LACUNA COIL: Interview mit Cristina Scabbia

13.02.2025 | 13:40

"Ich dachte, das wäre perfekt, weil die Musik so zusammenpasst. Als ob man etwas irgendwie Fröhliches erwartet und dann ist es einfach eine brutale Botschaft wie: Ich wünschte, du wärst tot."

Vor 13 Jahren saß ich mit Cristina Scabbia nach einem LACUNA COIL-Konzert in Hamburg im Tourbus und sie hat mir meinen allerersten Früchtetee gemacht. Heute sitzen wir in einem Zoomcall und reden über das neue Album, den Entstehungsprozess und auch darüber, wie sie selbst sich in den letzten Jahren verändert hat.

Am Bildschirm erwartet mich eine fröhliche Cristina, welche soeben noch durch den Mailänder Regen nach Hause geeilt ist.

Hi!!!

Buongiorno, Cristina!

Ciao, buongiorno!

Wie geht es dir?

Mir geht es super! Ich bin gerade erst bei mir zu Hause reingekommen, weil ich im Sony-Büro für Promos war. Also hoffte ich einfach, dass ich genug Zeit habe, um nach Hause zu kommen. Aber zum Glück bin ich gerade noch rechtzeitig hier angekommen.

Kein Stress. Ich habe auch nur ungefähr 500 Fragen, also lass dir Zeit.

Nein, nein, keine Sorge. Aber ich bin einfach froh, dass ich es geschafft habe, weil ich ein paar Interviews vereinbart habe. Also möchte ich nur sicherstellen, dass alles an seinem Platz ist.

Ja und wenn man dann direkt am Anfang zu spät ist, dann wird das hinten raus immer nur mehr und mehr.

Ja, genau. Und ich möchte nicht, dass die Leute auf mich warten. Ich hasse es, wenn ich zu spät komme. Ich habe das Gefühl, ich verschwende dann die Zeit von jemand anderem und das mag ich nicht.

Ich verstehe dich! Okay, dann lass uns mal loslegen, bevor wir nachher Schuld für eine Verspätung sind.

Ja gerne.

Euer neues Album, "Sleepless Empire", kommt bereits in ein paar Wochen, am 14. Februar, heraus. Es ist das erste Studioalbum seit 2019, wenn wir das 20-jährige Jubiläum von "Comalies" ignorieren. Wo wart ihr? Was habt ihr so gemacht?

Nun, im Grunde haben wir nach "Black Anima", das 2019 herauskam, ein paar Touren gemacht. Und dann kamen wir aus Südamerika zurück. Ich erinnere mich, dass wir am Flughafen waren und sie unsere Temperatur gemessen haben. Die Pandemie war also da.

Der Lockdown hatte Italien sehr schlimm getroffen. Wir waren monatelang in unseren Häusern eingesperrt, obwohl wir dachten, dass es nur einen Monat dauern würde. Es wurden Jahre.

Und alles hat sich geändert, denn als LACUNA COIL schreiben wir immer über das echte Leben. Alles, was wir erleben, Reisen, und Leute die wir treffen und deren Geschichten wir hören, kommt in unsere Platten. Und wir waren nicht nur gezwungen, zu Hause zu bleiben, sondern auch gezwungen, uns nicht zu sehen.

Wir konnten also nicht physisch am selben Ort sein, neue Musik schreiben, komponieren. Und wir machen die Dinge nicht gerne getrennt aus der Ferne. Selbst wenn man Computer oder Internet hat, ist es für uns Pflicht, zusammen an einem Ort zu sein. Und das konnten wir nicht. Es war also eine Zeit, in der wir uns nicht wirklich kreativ fühlten. Und wir haben es nicht einmal versucht.

Wir haben auch nicht versucht, es zu erzwingen, weil wir nicht wollten, dass irgendetwas mit diesem negativen Teil unseres Lebens in Verbindung gebracht wird. Das Einzige, was wir gemacht haben, war das Streaming-Konzert. Und dieses Konzert war die einzige glückliche Zeit.

Es war eine coole Oase für uns, weil es uns die Möglichkeit gab, mit anderen Leuten, mit denen wir arbeiteten, am selben Ort zusammen zu sein. Aber andererseits, kein Publikum, Distanz zwischen uns. Es war also eine dunkle Zeit in Bezug auf Kreativität.

Dann kam der Jahrestag von "Comalies" und wir dachten, dass es Zeit wäre, wieder mit dem Songwriting anzufangen. Es war also das Licht am Ende des Tunnels. Wir sagten, vielleicht können wir jetzt ein bisschen mehr rausgehen. Noch immer nicht zu 100 %, aber zumindest können wir uns treffen. Versuchen wir also, einen Ort zu finden, an dem wir uns treffen und "Comalies" neu aufnehmen und neu schreiben können, damit wir einer Platte, die uns so wichtig ist, gebührend Tribut zollen können. Und ich glaube, das hat unsere Leidenschaft für das Songwriting und die Musik neu geweckt, denn wir haben wieder angefangen zu schreiben. Die Grundlage für "Sleepless Empire" entstand beim Songwriting für "Comalies XX".

Und da haben wir wieder angefangen Ideen zu sammeln. So fing es damals an.

Ich verstehe euch. Während der Pandemie war ich noch Lehrer. Zu Hause zu sein, zu Hause festzustecken, ich erinnere mich noch gut daran. Man kann mit Sicherheit sagen, dass die Welt heute ein ganz anderer Ort ist als noch 2019 oder 2020. Wie hat das die Entstehung von "Sleepless Empire" beeinflusst?

Nun, für uns ist es jetzt dasselbe, weil wir uns immer noch persönlich treffen. Wir proben gerne und probieren Dinge aus. Wenn ich an die Vergangenheit denke, war es natürlich weniger üblich, am Computer zu schreiben.

Es ging mehr darum, in einem Studio zu sein und Teile immer wieder auszuprobieren, bis uns etwas überzeugte. Jetzt ist es zumindest dahingehend anders, weil wir bereits Sachen aussortieren können, auf die wir uns nicht wirklich konzentrieren oder die für die Platte keinen Sinn ergeben. Das hat den Prozess irgendwie vereinfacht.

Und ich liebe die Tatsache, dass man die Vorteile der Technologie nutzen und trotzdem eine altmodische Art des Schreibens beibehalten kann. Bei der Musik ist es ziemlich dasselbe, denn Maki, unser Bassist, lässt sich von Bildern inspirieren, die er im Fernsehen sieht, oder vielleicht von einem Trigger, den wir ihm geben können. Andrea und ich können sagen, wir wollen in einem Song dies oder das thematisieren oder das wird der Titel der Platte sein. Und er braucht ein Bild, um fokussierter komponieren zu können. Und dieses Mal fing es mit dem Titel an: "Sleepless Empire".

Wir begannen, über diese seltsame Generation und die seltsamen Zeiten nachzudenken, in denen wir leben, in denen alles vereinfacht zu sein scheint, wir aber gleichzeitig so weit von der realen Welt abgekoppelt sind wie nie zuvor. Also begannen wir einfach, darüber nachzudenken, dass wir schon hier waren, als es noch Disketten und Kassetten gab, als die analoge Welt präsent war. Und jetzt gehen wir in eine völlig andere Richtung und man kann den Fortschritt nicht aufhalten. Man kann den Lauf der Zeit nicht aufhalten und es ist richtig so.

Man muss aber einfach auch auf das reale Leben achten.

Welche Einflüsse gab es neben dem Vordringen ins digitale Zeitalter noch beim Schreiben des neuen Albums, sowohl musikalisch als auch textlich?

Was die Texte angeht, wollten wir definitiv darüber sprechen, dass wir uns eine Art Imperium mit Leuten vorgestellt haben, die ständig wach sind, um ihre Inhalte zu produzieren. Ständig wach, bombardiert von Nachrichten, Videos, sozialen Medien. Also der Drang, die ganze Zeit präsent zu sein. Denn wenn nicht, kommt das Gefühl: "Oh, sie werden mich vergessen."

Aber nicht in jedem Song wollen wir nur darüber reden. Es gibt eine Linie, die alle Songs zusammenbringt, als wäre es eine Art Film. Ich beschreibe es gerne als eine Art Film.

Wir lieben immer noch das Konzept von Old-School-Platten, bei denen man sich den ersten Song anhört und dann den zweiten und dann den dritten und so weiter. Man nimmt sich eine Stunde Zeit, um sich einfach hinzusetzen und sich auf die Musik zu konzentrieren. Diese Idee gefällt uns immer noch. Ich stelle mir jeden Teil dieser Platte gerne als verschiedene Momente in einem Film vor, die man zwar voneinander trennen könnte, die aber zusammen alle einen Sinn ergeben.

Korrigier mich bitte, wenn ich falsch liege, aber es fühlt sich an, als wären einige der Texte viel persönlicher als früher. Besonders 'I Wish You Were Dead' fällt mir da ein. Aber es gibt auch andere, die eine persönlichere, ich würde sagen, wütendere Note haben.

Nun, vielleicht liegt das auch an der Musik, denn natürlich ruft die Musik Gefühle in einem hervor, die man dann in Worte fassen will. Manchmal hat man einen Text im Kopf, aber vielleicht passt er nicht zur Musik. Deshalb warten wir immer erstmal, dass die Musik halbwegs fertig ist, zumindest in Form eines Demos.

Und wir lassen uns dann von der Musik inspirieren. Und dann lässt sich Maki von den Gesangslinien inspirieren, die wir finden, und dann ändert er die Musik. Es ist ein Prozess, der zusammengeht, Musik, Text, Gesangslinien.

Bei den Texten kommt es wirklich darauf an. Bei 'I Wish You Were Dead' kamen die Worte spontan von selbst. Ich erinnere mich, dass das die erste Idee war, die mir in den Sinn kam.

Ich dachte so: (summt) "I Wish You Were Dead". Und ich dachte, das wäre perfekt, weil die Musik so zusammenpasst. Als ob man etwas irgendwie Fröhliches erwartet und dann ist es einfach eine irgendwie brutale Botschaft, wie: Ich wünschte, du wärst tot. Auch wenn man sich natürlich nicht den Tod einer Person wünscht. Aber zumindest wünscht man sich, dass diese Person in seinem Kopf nie existiert hätte, weil sie die Gedanken verzehrt.

Und es könnte ein Liebeslied sein, es könnte eine Liebesbeziehung sein, es könnte eine Beziehung zu einem Freund oder einer Person sein, die man im Leben getroffen hat und die man nicht mehr im Kopf haben will.

Ich stimme zu, denn klanglich ist es der fröhlichste Song des Albums. Ich war also sehr positiv überrascht von diesem Song.

Ja, ich liebe es jedes Mal, weil ich mir vorstellen kann, wie die Leute sagen: "Ich wünschte, du wärst tot", und fröhlich singen oder so. Das ist das Schöne an der Musik.

Auch allgemein, wenn man es rein musikalisch betrachtet, fühlt sich das Album deutlich vielfältiger an als einige Alben in der Vergangenheit, würde ich sagen.

War das eine bewusste Entscheidung oder ist es einfach während des Prozesses passiert?

Nein, es ist nie bewusst. Es ist nicht so, dass wir uns hinsetzen und sagen, die nächste Platte wird so oder so klingen. Es stimmt, dass sie im Vergleich zu anderen Platten härter ist, was an sich eine seltsame Sache ist, denn in einer Welt, in der alles irgendwie langsamer und sanfter wird, gehen wir in die andere Richtung.

Aber das sind wir auch, weil wir die härteren Songs lieber auf der Bühne spielen. Also denken wir auch über diesen Aspekt nach, wie die Songs bei einer Live-Show klingen werden. Aber gleichzeitig gibt es Songs, die eine ganz andere Stimmung haben, wie zum Beispiel 'Sleep Paralysis', das super langsam und irgendwie super moody ist.

Und man kann diesen Song nicht wirklich mit einem anderen vergleichen.

Er ist sehr, sehr launisch.

Ja, es ist wie ein Trip.

Wir begannen über Schlafparalyse nachzudenken, weil ich das einmal erlebt hatte. Ich habe keine Dämonen oder so gesehen, aber es ist schrecklich, weil man sich wach fühlt, man wacht auf, man sieht alles um sich herum, als wäre man wach, aber man kann sich nicht bewegen. Der Körper reagiert noch nicht. Und es ist furchterregend. Es macht keinen Spaß.

Das glaube ich dir gerne! Auf diesem Album haben wir auch zum ersten Mal zwei Songs mit Gastkünstlern, mit Randy (Randy Blythe von LAMB OF GOD) und Ash (Ash Costello von NEW YEARS DAY). Wie kam es dazu?

Zum ersten Mal, ja. Randy war bereits ein alter Freund von uns. Wir waren vor Ewigkeiten zusammen mit LAMB OF GOD auf Tour und sind seitdem in Kontakt. Wie echte Freunde. Wir unterhalten uns, treffen uns, wann immer wir können. Jedes Mal, wenn sich unsere Wege kreuzen, ist es eine Freude und eine Party.

Aber gleichzeitig wussten wir, dass Randy ein legendärer Sänger ist. Er ist unser Freund, aber wir wollten es nicht ausnutzen, um ihn zu bitten, Teil unserer Platte zu sein. Und es gibt immer viele Faktoren, die reinspielen. Es können Labels sein, es könnte sein, den richtigen Zeitpunkt zu finden, um es zusammen zu machen, weil er ein vielbeschäftigter Mann ist. Also hatten wir am Anfang einfach ein bisschen Angst. Wir dachten einfach, lasst uns versuchen, ihn zu fragen, ob er einen Song mit uns machen möchte. Und er war super glücklich. Er meinte nur: "Oh, es passiert endlich. Ich bin so glücklich." Und ihm gefiel der Song. Und ich denke, er hat einen großartigen, großartigen Job gemacht. Ich meine, er hat abgeliefert. Nicht, dass ich irgendwelche Zweifel gehabt hätte, aber er hat wieder einmal bewiesen, dass er ein Biest am Mikrofon ist.

Und er hat viel zum Song beigetragen, denn ich finde, dass seine Stimme und die von Andrea in dem Song 'Hosting The Shadow' ähnlich sind, aber man hört die Unterschiede. Man hört die unterschiedlichen Charaktere. Und das gefällt mir sehr, weil alles gleichzeitig so stimmig ist. Bei drei Sängern in einer Band für einen Song ist es irgendwie seltsam, wie gut alles zusammenpasst.

Und bei Ash kannten wir uns über soziale Medien. Wir haben uns geschrieben, wir haben Posts voneinander kommentiert, aber wir haben uns nie persönlich getroffen. Also habe ich ihr eine Nachricht geschickt und gesagt: "Also, wir hätten gerne, dass du bei einem unserer Songs singst. Wärst du dazu bereit? Ist das etwas, das dich interessieren könnte?" Und sie war begeistert. Sie meinte: "Ich möchte Teil der neuen Platte sein. Auf jeden Fall, ja!" Als wir ihr den Teil schickten, nahm sie ihn auf und fügte gegen Ende des Songteils ein paar zusätzliche Harmonien hinzu. Und es war wunderschön.

Ich dachte nur: "Wow, das ist so cool, denn sie hat eine ähnliche Singstimme wie ich. Gleicher Gesangsstil." Also wusste ich, dass sie perfekt ist. Und als es aufgenommen war, dachte ich nur: "Oh ja". Und wir haben es live aufgeführt. Wir haben zusammen eine Tour durch die Staaten gemacht. Wir haben es jeden Abend gesungen und es hat mit unseren beiden Stimmen so gut funktioniert.

Wenn du für die Zukunft zwei Künstler auswählen könntest, einen aus dem Metal und einen aus einem völlig anderen Stil, mit denen du zusammenarbeiten möchtest, wen würdest du wählen?

Irgendein Künstler, den ich will? Ich weiß nicht. Eine schwierige Wahl. Ohne zu viel nachzudenken, denn es gibt viel zu viele Künstler, die ich bewundere und liebe; aus der Metal-Welt würde ich Jonathan Davis sagen, ein Name, den ich in Interviews immer erwähne, weil ich seine Einzigartigkeit liebe. Seine Stimme ist sehr wiedererkennbar. Ich liebe die Sachen, die er schreibt, auch die Soloprojekte. Ich liebe KORN. Und wir sind auch Freunde. Es ist also alles dabei. Ich würde gerne einen Song mit ihm machen, mit ihm zusammenarbeiten.

Nicht-Metal? Ich weiß nicht. Vielleicht Lady Gaga, denn sie ist auch ein Metal-Fan. Ich liebe die Tatsache, dass sie unglaublich abliefert. Ich meine, sie hat uns im Grunde alle verarscht. Uns glauben lassen, sie sei eine Popsängerin ohne Substanz. Aber sie hat gezeigt, dass sie alles sein kann, was sie sein will. Sie kann tun, was sie will. Und sie macht es gut. Außerdem scheint sie eine rundum lustige Person zu sein, mit der man gut abhängen kann.

Ich würde diese beiden Songs sehr gerne hören!

Lass uns das Thema ein wenig zu deiner Person wenden. Du streamst seit Jahren auch regelmäßig auf Twitch (hier findest du Cristinas Twitch-Kanal).

Ja, seit fast fünf Jahren inzwischen. Verrückt.

Wie hat dich das verändert? Denn dadurch hast du einen ständigen Kontakt zu den Fans und kannst direkt mit ihnen interagieren. Wie hat das deine Sicht auf dich selbst als Künstlerin verändert?

Es hat mich in einer Weise verändert, dass ich mich noch wohler fühle, vor Leuten zu sprechen. Durch Twitch bist du gezwungen, jede mögliche Pause zu füllen, denn im Grunde sitzt du vor einem Bildschirm und wer auch immer zuschaut, erwartet von dir, dass du ihn unterhältst. Ich denke also, ich habe viel darüber gelernt, wie man ständig spricht, was vielleicht ein bisschen dumm klingt, aber das ist es nicht.

Als Entertainer ist es wirklich wichtig, alle Lücken zu füllen. Ich habe gelernt... kann ich sagen, besser zu singen? Denn meine Stimme ist kraftvoller geworden. Stundenlanges Sprechen stärkt die Stimmbänder sehr. Es könnte sie möglicherweise schädigen, aber für mich hatte es, Daumen gedrückt, bisher den gegenteiligen Effekt. Ich habe das Gefühl, dass meine Stimme kraftvoller geworden ist.

Auch mein Italienisch hat sich verbessert. Du wirst darüber lachen, aber ich bin es so gewohnt, Interviews auf Englisch zu geben, dass mein Italienisch manchmal irgendwie grammatikalisch schlecht war und ich auch schüchterner, weil ich es nicht gewohnt war, vor dem Publikum Italienisch zu sprechen. Obwohl meine Muttersprache Italienisch ist, fühle ich mich also viel sicherer, wenn ich Englisch spreche, weil ich es so gewohnt bin, oft Englisch zu sprechen.

Es fühlt sich komisch an, aber letztendlich ist es eine Frage der Übung, weiterzureden, zu lesen und zu experimentieren, und das hilft einem, noch ein bisschen weniger schüchtern zu werden. Jetzt kümmere ich mich sogar auf der Bühne noch weniger darum, dass jemand mich ansieht und sagt: "Zeig mir, was du drauf hast." Jetzt sage ich: "Ich weiß, was ich drauf habe."

Apropos Interaktion mit Fans, ich muss dir da etwas zeigen! (Ich zeige Cristina das Foto von uns beiden bei einer Autogrammstunde.)

Oh, das ist entweder Rock im Park oder Rock am Ring.

Das ist Rock am Ring 2006.

Okay, ich erinnere mich an dieses Halbtop. Das war definitiv diese Zeit.

Ja, es war 2006, also ist es – ich will weder dich noch mich alt fühlen lassen, aber es ist fucking 19 Jahre her.

Wow, ich finde, wir sind ziemlich gut gealtert.

Das sind wir! Ein anderes Mal, 2012, habt ihr im Winter eine Show in Hamburg gespielt und danach hast du mich und einen anderen Fan in den Bus eingeladen und uns Tee gemacht. Du warst also nie wirklich schüchtern gegenüber Fans.

Nein, ich meine, ich bin nicht schüchtern gegenüber Leuten. Ich war immer wirklich gut darin, einfach mit Leuten abzuhängen und wirklich offen zu sein, aber wenn man auf die Bühne geht, geht es nicht um die Persönlichkeit, die man abseits der Bühne hat. Wenn man auf der Bühne steht, steht man buchstäblich Tausenden von Leuten gegenüber, die einen gleichzeitig anschauen.

Man fühlt sich also irgendwie beurteilt, weil man es ist. Und das kann man auf unterschiedliche Weise wahrnehmen. Man kann sich dadurch gestärkt fühlen oder man kann ein bisschen Angst davor haben oder man kann sich fragen: "Okay, was mache ich jetzt?" Das kann einem Fragen in den Kopf setzen oder Zweifel an sich selbst wecken, die man abseits der Bühne vielleicht nicht hat.

Das kann ich mir vorstellen! Aber der Hauptgrund, warum ich dieses Bild von 2006 gezeigt habe, ist, dass du damals noch eine der ganz wenigen prominenten Frauen im Metal warst. Heutzutage gibt es sehr viele Frauen, die den Durchbruch in die Musikszene schaffen, was großartig ist.

Klar! Sogar im Publikum. Heutzutage besteht das Publikum manchmal zu 50% oder sogar mehr aus Frauen.

Wie hat sich aus deiner Sicht als Frau das ganze Geschäft, die ganze Branche verändert?

Nun, es ist jetzt nicht mehr ungewöhnlich, wenn eine Frau in einer Metalband ist. Aber wir reden hier über Metal, aber es gibt auch andere Genres, in denen Frauen inzwischen dominieren. Ich denke da an Popmusik. Ich denke an Rihanna, Shakira, Beyoncé, diese riesigen, riesigen Namen. Ich meine, die Nummer-eins-Künstlerin auf Spotify ist Taylor Swift. Das ist kein Mann.

Im Metal fand ich es eigentlich immer normal, dass es weniger Frauen gab, weil es so ein hartes Genre ist. Ich finde, das Genre selbst ist im Allgemeinen nicht wirklich auf Frauen ausgerichtet. Man muss also dafür geschaffen sein. Man muss eine bestimmte Persönlichkeit haben, man muss aufgeschlossen sein.

Es hängt auch wirklich davon ab, wo man lebt. In Italien gibt es keine große Rock- oder Metalszene. In Deutschland hat man Glück, denn Metal war schon immer sehr prominent und man war im Allgemeinen immer sehr offen für Metal. Ich habe RAMMSTEIN zum ersten Mal in Deutschland gehört und sie spielten danach in Mailand und wir waren weniger als 30 Leute bei ihrer Show. Und in Deutschland waren sie schon supergroß.

In den Staaten ist es dasselbe. Ich gehe in den Supermarkt und höre SLAYER. In Mailand würde das niemals passieren. Niemals.

Weil wir hier diese Kultur nicht haben, ist das ein großer, großer Unterschied. Also, ja, viele Dinge haben sich geändert und jetzt gibt es viel mehr Frauen in Bands. Und ich denke, es gibt eine natürliche Auswahl, denn die Bands mit der hübschen Dame, die ihren Job nach einer Weile nicht mehr richtig machen kann, verschwinden, weil man mehr braucht als nur ein hübsches Gesicht.

Aber ganz grundsätzlich ist es, wie es ist. Es gibt Bands mit Männern, die verschwinden, und es gibt Bands mit Frauen, die verschwinden. Ich habe nie wirklich über das Geschlecht in der Musik nachgedacht. Meiner Meinung nach hat Musik kein Geschlecht, also warum sollte es mich interessieren, ob es eine Frau oder ein Mann ist, die oder der einen Beitrag zu den Songs leistet. Ich habe mich von Anfang an nie als anderes Element gesehen. Ich war einfach Teil der Gruppe.

Absolut. Das ist meiner Meinung nach auch die richtige Einstellung.

Ich muss natürlich, bevor wir zum Ende kommen, fragen, wann wir euch wieder live sehen. Ihr habt jetzt eine Tour in den Vereinigten Staaten und Südamerika vor euch. Aber bisher wurden keine Tourdaten für Deutschland oder irgendwo in Europa angekündigt, abseits von ein paar wenigen Festivalauftritten. (In der Zwischenzeit hat LACUNA COIL eine Europatour angekündigt, hier findest du unsere News dazu.)

Wir planen eine Europatour für Ende des Jahres im Herbst, aber wir stellen die Daten noch zusammen. Wir haben einige Sommerfestivals, wir haben ein paar Termine in Italien, aber dann planen wir, sagen wir, ab September, mehr Shows in Europa zu organisieren, weil das schon ewig her ist. Wir haben seit 2019 keine Europatour mehr gespielt, also ist es Zeit, zurückzukehren.

Wir haben das Glück, dass wir auf der ganzen Welt arbeiten können, aber es ist logistisch auch komplizierter, alles zusammenzubringen und es so zu gestalten, dass es Sinn macht, auf Tour zu gehen und nicht ans andere Ende der Welt zu reisen.

Ich freue mich drauf, euch wieder auf der Bühne zu sehen! Hast du noch ein paar letzte Worte an unsere Leser?

Ich kann es kaum erwarten, wieder zurück zu sein und zu spielen, und ich hoffe wirklich, dass euch "Sleepless Empire" gefallen wird. Bis jetzt waren die Kritiken und Reaktionen auf die Songs, die wir bereits veröffentlicht haben, großartig, aber wir können es kaum erwarten, dass ihr euch das ganze Paket und die ganze Platte anhört, und ich hoffe, dass es euch gefällt. Vielen Dank für die Unterstützung.

Ich muss sagen, es ist ein großartiges Album.

Cristina, vielen Dank für deine Zeit. Es war mir ein Vergnügen.

Tschüss, Chris, hab einen schönen Tag. Ciao, wir sehen uns in Deutschland.

 

"Sleepless Empire", das neue Album von LACUNA COIL, erscheint am 14. Februar.

Über die aktuelle Single 'I Wish You Were Dead' haben wir auch im Interview gesprochen:

https://www.youtube.com/watch?v=H86cL4NBZRg

 

Das Foto vom 2006er Rock Am Ring wurde von Chris Schantzen beigesteuert.

Die Band-Fotos stammen von Cunene und wurden von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.

Die Live-Fotos stammen vom Wacken Open Air 2017 und wurden von Frank Jäger gemacht.

Redakteur:
Chris Schantzen

Login

Neu registrieren