LEECH: Interview mit Serge

01.11.2008 | 20:00

LEECH-Drummer Serge über den Aufschwung der instrumentalen Musik und philosophische Titelfindungsdiskussionen.

Instrumentale Musik ist gerade schwer im Kommen. Bands wie MOGWAI oder LONG DISTANCE CALLING erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und bieten dem Hörer eine Alternative zu den üblichen Musikpfaden. Das gilt so auch für die Schweizer LEECH, die gerade mit "The Stolen View" ein tolles Album veröffentlicht haben. Doch hüpfen die Jungs nicht auf einen Trend, sondern sind schon seit mehr als zehn Jahren aktiv und haben bereits eine Handvoll Veröffentlichungen vorzuweisen. Jetzt ist die Zeit gekommen, dass man auf LEECH aufmerksam wird. Drummer Serge stand Rede und Antwort.

Peter:
Obwohl ihr schon seit mehr als zehn Jahren besteht, dürftet ihr für unsere Leser noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt sein. Kannst du eure Band bitte kurz vorstellen?

Serge:
LEECH erblickten das Licht der Welt im Jahre 1995 - man hatte zwar schon vorher zusammen Musik gemacht, aber so richtig ernst wurde es erst zu diesem Zeitpunkt. Kurz zuvor waren wir sozusagen eine konventionelle Band mit Gesang, Bass, zwei Gitarren und Drums. Der Sänger und Bassist sind dann ausgestiegen - wir wollten aber unbedingt weiter Musik machen und so hat es sich ergeben, dass wir plötzlich eine instrumentale Band waren.
Mittlerweile sind ein paar Jahre ins Land gezogen und wir sind durch verschiedene Besetzungen und Instrumentierungen gegangen. Auch haben wir mit LEECH eine längere Pause gemacht und uns anderen Bands und Projekten gewidmet. Wir schreiben nun seit zwei Jahren wieder Musik und daraus ist die aktuelle Platte "The Stolen View" entstanden.

Peter:
Als ihr mit LEECH angefangen habt, gab es den sogenannten Post Rock noch gar nicht wirklich und eine innovative, instrumentale Band wie KONG durfte vor 50 Leuten in Jugendzentren auftreten. Was denkt ihr, warum Bands wie MOGWAI oder LONG DISTANCE CALLING derzeit vergleichsweise einen Hype erleben? Was hat sich geändert? Die Qualität der Bands oder die Hörgewohnheiten der Fans?

Serge:
Ich denke, dass die Qualität der Bands dieselbe ist wie vor sagen wir mal zehn Jahren. Klar haben sich gewisse Bands verändert oder verbessert, aber im Wesentlichen ist es nicht so anders als vor zehn Jahren.
Was ich glaube ist, dass sich der (Zu-)Hörer plus die Musiklandschaft gewaltig verändert hat! Es gibt immer mehr Leute, die sich nicht mehr langweilen wollen, mit der Musik, welche im Radio gespielt wird. Die klassische Popmusik ist ja grausam geworden; man denke nur an Sendungen wie "American Idol" etc. - grauenhaft! Kein Wunder, dass die Leute wieder mehr auf die Suche nach anderer, richtiger Musik gehen. Dadurch profitieren Bands wie MOGWAI, LONG DISTANCE CALLING und auch wir - es kommen wieder mehr Leute zu solchen Konzerten.
Wir glauben auch, dass es in Zukunft weniger genaue Grenzen zwischen den verschiedenen Musik-Genres geben wird, was zählt sind Hingabe und Kreativität. Im sogenannten Post Rock hat man vielleicht einfach mehr Freiheiten mit verschiedenen Sachen zu experimentieren und offensichtlich gefällt das immer mehr Leuten. Wobei wir finden, dass LEECH eine zu melodische, sphärische, instrumentale Rockband ist, als das man sie als Post Rock bezeichnen kann. Es gibt für unsere Musik eigentlich gar keine Bezeichnung.

Peter:
Euer neues Album "The Stolen View" hat auch schon ein Jahr auf dem Buckel und habt ihr vorher in Eigenregie vertrieben. Mit welchen Erwartungen geht man dann an eine solch offizielle Veröffentlichung, selbst wenn es bei einem eher kleinen Label wie VivaHate ist?

Serge:
Wir haben in der Vergangenheit immer alles selber gemacht und uns auch nicht wirklich um ein Label bemüht. Nun, der Zufall wollte es so, dass wir LONG DISTANCE CALLING in der Schweiz kennen gelernt haben und diese dann ihrem Label Viva Hate Records von uns erzählten. Wir kamen ins Gespräch und danach ging eigentlich alles ganz schnell mit der Veröffentlichung der Split EP "090208" und der Tour mit LONG DISTANCE CALLING. Danach folgte ja sogleich die Veröffentlich unseres Albums "The Stolen View" über Viva Hate Records, das sehr guten Anklang in Deutschland und hoffentlich bald auch in ganz Europa findet.
Hmmm... Erwartungen zu haben ist sehr gefährlich, weil man schnell enttäuscht ist, wenn sie nicht eintreffen. Durch das Label können wir unsere Musik nun einem größeren Publikum präsentieren und erhoffen uns auch viele gute Gigs in Deutschland und Europa spielen zu können.
Ein kleines Label heißt nicht, dass es nichts ausrichten kann - eigentlich ist ein kleines Label besser, da es sich wirklich um dich kümmert und du einen direkten Kontakt hast.

Peter:
Was ich an "The Stolen View" sehr mag, ist die tolle Dynamik, die ihr in allen Nummern erzeugt. Da gibt es ruhige, sphärische Flächen, relativ brachiale Riffs und viele Steigerungen, die das Material mit Spannung füllen. Wie genau webt ihr Songs wie 'The Man With The Hammer' oder 'Totem & Tabu'?

Serge:
Bei uns ist es oft so, dass die Stücke mehr oder weniger aus einem Guss entstehen. Die Stücke auf "The Stolen View" sind so entstanden. Es gibt manchmal einfach ein paar magische Momente im Bandraum, wo die Stücke sich quasi selbst gebären. Im Gegensatz dazu gibt es natürlich auch Lieder, bei denen wir lange rumtüfteln, bis sie die schlussendliche Form annehmen, wie bspw. bei 'Totem & Tabu'. Bei solchen Stücken verheddern wir uns oft und legen sie dann für gewisse Zeit zur Seite, bevor wir sie weiterverfolgen. In den meisten unserer Stücke wechseln sich Gitarren- oder Piano-Melodien mit Synthesizer-Melodien ab, oder sie unterstützen sich gegenseitig. Wichtig ist uns, dass wir allen Instrumenten genügend Platz lassen, damit sie sich entfalten können. Das Ganze soll luftig daherkommen, um auch den Zuhörenden viel Freiraum für eigene Emotionen zu lassen. Für die Aufnahmen von "The Stolen View" haben wir uns relativ viel Zeit gelassen.

Peter:
Habt ihr eigentlichen Geschichten im Kopf, wenn ihr den Songs Titel verpasst? Und ist das etwas, was einer von euch macht oder sind das philosophische Gruppendiskussionen?

Serge:
Oh ja, pure Philosophie, wo aus dieser dann spontan Namen oder Wortspiele entstehen. Meistens sehr amüsant.

Peter:
Neben der neuen Platte habt ihr auch noch die bereits erwähnte Split-CD mit LONG DISTANCE CALLING eingespielt. Gibt 'Oktober' schon eine Richtung vor, wohin das neue Album sich entwickeln wird?

Serge:
Hmmm, wir haben nun bereits wieder ein paar neue Tracks, an welchen wir immer noch arbeiten und Sachen ändern und ausprobieren, jedoch ist zu diesem Zeitpunkt schwierig zu sagen, wie die neue Platte daherkommen wird, wir werden auf jeden Fall noch Vieles ausprobieren und herumtüfteln. Ein paar neue Tracks werden wir auch live ausprobieren. Es ist aber noch einiges zu tun und wir wollen uns dafür auch genügend Zeit lassen. Lasst euch da mal überraschen!

Peter:
Ihr geht jetzt mit LONG DISTANCE CALLING auf Tour. Gibt es darüber hinaus noch andere Tourpläne? Und was erwartet ihr von den Gigs?

Serge:
Vorerst steht nur die Tour mit LONG DISTANCE CALLING. Weitere konkrete Pläne gibt es noch nicht - wir denken und hoffen, dass wir allenfalls im Frühjahr 2009 noch einmal nach Deutschland kommen sollten, um die neue Platte so richtig zu promoten! Steht aber wie halt so oft noch in den Sternen.
Wir freuen uns total auf die Gigs in Deutschland und Österreich - wir haben in all diesen Städten noch nie gespielt, dementsprechend erreichen wir zu 100% Publikum, das uns bislang noch nicht kennt!

Peter:
Wie löst ihr auf der Bühne das Problem, ohne einen echten Frontmann und Fokus auszukommen?

Serge:
Ganz einfach mit der Musik! Wir geben dem Zuhörenden die Möglichkeit sich seinen eigenen Film dazu zu drehen und sich einer anderen Welt hinzugeben.

Peter:
Kennt ihr die von mir oben genannten KONG eigentlich? Das war eine instrumentale Metalband, deren Auftritte deshalb besonders waren, weil sich die vier Jungs in die vier Ecken des Saals auf vier kleinen Bühnen verteilt haben und so eine Art Surroundsound erzeugten. Meint ihr, das sei ein Experiment, das eine instrumentale Band einfach mal wagen müsse?

Serge:
Das hat ja nicht unbedingt etwas mit Instrumental zu tun! Das könnte jede konventionelle Band ja auch machen. Ich habe auch mal Herbie Hancock gesehen, der so was gemacht hat - das war dann auch sogenannte Quadrophonie in Sachen Sound, nur das halt die Musiker alle auf der gleichen Bühne waren.

Peter:
Da es euch schon recht lange gibt, nehme ich an, dass eure Einflüsse nicht unbedingt nur bei instrumentalen Bands liegen. Wen würdet ihr da nennen?

Serge:
Das ist immer eine schwierige Frage - wir haben sehr viele verschiedene Einflüsse. Wir hören eigentlich von Jazz über Dirty Soul und Deep Funk bis zu Heavy Metal alles. Aber um hier ein Beispiel zu nennen: Ich fahre gerade total auf den Soundtrack vom Film "21 Gramms" ab. Da hat der Gustavo Santaolalla einiges an Musik geschrieben, großartig!

Peter:
So weit war es das von mir, wenn ihr noch eine Nachricht für unsere Leser habt, nur zu.

Serge:
Ja liebe Leser, wenn ihr euch mal in eine andere Sphäre begeben wollt und euch besäuseln lassen wollt, setzt euch mit unserer Musik auseinander, denn mit unserem Sound kann man sich treiben lassen und sich seinen eigenen Film dazu ausmalen.

Redakteur:
Peter Kubaschk

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