KREATOR: Interview mit Mille
05.02.2017 | 08:51Mit "Gods Of Violence" hat eine große Verlässlichkeit der deutschen Musikszene ihr neues Album veröffentlicht. Und wie bei den vorangegangenen Scheiben auch sprüht das vorliegende KREATOR-Album vor Vitalität, Einfallsreichtum und Klasse. Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber Mille und seine Mannen sind eine absolute Bank - schon seit Jahren. Darum war es mir eine große Freude und Ehre, mit dem KREATOR-Frontmann einen kleinen Plausch abhalten zu dürfen.
Ein neues KREATOR-Album ist also erschienen, und die Geschichte wiederholt sich: Es kommt zwar nicht alle zwei Jahre etwas Neues heraus, aber wenn etwas in der Pipeline liegt, kann man sicher sein, dass es allerhöchste Qualität hat.
Ja, es bringt auch nichts, etwas herauszubringen, was lediglich okay ist. Wenn ich jetzt nicht auf Tour gehen würde, könnte es sogar sein, dass wir alle zwei Jahre etwas herausbringen. Aber selbst dann weiß ich nicht, wann die Inspirationen kommen. Man möchte ja, dass die Musik, die man herausbringt, aufregend und interessant bleibt. Und das dauert eben. Man hat nicht alle fünf Minuten eine tolle Idee, manchmal bleibt sowas selbst ein halbes Jahr aus. Da muss man einfach darauf warten und schauen, dass es passt.
Und jetzt seid ihr auch bald mit SEPULTURA auf Tour, um das Album auch entsprechend zu promoten. Ihr wart insgesamt drei Jahre mit der Entstehung beschäftigt. Hattet ihr diesmal eine andere Herangehensweise als bei den Alben zuvor?
Nein, eigentlich waren beide Arten gleich. Für "Phantom Antichrist" habe ich auch ungefähr zwei Jahre gebraucht. Für mich müssen die Ideen einfach passen, bevor ich sie den anderen vorspiele, um auch keine Zeit zu verschwenden. In Berlin und Essen habe ich Studios gemietet, in die ich immer hereinkonnte, wenn ich die Lust und Zeit dazu hatte. In Berlin entstand beispielsweise das Demo zu 'Satan Is Real', was fast 1:1 auch so später auf die Platte kam. Mit meinem Handy habe ich auch viele Riffs aufgenommen; generell habe ich sämtliche Medien benutzt, um sie mit Musik vollzupacken. Dann kamen irgendwann die Texte, und so entstand "Gods Of Violence".
Eine etwas brisante Frage vorweg, aber hätte das Album anders ausgesehen, wenn du vor der Entstehung gewusst hättest, wer US-Präsident wird?
Vielleicht. Ich muss dir ganz ehrlich sagen, dass ich auf diesem Album versuchte, das politische Klima und den Zeitgeist aufzufangen und zu verarbeiten, aber bewusst das Kind nicht beim Namen zu nennen. Bei mir wird es keinen Song geben, in dem jemand aus einer politischen Epoche explizit genannt wird. Das ist für mich nicht zeitlos, und das sollte ein Album schlichtweg sein. Vom Titel her klingen KREATOR-Alben immer ein wenig apokalyptisch und dystopisch, fast schon negativ. Aber genau das Gegenteil soll der Fall sein, unsere Alben sollen Spaß machen. Die meisten Menschen denken eh, dass ich ein totaler Politik-Mensch sei, aber ich versuche mich so wenig wie möglich damit zu beschäftigen, da es mich zunehmend frustriert. Man muss sich nur einmal die politische Weltlage anschauen, das macht einen ja fast schon kirre. Und es wäre grauenhaft, wenn ich mein Leben danach diktieren würde. Das Album soll eigentlich ein positives Gefühl vermitteln. Klar sollte man sich im Klaren sein, was momentan so passiert, aber auf der anderen Seite ein schönes Leben haben: Musik hören, Kunst konservieren und ins Kino gehen. Musik ist viel schöner als Politik. Insofern ist das Album trotz der Songtitel wie 'Totalitarian Terror' eigentlich gegenteilig zu sehen. Die Medien vermitteln uns ein Gefühl der Angst, die man eigentlich nicht haben sollte und dürfte. Eigentlich sollte man ein schönes Leben haben und alles genießen, solange man es noch kann.
Ein spannender Aspekt ist der mythologische Touch, der natürlich auch durch die positiv-merkwürdige Teaser-Ankündigung mein Interesse gewann. Wie entstand die Idee?
Nun, es sollte erst ein Album werden, das eine Art Bogen schafft. Von der griechischen Mythologie zum heutigen Terrorklima. Es war angedacht, daraus ein Konzeptalbum zu schaffen. Allerdings bin ich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr derart davon überzeugt, da ich denke, dass man dann in einem künstlerischen Korsett steckt und man die Songs dann künstlich miteinander verbinden muss. Und so habe ich das Thema lediglich als Inspirationsquelle für drei, vier Songs gesehen. Einer davon ist 'Lion With Eagle Wings', wo ich dieses mythologische Thema noch einmal aufgreife. Die anderen sind der Titelsong sowie ein Stück weit auch 'Satan Is Real'. Eigentlich ist der mythologische Background im Metal ein ausgelutschtes Ding, diese Vergleiche zu ziehen. Ich persönlich fand aber immer Griechenland sehr schön und bin ein großer Anhänger griechischer Musik. Diesen Einfluss wollte ich auch ein wenig in das Album miteinfließen lassen. Das Intro zu 'Gods Of Violence' ist beispielsweise eindeutig griechisch beeinflusst. Die ersten Coverentwürfe gingen auch in diese Richtung, gefielen mir am Ende aber nicht mehr, weil sie nicht richtig KREATOR-mäßig rüberkamen. Das erste Cover war an 'Lion With Eagle Wings' angelehnt, die Umsetzung hätte allerdings eher zu einer Power-Metal-Band gepasst als zu KREATOR.
War der Song 'Lion With Eagle Wings' auch der Grund, warum du dich auf einem Promofoto mit schwarzen Flügeln darstelltest?
Hehe, ja schon. Obwohl die Flügel eher eine spontane Idee waren. Der Gedanke dahinter war, dass wir mit den Fotos westliche Dekadenz darstellen wollten. Aus dieser Dekadenz wird ein Dämon geboren, wie man im Video sieht: Eine Orgie, die Opferung, bei der menschliche Attribute komplett auf der Strecke bleiben, da wir uns nur auf das Materielle beschränken, und das sollte graphisch im Video dargestellt werden. Hierbei bezogen wir uns auch auf okkultische Filme der 1970er Jahre, die gewisse Dinge nur angedeutet haben. Einer meiner Lieblingsregisseure ist Nicolas Winding Refn, der beispielsweise "The Neon Demon" gemacht hat. Und diese Einflüsse flossen in die Bildästhetik mit ein. Und diese haben mich eher beeinflusst als Musik anderer Leute. Danach habe ich bei der Musik, den Videos und den Fotos immer eine genaue Vorstellung, wie diese am Ende aussehen sollen. Die daraus resultierende Einheit schafft wiederum neue Dimensionen und schafft Fragen. Bei Facebook kamen hinsichtlich der Fotos dann Fragen auf wie "Warum steht ihr nicht einfach vor einer Wand?", haha. Aber wir waren schon immer eine Band, die mit visuellen und graphischen Elementen gearbeitet hat. Man macht sich unheimlich viele Gedanken und bekommt dann solche Kommentare, die mich wiederum in die heutige Zeit zurückholen. Dadurch, dass jeder monumental seinen Kommentar auf deine Homepage setzen kann, wird das alles zu einer Realität, die früher gar nicht vorhanden war. Wenn du damals mit Dingen nicht einverstanden warst, hast du das deinen Freunden am Stammtisch erzählt, für dich behalten oder den persönlichen Kontakt gesucht. Und heute kann man recht anonym seine Meinung kundtun.
Bei den Texten habe ich mich auch ein wenig an der Netflix-Serie "Black Mirror" orientiert, die den neumodischen, modernen Horror thematisiert; durch Überinformationen, wo die Leute sich nach der guten, alten Zeit zurücksehnen in einer Zeit, die immer komplexer und komplizierter wird. Du kannst den Informationen, die dir gegeben werden, eigentlich gar nicht mehr entkommen. Wenn du dich über gewisse Themen informieren willst, stehen dir heutzutage sämtliche Türen offen. Viele Leute - speziell die Älteren - werden aber heutzutage zurückgelassen, da sie beispielsweise keinen Computer bedienen können. Dadurch entsteht am Ende eine Art Frust, der nach einfachen Lösungen in einer sehr komplizierten Zeit schreit.
Zumal in der heutigen Zeit nichts mehr ohne Internet geschieht.
Für uns ist das vollkommen normal. Aber diejenigen, die keinen Zugang haben, fühlen sich öfters vernachlässigt.
Ein Song sticht für mich aber besonders hervor, da er für KREATOR-Verhältnisse etwas untypischer, da klassischer ausgefallen ist. Die Rede ist von 'Fallen Brother'.
Im Nachhinein kann ich es ja sagen, dass 'Fallen Brother' unser Problemkind des Albums war. Ich musste ziemlich darum kämpfen, dass er letzten Endes auch auf die Platte gekommen ist. Der Song hat jedem von uns gefallen, allerdings meinte unser Produzent, dass er etwas zu sehr Normal-Metal sei und er noch etwas bräuchte, das ihn spezieller macht. Und dann haben wir diese deutsche Dimension noch miteingebracht, eine Idee unseres Produzenten. Anfangs war der Text noch komplett auf Englisch, und seine Idee fand ich wirklich nicht schlecht. Ich habe dann die zwei deutschen Sätze passend zum Text noch miteinfließen lassen, und dann hatten wir noch den Mittelpart mit dem DAGOBERT-Gedicht, das den Song noch interessanter macht. Ich würde deine Worte jetzt gerne aufnehmen und unserem Produzenten vorspielen, haha. Ich erkenne ja einen guten Song und würde auch nicht um ihn kämpfen, wenn ich ihn für schlecht halten würde.
Und zusammen mit dem Titelstück und 'Totalitarian Terror' sicherlich auch live ein ziemlicher Brecher.
Sowas haben wir natürlich auch immer im Hinterkopf durch den Umstand, dass wir so viel live spielen. Wir machen das nicht, um irgendjemandem zu gefallen, sondern um uns in erster Linie zufrieden zu stimmen, wenn wir die Gewissheit haben, dass es knallen wird, wenn wir auf die Bühne gehen. Das gehört ja alles zusammen. So sehr wir diesen künstlerischen Überbau kreieren, wollen wir natürlich auch, dass sich die Leute im Nachhinein noch daran erinnern werden.
Und bei der kommenden Tour mit SEPULTURA werdet ihr wieder die Gelegenheit dazu haben.
Ja, ich denke, dass es eine gute Tour wird. Wir kennen die Jungs ja auch schon recht lange und haben eine gemeinsame Vergangenheit damals noch aus Tape-Trading-Zeiten.
Inwiefern hast du denn die Gelegenheit, dir die Bands für eine KREATOR-Tour auszusuchen?
Nun, wir gucken natürlich in erster Linie, welche Band in der entsprechenden Zeit frei und verfügbar ist. Für die jetzige Tour war SEPULTURA auch unser Wunschkandidat, das funktionierte also recht gut.
Noch eine Frage hinsichtlich des aktuellen Zeitgeistes. Wie siehst du persönlich eigentlich diese Thrash-Metal-Renaissance, die seit einigen Jahren präsent ist?
Ich finde das natürlich gut. Wir haben damals ja auch recht jung angefangen, und speziell im Thrash Metal sollte man diese Bands ernst nehmen. Ich kann mir gut vorstellen, dass aus diesen etwas richtig Geniales entstehen wird. Das sollte man natürlich im Auge behalten.
Schauen wir noch einmal auf das Artwork der neuen Scheibe. Zumal die letzten Artworks - wir blenden "Dying Alive" einmal aus - doch etwas simpler ausgefallen sind, überfordert mich das "Gods Of Violence"-Artwork in diesem Sinne ein wenig.
Es war eine schwierige Geburt, das passende Artwork zu "Gods Of Violence" zu finden, wie schon gesagt. Das Neue war dann für mich der beste Entwurf, den ich von den dreien gesehen habe, da er dieses apokalyptische und surreale Element am passendsten widerspiegelt. Das war nicht das, was wir uns eigentlich vorgestellt haben, aber am Ende des Tages bin ich ziemlich zufrieden damit. Artwork ist immer ein Kompromiss. Schließlich arbeitest du immer mit Künstlern zusammen, die ihre eigenen Vorstellungen haben. Und hierbei ist es immer schwierig, etwas zu finden, das der Sache auch hundertprozentig gerecht wird. Und irgendwann muss man sich schließlich für ein Artwork entscheiden. Am Ende kam dann sogar noch ein weiteres Artwork rein, das ich auch ziemlich gut finde, das aber nun für den amerikanischen Markt benutzt wird.
Eine Frage der Geschmackssache - ähnlich wie die des Artworks - ist folgende: Sony hat im Sommer einige Compilations von u.a. GRAVE DIGGER, SINNER, HELLOWEEN und auch KREATOR veröffentlicht. Wie stehst du persönlich zu solchen Experimenten?
Ich persönlich halte das für Quatsch, es soll aber - warum auch immer - ein Kick-Off für die Re-Releases sein, die in diesem Jahr auf uns zukommen. Hierfür machen wir auch die Artworks neu und remastern die ganzen Platten. Für diese Compilation gibt es zwar auch ein Remaster, von daher ist es nicht ganz so unsinnig. Aber im Grunde genommen braucht es kein Mensch, von daher haben wir persönlich das auch nicht promotet. Die Re-Releases sind aber in diesem Sinne durchaus sinnvoll, da es beispielsweise die "Pleasure To Kill"-Platte bei eBay nicht mehr unter 200 € gibt und wir diese Preise ein wenig untergraben wollen, indem wir von unseren früheren Jahren diese Alben noch einmal aufleben lassen. So haben die Leute, die es damals nicht bekommen konnten, aber Lust dazu haben, noch einmal die Gelegenheit - und das zu fairen Preisen.
Eine Frage diesbezüglich zum Schluss. Bist du in Sachen Musikkonsum ein eher konservativer Mensch?
Für Reisen etc. eignet sich beispielsweise iTunes ziemlich gut. Es gibt aber zwei Ebenen: Die Ich-höre-zu-Hause-Musik und die Ich-höre-auf-Tour-Musik. In meinem MacBook sind unheimlich viele Alben von iTunes drin, und zu Hause habe ich mir erst vor Kurzem einen Plattenspieler geholt. So werde ich wohl nach und nach mir Scheiben holen, die ich in dieser Form lange nicht mehr erleben konnte. Du lädst Freunde ein und hörst Platten, das hat irgendwie etwas. Es ist genauso wie Essen: Du bist zu Hause, kochst mit deiner Freundin das Essen, das du am Ende auch richtig zelebrierst, oder du fährst dir irgendeine Fast-Food-Sache rein. Und der Konsum von Musik ist da nicht anders. Zumal Musik ja auch die Lebensqualität enorm steigert. Und für das eigene Seelenleben ist dies eins der essentiellsten Dinge, die man sich vorstellen kann. Und gerade wir als Musikfans wissen das ja.
Ein wunderbares Schlusswort - vielen Dank für das Interview, Mille.
- Redakteur:
- Marcel Rapp