In der Gruppentherapie: SHADOW GALLERY - "Digital Ghosts"

27.10.2009 | 17:50

Pompöser Kitsch oder Prog mit Tiefgang? Die Meinung unserer Redaktion ist mit Platz 2 im Soundcheck eindeutig beantwortet. Oder?


Der Volksmund sagt, dass oft erst jemand sterben muss, bevor die Leute aufwachen. Mein Interesse für SHADOW GALLERY ist ein Fall, in welchem diese traurige Weisheit leider zutrifft, denn ich bin wirklich erst durch den tragischen Tod des ehemaligen Sängers Michael Baker auf diese Ausnahmeband aufmerksam geworden. Erste akustische Annäherungsversuche überzeugten mich auf ganzer Linie und ich beschloss, mir einige Scheiben aus dem Katalog der Band zuzulegen. Doch bevor es dazu kommen konnte, liegt nun, ziemlich genau ein Jahr nach Mikes Tod, mit "Digital Ghosts" bereits ein neues Album der Band vor, das zwar dunkel und melancholisch, aber auf keinen Fall depressiv ausgerichtet ist. Es verbindet die Markenzeichen der Band im verspielten und melodischen Progressive Metal mit relativ direktem, geradlinigem Songwriting und einer trotzigen Beharrlichkeit, die eine ungeheure Kraft entwickelt. Die Band hat all meinen Respekt, so kurz nach dem Schicksalsschlag des Jahres 2008 ein solches Album erschaffen zu haben. Die phänomenalen Keyboards und die sehr einprägsamen aber trotzdem wahnsinnig tiefgreifenden Melodielinien und Hooks samt Backing Vocals führen sogar dazu, dass ich zu SHADOW GALLERY auf "Digital Ghosts" direkt die Assoziation habe, die Band als Neo-Prog-Antwort auf URIAH HEEP wahrzunehmen, was ich als ganz großes Kompliment verstehe. Den neuen Sänger Brian Ashland direkt mit seinem verstorbenen Vorgänger zu vergleichen, verbietet sich in dieser Situation, weshalb ich es einfach dabei belassen will zu sagen, dass er tolle Arbeite abliefert und stimmlich in einer Liga mit den großen Rock-Röhren der Siebziger spielt, aber auch wunderbar gefühlvoll und melodisch agieren kann. So oder so: "Digital Ghosts" ist eine Scheibe, die meinen Entschluss der Erkundungsreise durch die alten Scheiben der Band noch bestärkt. Das wird sie sicher auch bei anderen Neueinsteigern auslösen können. Wie das Album indes auf langjährige Fans der Band wirkt, das sollen euch die Kollegen erzählen.

Note: 9,0/10

[Rüdiger Stehle]

SHADOW GALLERY ist eine Band, die mir seit Jahren her zumindest vom Namen ein Begriff ist, aber von der ich bis dato noch kein Album Probe gehört habe - ähnlich wie ALICE IN CHAINS, den Siegern unseres aktuellen Soundchecks. Nun gut, von einem Schicksalsschlag gebeutelten US-Amerikaner haben mit Brian Ashland einen recht fähigen Sänger gefunden, der die Nachfolge des fast genau vor einem Jahr an einem Herzanfall verstorbenen Mike Baker (R.I.P.) antritt. Eine gesanglichen Vergleich zwischen beiden kann ich aus genannten Gründen leider nicht ziehen. Aber obwohl Brian Ashland mehr als passabel singt: So richtig begeistern kann seine Stimmfarbe nicht. Rein musikalisch ist die Darbietung der seit über zwei Dekaden aktiven Band gut bis prima, aber im Gegensatz zu meinem Kollegen Rüdiger kristallisieren sich für meine Lauschlappen keine richtigen Hits heraus. Zudem fehlt es dem Sound von SHADOW GALLERY etwas an Wiedererkennungswert. Selbst nach etlichen Hördurchläufen bleibt trotz guter instrumentaler Darbietung und recht guten Songs leider nichts nachhaltig im Hinterkopf. Insofern werte ich "Digital Ghosts" zwar als gutklassig, aber ein Hit-Album ist was anderes.

Note: 7,0/10
[Martin Loga]


Wenn eine neue SHADOW GALLERY-Scheibe erscheint, gibt es für mich nichts Anderes als diese so schnell wie möglich zu bestellen. Schließlich gibt es kaum eine Prog-Metal-Band, die eine so qualitativ durchgehend hochwertige Diskographie aufweisen kann wie die US Progger. In diesem Fall mischte sich allerdings etwas Nervösität in die Vorfreude ob des neuen Manns am Mikro. Aber Fans der Band können beruhigt sein: Auch wenn Mike nicht ersetzt werden kann, dazu war seine Stimme einfach zu prägnant, schafft es der Neue doch, sich sehr gut zu integrieren und den Songs keine zu ungewöhnliche Note aufzudrücken, so dass sie vor allem eines bleiben: SHADOW GALLERY. Damit wird die Band dem verstorbenen Kollegen gerecht, ohne kreativ zum Stillstand zu kommen. Denn eine Neuerung ist offensichtlich: "Digital Ghosts" ist erstaunlich direkt und auf den Punkt komponiert, zumindest für die Verhältnisse dieser Band. Wenn ich die Reaktionen der Kollegen hier lese, denke ich, dass ich wohl der einzige langjährige Fan der Kapelle hier bin. Deswegen muss ich hier wohl mal den Bogen schlagen und feststellen, dass man natürlich kein neues "Carved In Sand" oder "Legacy" bekommt. Das wäre ja auch ein Rückschritt, und dass so etwas nicht reproduzierbar ist, sieht man an Beispielen wie QUEENSRYCHE. Nein, der Blick geht nach vorne, der Wind weht um die Nase und weht einige Frickeleien und instrumentale Passagen einfach davon, so dass keine der Kompositionen die Zehn-Minuten-Hürde überspringt. Doch diesmal gibt es auch keine Überleitungen, Zwischenspiele und ähnlichen Firlefanz, hier stehen einfach sieben Songs (nach Minuten drei "Neuner" und vier "Sechser") gleichberechtigt nebeneinander und sorgen für das ausgeglichenste Werk der gesamten Karriere. SHADOW GALLERY-Fans dürfen ganz schnell beruhigt zuschlagen!

Note: 8,5/10
[Frank Jaeger]

"Digital Ghosts" ist eine Scheibe mit vielen Facetten und etlichen tollen, Klang gewordenen Ideen; sie ist melodisch und progressiv, zum Teil episch und dann auch wieder direkt nach vorne gehend. Eine Scheibe, die das Potenzial hat, zu wachsen, da sie mit jedem Hördurchlauf ein paar neue Details offenbaren kann. Und doch fehlt hin und wieder der letzte Kick. Man hat den Eindruck, dass sich SHADOW GALLERY nur an einigen Stellen so richtig austoben und danach stets darauf bedacht sind, wieder ihre ruhigere und melodisch-sanfte Seite rauszukehren. Und so toll einzelne Melodien auch klingen, richtig prägnant fällt das Ganze dann nicht mehr aus. Dafür gibt es einfach hin und wieder ein bisschen zu viel Gefrickel. Man verstehe mich nicht falsch, es finden sich auf dem Album einige große Momente, die mir richtig viel Freude bereiten. Dennoch ist mir "Digital Ghosts" manchmal zu verspielt und kommt zu wenig auf den Punkt. Allerdings tritt immer wieder auch eine dunklere, melancholischere Seite zu Tage, die dieses Album definitiv aufwertet und prägt (großartig und berührend: der Beginn von 'Haunted'), und welche ihren Ursprung sicherlich im Verlust des ehemaligen Sängers Mike Baker hat, der 2008 an einem Herzinfarkt verstarb. Insgesamt haben SHADOW GALLERY ein musikalisch ansprechendes Werk geschaffen, dem nicht viel fehlt, um auf ganzer Linie überzeugen zu können. Ein paar wenige Längen durch fehlendes "auf-den-Punkt-kommen" kann man aber durchaus verschmerzen, sodass der Daumen auf jeden Fall deutlich nach oben zeigt.

Note: 7,0/10
[Stephan Voigtländer]

Meine bisherige Meinung zu den Proggies ist schnell erklärt: Während mich beim damals hoch gelobten Debüt der nicht existente Sound gestört hat, konnte die Band mich mit "Tyranny" komplett aus dem berüchtigten Enthusiasmus-Häuschen bringen. Diese Scheibe zählt für mich nach wie vor zu den besten Alben, auf denen hochklassige Musik der alten Schule mit anbetungswürdigen Melodien verknüpft wurde. Hier ein bisschen RAINBOW, da ein wenig DREAM THEATER, aber immer mit ausreichend viel Eigensubstanz. Danach wurde es kopflastig. Alles sehr gut – vor allem "Room V" – aber mir fehlte immer der emotionale Bezug, obwohl Sänger Mike Baker genau meine Tonlage war. Mit seiner kraftvollen und äußerst charismatischen Stimme hat er den Kompositionen immer Gefühl einverleiben können. Ob das sein aktueller Nachfolger Brian Ashland auch kann, soll "Digital Ghosts" beweisen. Und er kann, wie bereits der sehr lange Opener 'With Honor' belegt. Aber auch in anderen Momenten sorgt gerade seine Leistung für gehäutete Flatterviecher. Zum Beispiel die Einleitung zum grandiosen 'Haunted'. Da hat SHADOW GALLERY also einen absoluten Glücksgriff getan. Aber auch musikalisch klingt die Band für meine Ohren zugänglicher, aber auch härter als zuvor. Lediglich 'Strong' mit Ralf Scheepers als Gastsänger geht mir mit seiner seltsamen Strophenmelodie schnell auf den Zeiger. Dagegen laufen vor allem die beiden Abschlussnummern zu ganz großer Form auf. Die Steigerung im neun Minuten langen Rauswerfer ist unglaublich fesselnd. Ein balladesker, mit fesselnden Chören unterlegter Flitzefinger-Epik-Fetzen, der in der diesjährigen Endabrechnung sicherlich eine nicht unerhebliche Rolle spielen wird.

Note: 8,5/10
[Holger Andrae]

Redakteur:
Peter Kubaschk

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