LACRIMOSA: Interview mit Tilo Wolff
03.03.2025 | 10:36Das neue Werk von LACRIMOSA hat es durchaus in sich. Musikalisch ist es recht vielseitig geworden und wirkt sehr hoffnungsvoll. Warum das so ist und wie es zu den musikalischen Ausflügen gekommen ist, das verrät uns Tilo Wolff im Interview.
Hallo Tilo! Schön, dass es mit dem Interview klappt. Ich möchte heute mit dir über das neue Album "Lament" sprechen und hoffe, dass du uns einiges zu den Songs verraten kannst.
Ja, freut mich auch!
Der Albumtitel beziehungsweise das Wort "Lament" hat ja sehr viele Bedeutungen. Was für eine Bedeutung ist bei LACRIMOSA gemeint?
So, wie ich diesen Begriff "Lament" verwende, führt er zurück in eine Tradition des Ausdrucksgesangs alter Völker, die ihren Ursprung in der Antike und im damaligen Theater haben. Das Klagelied ganzer Generationen, bis hin zur tragischen Schönheit in der Darstellung tiefster Gefühle.
Das Album ist ja der Schlussteil der "Sturm-Trilogie". Wann und wie ist die Idee für diese Trilogie entstanden? Wie kann ich mir den Entstehungsprozess vorstellen? Also wusstest du bei "Testimonium" z.B. schon, wie "Lament" enden wird?
Das Ende tatsächlich ja, aber alles dazwischen war noch offen. Ich wusste, dass der Abschluss die ersten Takte des ersten Titels 'Wenn unsere Helden sterben' aufgreifen musste. Aber wie ich dorthin kommen würde, wusste ich noch nicht, das war die wunderschöne und spannende kompositorische Reise, die ich die letzten Jahre machen konnte!
Viele Songs wirken auf mich versöhnlicher und hoffnungsvoller. Ist dies dem Ende der Trilogie geschuldet?
Absolut! Ein Leidensprozess, wie er mit dem ersten Album und dem Abschiednehmen begonnen hat, sollte stärkend und heilend sein. Dies spüre ich in mir, und dies soll auch in der Musik spürbar sein.
Wofür steht für dich persönlich dieses Album? Oder anders gesagt, wie würdest du es in einem Satz beschreiben?
Es gibt diesen Leitsatz auf dem Album, der mehrfach gesungen wird: "Wie die Sonne Deines Herzens strahlt das Licht aus Deiner Seele - bitte überstrahle dieses Dunkel". Das ist dieses Album!
Kann es sein, dass die Mischung zwischen Zerbrechlichkeit und harten Klängen innerhalb der Songs dieses Mal stärker ausgeprägt ist als sonst? Zumindest ist es mein Eindruck, dass das musikalische Spektrum einiger Stücke größer bzw. vielfältiger geworden ist.
Ja, das liegt zum großen Teil auch an meiner persönlichen Entwicklung - hat wohl mit der Altersweisheit zu tun, dass man die Dinge klarer sieht und benennen kann - und auch mit der musikalischen Entwicklung. Mit jeder Produktion lernt man dazu und kann sich besser ausdrücken. Musik ist eine Sprache, die man zeitlebens erlernt.Die ersten Songs des Albums sind ja musikalisch gesehen doch etwas untypischer als sonst. Also es finden sich mehr Kompositionen, die man so nicht kennt. Kommt mir das nur so vor?
In den 35 Jahren LACRIMOSA habe ich weit über hundert Songs geschrieben. Zwar hat jeder Komponist seinen eigenen Stil, aber ich möchte mich nicht wiederholen und ich liebe es, Neues auszuprobieren. Zudem ist die Musik auch ein Spiegel der eigenen Persönlichkeit, und als Mensch entwickelt man sich auch immer weiter.
Da gebe ich dir absolut Recht! Sprechen wir doch einmal über die Songs:
Der Titeltrack 'Lament' ist ein wunderschönes, aber nicht ganz einfaches Werk. Ich habe einige Durchläufe gebraucht, um es so richtig fassen zu können. Woher nimmst du die Ideen und die Inspiration für solche "Mörder-Stücke"?
Genau kann ich das gar nicht sagen. Ich beginne mit einer Melodie am Klavier oder auf der Gitarre und dann beginne ich die weitere Musik in mir zu hören, fast, als wenn ich einen Film sehen würde, spielt sich alles in mir ab und oft sind die ersten Minuten eines Songs schon bis ins letzte Detail ausarrangiert und der Rest existiert noch gar nicht.
Bei 'Ein Sturm zieht auf' finde ich die angesprochenen "Wechsel der Gefühle" besonders stark ausgeprägt. Kannst du dem zustimmen? "Überstrahl doch bitte dieses Dunkel" - wer oder was ist damit gemeint?
Ja, dieser Titel ist wirklich ein musikalisches Wechselbad der Gefühle, womit ich diese übermenschliche Gewalt der Natur um uns, und die Gewalt der Natur in uns ausdrücken wollte. Und das Dunkel ist jener dunkle Fleck, jene Sorge, jene Angst, die wir angesichts der Welt und angesichts unserer selbst haben.
'Ein langer Weg' geht einen ungewohnten musikalischen Weg. Zumindest der Beginn erinnert eher an einen Westernsoundtrack mit einem Schuss Neofolk. Für mich eine tolle Mischung aus SPIRITUAL FRONT und ROME. Was hat es damit auf sich?
Nicht nur, dass ich diese Mischung aus Western und Folk sehr mag, stelle ich mir einen langen, staubigen Weg auch musikalisch genauso vor. Und dass sich der Song gegen Ende mit dem langen Gitarrenthema in eine etwas andere Richtung entwickelt, drückt aus, wie dieser Weg den Protagonisten in eine andere Umgebung, in eine andere Wahrnehmung führt.
So habe ich diese Richtungsänderung gar nicht wahrgenommen. Es ist aber eine sehr interessante und schlüssige Erklärung. Bist du dieser Protagonist?
Ja, bin ich!Ist 'Du bist alles was ich will' eine Hommage an eine bestimmte Person?
Sagen wir, es ist ein Gefühl, eine Macht, die uns erfassen und in ungeahnte Sphären führen kann. Verlangen ist ein grandioses Gefühl!
Ich mag diesen schleppenden, ja fast schon doomigen Sound.
Danke! Diese Nummer gehört zu meinen persönlichen Highlights auf dem Album. Ich kann kaum erwarten, diese Nummer live zu spielen!
Da freue ich mich aber besonders darauf! 'Avalon' klingt nach einer Abrechnung mit der Gegenwart?
Ja, das Fliehen aus einer Welt, die nicht mehr liebens- und lebenswert ist. Die Kraft der Magie, die Kraft des Glaubens, die Kraft des eigenen Willens wird hier ins Zentrum gestellt und das Bewusstsein, dass wir Herr unserer selbst sind.
Wird bei 'Geliebtes Monster' ein innerer Dämon zu Grabe getragen?
Es geht hier tatsächlich um eine konkrete Person.
Möchtest du dazu mehr verraten?
Nein!
'Dark Is This Night' ist der einzige Titel, der komplett gesanglich von Anne ist. Passten hier deine Gesangsparts nicht dazu oder gibt es dafür eine andere Erklärung?
Da sie den Text geschrieben hat, und dieser sehr persönlich ist, würde eine zweite Stimme, ein anderer Sänger nicht wirklich passen. Daher halte ich mich hier an die Gitarre.Sehr kritisch zur Zeitgeschichte und zur Menschheit äußerst du dich ja bei 'Punk & Pomerol'. Auch musikalisch geht es hier recht punkig zur Sache. Eine Hommage an deine Jugend? Gepaart mit der Erkenntnis, dass sich leider in der Geschichte der Menschheit nicht wirklich viel geändert hat?
Genau! Wenn ich mir alte Magazine oder Nachrichten anschaue, hat sich einfach überhaupt nichts verändert. Krieg und Krisen, wohin man schaut und Panikmache auf allen Kanälen. Es ist schon frustrierend, wie sich die Menschheit im Kreis dreht. Die Spielzeuge verändern sich, neue Technologie kommt dazu, aber in der Sache verändert sich nichts.
Musikalisch erinnert mich 'In einem anderen Leben' ein wenig an einen Song, der aus den Achtzigern stammen könnte. Zufall oder Absicht?
Absolute Absicht. Ich freue mich, dass dies hörbar ist! Ich liebe die Musik der Achtziger und da ich das ja noch alles miterlebt habe, fühlt sich das auch an wie in einem anderen Leben. Genau genommen habe ich schon so viele Leben erlebt, dass ich diese romantische Hoffnung wunderschön finde, sich in einem anderen Leben wiederzutreffen.
Mit 'Memoria' endet das neue Werk. Für mich klingt der Song wie ein Abschied. Ich hoffe doch nur im symbolischen Sinne für die Trilogie und nicht für LACRIMOSA? Am Ende erklingen bekannte Textzeilen aus 'Ein Sturm zieht auf', die in Beifall enden. Was hat es denn damit auf sich?
Ich habe nicht vor, mit LACRIMOSA aufzuhören. Aber dies ist tatsächlich der spürbare Abschied aus dieser Trilogie, wobei es auch wieder der Eintritt in diese Trilogie ist, denn "Memoria" endet mit dem Schlussakkord, der im Applaus untergeht, mit dem 'Wenn unsere Helden sterben' und damit das Album "Testimonium" beginnt, das ebenfalls mit Applaus beginnt, denn anschließend wird es leise, da die Helden gestorben und von der Bühne verschwunden sind.
Oder anders gesagt: Das Ende von "Lament" und der Anfang von "Testimonium" sind gleich - gleicher Akkord, gleiche Instrumentierung, gleicher Applaus - damit schließt sich der Kreis dieser Trilogie. Und dieser Applaus ist den in 'Wenn unsere Helden sterben' gewürdigten Helden gewidmet.
"Lament, eine Nacht mit LACRIMOSA." Wie ist es zu der Idee für diese Veranstaltungen gekommen?
Dieses Album und seine beiden Vorgänger haben so viele Facetten, dass ich die Idee spannend fand, das Album, die Trilogie im direkten Austausch mit den Zuhörern vorzustellen. Die Besucher können uns Fragen stellen und wir können das eine und andere zu dem Album erzählen. Zudem gibt es uns die Gelegenheit, einmal ein Akustik-Set zu spielen, was auf regulären LACRIMOSA-Konzerten weniger Sinn machen würde.
Da würde sich doch einmal eine Akustik-Tour anbieten, oder?
Genau dies machen wir jetzt an den vier Abenden in Deutschland. Aber eine große Tournee wird es in dieser Form nicht geben. Wer LACRIMOSA mit Akustik-Set erleben will, hat jetzt die Chance dazu!
Aktuell habe ich bezüglich einer Tour zum neuen Album für Europa noch keine Informationen gesehen. Ist da etwas geplant? Zumal ja noch ein "kleines Bandjubiläum" ansteht.
Ja, wenn wir aus Übersee im Sommer zurück sind, wird es im Herbst in Europa eine Tournee geben.
Weißt du schon, wann es da genaue Termine geben wird?
Noch nicht.Wenn du so nach 35 Jahren LACRIMOSA zurückblickst: Macht es dir Angst, wie schnell die Zeit vergangen ist? (Mir persönlich ja). Gibt es etwas, was du rückblickend gesehen, hättest anders machen sollen?
Ach, es ist keine Angst, aber wenn man zurückschaut, überkommen mich Gefühle von Dankbarkeit, Freude und auch Trauer. Aber es gibt nichts, das ich massiv anders machen wollte. Natürlich war sicher nicht jede Entscheidung, ob im Leben oder musikalisch, die beste, aber letztlich ist es, wie es ist und ich finde es gut, wie es ist!
Das hast du sehr schön in Worte gefasst! Mit der Angst meinte ich vielmehr, wie schnell die Zeit vergangen ist. Manchmal frage ich mich, wo die letzten dreißig Jahre hin sind. Geht es dir ähnlich?
Ja und nein. Einerseits ist so viel passiert, dass es schwer fällt zu glauben, dass es nur 30 Jahre waren und andererseits wundere ich mich, wie schnell dann doch alles abgelaufen ist. Die Ambivalenz der Zeit!
Gibt es schon neue musikalische Pläne oder Ideen?
Nicht konkret, ich bin gedanklich und emotional noch komplett in diesem Album, und das wird auch sicher noch einige Zeit so bleiben.
Das kann ich nachvollziehen. Aber wie ich dich kenne, bist du doch immer voller Tatendrang!?
Klar, aber eins nach dem anderen!
Eine letzte Frage. Zum Stichwort Orgel. Du hattest mir in einem früheren Gespräch einmal gesagt, dass du ja auch Kirchenorgel spielst. Könntest du dir auch vorstellen, deine Songs auf einer Orgel zu spielen bzw. sie für ein Orgelspiel zu arrangieren? (Das fiel mit vor kurzem ein, als ein Organist in unserer Dorfkirche Songs von diversen Musikern spielte. Dass da von der Sache her die Songs von LACRIMOSA super auf einer Orgel klingen würden.)
Tolle Idee! Das wäre so ein Thema für das vorhin angesprochene, andere Leben, wenn ich einmal ganz viel Zeit habe und keine Lust, neue Songs zu schreiben, dann könnte ich mir durchaus vorstellen, Songs für die Kirchenorgel umzuarrangieren.
Wir hätten hier eine der ältesten Kirchenorgeln in Sachsen im Angebot. Also ich hoffe, ich kann damit deinen Ehrgeiz kitzeln?
Im Moment nicht. Als Kirchgänger habe ich ja zweimal die Woche mit Orgelmusik zu tun. Und da gibt es wirklich bessere als mich!
Tilo, ich danke dir recht herzlich für deine Antworten und die Zeit, die du dir genommen hast. Gibt es noch etwas, was du unseren Lesern mitteilen möchtest?
Wenn ich LACRIMOSA schon 35 Jahre mache, dann nur, weil es seit 35 Jahren Menschen gibt, die meine Musik hören. Vielen Dank dafür!
Ich wünsche euch eine wunderschöne Tour in Übersee und hoffe, dass wir uns dann auf einem Konzert hier in Deutschland sehen.
Danke, ja das hoffe ich auch!
Fotocredit: David Hadarik
- Redakteur:
- Swen Reuter