"Kunst entsteht bei uns dort, wo Komplexität auf Persönlichkeit trifft." - Interview mit PANZERBALLETTs Jan Zehrfeld

24.04.2025 | 09:52

Wir sprachen mit PANZERBALLETT-Mastermind Jan Zehrfeld über das neue Album "Übercode Œuvre", Spielwitz und "Verkrassung", als auch über Herausforderungen im Alltag.

Moin Jan! Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Werk "Übercode Œuvre"! Wie geht es dir? Bist du noch aufgeregt, wenn ein neues PANZERBALLETT-Album veröffentlicht wird?

Servus Jakob. :) Vielen Dank! Mir geht’s richtig gut – vor allem mit Blick auf die bevorstehende Veröffentlichung. Ich finde, "Übercode Œuvre" ist ein rundum gelungenes Werk geworden, in das ich viel Mühe (und auch ein bisschen Geld) gesteckt habe. Jetzt kann es endlich raus in die Welt und unsere Fans hoffentlich genauso bewegen, wie es uns bewegt hat beim Machen. Es fühlt sich nach echtem Aufwind an – gerade nach einer längeren Durststrecke.

Und natürlich freue ich mich riesig, dass wir endlich wieder mit neuem, "heißem Scheiß" auf Tour gehen können. Die Aufregung gilt dabei eher den Konzerten als dem Album selbst – denn das neue Material ist wie immer ganz schön anspruchsvoll zu spielen. Das Album ist für uns also nicht nur Selbstzweck, sondern auch Mittel zum Zweck: Wir wollten neues Material, das wir live raushauen können!

Die Veröffentlichung "Planet Z" ist tatsächlich schon wieder fünf Jahre her. Was ist seitdem (musikalisch) passiert bei dir und im PANZERBALLETT-Lager?


Im Grunde haben wir den eingeschlagenen Weg konsequent weiterverfolgt – nur eben mit mehr Zeit. Und das hatte auch Vorteile: Wir konnten uns musikalisch noch tiefer reinfuchsen und gezielter an neuen Ideen feilen. Ein echtes Highlight war, dass wir Virgil Donati als Stargast für mehrere Kooperationen und Tour-Aktivitäten gewinnen konnten – und das ist natürlich fantastisch. Mit einem Drummer dieses Kalibers zu arbeiten, ist nicht nur inspirierend, sondern hebt das ganze Projekt nochmal auf ein neues Level.  

Bei der Recherche zum neuen Album bin ich auf die sehr gelungene Kooperation mit der NDR Bigband gestoßen. Wie kam es dazu und ist in Zukunft eine erneute oder eine ähnliche Zusammenarbeit noch einmal geplant?



Die Initiative kam tatsächlich von Geir Lysne, dem Chefdirigenten der NDR Bigband. Sein Sohn ist selbst aktiver Musiker im Tech-Prog-Bereich (checkt mal seine Band YAWN) und hat ihn wohl auf PANZERBALLETT aufmerksam gemacht – und offenbar angefixt.

Ursprünglich war das Ganze als eine Art Testballon gedacht. Die Umsetzung hat sich dann aber ordentlich in die Länge gezogen – erst kam Corona dazwischen, später der Ukraine-Krieg, und damit einhergehend Bedenken seitens des NDR, ob man Material von "PANZERBALLETT" überhaupt veröffentlichen könne. Letztlich haben wir vier Stücke aufgenommen, zwei davon sogar mit Video – das Ganze soll demnächst als EP erscheinen.

Ich persönlich fände weitere Kooperationen mit der Bigband großartig – die Kombination aus Jazz-Großformation und Metal-Mindfuck hat definitiv Potenzial. Aber ob, wann und in welcher Form es eine Fortsetzung geben wird, steht aktuell noch in den Sternen.

"Übercode Œuvre", was ist damit eigentlich gemeint?

"Übercode" spielt mit der Idee eines Meta-Codes – also einer übergeordneten Struktur, die verschiedene musikalische Systeme, Stile oder "Sprachen" miteinander verbindet. Es geht um die Frage: Gibt es einen übergreifenden Code, der scheinbar Unvereinbares wie Jazz und Metal, Komplexität und Humor, Kopf und Bauch miteinander verknüpfen kann?

Das "Œuvre" – das Werk – verweist auf die Gesamtheit des künstlerischen Schaffens, aber auch auf das Album selbst als ein bewusst gestaltetes Ganzes. Es ist sozusagen das Destillat all dessen, was PANZERBALLETT in über 20 Jahren künstlerischer Evolution ausmacht – inklusive der Bereitschaft, den eigenen Code immer wieder zu hinterfragen, zu überschreiben und weiterzuentwickeln.

Wie entsteht ein PANZERBALLETT-Song? Komponierst du den Großteil oder wie läuft der Songwriting-Prozess ab?
Wie wichtig ist dir dabei die musikalische Herausforderung und wie oder wann entsteht der bandtypische Spielwitz?


Meist beginnt alles mit einer rhythmischen Idee – oft in Form eines Gitarren- oder Bassriffs, das als Rückgrat des Stücks dient. Darum herum entstehen dann Schritt für Schritt die anderen Elemente: Zuerst das Schlagzeug, dann Melodien und Harmonien. Dabei beeinflussen sich alle Teile gegenseitig – sobald zum Beispiel die Drums dazukommen, verändert sich das ursprüngliche Riff oft nochmal deutlich. Es ist ein ständiger Prozess des Ausprobierens und Anpassens.

Man könnte sagen: Etwa fünfzehn Prozent sind echtes "Komponieren" im klassischen Sinne – der Rest ist Feintuning, Verknüpfen, Umstellen, bis sich alles musikalisch stimmig anfühlt. Mein wichtigstes Werkzeug dabei ist der Computer – der spielt mir auch die vertracktesten Ideen sofort vor, ohne zu meckern oder zu schwitzen. Etwa zwei Drittel eines Stücks sind durchkomponiert, das restliche Drittel bleibt offen für Improvisation – ganz im Sinne der Jazz-Fusion-Tradition, bei der sich komponierte und freie Anteile gegenseitig bereichern.

Was den "Spielwitz" betrifft: Der entsteht oft als Nebenprodukt der Reibung zwischen Anspruch und Absurdität. Wenn man versucht, ein völlig überkomplexes Riff ernsthaft durchzuziehen, und dabei merkt, wie schräg das eigentlich klingt – dann blitzt er auf, dieser typische PANZERBALLETT-Moment zwischen virtuos und verrückt.

Bei den sogenannten "Coverversionen" ist der Unterschied zum Original übrigens ähnlich groß wie zwischen Schönheits-OP und Kosmetikbehandlung. Der kreative Anteil liegt auch hier eher im Umbauen und Neudefinieren als im bloßen Nachspielen – was erklärt, warum ich beim Schreiben eines Originals und beim "Verkrassen" eines bekannten Stücks gar keinen so großen Unterschied mache.

PANZERBALLETT wird ja öfter mit einer "MESHUGGAH meets Jazz"-Attitüde beschrieben. Passend beginnt das neue Album gleich mit einem Kracher, dem MESHUGGAH-Klassiker 'Bleed' in einer spektakulären Version. Wie seid ihr auf die Idee gekommen? Und was passiert da rhythmisch genau?


Es hat fast zwei Jahrzehnte gedauert, bis ich überhaupt in Erwägung gezogen habe, mich an ein MESHUGGAH-Stück heranzuwagen — und noch länger, bis ich mich wirklich getraut habe, Hand anzulegen. Irgendwann sagte meine Freundin ganz nebenbei: "Warum machst du nicht mal ein MESHUGGAH-Cover? Am besten 'Bleed'!" Anfangs konnte ich mir absolut nicht vorstellen, wie man dieses epische, monumentale Stück so interpretieren könnte, dass es nicht wie eine blasse Kopie wirkt, sondern wirklich überzeugt. Was hier passiert ist: Wir spielen mit der Illusion eines sich ständig graduell nach unten oder oben ändernden Tempos.

'Alien Hip Hop' ist ein Track aus der Feder von Schlagzeuger Virgil Donati. Seit Ende der 90er wurde der Song stetig verändert, wie kam es zur nun aktuellen Version?



Dieser Track hat mich schon in seiner Ursprungsversion von Virgils australischer Band ON THE VIRG nachhaltig inspiriert. Das war zu der Zeit, als ich überhaupt angefangen habe, eigene Musik zu schreiben. Erst viele Jahre später habe ich das Konzept dahinter verstanden. Es gab ja auch noch weitere Versionen, z. B. von PLANET X im Jahr 2007. Als Virgil zu uns kam, wollten wir ein Konzert-Set zusammenstellen, das auch Stücke aus seinem Repertoire beinhalten sollte. So lag es nahe, seinen "Hit" mit aufzunehmen. Ich war dann so frei, mal ein wenig auf PANZERBALLETT-Art das Arrangement umzuschreiben. Und es gelang! Es ist ein echtes Anknüpfen an Virgils ursprüngliche Idee, auf noch komplexere Weise.

Tracks mit Gesang sind immer was Besonderes bei PANZERBALLETT. Für 'Ode To Joy' habt ihr euch was Spezielles, Spannendes, aber auch Anstrengendes überlegt. Wie entstand die Kooperation mit den Sängerinnen Andromeda Anarchia und Conny Kreitmeier einerseits, sowie Marco Minnemann am Schlagzeug andererseits?

Den Track gibt es auf diesem Album ja auch in einer instrumentalen Version; die vokale Version sollte es eigentlich zugänglicher machen, und eben nicht so anstrengend. Damit kam Andromeda Anarchia ins Spiel, deren vielseitige Stimmkunst ich gerne featuren wollte, aber sie wollte eben auch explizit Conny als Duettpartnerin. Marco hatte ja bereits auf dem Vorgängeralbum "Planet Z" getrommelt, und diese Zusammenarbeit lief immer sehr reibungslos, schnell und unkompliziert, deswegen wollte ich Marco das auch jetzt machen lassen, als Alternative zu Virgils Schlagzeug auf der instrumentalen Version.

Mit 'Pick Up The Pieces' interpretiert ihr den Funk-Klassiker der AVERAGE WHITE BAND aus dem Jahr 1974. Was kannst du zu dem Entstehungsprozess sagen? Und gibt es noch weitere Klassiker, die du gerne mal einer "PANZERBALLETT-Kur" unterziehen würdest?

Dies ist gewissermaßen eine Fortsetzung bzw. Weiterentwicklung unserer "Verkrassung" des Fusion-Klassikers 'Some Skunk Funk'. Damals ging es darum, ein Stück radikal quintolisch umzukrempeln – also so neu zu arrangieren, dass man pro Pulsschlag bzw. Fuß-Tipper nicht mehr vier Sechzehntel, sondern fünf Sechzehntel-Quintolen fühlt. Das war 2012 ein ziemliches Novum. Bei 'Pick Up The Pieces' habe ich dasselbe Prinzip aufgegriffen und erweitert – unter anderem durch die Einbindung von Septolen-Grooves, also sieben Noten pro Puls. Man könnte sagen: Ich hab's mir nicht nehmen lassen, da nochmal ordentlich herumzunerden. Dass meine Wahl für die Drums auf Anika Nilles fiel, hängt damit zusammen, dass sie zu Beginn ihrer Karriere extrem beeindruckende Videos veröffentlicht hatte, in denen sie genau dieses quintolische Spielgefühl auf ein neues Level hob – rhythmisch hochkomplex und dabei musikalisch total überzeugend. Was zukünftige Bearbeitungen angeht: Die heißesten Kandidaten auf der "Verkrassungs-Shortlist" sind derzeit 'Careless Whisper' und 'Mein kleiner grüner Kaktus'. Stay tuned…

Das Konzept der wechselnden Mitmusiker und -musikerinnen begleitet PANZERBALLETT ja schon länger, was die Musik aber sehr abwechslungsreich und interessant macht, da jeder seinen eigenen Stil hat und diesen mit einbringt. Wann und nach welchen Kriterien entscheidet sich, welcher Musiker den Song einspielt? Habt ihr beim Schreiben eines Songs schon Ideen oder kommen beispielsweise ein Virgil Donati und ein Marco Minnemann selbst auf euch zu?

Die Entscheidung fällt meist, nachdem sich ein neues Gesamtkonzept abzeichnet – das entwickelt sich allerdings eher schrittweise, sobald sich neue Stücke allmählich ansammeln. Ich kenne ja das musikalische "Fahrwasser" meiner Mitmusiker ziemlich gut, und wenn alle Stimmen eines neuen Stücks ausgearbeitet sind, stellt sich die Frage: Wer könnte – und wer möchte – das überhaupt einspielen? Manche meiner "Drum Heroes" sind z.B. nicht unbedingt fit im Notenlesen – die bekommen dann mehr Freiraum zur Improvisation. In der Regel ist aber alles komplett durchkomponiert, und die Drummer, denen ich eine elaborierte Stimme als Vorlage gebe, interpretieren das dann auf ihre ganz eigene Weise und drücken dem Ganzen ihren Stempel auf.

Wie bestreitest du deinen Alltag? Kannst du von PANZERBALLETT beziehungsweise der Musik leben?

Vor der Pandemie konnte ich noch gut vom Live-Spielen leben – PANZERBALLETT war dabei ein zentraler Bestandteil. Doch wie bei vielen anderen Musiker:innen hat sich seitdem einiges verändert: Die Livemusik-Szene hat sich nicht wirklich erholt, Gagen sind gesunken und Planungssicherheit ist ein rares Gut geworden. Für ein Projekt wie PANZERBALLETT, das aufwändige Produktionen und hochkarätige Mitmusiker umfasst, bedeutet das: Schwarze Zahlen zu schreiben, ist fast unmöglich. Insofern habe ich meinen Alltag angepasst – ich unterrichte mittlerweile mehr, etwa an der Popakademie Baden-Württemberg, und engagiere mich in Jurytätigkeiten. Das spiegelt ein strukturelles Problem wider: Hochspezialisierte, kreative Musik mit künstlerischem Anspruch hat es zunehmend schwer, sich ökonomisch zu tragen – vor allem, wenn sie sich nicht glatt in marktgängige Schubladen einordnen lässt. Aber genau das macht sie eben auch relevant. Und solange es Menschen gibt, die sich dafür begeistern, lohnt es sich, weiterzumachen.

Ich kann mir vorstellen, dass du einen breiten Musikgeschmack hast. Mich würde sehr interessieren, was deine Top 5-Alben/Künstler allgemein sind und auch deine aktuellen Lieblingskünstler und -alben.

Meine #1 Insel-Alben seit 25 Jahren:

FREDRIK THORDENDAL'S SPECIAL DEFECTS - Sol Niger Within

ALLAN HOLDSWORTH - Sixteen Men Of Tain

TOWER OF POWER - Monster On A Leash

TRIBAL TECH - Reality Check

SCREAMING HEADLESS TORSOS - s. t.

Aktuell finde ich toll (ohne spezifisches Album): MESHUGGAH, CKRAFT, IGORRR, SUNGANZER, 2MARS.

Im Mai geht es auf Album-Release-Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Mit welchem Line-up werdet ihr auftreten? Und was sind die weiteren Pläne für PANZERBALLETT?

Im Mai gehen wir als PANZERBALLETT feat. Virgil Donati auf Tour. Mit dabei: Anton Davidyants am Bass, Rafael Trujillo an der Lead-Gitarre und Florian Fennes am Saxofon – alles Musiker, die nicht nur technische Exzellenz mitbringen, sondern auch starke eigene Stimmen. Das ist für PANZERBALLETT zentral: Kunst entsteht bei uns dort, wo Komplexität auf Persönlichkeit trifft.

Strategisch wollen wir uns vom klassischen Album-Zyklus lösen und stattdessen in kürzeren, regelmäßigeren Veröffentlichungsintervallen denken. Das ermöglicht mehr Spontaneität, mehr Aktualität – und hält die kreative Energie konstant in Bewegung. Live möchten wir unseren Radius deutlich erweitern – geografisch wie inhaltlich. Denn so anspruchsvoll die Musik ist: Am Ende geht es darum, sie direkt und ungefiltert zu Menschen zu bringen. Genau dort entfaltet sie ihre volle Wirkung.

Vielen Dank für deine Zeit!

Danke dir!

Fotocredit: Sylwia Makris

Redakteur:
Jakob Ehmke

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