbeschwert werden alte Heldentaten wie 'Going To Brazil' zitiert und man sieht förmlich das Grinsen auf Mister Kilmisters Backen, während er das komponiert hat. Auch solche Zeilen wie "rock out with your cock out" unterstreichen den ungebrochenen Rock'n'Roll-Faktor dieser Kapelle, die weitab aller Standards ihr eigener Standard geblieben ist. Ich muss hier wohl niemandem erzählen, wie MOTÖRHEAD klingen, mag aber sagen, dass sie auf "Motörizer" irgendwie wie MOTÖRHEAD deluxe wirken. Ob es die Lovestory 'English Rose' ist, die R'n'B- Feeling versprüht oder 'One Short Life', in welchem Lemmy kluge Lebensweise von sich gibt. Hier ist jeder Song ein Highlight für sich. Als wäre dies nicht alles schon Grund genug, sich dieses Album zu kaufen, schüttelt das Trio mit 'Heroes' einen ihrer besten Song seit sehr langer Zeit kurz vorm Betätigen der Repeat-Taste mal so eben aus der Kapitäns-Uniform. Militärisch, marschierend, ergreifend. Mit einem Chorus zum Niederknien. Oldschool as fuck.
[Holger Andrae]
Ein MOTÖRHEAD-Album ist ein MOTÖRHEAD-Album ist ein… - einerseits. Das Klischee verkennt, dass es durchaus Nuancen, sowohl unterschiedlich gewichtete Einflüsse als auch wechselhafte Qualitäten gegeben hat. Was an "Motörizer" auffällt, ist, dass das Album in denjenigen Songs am besten funktioniert, die sich an altbewährten Rhyhtm and Blues- bzw. Rock-Qualitäten orientieren: 'Runaround Man' mit seinem Rock'n'Roll-Einschlag, dem 'Road Crew'-ähnlichen Aufzählungs-Sprechgesang und dem CHUCK BERRY-Hommage-Solo; 'One Short Life' mit seinem Bluesrhythmus-gestützten, schiebenden Groove und dem schrill strudelnden Gitarrensolo; oder beim klassischen MO'HEAD-Boogie 'English Rose', der zwar nicht ganz an 'Born To Raise Hell' heranreicht, wohl aber voll und ganz überzeugt. Und was gibt's sonst so? Stampfenden Amphetamin-Rock ('Teach You How To Sing The Blues'); dicht zusammengeschobene, minimal kurze, rund laufende Gitarrenriffs & ein drahtiges Kurzsolo im zähen 'When The Eagle Screams'; galoppartige Drums & "thunder in the guts"-Bass nebst Lebensratschlägen von Lemmy in 'Rock Out' ("with your cock out to impress your lady-friends"); das etwas experimenteller angesetzte (aber dadurch auch sperrige) 'Back On The Chain' mit teils von den WHITE STRIPES ('Seven Nation Army') entlehnter Rhythmik, Breaks und 'nem zwar drahtig-zähen aber doch an sumpfigem Mundharmonikablues orientierten Gitarrensolo; zwei (zu routinierte) kickass Stücke nach altbekannten Schemata (#6 & #10, welches an 'We Bring The Shake' erinnert, aber da nicht 'ran kommt), 'Heroes' (über weite Strecke ein schwachbrüstiger 'Orgasmatron'-Aufguss), und dann 'The Thousand Names Of God', dem's wie öfters auf "Motörizer" etwas an zwingender Melodik bzw. Groove mangelt. Dennoch kein schlechtes Album! Es klingt zwar nicht alles gleich, aber doch alles gleich nach MOTÖRHEAD… – andererseits.
[Eike Schmitz]
Da ist sie also, die neue Scheibe von MOTÖRHEAD und sie rockt ohne Ende und ohne Gnade. "Motörizer" erinnert mich stärker an mein Lieblingsalbum "1916" als jede andere Motorkopfscheibe seit 1992. Da sind zum einen etliche lyrische Bezüge, die in 'Runaround Man' zum Beispiel 'Going To Brazil' aufgreifen; oder 'Teach You How To Sing The Blues', na ja, der Titel sagt schon alles, oder? Dann haben wir einige sanftere, einfühlsamere Momente beim insgesamt doch recht harten 'One Short Life' oder beim weniger harten 'English Rose', und dann das militärische 'Heroes', das mich komplett umhaut und mit der abartig coolen Rhythmusarbeit von Mikkey Dee ebenso glänzt wie mit einem Kehrvers, der die ganz große Schule absolviert hat: "Stand your ground and fight, you know that our cause is right, we are the ones whose hope is gone, hold and stand fast. Stand and do your best, stand and face your test, until you fall, you must obey the call, for we are the last!" - Was für ein Refrain! Kann mal bitte jemand Steve Harris anrufen und ihm sagen, wie viele verschiedene Wörter ein Refrain haben und dabei trotzdem im Hirn hängen bleiben kann? Danke.
Die Scheibe zeigt MOTÖRHEAD von all den typischen Seiten und konzentriert sich nicht nur auf ein Segment des Bandspektrums. Sie streut breit gefächert: Der Blues, der Rock'n'Roll, der Metal, die Liebe, der Krieg, der Tod. Außerdem ist mir mal wieder richtig bewusst geworden, was für Hammer-Musiker Mikkey Dee und vor allem Phil Campbell doch sind. Nur weil sich bei MOTÖRHEAD immer alles gerne auf Gott Lemmy konzentriert, sollte das nicht unerwähnt bleiben. "Motörizer" ist auf jeden Fall der absolute Hammer und für mich schon jetzt ein ganz heißer Kandidat fürs 2008er-Stockerl und dazu ein irrsinnig abwechslungsreiches Scheibchen.
[Rüdiger Stehle]
Freiheit, ein Fuck-off an alle Konventionen und purer Rock'n'Roll - dafür stehen MOTÖRHEAD seit unglaublichen 33 Jahren. In erfrischend kurzen Abständen beehren uns außerdem die Ergüsse des einzigen Spiegels der Gesellschaft mit Warze zu Hause und verbreiten den Spirit unvergleichlichen Rocks. Dieses Maß an Durchhaltevermögen verdient per se schon einiges an Respekt. Wenn das Album aber auch noch so rockt wie "Motörizer" ist der Job des Rezensenten ein leichter. Und so schwebe ich seit einigen Tagen - also seit die Scheibe in meinem Laufwerk rotiert - in einem wunderbaren Zustand aus Hochachtung und Euphorie, wenn das Gespräch auf eben jenen Kraftbatzen gelenkt wird.
Sei es die typische Lemmy-Ballade 'Heroes' oder der fette Opener 'Runaround Man', bei dem sich sofort das typische MOTÖRHEAD-Feeling einstellt, das sind Songs, wie man sie von dieser Rock-Instanz erwartet. Obwohl weit über dem Zenith normaler Rock-Musiker, agiert das Trio voller Power und mitunter sogar frisch. Dabei dürfen kurze Ausflüge in moderneren Metal ebenso wenig fehlen wie Rock-Anleihen unterschiedlichster Couleur oder Country-Exkurse. Wie einen guten, alten Chopper beherrschen die Jungs jegliche Geschwindigkeit und versetzen den geneigten Hörer dabei jeweils in einen Zustand höchster Rock-Ekstase. Bleiben am Schluss drei Dinge festzuhalten: The 'Time Is Right' für die Veröffentlichung, ich bin gespannt auf die Umsetzung solcher Kracher wie 'Buried Alive' und das, was sowieso klar sein sollte: Ein Reich, ein Volk, ein Lemmy!
[Julian Rohrer]
Innovation und kompositorischer Fortschritt sind prinzipiell eine feine Sache. Bei einigen Bands interessieren mich diese Faktoren allerdings nicht die Bohne, denn ich will im Prinzip nicht, dass diese Bands sich verändern. MOTÖRHEAD ist eine dieser Formationen. Auf dem aktuellen Geschoss "Motörizer" präsentiert sich das Trio um Frontwarze Lemmy Kilmister puristisch und zeitgleich in absoluter Bestform. Alles beim alten also? Yes, Sir! Schnelles Gebretter wie bei 'Rock Out' und 'Buried Alive' (das ganz in der Tradition von Titeln wie 'Rock'n' Roll' oder 'We Are Motorhead' steht), ist ebenso vertreten wie ungemein groovige und erdig klingende Titel wie 'One Short Life'.
Generell regieren auf dem aktuellen Werk der Motörköppe Rock'n'Roll-Grooves noch stärker als auf dem Vorgängeralbum "Kiss Of Death". Gerade dieser Umstand rückt "Motörizer" deutlich stärker in die Nähe der feinen "1916"-Scheiblette als das Vorgängeralbum. Die Stücke sitzen auf Anhieb und auch nach etlichen Rotationen machen sich keinerlei Abnutzungserscheinungen bemerkbar. Sehr stark klingen dabei besonders das ohrwurmverdächtige 'Teach You How To Sing The Blues' und das cool groovende 'One Short Life', das nicht unwesentllich an 'You Better Run' erinnert. Auch das eingängliche 'English Rose' und 'Heroes', das sich wieder einmal dem Lieblingsthema von Lemmy - dem Krieg - widmet, sind Songs, die einfach tierischen Spaß bereiten. Alles in allem ist "Motörized" ein Rock'n'Roll-Brikett der gehobenen Güteklasse geworden, das im Ranking der besten MOTÖRHEAD-Scheiben auf einem der vordersten Ränge einzuordnen ist. Geil!
[Martin Loga]
MOTÖRHEAD machen auch bei "Motörizer" genau das was man von ihnen erwartet. Warum auch nicht? In der Informatik sagt man "Never touch a running system". Also warum sollte man MOTÖRHEADs vollkommen einwandfrei laufende Maschinerie einen Stock ins Getriebe klemmen? Der England-Dreier fängt bei 'Runaround Man' im unverwechselbaren Stil an zu rocken und hört nach rund 40 Minuten erst beim Rausschmeißer 'The Thousand Names Of God' damit auf. Zwischenzeitlich groovt man mehr sexy ('One Short Life', 'English Rose', 'Back On The Chain') oder pumpt mehr straight nach vorne wie bei 'Rock Out', 'Buried Alive' oder 'Runaround Man'. Zwischenzeitlich knallt uns Gitarrero Phil Campbell Soli erstklassiger Güte ins Gehör und verwöhnt den geneigten MOTÖRHEADler sowieso mit knallenden Riffs. Mikkey Dee groovt sich hinter der Schießbude imaginäre Hummeln aus dem Allerwertesten – und Lemmy? Lemmy ist wie immer. Cool aus Prinzip und grummelt sich durch die Platte als würde ihm im nächsten Moment seine Warze von über der Kauleiste wegfliegen. Whiskey und Kippchen machen's möglich. Alles wie erwartet, Innovationen oder sonstige Experimente werden nicht gewollt, was zum Resümee führt: Entweder man liebt oder hasst die Motörköppe. Bei ersterem sollte man sich die Langrille zulegen.
[Daniel Schmidt]
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle