JESUS ON EXTASY: Interview mit Chai

24.10.2011 | 06:32

Alles auf Anfang! Das trifft derzeit bei JESUS ON EXTASY zu. Nachdem die Band fast komplett umgekrempelt wurde, steht die Formation um Mastermind Chai mit einem neuen Album namens "The Clock" in den Startlöchern. Die größte Veränderung ist dabei der Gesang. Stand in der Vergangenheit Dorian Deveraux am Mikrofon, so ist es nun Manja Wagner. Warum alles so gekommen ist und Chai die Band nicht sterben lassen wollte, das verrät uns der Bandchef.

Swen:
Hallo Chai, bevor wir uns dem neuen Material widmen, ein Blick zurück. Anfang des Jahres sah es ja nicht danach aus, als ob JESUS ON EXTASY noch einmal auferstehen bzw. im gleichen Jahr noch ein Album herausbringen. Wenn ich es richtig verstanden habe, bist du als Kopf des Ganzen mit Drummer Dino der verbleibende Rest der Band?


Chai:
Hi Swen! Ja, ich bin Gitarrist und Leader der Band. Eigentlich bin ich Mädchen für Alles in und um die Band. Tja, viel gibt es zur Trennung nicht zu sagen. Fakt ist, ich liebe diese Band, sie war, ist und bleibt mein Baby und mit diesem Schiff werde ich untergehen. Im Notfall versteht sich. 2010 lief alles darauf hinaus, dass sich das alte Line-up von Dorian trennt. Daher hatte ich da schon genügend Zeit, einmal alle Eventualitäten zu durchdenken. Im Endeffekt sieht alles schlimmer aus als es tatsächlich war. Dass wir eine neue Stimme haben, spaltet die Gemüter. Aber jetzt trennen sich die Fans der Musik von den Fans der Bandmitglieder. Ich mache Musik der Musik wegen und nicht, damit ein kleines Mädchen in unseren Sänger verliebt sein kann, egal was für einen Müll man fabriziert. Daher müssen wir jetzt einmal durch die Flut der Weiberschreie hindurch und fertig. Ich bin froh, dass das so ist. Denn wir gewinnen dadurch eine sehr große Menge an Leuten dazu, die uns bisher vielleicht eher skeptisch gegenüberstanden.

Swen:
Euer Label hatte euch ja aufgegeben. War das auch zu diesem Zeitpunkt? Wie lange hast du gebraucht, um aus diesem Tief herauszukommen und wann und wie reifte der Entschluss doch weiterzumachen? Hattest du oft Selbstzweifel, ob es überhaupt noch Sinn hat?

Chai:
Das Label wollte ohne Dorian nicht weitermachen. Da saß der Schwerpunkt wohl auf eben besprochenen Strategien bezüglich der Weiblichkeit. Ich denke, das war denen alles zu riskant. Aber man sieht ja, es hätte funktionieren können. Selber schuld, sag ich da. Auch hier bin ich im Nachhinein froh. Die Absage kam kurz nach dem Entschluss weiterzumachen. Unser Basser BJ verließ aus privaten Gründen die Band, Ophelia weil sie mit APOPTYGMA BERZERK zu viel unterwegs war. Alles brach weg, obwohl es anfangs doch "nur" um die Trennung vom Sänger ging. Ich war einmal, ein ganz kleines Mal an einem Punkt, an dem ich dachte: "Das ist alles ein Zeichen. Lass es bleiben." Aber danach kam dann diese Energiewelle in mir hoch und ich dachte mir nur, dass ich nicht mein ganzen Lebe lang die Frage mit mir rumschleppen will, was passiert wäre, hätte ich das mit JESUS ON EXTASY noch mal probiert und zwar so wie ICH das will und nicht wie tausend Leute um mich herum.

Swen:
Ich habe gelesen, dass du schon neue Lieder geschrieben hast, als du noch gar nicht wusstest ob und wie es weitergeht?

Chai:
Songs schreibe ich ja permanent. Allerdings hatte ich 2010 ein tierisches Kreativ-Loch. Verständlich, denn wenn alles, was man schafft, durch Ignoranz und Albernheit zu Nichte gemacht wird, kommt man nur schwer aus dem Quark. Als Manja zusagte, die Reise mit anzutreten, explodierte der Kreativballen in mir. Danach kamen dann die besagten Absagen, etc. Aber am Ende macht einen das nur stärker.

Swen:
Wann und wie sind die neuen Bandmitglieder dazugekommen? Hatten diese denn noch Einfluss auf die Songinhalte oder schreibst du alles selbst?

Chai:
Ich habe schon bei "No Gods" fast alles alleine geschrieben, jedenfalls von musikalischer Seite. Und genau das fehlte mir immer sehr. Der Einfluss der anderen auf die Texte und den Gesang. Letzteres kann man mit einem Profi wie Manja überhaupt erst einmal richtig erarbeiten. Das ist ein unglaublich tolles Feeling im Studio.

Swen:
Mit Manja ist nun eine Frau in der ersten Reihe. Damit hat sich grundlegendes geändert, schließlich war das früher der Part von Dorian. Mal sarkastisch gefragt: Rechtfertigt diese Konstellation nun überhaupt noch den Namen JESUS ON EXTASY?

Chai:
Haha, wie ich schon sagte. JESUS ON EXTASY ist mein Baby und das was die Band ausmachte ist immer noch drin. Jede Band entwickelt sich weiter, jedenfalls sollte sie das meiner Meinung nach. Wir haben halt den Sänger gewechselt und gegen jemanden getauscht, der stimmlich in einer anderen Dimension spielt. Die Leute, die momentan am Lautesten schreien, sind die, die Dorian für die Band gehalten haben. Was tatsächlich hinter der Bühne abging, hab ich ja nie an die große Glocke gehängt und werde ich auch nicht. Man hört ja auch abseits der Stimme, dass da immer noch JESUS ON EXTASY am Werk sind.

Swen:
Kommen wir mal zum neuen Liedgut. "The Clock" ist der Auftakt für eine Trilogie, unter anderem zu den Themen Vergänglichkeit und Existenzangst. Ich gehe mal davon aus, dass da sehr viel Persönliches von dir drin steckt?

Chai:
Das ist richtig. Alles andere wäre ja irgendwie aufgesetzt. Es ist definitiv das persönlichste Album in der Bandgeschichte und ist am Ende auch nur der Anfang einer neuen Generation JESUS ON EXTASY. Ich liebe Konzeptalben. Jetzt kann ich drei machen, ohne dass jemand quer schießt. Das erste Album der Trilogie behandelt Vergänglichkeit, Zeitempfinden und die Auswirkung dessen auf unser Leben. Teil Zwei wird eine komplette Geschichte, die auf "The Clock" aufbaut. Die Texte sind allesamt sehr persönlich. Es gibt viele kleine Geschichten und metaphorische Teile und alles über die Teile des Themas Zeit, die uns in den letzten Jahren beschäftigt haben. Dass es ausgerechnet das Thema Zeit ist, hat Gründe. Aber dazu mehr beim nächsten Teil.

Swen:
Hast du da schon für die nächsten zwei Alben die Songs in der Tasche?

Chai:
Heute habe ich keinen einzigen kompletten Song. Aber dafür 20 Skizzen in Form von Projektfiles und eine sehr genaue Vorstellung vom Sound. Ich genieße den Luxus, die Ideen erst einmal nur im Kopf zu behalten. Da ich noch ein recht gut funktionierendes Hirn besitze, ist da alles ganz gut aufgehoben. Und Ideen, die irgendwann weg sind, waren es dann wohl auch nicht wert.

Swen:
Musikalisch ist mein erster Eindruck, dass der Sound weniger provokativ als in der Vergangenheit ist. Irgendwie wirkt alles wesentlich gefälliger bzw. eingängiger. Kannst du diesen Eindruck bestätigen. Und: Ist das der neue Bandsound?

Chai:
Eindeutig JA! Provokativ kann man heute einfach nicht mehr sein, wenn man etwas macht, was "In" ist. Außerdem kann man mit Provokation nicht unbedingt Probleme lösen. Ich hasse es wie die Pest, wenn jemand immer "dagegen" ist, aber keine Alternative kennt. Ab und zu mal den Stinkefinger zeigen, ist ein Muss heutzutage. Das ist nicht provokant, sondern notwendig. Deshalb kommen Song wie 'Freak Me Out' oder 'Vendetta', die genau das Thema behandeln, heute nicht mehr in die Schublade "provokativ". Allerdings habe ich bei "Itunes" gesehen, dass beide einen "Explicit"-Stempel tragen. Wundervoll, Ziel erreicht.

Swen:
Was mir etwas fehlt, sind die musikalischen "Ausreißer" auf der Scheibe. Ich finde das Material insgesamt jedoch gut. Sollte eine gewisse Harmonie dadurch erhalten bleiben?

Chai:
Die Ausreißer waren einfach nicht da. Ich schreibe Musik aus dem Bauch heraus. Kann sein, dass Du ein paar Ausreißer auf dem nächsten Album findest. Wer weiß. Natürlich war es mir wichtig, dass die Harmonie erhalten bleibt. Ein Konzeptalbum mit einem musikalischem Ausreißer wäre so, als würde in besagtem Album auf einmal ein Song über Haartrockner auftauchen. Nicht sehr förderlich. Aber wie erwähnt, das passiert automatisch. Aber abwarten, Teil Zwei der Trilogie bietet auch dafür Raum.

Swen:
Das Gesangsduett bei 'Snow Of Syberia' finde ich sehr interessant und gelungen. Wie kam es zu diesem Song beziehungsweise zu dem Duett?

Chai:
Ich bin seit Jahren Gitarrist bei BELOVED ENEMY in der "Ski" der Sänger ist. Er hat einfach eine außergewöhnliche Stimme. Ich hätte auch im Rahmen des Neustarts irgendeinen angesagten Sänger ins Boot holen können. Aber am Ende zählt für mich der Song. Und es gibt definitiv keine Stimme auf diesem Planeten, die das hätte besser machen können. Ich höre diesen Song und bin mehr als glücklich mit dem Ergebnis.

Swen:

Auf dem Album befindet sich ein Cover zum DURAN DURAN-Klassiker 'Ordinary World'. Was hat euch dazu bewogen oder gibt es dazu ein persönliche Beziehung?

Chai:
Ich liebe diesen Song seit es ihn gibt. Er ist zeitlos und er passt perfekt zum Thema. Denn eigentlich ist es bei Konzeptalben ja so, dass Cover-Versionen gar nicht funktionieren. Scheitert meist schon am Thema. Aber dieser Song ist einfach ein guter Abschluss für Teil Eins der Trilogie.

Swen:
Das Albumcover finde ich sehr gelungen. Hast du das selbst kreiert?

Chai:
Das Cover wurde von Vision Faux gestaltet, eine begnadete Künstlerin und gute Freundin von mir. Sie versteht nahezu blind, was ich mir vorstelle und steckt genau so viele Emotionen in die Arbeit wie ich das tue. Ich hasse nichts mehr als sogenannte Artworks, die da sind, damit überhaupt etwas um die CD herum existiert. Ich will hier immer das, was ich in die Musik packe, visuell darstellen, so wie ich das in meinem Kopf habe. Damit kann man den Hörer ein wenig in die Stimmung leiten, die man selber beim Songwriting hatte. Dieses Artwork hat eine Menge Details, die sich einem nicht sofort erschließen. Da gibt es eine Menge zu entdecken, Dinge die wirklich gewollt sind, keine Zufallsprodukte.

Swen:
Beim Bonusmaterial könnte man vermuten, ihr experimentiert da in diversen Musikgenres. Ist das einfach mal der berühmte Ausbruch oder ein spontaner Kreativitätsschub?

Chai:
Beides! Ich höre viele Styles. Ich bin sehr im Metal verwurzelt. Da komme ich her. Aber ich liebe Experimente und elektronische Elemente. Die Akustik-Version war eine spontane Session, mehr eigentlich nicht. Sie rundet aber das Gesamtbild sehr schön ab, wie ich finde und zeigt, dass Manja wirklich so singt wie sie singt, und das hier nichts getrickst wurde. Ein und denselben Song von mehreren Seiten zu beleuchten, macht mir eine Menge Spaß. 'Heartless' klingt so einfach komplett anders und zeigt einem einen anderen Blickwinkel des Themas. Wie sagte ein Redakteur letztens: "Super für die Badewanne". So kann man das auch sehen, besser als für die Toilette…

Swen:
Du hast den Song ja schon angesprochen, denn auch ich finde das Akusitkstück 'Nothing To Cry For' sehr interessant. Könntest du dir beispielsweise vorstellen, auch mal so ein komplettes Album zu machen?

Chai:
"So" hieße spontan in einem Hotelzimmer aufzunehmen. Aber warum nicht?! Mir war wichtig, dass es keine durchproduzierte Akustik-Version wird. Es sollte so klingen wie es war: Echt!
Daher auch die Nebengeräusche. Aber wir wollten den Moment einfangen. Für ein ganzes Album würde ich die Stücke aber zunächst ein wenig umarrangieren. Sonst wird es langweilig. Aber langfristig würde ich sehr, sehr gerne an so einem Longplayer arbeiten.

Swen:
Das Album wird auf deinem eigenen Label Farscape Records erscheinen. Wieso hast du dich zu diesem Schritt entschlossen?

Chai:
Da bin ich ehrlich. Die alte Plattenfirma wollte nicht mehr. Und ich hatte keine Lust, wie eine Bordsteinschwalbe die Labels abzuklappern. Das war alles insgesamt mehr als stressig und teilweise auch chaotisch. Aber ich liebe Herausforderungen und am Ende hat es ja funktioniert auch dank der Hilfe und engen Zusammenarbeit mit meinem Vertrieb und anderen Partnern lief alles so glatt wie nur irgendwie möglich. Ich bin ein kleiner Kontrollfreak. Da nehme ich auch den Stress in Kauf.

Swen:
Derzeit läuft noch ein Fotowettbewerb. Was hat es damit genau auf sich?

Chai:
Wir haben uns gedacht, wie verlosen für unser nächsten Musikvideo eine Rolle. Und damit die Leute auch etwas dafür machen müssen, haben wir diesen Wettbewerb ins Leben gerufen. Insgesamt muss ich sagen, dass ich sehr überrascht bin, wie positiv diese Aktion ankommt.
Lustig zu sehen, dass sich teilweise die Leute gegenseitig sogar beleidigen. Es ist nicht unser Job dazwischen zu gehen, aber scheinbar wollen da ein paar Menschen unbedingt ins Video.

Swen:
Nun, wo das Album auf dem Markt ist, gibt es sicher eine Tour dazu?

Chai:

Wir sind gerade mittendrin. Die ersten Tourdaten sind recht gestückelt. Für Anfang 2012 ist etwas Längeres geplant. Dann geht es auch nach Großbritannien und in die USA. Es hat sich eine Menge getan seit dem Neustart.

Swen:
Wann hast du vor, das nächste Album der Trilogie zu veröffentlichen?

Chai:
Genau ein Jahr später. Ob ich das schaffe? Wir werden sehen, aber vorgenommen habe ich es mir.

Swen:
Okay, ich sehe bei dir wird es in der nächsten Zeit nicht langweilig. Dann danke ich dir für deine Zeit.

Chai:
Ich danke, jederzeit wieder. Don't let people fuck your mind!

Redakteur:
Swen Reuter

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