Interview mit Peavy von RAGE über sein Buch "Soundchaser"
04.12.2024 | 08:39Peter "Peavy" Wagner spricht über "Soundchaser", das Buch, das sein Leben und somit auch den Weg seiner Band RAGE von den Anfängen bis heute unterhaltsam und lesenswert beschreibt.
Hallo! Wie geht es dir und wo erwische ich dich?
Mir geht's gut und ich bin zu Hause, in Herne.
Peter oder Peavy?
Ich bin der Peavy, Peter hat mich nur meine Mutter genannt!
Warum führen wir das Interview ganz oldschool über das Telefon? Üblich ist heute Zoom oder sowas - bist du, wie Marc Tornillo von ACCEPT das so schön gesungen hat, ein Analog Man?
Ja, irgendwie schon, ich habe zwar einen alten Laptop, aber der unterstützt diesen ganzen Zoom-Kram nicht mehr, auf jeden Fall funktioniert das nie so, wie ich will – und ich telefoniere einfach lieber.
Der Grund für unser Gespräch ist diesmal nicht ein neues Album von RAGE, sondern dein Buch "Soundchaser". Ich habe beim Lesen viel Spaß gehabt und konnte kaum aufhören – ein echter Pageturner!
Danke! Das freut mich zu hören!
Der Anlass ist das 40igste Jubiläum von RAGE und dein in Kürze bevorstehender sechzigster Geburtstag. Aber wie bist du dazu gekommen, ein Buch zu schreiben? War das schon länger von dir geplant oder ist jemand mit der Idee an dich herangetreten?
Das hat sich ganz zufällig während des ersten Corona-Lockdowns 2020 entwickelt. Da wir nicht mehr spielen konnten, hat das Management angefragt, ob ich nicht die eine oder andere Story als Social Media Content aufschreiben könnte. Und alle aus meinem Umfeld, die das gelesen haben, fanden, dass das viel zu schade wäre, die Geschichten für ein paar Likes auf Facebook zu verballern, für Posts, die in ein paar Tagen wieder vergessen sind. Der Tenor war, ich sollte weiterschreiben und dann schauen, was draus wird. So habe ich, ohne dass ein konkreter Plan dazu bestand, immer weiter gemacht. Und irgendwann hat Oliver Hahn von SPV das in die Finger bekommen und war so begeistert, dass er meinte: Wir machen ein Buch daraus!
Das ist nicht das erste Buch, das SPV veröffentlicht, und wir haben dann gemeinsam überlegt, wie wir das richtig angehen. Und so ist noch ein Profi ins Boot gekommen. Timon (Menge), den ich als Journalisten bereits durch diverse Interviews kenne und der auch ein Fan von RAGE ist, war sofort Feuer und Flamme für das Projekt. Von der Idee bis zur anstehenden Veröffentlichung hat es vier Jahre gedauert, in denen wir ständig an dem Buch geschraubt haben.
Wie lief eure Zusammenarbeit ab?
Ich hatte, wie erwähnt, schon ziemlich viel allein aufgeschrieben und auch als Timon dabei war, weiter geschrieben. Aber natürlich haben wir auch Interviews geführt, sprich: Timon hat mich interviewt. Aus all dem, was dann vorlag, hat er erstmal eine Reihenfolge erstellt. Wir haben dann die Teile, die noch gefehlt haben, ergänzt und das Ganze so lange überarbeitet, bis das Buch fertig war. Dann kam noch das Layout und nun ist es im September dieses Jahres fertig geworden. Aber auch nur, weil SPV gesagt hat, dass wir langsam mal zum Ende kommen müssen, wenn wir es noch vor Weihnachten veröffentlichen wollen (lacht herzlich).
Hast du die Biografien andere Musiker im Vorfeld oder während der Arbeit gelesen, ich denke da zum Beispiel an die Bücher von BRUCE DICKINSON oder ROB HALFORD.
Nein, die habe ich tatsächlich noch gar nicht gelesen, und ich habe auch keine andere Biografie gelesen, um zu schauen, wie die das gemacht haben. Früher habe ich einige Biografien oder Bücher über Bands gelesen, und das nicht unbedingt mit Metal-Hintergrund. Ich habe mal die Biografie von Udo Jürgens gelesen und im letzten Jahr die von Atze Schröder. Aber das hatte nichts mit meinem Buch zu tun, um mir da was abzuschauen. Apropos Atze Schröder. Mit Till Hohender, mit dem Atze das Buch zusammen gemacht hat, haben wir uns, beziehungsweise Timon sich kurzgeschlossen und der hat uns noch ein paar gute Tipps gegeben, wie wir am besten vorgehen. Ansonsten haben wir das ganz nach unsrem Gusto gestaltet. Timon hat ja auch schon einige Biografien und Bücher geschrieben, er hat zum Beispiel was über Die TOTEN HOSEN gemacht. Ich habe keine bis wenig Erfahrung mit dem Schreiben, bin ganz unbeleckt an die Angelegenheit rangegangen und bin froh und erstaunt, wie gut das ankommt, was wir da gemacht haben. Ich hatte keine großen Erwartungen, aber das Feedback bisher zeigt zumindest, dass wir es nicht völlig verkackt haben.
Für mich, ich bin Jahrgang 1972, der sich seit Teenager-Jahren mit Metal beschäftigt und dem die History von RAGE absolut nicht unbekannt ist, war so mache Stelle überraschend, wo ich gedacht habe: Ach guck, so war das! Es gibt einige Infos, die definitiv nicht in irgendwelchen Magazinen und Interviews zur entsprechenden Zeit zu lesen waren. Und es war spannend, jetzt den Eindruck aus erster Hand zu bekommen.
In der Presse hat man halt bestimmte Dinge taktisch nicht erwähnt, um niemandem auf den Schwanz zu steigen.
Wo ich, als Kind aus dem Ruhrpott, so manches Mal schlucken musste, ist der Anfang des Buches, wo du deine Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet beschreibst. Was bedeutet dir das Ruhrgebiet heute?
Wenn man die Umweltbedingungen vergleicht, hat sich ja alles zum Positiven entwickelt, das Ruhrgebiet ist ja schon fast eine grüne Region. Ich bin hier zu Hause, komme mit den Leuten gut klar - was soll ich sagen – ich lebe halt hier, da fällt einem einiges auch gar nicht so auf, als wenn man von Außerhalb kommt. Es ist aber schon interessant, welche Bilder Leute vom Pott haben, die noch nie hier waren und wie erstaunt sie dann sind, wenn sie denn mal zu Besuch kommen.
Ich habe RAGE 1989 mit "Secrets In A Weird World" kennengelernt. Damals wart ihr für mich, mit 16 Jahren, schon echte Rockstars, die um die Welt tourten und einige Alben draußen hatten. Wenn man dann liest, wie - in dicken Anführungszeichen – dilettantisch ihr da noch unterwegs wart, das kann man sich heute kaum noch vorstellen! Habt ihr damals mitbekommen, dass ihr – wie viele Zeitgenossen auch – diese Szene, wie wir sie heute kennen, mit Magazinen, Festivals etc. im Prinzip mitbegründet habt?
Es gab einfach nicht viel, vor allem keine Infrastruktur, wie man sie heute kennt. Und die anderen Protagonisten mussten sich ja auch erstmal aufstellen und entwickeln. Wenn ich mir das so anschaue, die Magazine und Management-Firmen, das war ja alles deutlich dilettantischer als heute. Von daher haben wir gut da reingepasst.
Kannst du dir vorstellen, weiter schriftstellerisch tätig zu sein, zum Beispiel ein Buch über das Knochensammeln oder gar einen Krimi zu schreiben?
(lacht) Das kann ich echt noch nicht sagen. Erstens ist das alles noch zu frisch, aber wenn man älter ist und nicht mehr so oft touren möchte, könnte das etwas sein, worüber man mal nachdenken könnte. Aber ob ich guter Schriftsteller bin oder werden könnte – ich weiß es nicht, dazu müsste ich noch eine ganze Menge lernen.
Die Story vom Soundchaser, eurem Maskottchen, würde sich auch noch anbieten, oder?
Da bist du nicht der Erste, der mir das vorschlägt, aber ob ich so gut darin bin, mir einen Plot für einen Fantasy-Schinken auszudenken? Ich habe zwar mein Leben lang Songtexte geschrieben, aber das ist ja was komplett anderes, als eine lange, zusammenhängende zu Geschichte zu erfinden.
Liest du viel?
Ja, ich habe schon mein ganzes Leben gelesen, ich bin aber auf kein bestimmtes Genre festgelegt. Da ist viel Zufall dabei, manchmal stolpert man über ein Buch und kniet sich da rein, aber ich kenne mich jetzt mit keinem Genre richtig aus. Wenn du da fachsimplen möchtest, bin ich leider nicht der Richtige!
Könntest du denn drei Bücher nennen, die in irgendeiner Weise besonders für dich waren oder dich geprägt haben?
Da erwischst du mich auf dem völlig falschen Fuß... lass mich kurz überlegen, was mir so spontan in den Sinn kommt.
Da fällt mir eine Reihe ein, die hieß "Conversations With God", also Unterhaltungen mit Gott, ziemlich esoterisch, aber das hat mir damals gut gefallen und geholfen, über solche Dinge nachzudenken. Heute fände ich das wohl superkitschig, das soll also absolut keine Empfehlung sein (lacht) - aber damals hatte mich das gepackt. Ich weiß gar nicht genau, wann das war... Ende der 80iger?
Generell natürlich Sachbücher über Fossilien oder mein Hobby, da gibt es so viele gute Bücher, da kann und will ich gar nichts Konkretes nennen, aber aus denen kann ich auch immer wieder neue Sachen lernen.
Als Kind habe ich Fantasy-Bücher gern gelesen, da fällt mir ein Buch namens "Stein und Flöte" ein, von Heinz Bemmann, das geht so in die Richtung von "Der Herr Der Ringe". Das Buch, übrigens auch ein Riesenschmöker, hat mich damals total abgeholt.
Dann komme ich nochmal auf dein Buch zurück. Mir hat sehr gefallen, dass du, bei allem Unschönen, was mit RAGE passiert ist, vor allem in Hinblick auf die Umbrüche im Line-up, die Vorgänge aus deiner Perspektive sachlich schilderst und nicht nochmal nachtrittst oder persönlich wirst, sondern im Gegenteil einen sehr versöhnlichen Ton anschlägst.
Das freut mich, dass du das so empfindest und das war auch meine Absicht. Ich habe mich mit allen meinen ehemaligen Musikern und Leute aus meinem Leben, auch mit denen, zu denen ich aktuell keine aktive Beziehung pflege, im Laufe der Zeit wieder vertragen und die Streitigkeiten, die damals zu den Brüchen geführt haben, ad acta gelegt, damit man wieder eine normale Beziehung führen kann und sich nicht sofort an die Gurgel geht, wenn man sich irgendwo begegnet. Ich wollte solche negativen Sachen nicht mehr in meinem Herzen mit mir herumtragen, weil das auch einfach nicht gesund ist.
Und ich hoffe natürlich, dass ich nicht irgendwelche Grenzen eingerissen habe und Leute sich ungerecht dargestellt fühlen. Aber zum einen musste ich halt erklären, wie es zu den Brüchen kam und da kann man bestimmte Dinge nicht schönreden oder verschweigen, trotzdem habe ich versucht darzustellen, dass zu sowas immer zwei gehören und auch ich Fehler gemacht habe. Auch wenn es nur so war, dass ich Dinge einfach zugelassen habe, wenn man versucht hat, mich zu übervorteilen und mich nicht klar genug positioniert habe. Ich hoffe, dass ich mit dem Buch niemanden auf dem Schwanz getreten habe. Und wenn doch, dann ruft mich bitte an und wir reden darüber!
Du hast also noch keine Anrufe bekommen, seitdem bekannt ist, dass du an einer Biografie arbeitest, wo jemand wissen wollte, was du über die entsprechende Person schreibst?
Doch, ein Mensch hat sich schon enttäuscht geäußert, aber das ist keiner von meinen Musikern gewesen. Ich habe der Person auch angeboten, dass wir darüber reden können, nur das Buch konnte ich nicht mehr zurücknehmen – und das, was ich geschrieben habe, das war nun mal so.
Ich habe noch ganz viele Details weggelassen, die für das Verständnis der Story nicht nötig waren, es muss ich also keiner beschweren, ich hätte ihn in die Pfanne gehauen! Der eine oder andere Beteiligte hat die Geschichte vielleicht auch noch nicht ganz reflektiert, und richtet sich die Erinnerungen so ein, wie er sie gerne hätte. Das ist dann halt so, man darf die Fehler einfach nicht immer nur bei dem anderen suchen. Es sind viele Jahre ins Land gegangen und Gras über viele Sachen gewachsen, aber da sind halt trotzdem viele Sachen gelaufen – die kannst du einfach nicht bringen.
Vorhin im Auto habe ich nach langer Zeit mal wieder das Album "Ghosts" gehört, das ich mir damals zwar gekauft habe, aber dann aufgrund der ganzen Querelen jahrelang nicht mit Genuss hören konnte. Dabei ist es ein tolles, wenn auch etwas anderes RAGE-Album. Wie geht es dir, wenn du das Album heute hörst?
Ich kann das nachvollziehen! Da sind tolle Songs drauf, die es verdient hätten, mit einer funktionierenden, harmonischen Band live präsentiert zu werden. Da war halt ein überbordendes Ego im Spiel, worauf ich auch früher reagieren und der Person vielleicht auch ein Stückweit mehr hätte entgegenkommen müssen. Aber es gab halt auch Verträge, die nur ich unterschrieben hatte und nicht er - und die konnte ich ja nicht einfach einseitig kündigen, nur weil eine Person die nicht gut findet.
Das letzte Kapitel von RAGE ist ja noch lange nicht geschrieben…
Das hoffe ich doch!
Könntest du dir vorstellen, das Buch in zehn oder fünfzehn Jahren nochmal um einige Kapitel zu erweitern und neu aufzulegen oder gar eine Fortsetzung zu schreiben?
Klar, wenn ich dann noch lebe und es noch genügend Leute gibt, die das noch interessiert.
Du wirkst im Nachwort des Buches sehr zufrieden mit dem, was du erreicht hast und wie es im Hier und Jetzt für RAGE läuft. Denkst du trotzdem manchmal daran, was aus RAGE hätte werden können, wenn es an dem einen oder anderen Zeitpunkt weitergegangen wäre und es keinen Umbruch im Line-up und somit auch in musikalischer Ausrichtung gegeben hätte?
Klar denkt man darüber nach. Aber es gibt ja den berühmten Spruch von Rudolf Scharping: "Hätte hätte Fahrradkette". Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen, und die Brüche haben mich letztendlich dahin gebracht, wo ich heute bin. Vielleicht wären mir die Menschen, die mir heute wichtig sind, ohne diese Ereignisse nie begegnet. Sich über solche Sachen Gedanken zu machen, ist im Endeffekt verschwendete Zeit. In bin tatsächlich zufrieden.
Was man sich aber immer vergegenwärtigen sollte, ist, dass Glück nicht vom Geld abhängig ist. Eine erfüllende Tätigkeit und seine Zeit, die man hat, sinnvoll zu nutzen, bringt einen weiter nach vorne als immer nur mehr Geld anzuhäufen. Ohne Geld geht es in unserer kapitalistischen Gesellschaft zwar nicht, jeder braucht einfach Geld, um teilhaben zu können. Aber wenn das Grundbedürfnis gedeckt ist, und dafür braucht es keine exorbitanten Reichtümer, macht das Anhäufen von immer mehr und mehr materiellen Werten einen auch nicht glücklich. Und mitnehmen kann man eh nichts – das letzte Hemd hat bekanntlich keine Taschen.
Auch wenn dieses Interview sich um dein Buch dreht, muss ich doch mal fragen, was bei RAGE als nächstes ansteht.
Wir arbeiten schon seit einer geraumen Weile an neuen Stücken. Zum einen, weil wir einfach Bock darauf haben und zum anderen haben wir das nächste Album schon in der Pipeline. Das wird aber noch ein Jahr dauern, bis das rauskommt. Dann haben wir für das nächste Jahr schon einige Sachen gebucht, die beizeiten bekanntgegeben werden.
Arbeitet ihr weiterhin zu dritt oder ist euer zweiter Gitarrist, Stefan Weber, wieder dabei?
Gute Frage, soweit ich weiß, hat sich Stefans Situation noch nichts verändert, von daher planen wir zu dritt weiter. Aber wir müssen mal wieder ein Treffen mit ihm machen und über die Sache reden. Aber der Status Quo ist unverändert.
Wir kommen zu dritt aber klar und selbst wenn Stefan da nicht mehr reinfindet, ist das zwar schade, aber wirft RAGE nicht zurück und ich habe auch noch nichts Negatives von den Fans gehört, dass wir aktuell nur zu dritt sind. Wir waren die längste Zeit der Bandhistory ein Trio. Und in der kreativen Hinsicht und im Studio vermissen wir nichts, mit Jean habe ich einen super Partner, mit dem ich kreativ sein kann und Songs schreibe. Ich komme da aus dem Schwärmen gar nicht raus, wie einfach und gut das mit uns läuft, Songs auszuarbeiten und vor allem wie viele Ideen wir haben - ich bin einfach happy mit der Band!
Und es gibt auch noch ein Schmankerl im nächsten Jahr, über das ich aber jetzt noch nicht reden darf. Das tut mir leid, nicht weil ich das nicht wollen würde, aber wir haben da noch so eine Art Omerta-Schweigepflicht - aber wenn es soweit ist, kriegt ihr das alle mit!
Fotocredit: Manfred Jasmun / Oliver Bob
- Redakteur:
- Maik Englich