KADAVAR: Interview mit Tiger, Lindemann und Mammut

11.03.2013 | 16:20

Sie haben den europäischen Kontinent im letzten Jahr ausführlich mit ihren mitreißenden Bühnenauftritten überzogen und eines der besten Rockalben 2012 abgeliefert. Das Berliner Trio KADAVAR ist in aller Munde und kurz vor der Veröffentlichung des Nachfolgers des selbstbetitelten Debütalbums. Das mit großer Spannung erwartete "Abra Kadavar" wird ab dem 12.04.2013 erhältlich sein. Grund genug, sich mit den drei weitbärtigen Sympathen zu unterhalten. Über analoge Technik, Berlin als logischen Zufluchtsort für Mucker, die Pläne für 2013 und warum eine wunderschöne Brigitte Bardot die Yoko Ono der Band werden könnte...

Mathias Freiesleben: Hallo KADAVAR, wie geht es Euch?

Tiger: Gut, aber man spürt noch so eine gewisse Erschöpfung nach den letzten zwei Monaten.

Lindemann: Danke, gut.

Mammut: Müde! Aber alles im grünen Bereich!

 

Mathias Freiesleben: Woran werkelt Ihr denn gerade? Vermutlich gebt Ihr dem neuen Album "Abra Kadavar" die letzten Schliffe...

Tiger: Die Arbeit ist getan, jetzt proben wir die neuen Songs, um uns auf die anstehenden Konzerte vorzubereiten.

Lindemann: Das Kind ist aus dem Haus. Jetzt müssen wir zusehen, das wir die Songs in unser Liveset einbauen, so dass es wieder passt und funktioniert.

Mathias Freiesleben: Wenn Ihr Drei an das vergangene Jahr 2012 zurückdenkt, da ist ja der Erfolg über Euch hereingebrochen! Was ist Euch am eindringlichsten aus diesem Jahr in Erinnerung geblieben?

Tiger: Das war einmal, als wir die Nachricht von unserem Label bekamen, dass die Erstauflage schon vor dem Veröffentlichungstermin vergriffen war. Damit hatte niemand gerechnet. Es gab noch viele Momente, die das immer wieder getoppt haben. Am Ende des Jahres das Konzert in Berlin zu spielen, nach den Strapazen und Erlebnissen zu Hause "anzukommen", zu fühlen, dass man einen gewissen Abschnitt zu Ende bringt und zu sehen, was da im Magnet Club abging, das war etwas Besonderes.

Lindemann: Ich glaube, die Paris-Show ist mir am meisten im Gedächtnis geblieben. Wir haben schon eine enge Verbindung zu Paris und haben uns echt gefreut, dort spielen zu dürfen. Aber dass es bei unserem ersten Konzert ausverkauft sein würde, damit hat keiner gerechnet. Es war eines der intensivsten Konzerte, die ich je gespielt habe. Es gab keine hohe Bühne und die Leute haben von hinten gedrückt. Am Ende des Konzerts stand ich fast hinter meinem Amp, weil die Bühne voll mit Leuten war.

Mathias Freiesleben: Was Euren Werdegang 2012, wie ich finde ich, ganz gut beschreibt: Ich erinnere mich da an einen Auftritt in einem kleinen Pub in Leipzig im Spätherbst 2012: Der Auftrittstermin war glaube ich schon sehr früh im Jahr vereinbart worden, dann folgte die Veröffentlichung des Debüts "Kadavar" und eine ganze Menge an Konzerten und Festivalauftritten – zum Beispiel auf dem "Stoned From The Underground" oder auf der "Fusion". Vor dem Pub drängten sich etwa vier mal so viele Leute als die Anzahl derer, die es hineingeschafft hatten. Warum, denkt Ihr, hat die Band KADAVAR so schnell so großen Erfolg gehabt?

Tiger: Das frage ich mich selber immer wieder und es klingt auch meistens großkotzig, wenn man selber Erklärungsversuche wagt. Ich denke aber, dass wir mit diesem überwältigenden Feedback selber gewachsen sind. Die Leute, die unsere Platte gekauft haben und auf unsere Konzerte gekommen sind, haben uns die Chance gegeben, härter zu arbeiten und besser zu werden und das haben wir versucht.

Lindemann: Wir haben einen hohen Anspruch an uns selbst. Und ich selber bin nur schwer zufrieden zu stellen. Das kann andere nerven, aber für uns ist es einfach die Art zu arbeiten. Gut ist eben nicht immer gut genug. Die Jungs in Leipzig sind Freunde von mir und hatten schon oft gefragt, ob wir nicht mal spielen wollen. Natürlich war uns an dem Abend bewusst, dass es eigentlich der falsche Laden war. Aber die Leute, die drin waren, hatten Spaß, glaube ich. Wir wollten eigentlich auch zwei Mal spielen. Hat aber dann nicht geklappt.

Mathias Freiesleben: War es also Zeit für eine reife Retro-Platte? Was ist denn überhaupt dieses "Retro" im Retro-Rock?

Tiger: Für mich heißt das, sich ein Beispiel an der vergleichweise einfachen Aufnahmetechnik und der Art, wie früher Musik produziert wurde, zu nehmen. Analoger Klang ist angenehmer für die Ohren und die Art und Weise, so aufzunehmen, zwingt die Musiker dazu, sich mehr anzustrengen. Wenn ich eine alte Platte höre, bekommt man mehr von den Musikern mit, als das bei einer modernen Platte der Fall ist, die sich aller produktionstechnischen Hilfsmittel bedient. Das gibt es heute auch noch, viele Punkbands haben nie anders gearbeitet, aber die technischen Neuerungen haben schon einen massiven Teil der Musiklandschaft verändert. Das ist okay, aber wir wollen das anders machen. Ob Retro oder nicht - wer will denn heute noch eine weitere neue, totproduzierte Platte hören? Es geht nicht darum etwas nachzuahmen, sondern sich auf gewisse Sachen zu besinnen, die etwas unter die Räder geraten sind.

Lindemann: Nach so vielen Konzerten zusammen und unzähligen Stunden im Proberaum war klar, dass die neue Platte reifer sein würde. Das ganze letzte Jahr ist eben auf den neun Songs eingefangen und aufgenommen. An dem eigentlichen Aufnahmeverfahren hat sich für mich nicht wirklich was geändert, wohl aber das Songwriting. Bei der ersten Platte hat es mehr als ein Jahr gedauert, um die Songs so zu schreiben. Dieses Mal hatten wir nur ein paar Wochen. Was das mit dem Retro soll, weiß ich auch nicht.

Mathias Freiesleben: Einige sagen ja auch Proto-Metal dazu... wo auch immer der Begriff herkommt. Warum ist das so? Ist es in einer durchdigitalisierten Welt der Sound analog klingender Instrumente?

Tiger: Ich denke schon, dass das eine Rolle spielt. Als ich für unser erstes Album auch meinen Einstand mit analoger Arbeitsweise als Toningenieur hatte, hat es sofort "klick" gemacht. Aber es kommt noch hinzu, dass viele Platten unter Zeit- und Kostendruck entstanden sind. Es war ja nicht jeder wie die BEATLES, die sich monatelang im Abbey Road einschließen konnten, um dann ein Album wie "Sgt. Pepper..." rauszubringen. Nichts dagegen übrigens. Aber gerade bei unser neuen Platte hat uns der Zeitdruck ziemlich aufgestachelt und die Energie, die wir eingefangen haben, macht die Fehler, die wir dringelassen haben, allemal wett. Ich persönlich mag Platten mit Fehlern.

Mathias Freiesleben: Das Thema Entstehung: Wie habt Ihr Euch zusammengefunden? Um wen haben sich die anderen beiden gruppiert?

Tiger: Mammut und ich haben Anfang 2010 begonnen, Musik zu machen, Gitarre und Schlagzeug. Das sollte erst auch so bleiben, aber keiner von uns wollte singen, deswegen haben wir uns nach einem singenden Bassisten umgeschaut. Irgendwie schien keiner zu passen, so dass wir lange auch keinen gefragt haben. Als wir Lupus kennengelernt haben, dachten wir gleich, das könnte funktionieren. Er hat sich bei der ersten Probe zwar noch den Bass umgeschnallt, aber nach einer kurzen Jamsession wollte er die Gitarre haben. So ist es dann geblieben.

Lindemann: Wir haben uns abends in einem Club in Berlin das erste Mal richtig gesehen. Ich hatte an dem Abend ein Konzert dort und die Jungs haben mich angesprochen. Es war wohl Liebe auf den ersten Blick. Zumindest bei den anderen. (lacht)

Mathias Freiesleben: Tiger stammt aus NRW, Mammut aus Kärnten, über Herrn Lupus konnte ich bisher nichts in Erfahrung bringen: Konnte KADAVAR nur in Berlin entstehen, oder kanntet Ihr Euch schon länger?

Tiger: Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns nur in Berlin kennenlernen konnten. Wir kommen aus verschiedenen Ecken und haben auch unterschiedliche Sachen gemacht. Dass wir uns in Berlin getroffen haben, hängt damit zusammen, dass wir alle aus unserer Heimat rauswollten, um was Neues zu machen. Wir haben uns auch erst kennengelernt, nachdem wir alle schon 'ne Weile hier gewohnt haben.

Lindemann: Ich bin aus Thüringen und der einzige Grund, warum ich nach Berlin gezogen bin, war um solche Jungs kennenzulernen. Denn die gibt's in Thüringen nicht. Es hat aber auch fast fünf Jahre hier gedauert, bis sie endlich vor mir standen.

Mathias Freiesleben: Das Schlagzeug bei der Noiseband NOEM wird ja vom Tiger bespielt – gibt es denn weitere (Neben)Projekte?

Tiger: Schön, dass das mal jemand erwähnt! Wo wir schon mal dabei sind, wir haben gerade eine Single aufgenommen, die bald bei Tusk erscheint. Ende der Durchsage.

Mammut: Ach klar! Ich hab immer wieder andere Musikprojekte am Start! Mit meiner Zwei-Mann-Combo ECKE SCHÖNHAUSER war ich gerade auf Tour in Deutschland und will im Sommer noch 'ne Blues-EP rausbringen! Ich finde es sehr wichtig, mit solchen Projekten sich wieder den Kopf zu waschen!

Mathias Freiesleben: Was eigentlich habt Ihr Euch für 2013 vorgenommen?

Tiger: Wir haben uns den Plan gemacht, dieses Jahr auf alle Kontinente zu kommen. Wenn das nicht klappt, dann natürlich trotzdem viel rumzukommen, unsere neuen Songs spielen und so weiter.

Lindemann: So viel wie möglich spielen. Jeder Tag, an dem wir nicht auf der Bühne stehen, ist ein verschenkter Tag.

Mathias Freiesleben: Nach dem Anfang Februar 2013 bekannt gegebenen Wechsel vom kleinen This Charming Man Records-Label zu Nuclear Blast gab und gibt es an einigen Stellen auch ein Murren wegen dieses Wechsels zu lesen und zu hören. Macht dieses Murren Eindruck auf Euch, nehmt Ihr das wahr?

Lindemann: Uns war klar, dass es einigen Leuten nicht gefallen wird. Aber wir haben lange überlegt und das sehr gründlich. Am Ende hat eben alles gepasst mit Nuclear Blast und wir sind froh, dass wir es gemacht haben.

Mammut: Es war wunderbar amüsant und da sieht man wieder, was für ein komisches Volk die Deutschen sind!

Mathias Freiesleben: Ärgert Euch das? Oder ist das dieses undefinierbare Underground-Murren, welches nie Ziele nennt?

Lindemann: Am Ende müssen wir morgens alleine in den Spiegel schauen. Deshalb ist es mir egal, ob Leute ein Problem haben, die sicher eh nicht zufrieden zu stellen sind. Wir haben die Entscheidung zusammen als Band getroffen, der Rest spielt keine Rolle.

Mathias Freiesleben: Seid Ihr Underground?

Tiger: Da das ja eine Überzeugungsfrage ist: Ich habe meine Ansichten jedenfalls nicht verändert. Spätestens dann, wenn das Urteil über eine Band anhand von Begriffen wie Underground oder Mainstream gefällt wird, wird's mir zu blöd.

Lindemann: Ich hoffe doch.

Mathias Freiesleben: Was haben wir denn Neues zu erwarten auf "Abra Kadavar"?

Tiger: Ersteinmal gibt's etwas mehr Material, ca. 42 Minuten statt 33. Die letzte Platte war nicht dreckig genug, das haben wir geändert. Sie klingt nicht ganz so "schön" und vintage-mäßig wie die letzte. Schon ähnlich, es wurde ja auch das gleiche Equipment benutzt, aber roher. Wir haben weniger Spuren verwendet und alles live in einem Raum eingespielt, damit es noch näher an das Live-Erlebnis kommt. Und wir haben mehr reingedroschen. Bei der letzten Platte hört es sich manchmal so an, als ob ich beim Schlagzeugspielen noch nebenbei an einer Tasse Tee genippt hätte, das ist jetzt glaube ich anders. Ich finde außerdem, dass der Gesang deutlich stärker geworden ist.

Mathias Freiesleben: Ich mache Euch mal ein knackiges Kompliment: Als letztens Euer Album zur Hörprobe für eine Rezension auf Powermetal.de per Rundmail ausgerufen wurde, meldeten sich innerhalb von nicht mal zehn Minuten vier Redakteure zurück, die alle verstreut in ganz Deutschland sitzen. Warum wird sich unsere Hysterie für "Abra Kadavar" lohnen?

Lindemann: Wir haben wieder alles selber gemacht. Von den Aufnahmen, Mixen, Mastern, Artwork usw. Es steckt viel Leidenschaft, Blut und Schweiß drin. Wer unsere Musik mag, der wird sicher nicht enttäuscht sein. Denn es ist das Beste, was wir Drei bisher auf die Beine gestellt haben, trotz der kurzen Zeit, die wir hatten.

Mathias Freiesleben: Shamponiert Ihr eigentlich Eure Bärte?

Tiger: Steht nicht im Plattenvertrag, dass darüber still geschwiegen werden muss??

Lindemann: Haha, ich will gar nicht wissen, ob die anderen Zwei das machen.

Mathias Freiesleben: Wenn es eine Zeitmaschine gäbe, was würdet Ihr Euch aus den Jahren 1969 – 1974 herüberbeamen? Benutzt Ihr denn Equipment aus dieser Analog-Epoche?

Mammut: Von Zeitmaschinen wird mir schlecht. Schon zu oft gemacht!

Tiger: Viele, aber nicht alle unserer Instrumente sind alt und bei dem Equipment sieht es ähnlich aus. Es kommt überwiegend alte Technik zum Einsatz, aber wir benutzen auch neuen Kram. Wenn ich mir etwas aus 1969 herüberbeamen lassen könnte, würde ich allerdings eher Brigitte Bardot nehmen, als irgendein Gerät.

Lindemann: Was? Wieso willst du die Bardot? Das wollte ich auch sagen.

Mathias Freiesleben: Wir wünschen Euch das Beste für 2013! Dankeschön für Eure Zeitmaschine.

Lindemann: Gerne. Dank Dir!

 

Redakteur:
Mathias Freiesleben

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