KILLSWITCH ENGAGE: Interview mit Sänger Jesse Leach
28.01.2025 | 20:56"Für mich ist es ein Aufruf zu den Waffen, aber ein sehr poetischer, passiver Aufruf zu den Waffen, wenn du so willst. Aber er wurzelt in Wut und Frustration."
Wir beginnen mit Keksen und enden mit Bier und Brezeln. Dazwischen rede ich mit Jesse Leach von KILLSWITCH ENGAGE über das neue Album, die Kraft, die Musik freisetzen kann, die Zerrissenheit in unserer Gesellschaft und die Wut, die ihn beim Schreiben angetrieben hat.
Dabei geht es mal launig, mal tiefgründig daher und ein paar Infos zur kommenden Europatournee gibt es auch.
Guten Morgen, Jesse. Wie geht es dir?
Gut, gut. Wie geht es dir?
Mir geht es auch gut, danke. Kannst du mich gut hören?
Ja, ich esse nur noch meinen Keks hier fertig. Ich mache das jetzt ungefähr vier Stunden am Stück, also versuche ich, Snacks zu mir zu nehmen, wenn ich kann.
Alles gut, lass dir Zeit. Du Armer!
Das ist schon in Ordnung. Es gibt Schlimmeres, als über eine Platte zu sprechen, auf die man stolz ist.
Das glaub ich. Es ist eine großartige neue Platte. Ich muss sagen, ich habe sie in den letzten Tagen in Dauerschleife gehört. Sie ist echt gut geworden.
Das weiß ich zu schätzen.
Also möchte ich damit beginnen, dich zu fragen, ob du die Feiertage mit deinen Liebsten genießen konntest. Ich weiß, dass du gerade nördlich von New York gezogen bist und jetzt quasi in den Wäldern lebst. Also waren es ruhige Feiertage oder warst du damit beschäftigt, das Album zu promoten und den letzten Feinschliff vorzunehmen?
Die Feiertage waren die einzige Zeit, in der ich tatsächlich stillsitzen konnte. Weißt du, wir haben vor Kurzem einen wirklich verrückten Umzug hinter uns. Es hat ein paar Monate gedauert, bis alles fertig war. Es ist eine lange Geschichte, aber ich hatte wirklich keine Pause. Und die Feiertage… der erste Weihnachtstag war der erste Tag, an dem ich tatsächlich stillsitzen und ein paar Bier genießen und einfach entspannen konnte. Und es war großartig. Weißt du, ich glaube, die Leute halten diese Dinge für selbstverständlich, wenn sie hier und da Zeit zum Entspannen haben. Wenn sie einem genommen wird und man sich für ein paar Monate im Übergang befindet, macht es sehr viel Spaß, einfach nur herumzusitzen und nichts zu tun. Also konnte ich das während der Feiertage tun. Es war schön.
Wenn man älter wird, lernt man diese Dinge zu schätzen, diese ruhigen Tage.
Das tut man, ja. Besonders dort, wo wir jetzt leben. Direkt vor meinem Fenster ist ein Berg und es gibt einen Bach, der direkt durch das Grundstück fließt. Also stelle ich meinen Stuhl auf, zünde das Feuer an, Zigarre, Bier und einfach nichts tun – eine schöne, gute Sache.
Das klingt nach einer guten Zeit. Im Sommer habe ich das Gegenteil gemacht. Ich habe zwei Jahre in Norwegen gelebt und bin dann zurück nach Hamburg gezogen, also habe ich die Natur wieder gegen die geschäftige Stadt eingetauscht.
Hamburg ist aber gar nicht so schlecht. Das ist eine tolle kleine Stadt, Mann. Mir gefällt es dort.
Von März bis Mai werdet ihr damit beschäftigt sein, durch die Vereinigten Staaten zu touren, auf einigen Festivals zu spielen und eure eigenen Headliner-Shows zu machen. Aber soweit ich weiß, wurde für Sommer und Herbst noch nichts angekündigt. Können wir euch in Europa erwarten?
Ja, im Herbst kommen wir dorthin. Auf jeden Fall! Wir machen zwei verschiedene Touren, die das europäische Festland und Großbritannien und Irland abdecken. Wir werden also definitiv dort sein und Headlinershows spielen, glücklicherweise. Zum ersten Mal seit langer Zeit.
Ich habe das Gefühl, dass wir viel als Vorgruppe gespielt haben, wir waren auf vielen Festivals. Aber dieses Jahr gibt es nahezu keine Festivals, sondern fast nur Headlinershows, um das neue Material rauszubringen und längere Sets zu spielen.
Das klingt gut. Wisst ihr schon, wer euch unterstützen wird?
Ich kann nichts dazu sagen.
Ich musste es versuchen. Viele Bands, die heutzutage Alben herausbringen, bringen drei, vier oder sogar fünf Singles vor der Veröffentlichung des Albums raus. Ihr hattet, zumindest bis dato, nur 'Forever Aligned'. Steckt hinter der Veröffentlichung nur eines Songs eine Strategie?
Es ist schmerzhaft lang gestaffelt, meiner Meinung nach. Ich vertrete das Mindset, es einfach rauszubringen. Aber wir bringen bald eine weitere Single raus [inzwischen ist das Video zu 'I Believe' ebenfalls online - d. Red.], und dann kommt kurz vor der Platte noch eine. Also bekommt ihr drei. Und ich glaube, am Tag der Veröffentlichung kommt noch eine, also werden es insgesamt vier sein. Aber ja, wir lassen uns anscheinend Zeit.
Aber jetzt können die Fans einen Hit nach dem anderen erwarten.
Das hoffe ich. Ich hoffe, es werden Hits. Ich mag sie. Ich bin glücklich. Ich finde, es sind großartige Songs.
Sie sind nicht nur großartig, sondern auch sehr abwechslungsreich. Ich finde, 'Aftermath' und 'The Fall Of Us' sind ziemlich Death-Metal-mäßig, während andere noch eher im alten KILLSWITCH ENGAGE-Vibe sind. Gab es den Plan, mit diesem Album abwechslungsreicher zu werden?
Ich denke, es kam einfach von selbst. Es gab keine wirkliche Diskussion à la lass es uns so und so machen. Als die Demos kamen – bedenke, es gibt vier verschiedene Typen, die diese Demos machen – änderten sich die Stile natürlich ein wenig. Aber es gab einen starken Einfluss von härterem, ungestümem Zeug. Ich denke, wenn man genau hinhört, kann man sogar den Einfluss von Punkrock und Indierock hören. Und ich bin einfach mit dem an diese Songs herangegangen, was ich höre. Du musst wissen, ich bin inspiriert, beim Gesang das zu schreiben, wozu sich die Musik irgendwie eignet. Der ganze Prozess war also einfach ein glücklicher Zufall. Die Vielfalt kam zum Glück von selbst.
Wenn wir "Atonement II B-Sides For Charity" aus dem Jahr 2020 außer Acht lassen, ist "The Consequence" euer erstes neues Album seit 2019 - also fünf bis sechs Jahre, in denen wir kein neues Material von euch bekommen haben. Und wenn wir uns ansehen, was in diesen fünf, sechs Jahren in der Welt passiert ist; wir hatten COVID, wir haben Kriege links und rechts, wir haben ziemlich unruhige Zeiten in den Vereinigten Staaten. Hatten diese Dinge Einfluss auf das Schreiben des neuen Albums?
Absolut, ja! Es ist in hohem Maße ein Kommentar, nicht nur zu diesem Land, sondern zur Welt als Ganzes. Ich glaube, ich habe viel von den auf Spaltung abzielenden und Agenda getriebenen Medien und all den Dingen, die den Menschen aufgezwungen werden, um uns zu kontrollieren, einbezogen. Diese Kontrolle, diese Mentalität des Teilens, Herrschens und Eroberns war in einigen der Texte definitiv vorherrschend.
Für mich ist es auch die emotionale und spirituelle Auswirkung, die wir alle als direkte Folge der Pandemie durchgemacht haben. Weil die Pandemie sozusagen auch erst der Anfang war. Ich habe das Gefühl, dass es fast wie ein psychologischer Krieg war. Man sah, wie sich die Leute gegenseitig an die Gurgel gingen und sich schreckliche, hässliche Dinge an den Kopf warfen, wenn es Meinungsverschiedenheiten oder Unterschiede in der politischen Ideologie gab. Als Künstler habe ich mich von all dem distanziert und das beobachtet. Und ich glaube, es hat mich sehr tief berührt und mir wirklich das Herz gebrochen zu sehen, wie wir einander behandeln.
Ich musste in meiner Frustration und meiner Wut graben und sie den Leuten zurückgeben und sie dazu drängen, selbst zu denken und zu erkennen, was vor sich geht. Zwischen den Zeilen dessen zu lesen, was man in den Mainstream-Medien sieht und was man in Bezug auf politische Ausrichtungen sieht. Alles, was dazu dient, uns zu spalten, wird meiner Meinung nach als Instrument der Kontrolle eingesetzt, und ich fordere die Leute auf, stärker zu sein und die Verbindung zu erkennen, die wir alle tatsächlich haben. Weil unsere Verbindungen viel größer sind als unsere Unterschiede. Und wir müssen Mitgefühl, Verständnis und Empathie zeigen. Wir müssen sehen, woher andere kommen, und erkennen, welche Stärke wir als Volk aufbringen können, wenn wir gemeinsam gegen den wahren Feind kämpfen, der nicht der einfache Bürger ist. Es sind die Menschen da oben, die davon profitieren, wenn wir weiterhin kontrolliert und gespalten werden.
Würdest du also sagen, dass das neue Album "This Consequence", also die Konsequenz deiner Beobachtungen ist? Entschuldige das Wortspiel.
Ja, ich denke, es ist die Konsequenz all unserer Handlungen. Wir sind da, wo wir jetzt in der Gesellschaft sind, aufgrund dessen, was wir zugelassen haben und was uns angetan wurde, und aufgrund der Art und Weise, wie wir auf Dinge reagieren, die passieren. Wir alle tragen eine Verantwortung füreinander. Weißt du, es ist nicht nur jeder Mensch für sich selbst. Es gibt einen Welleneffekt. Was du tust, ist nicht nur für dich wichtig, sondern auch für deine Familie, deine Freunde, deinen engen Kreis von Menschen um dich herum. Deine Gemeinschaft. Der Welleneffekt geht immer weiter. Und für mich ist das Ursache und Wirkung. Aber du hast die Kontrolle darüber! Du hast eine Kraft in dir, wir alle haben sie, um radikale Veränderungen herbeizuführen. Und alles beginnt in dir. Einfache Entscheidungen, die man trifft, Freundlichkeit, Mitgefühl und Empathie, das sind Waffen in der Welt, in der wir leben.
Wenn ich mir das neue Album anhöre, habe ich das Gefühl, dass viel mehr Wut in dir steckt, besonders wenn man sich die Texte ansieht, als auf früheren Platten. Liege ich mit dieser Annahme richtig?
Ja, es ist eine konzentrierte Wut, eine aufrichtige Wut. Sie hat einen Zweck. Es ist nicht nur Wut um der Wut willen. Sie wurzelt nicht in Hass. Sie wurzelt in der Dringlichkeit, hoffentlich eine Veränderung herbeizuführen. Hoffentlich beginnt ein Gespräch mit einem Lied. Man hört ein Lied und denkt sich: "Worum geht es in dem Lied?". Vielleicht redet man darüber und hoffentlich fangen die Fans an, diese Diskussionen zu führen. "Worum geht es in 'Aftermath'? Also, worum geht es deiner Meinung nach?". Und das gefällt mir, denn ich bin niemand, der einem etwas aufzwingt, sondern jemand, der wirklich möchte, dass die Leute nachdenken. Denkt selbst!
Es ist also sehr zielgerichtet. Es gibt ein Grundthema, das sich durch das Ganze zieht, und es entspringt einer berechtigten Wut, weil ich frustriert bin. Die Dinge müssen nicht so sein, wie sie jetzt sind. Viele der Ungerechtigkeiten, die wir sehen, viele der Kriege, die wir erleben, können wir verhindern. Es gibt Möglichkeiten, sie zu verhindern. Wir können aufhören und es unterlassen. Wir können Nein sagen. Wir können zurückschlagen. Wir können protestieren. Wir haben diese Macht. Wir sind viel zahlreicher als die Leute, die die Kontrolle haben, die Leute, die Macht über uns beanspruchen. Für mich ist es ein Aufruf zu den Waffen, aber ein sehr poetischer, passiver Aufruf zu den Waffen, wenn du so willst. Aber er wurzelt in Wut und Frustration.
Warum lassen wir, deiner Meinung nach, diese Dinge dann immer noch geschehen? Wenn wir, wie du sagst, doch die Macht haben? Warum lassen wir sie einfach tun, was sie tun?
Ich denke, manche Leute sind zu gleichen Teilen ignorant und unwissend und dies manchmal ohne eigenes Verschulden. Ich denke, wir sind so programmiert. Es ist so tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Es ist von Geburt an in uns verankert. Man wird in eine Familie hineingeboren, die auf eine bestimmte Weise wählt, auf eine bestimmte Weise spricht, und das wird einem eingepflanzt. Und an einem bestimmten Punkt in seinem Leben muss man sich entscheiden, ob man zulässt, dass das seine Taten und Worte bestimmt, oder ob man offen für andere Ideen ist, für Veränderungen.
Und man muss erkennen, dass, nur weil man auf eine bestimmte Weise denkt und fühlt, das nicht bedeutet, dass alle so denken und fühlen müssen. Und wenn andere unterschiedlich sind, besteht die Chance, daraus zu lernen. Es besteht die Chance, den eigenen Horizont zu erweitern. Aber wir sind alle für unsere eigenen Handlungen verantwortlich. Wir haben viele tief verwurzelte Ansichten, sei es Fremdenfeindlichkeit, religiöse Ideologien, politische Ideologien, all diese Dinge, die uns wiederum spalten.
Und für mich ist es ehrlich gesagt mein Lebensziel, einige dieser Institutionen zu zerschlagen, um den Menschen die Türen zu öffnen. Damit sie sehen, dass es in dieser Welt, in unserer Gesellschaft, so viel mehr gibt, als man auf den ersten Blick sieht. Wir haben so viel Kraft in uns, um Veränderungen herbeizuführen. Und wenn sie mit ihrem Leben unzufrieden sind, können sie es ändern. Weißt du, es gibt dieses alte Sprichwort. Dieser alte Freund von mir, dessen Vater pflegte zu sagen: "Wenn du mit deinem Leben unzufrieden bist, ist es deine Schuld." Es ist deine Schuld, tu etwas dagegen! Und ich denke bei vielen Dingen so: Holt euch die Macht zurück! Das können wir!
Ist das ein Grund, warum du zu den sozialen Medien zurückgekehrt bist, nachdem du dich eine Zeit lang davon zurückgezogen hattest? Wir haben ja heute diese Blasen und jeder lebt nur noch in der eigenen Bubble. Bist du zurückgekommen um diese Blasen aufzubrechen und die Leute dazu zu bringen, herauszukommen?
Ja, ich versuche einfach, der Welt etwas Positives zurückzugeben. Ob das nun durch Gespräche über psychische Gesundheit ist, durch kleine Ratschläge, durch den Versuch, irgendwie zu helfen. Ich kann nicht untätig herumsitzen. Ich habe das Gefühl, dass ich irgendwie etwas beitragen muss. Und ich weiß, dass ich nur ein Musiker bin. Ich weiß, dass ich nur ein Künstler bin, aber jedes bisschen hilft. Und wenn etwas, das ich sage oder in den sozialen Medien veröffentliche, jemandem in irgendeiner Weise hilft, ist es das für mich wert.
Aber ich bin auch vorsichtig damit, wie viel Zeit ich dort verbringe. Ich bleibe trotzdem ein bisschen auf Distanz, weil ich in diesen Tagen wirklich übe, präsent zu sein. Ich übe, besser zuzuhören als Freund, als Partner, als Sohn, als Bandmitglied. Weißt du, ich glaube, wir sind so in unsere Telefone und sozialen Medien vertieft, dass wir Dinge verpassen, die direkt vor unserer Nase passieren. Es ist mir daher wichtig, präsent zu sein und mich mehr mit der realen Welt um mich herum zu beschäftigen. Aber soziale Medien können auch als positives Werkzeug genutzt werden, also trage ich ab und zu etwas bei, wenn ich das Bedürfnis dazu habe oder einfach nur, um die Band zu promoten.
Du hast in der Vergangenheit ziemlich offen über deine Kämpfe mit Depressionen und psychischen Problemen gesprochen. Würdest du sagen, dass dir die Musik geholfen hat, diese Kämpfe zu überwinden? Und hast du Tipps, die du jungen Künstlern geben würdest, die versuchen, ins Musikgeschäft einzusteigen und sich jetzt dieser "Blasenwelt" stellen müssen?
Ja, Musik ist absolut therapeutisch, denke ich. Und deshalb höre ich viele verschiedene Stile und unterschiedliche Sounds, weil ich denke, dass wir Menschen sehr komplex sind. Manchmal, wenn man traurig ist, möchte man etwas Trauriges hören, und das klingt vielleicht komisch, aber manchmal fühlt man sich weniger allein auf der Welt, wenn man jemanden hört, der etwas Ähnliches durchmacht wie man selbst. Dass jemand weiß, wie sich dieser Schmerz anfühlt. Und im selben Atemzug hört man ein Lied, das triumphierend ist. Ein Lied, das einem Hoffnung gibt. Das kann einfach der Refrain eines Lieds sein, das einen zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Leben begegnet, an dem man einfach hören musste, dass alles gut wird, dass alles besser wird. Ich habe solche Lieder gehört und nutze diese auch. Wenn ich in einer bestimmten Stimmung bin, habe ich meine Lieblingslieder.
Ich denke, es ist für jeden wichtig zu wissen, dass Musiktherapie eine echte Sache ist. Wenn man in einer bestimmten Stimmung ein Lied auflegt, kann das den Lauf von allem verändern. Und ich wage es zu sagen, es kann dich sogar zu einem Punkt der Freude während einer Depression bringen oder zu einer Art Aha-Moment, der deine Denkweise erschüttert. Musik und Kunst im Allgemeinen haben eine echte Kraft. Filme, Gemälde, was auch immer – Kunst ist unglaublich. Sie ist unsere Art, uns auszudrücken. Und sie geht über Sprachbarrieren hinaus. Sie geht über all die Dinge hinaus, die uns trennen. Sie ist ein großer Vereiniger.
Und was junge Musiker betrifft; es ist schwierig. Aber wenn ihr motiviert seid, wenn es etwas ist, an das ihr glaubt und ohne das ihr euch euer Leben nicht vorstellen könnt, dann fordere ich euch auf, euch weiterhin selbst treu zu bleiben. Bringt Dinge heraus, die euch das Gefühl geben, authentisch zu sein. Denn ihr müsst erkennen, am Ende des Tages gibt es nur euch selbst! Ihr könnt eine Zeit lang wie ein anderer Künstler klingen, aber irgendwann werdet ihr herausfinden, wer ihr sein wollt. Ihr werdet eure eigene Stimme finden, aber ihr müsst ihr weiter nachgehen. Ihr müsst weiter üben. Ihr dürft euch durch nichts aufhalten lassen. Keinen Druck von der Gesellschaft, diese bestimmte Sache zu tun, zulassen. Und auch wenn eure Freunde nicht auf das stehen, was ihr tut, müsst ihr trotzdem weitermachen. Verfeinert euer Handwerk! Gebt nicht auf! Gebt Gas, gebt Gas, gebt Gas und stellt sicher, dass es echt ist und dass ihr es tut, weil ihr es liebt! Denn wenn ihr es aus einem anderen Grund tut, werdet ihr abgelenkt. Ihr werdet enttäuscht werden. Erfolg kommt nicht schnell. Er kommt mit der Zeit. Ihr müsst es lieben! Ihr müsst daran glauben und dürft nicht aufgeben!
Ich selbst bin Fotograf und erinnere mich an das erste Shooting mit einer Freundin. Sie hatte sich vorher an dem Tag von ihrem Partner getrennt, und als ich ihr die ersten Bilder auf der Kamera zeigte, fing sie vor Freude an zu weinen, weil sie sich selbst noch nie so schön gesehen hatte. Das öffnete mir damals die Augen dafür, was meine eigene Kunst noch sein kann - abgesehen davon, schöne Bilder zu produzieren. Erinnerst du dich an den Moment in deiner Karriere, als dir klar wurde, dass das mehr ist als nur Lärm. Dass deine Musik Menschen tatsächlich helfen kann?
Ich glaube, ich wusste das schon, bevor ich überhaupt eine Karriere hatte, weil Musik mich verändert hat. Ich würde sagen, Musik hat mein Leben gerettet. Absolut. Punkrock hat mein Leben gerettet. Punk war die erste Musikrichtung, bei der es sich anfühlte, als würde jemand zu mir sprechen. Es fühlte sich an, als wäre es meine Musik. Es fühlte sich auch wie etwas an, das ich potenziell selber tun könnte, weil Punk ziemlich einfach ist. Bands wie THE CLASH oder MINOR THREAT oder BAD BRAINS zu hören, hat mir eine Botschaft vermittelt. Sie war positiv. Es war "Du hast die Macht, etwas zu ändern". Und die Musik war zugänglicher als eine klassische Rockband aus den 70ern mit Orgeln und einem Schlagzeug, das den Schlagzeuger komplett umringte. Weißt du, es fühlte sich einfach so fremd an, während Punkrock mich wirklich ansprach.
Und dann, als ich anfing, meine eigene Musik zu veröffentlichen und wirklich Zeit und Mühe in die Texte zu stecken und auf die Botschaften zu achten, die ich aussende, bekam ich zum ersten Mal Rückmeldungen von Leuten. Leute, die auf meine Texte Bezug nahmen und sagten: "Diese Zeile, die du hier geschrieben hast; die musste ich hören. Und als ich sie hörte, hat es das und das für mich verändert." Und das begann langsam, als wir KILLSWITCH ENGAGE gründeten. Die ersten paar Songs, die wir machten - die Leute stürzten sich darauf. Und als wir endlich Musik herausbrachten, und ich begann, von Leuten zu hören, dass sie Fans waren, da spürte ich, dass dahinter ein Sinn steckte. Das fühlte sich viel größer an, als einfach nur Jungs zu sein. Entschuldige, Jungs in einer Band zu sein.
Das kann ich bestätigen. Jeden Morgen wache ich mit 'This Fire' auf. Es ist ein guter Start in den Tag.
Ich liebe das. Das ist ein großartiges Lied.
Das ist es. Ich bin durch Wrestling darauf gekommen, weil CM Punk es jahrelang verwendet hat. So kam es im Grunde genommen in meine tägliche Playlist.
Ja, wir kriegen immer noch Zuspruch durch CM Punk und das ganze Zeug. Es ist großartig. Ich liebe es, dass das passiert.
Apropos Zusammenarbeit; das bringt mich zu meiner letzten Frage, damit du vor dem nächsten Interview noch ein paar Kekse essen kannst. In der Vergangenheit hattest du mit SEEMLESS, THE EMPIRE SHALL FALL und TIMES OF GRACE mehrere Projekte und hast hier und da einige Kooperationen gemacht, aber insgesamt haben sie alle auf einem sehr ausgeprägten Musikstil gefusst. Meine Frage an dich wäre daher: Wenn du für die Zukunft zwei Künstler auswählen müsstest, mit denen du zusammenarbeiten könntest, einen aus dem Metal und einen aus einem völlig anderen Genre, welche würdest du wählen?
Für etwas völlig anderes fallen mir zwei ein. Tom Waits, von dem ich nicht einmal weiß, ob er überhaupt noch Musik macht. Er ist vielleicht im Ruhestand, aber Tom Waits ist einer meiner Helden. Ich denke einfach, er ist ein brillanter, brillanter Kopf, und seine Musik ist unglaublich und zeitlos, und man kann nicht wirklich definieren, was er macht. Und ein anderer wäre DEAD CAN DANCE, ein unglaubliches Duo, das Weltmusik macht. Es hat das Tribalzeug, einfach Vielfalt. Ich liebe vielfältige Musik und diese beiden sind Nicht-Metal-Künstler, die ich sehr bewundere. Was Metal betrifft: Müssen sie am Leben sein?
Nein, nicht unbedingt.
Ich hätte gerne ein Duett mit dem Sänger von ENTOMBED [Anm. d. Verfassers: Lars-Göran "LG" Petrov, † 7. März 2021] gemacht. ENTOMBED ist eine meiner Lieblingsbands, und seine Stimme war so einzigartig, und seine Einstellung zum Leben war, soweit ich gehört habe, so einzigartig. Und im gleichen Atemzug eine Band namens KATATONIA, von der ich auch ein großer Fan bin, und für mich sind die Vocals einfach engelsgleich und unglaublich. Das sind also zwei Künstler, zwei Bands, eine lebend und eine nicht, die ich als Metal-Musiker sehr bewundere.
Großartig. Vielen Dank, Jesse! Möchtest du unseren Lesern in Deutschland zum Schluss noch etwas mitteilen?
Einfach absolute Dankbarkeit für alle deutschen Fans. Wir fühlen uns, als wäre Deutschland unsere zweite Heimat, und ich könnte ehrlich gesagt dort leben. So sehr liebe ich es und fühle ich mich dort wohl. Es ist nicht nur die Musik, sondern auch die Kultur, das Essen, die Menschen. Deutschland war für uns alle bei KILLSWITCH ENGAGE unglaublich, und ich kann es kaum erwarten, zurückzukommen und Shows zu spielen. Und ich danke allen deutschen Fans von ganzem Herzen, denn ihr habt uns geholfen, unseren Weg fortzusetzen. Und wenn wir auf Tour sind und Heimweh und Müdigkeit verspüren, verschwindet das alles, sobald wir in Deutschland ankommen, und wir haben das Gefühl, dort unser zweites Zuhause zu haben. Also vielen Dank dafür.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, mit uns zu reden, und ich freue mich darauf, euch diesen Herbst hier in Deutschland auf den Bühnen zu sehen.
Ebenso! Können wir deutsches Bier und Brezeln und Metal kombinieren? Let's go!
"This Consequence", das neue Album von KILLSWITCH ENGAGE, erscheint am 21. Februar 2025.
Die erste Single 'Forever Aligned' ist bereits erschienen:
https://www.youtube.com/watch?v=omcLZOCLHBI
Die Live-Fotos stammen vom Summer Breeze Open Air 2023 und wurden von Noah-Manuel Heim gemacht.
Das Band-Foto stammt von Travis Shinn und wurde von Sailor Entertainment zur Verfügung gestellt.
- Redakteur:
- Chris Schantzen