LOSINGALL: Interview mit Chris Jennert

08.01.2007 | 16:52

Bands wie ISIS und Konsorten sind gerade mächtig angesagt. Aber anstatt sich an diesen kommerziell immer interessanter werdenden Sound zu hängen, gehen die Deutschen LOSINGALL auf ihrer selbst finanzierten "Clean Sweep"-EP zurück zu den Wurzeln: NEUROSIS, Abgrund, Endzeit. Kopisten sind sie dennoch nicht. Das Quartett fährt einen ordentlichen Groove, der auch live gut funktionieren dürfte, was Schwergewichte wie CROWBAR, aber auch New-School-Hardcore-Truppen wie SNAPCASE auf den Plan treten lässt. Shouter Chris Jennert erzählt, wie es zu dieser Konstellation kam.


Oliver:
Obwohl ihr erst seit 2003 zusammen Musik macht, ist eure EP in allen Belangen professionell ausgefallen. Wie lange wart ihr vorher schon in anderen Bands aktiv?

Chris:
Mike und ich spielen seit 1995 in verschiedenen Bands. 1999 sind wir erstmals bei LAST CHANCE TO DANCE zusammengetroffen. David und Patrick machen seit 2000 zusammen Musik. David stieg dann irgendwann bei FAILTE ISTEACH, Mikes damaliger Hauptband, als neuer Drummer ein. Nachdem sich die ganzen Bands dann aufgelöst hatten, haben wir uns nach mehreren Besetzungswechseln dann alle zu LOSINGALL zusammengefunden.

Oliver:
"Clean Sweep" habt ihr in eurem eigens dafür eingerichteten Studio aufgenommen. Seid ihr diesbezüglich Autodidakten, oder hat jemand von euch berufliche Erfahrungen in diesem Bereich?

Chris:
Beruflich hat keiner von uns etwas mit Tontechnik zu tun. Wir haben uns alles selbst angeeignet und nehmen so schon seit Jahren bei uns im Proberaum auf, wodurch wir das ein oder andere lernen konnten. Außerdem hatten wir die Möglichkeit, bei vorangegangenen Studioaufnahmen selbst am Mischpult mitzuarbeiten. Das hat uns dann so viel Spaß gemacht, dass wir das Studio eingerichtet haben.

Oliver:
Das Mastering besorgte GROBSCHNITT-Gründungsmitglied Eroc, der seit einigen Jahren "Eroc's Mastering Ranch" betreibt. Wie viel konnte mit seiner Erfahrung aus den Aufnahmen noch rausgekitzelt werden?

Chris:
Hinsichtlich des Sounds hat Eroc die ganze Sache "rund" geschliffen und ihr den nötigen Druck verliehen. Ich denke aber, am meisten haben uns seine Tipps zum Abmischen weitergeholfen.

Oliver:
Das trostlose Cover der EP spiegelt sehr gut eure Musik wider. Kannst du etwas über den Künstler Hans-Jürgen Kossack erzählen?

Chris:
Hans-Jürgen Kossack ist der Onkel eines Freundes. Er ist bei uns aus der Gegend, und seine Werke sind allgemein sehr düster. Den Hauptbestandteil seiner Kunst bilden Skelette und Knochen. Viele seiner Bilder und Skulpturen behandeln die Themen Tod und Krieg. Auf die Aussage bezogen passt das zwar nicht wirklich zu uns, dafür aber – wie du schon gesagt hast – sehr gut zur Musik.

Oliver:
Einige Rezensenten haben bemängelt, dass dein Gebrüll nicht variabel genug sei. Ich finde hingegen, dass es sich bestens in euren düster-aggressiven Gesamtsound einfügt. Willst du da in Zukunft trotzdem ein wenig experimentieren?

Chris:
Wie du bin ich der Ansicht, dass mein Gesang ganz gut zu unserem Stil passt. Allerdings betrachte ich das Ganze auch als Prozess, genauso wie unsere Musik im Allgemeinen. Aus diesem Grund würde ich mich nicht wundern, wenn zukünftige Aufnahmen – auch gesanglich – differenzierter ausfallen, denn mit Experimenten hatten wir noch nie Probleme.

Oliver:
'Broken Bones', der Abschlusstrack der Scheibe, stammt von eurem ersten Drei-Track-Demo. Der Song zeigt sich deutlicher vom klassischen Cleveland-Hardcore beeinflusst als die anderen, sprich: neuen Tracks. War euch diese Ausrichtung zu eindimensional? In eurer Bio führt ihr an, dass ihr mit dem Demo sehr unzufrieden wart.

Chris:
Die Songs des Demos waren unabhängig vom Stil einfach zu schwach. Wir haben das vor allem auf der Bühne gemerkt und uns dann entschlossen, von vorne anzufangen. Dass die neuen Tracks etwas vielschichtiger ausgefallen sind, ist eine ganz normale Entwicklung und soll auch so sein, da wir sehr viel verschiedene Musik hören. Sich da nur auf einen Stil zu beschränken, würde uns sehr schwerfallen. Wir wollen diese Entwicklung in Zukunft auch noch weiter vorantreiben.

Oliver:
Insbesondere in der US-Hardcore/Metalcore-Szene ist es seit geraumer Zeit "in", Christ zu sein. Ob das irgendwie mit dem ursprünglichen Hardcore-Gedanken in Einklang zu bringen ist, sei mal dahingestellt. Euer Sound fußt ebenfalls klar im Hardcore, allerdings zeigt der Text zu 'This Side Of Hell', dass ihr ideologisch kaum weiter von der genannten Ecke entfernt sein könntet. Regelmäßige Kirchgänger scheint ihr eher nicht zu sein.

Chris:
Prinzipiell halte ich es für fragwürdig, Musikgenres mit Glaubensrichtungen zu identifizieren. Der Glaube an Gott bzw. Gottheiten ist etwas sehr Persönliches und sollte auch jedem persönlich überlassen bleiben. Ich selbst glaube nicht an Gott, aber wenn ich es täte, würde mir der Sinn einer Kirche als Institution dennoch verborgen bleiben. Nach christlichen Idealen zu leben, hat meiner Meinung nach nichts mit regelmäßigen Kirchgängen oder dem Zahlen von Steuern zu tun. Wer in die Kirche geht, um so seinen Glauben auszudrücken, soll dies gerne tun, allerdings bin ich davon überzeugt, dass die Kirchen genau dies ausnutzen, um sich zu bereichern. Insbesondere die Geschichte der katholischen Kirche mit ihrem Ablasshandel und anderen Verfahrensweisen zeigt, dass aus der Gottesfurcht der Gläubigen Profit geschlagen wird, und genau das prangere ich mit 'This Side Of Hell' an.

Oliver:
'B.Gunn' ist eine wortspielerische Abkürzung für Ben Gunn. Wenn ich den Text richtig interpretiere, handelt der Song von Entfremdung und Isolation, die durch eine Heile-Welt-Fassade kaschiert wird. Hast du die Figur aus "Die Schatzinsel" als Metapher für Isolation gewählt, oder hat das eine andere Bedeutung?

Chris:
Deine Interpretation trifft es ziemlich gut. Wer wäre zur Veranschaulichung von Isolation besser geeignet als jemand, der jahrelang allein auf einer Insel rumhängt und sich dabei einen ordentlichen Dachschaden einhandelt. Interessant finde ich vor allem, dass er während seines Inselaufenthalts die Aufgabe hatte, auf den Schatz von jemand anderem aufzupassen und schließlich auch dafür draufgeht. Außerdem bin ich ein Fan von "Schatzinsel"-Autor Robert Louis Stevenson. Vor allem seine Kurzgeschichten wie "The Suicide Club" und "The Body Snatcher" haben es mir angetan.

Oliver:
Mit eurer Musik spielt ihr angenehm an den aktuell angesagten Trends vorbei. Kommerziell vielleicht ein Nachteil, künstlerisch auf jeden Fall ein dicker Pluspunkt.

Chris:
Ich hätte ein Problem damit, Musik zu spielen, die mir selbst nicht gefällt. Ich will mich durch das, was ich mache, ausdrücken, und eine Beschränkung durch kommerzielle Gesichtspunkte wäre mir dabei nicht hilfreich. Was momentan "in" und somit kommerziell erfolgreich ist, geht mir ehrlich gesagt gewaltig am Arsch vorbei. Ich denke, dass Musik, die bewusst darauf ausgelegt ist, den Geldbeutel irgendwelcher Leute zu füllen, die Kultur nicht bereichert, sondern eher das Gegenteil bewirkt.

Oliver:
Was hat es eigentlich mit diesem Frank Pfeffer auf sich, der öfter im Booklet auftaucht und den ihr sogar als Einfluss angebt?

Chris:
Frank war Sänger bei Mikes alter Band FAILTE ISTEACH und ist quasi das fünfte Bandmitglied von LOSINGALL. Er beschäftigt sich jetzt mit Filmen und Fotografieren, greift gelegentlich zum Mikrofon und ist ein sehr guter und wirklich wichtiger Freund von uns. Außerdem sagt er uns ins Gesicht, wenn ihm was nicht gefällt. Es ist sehr hilfreich für uns, jemanden zu haben, der die ganze Sache von außen betrachtet und gleichzeitig doch nah an der Band dran ist.

Oliver:
Auf eurer Homepage ist zu lesen, dass ihr zu 'Blackwater' ein Video austüftelt. Was kann man da erwarten, und wie weit ist das Ganze schon fortgeschritten?

Chris:
Mit diesem Video haben wir uns auf eine Art Experiment eingelassen. Die Bilder sind bereits alle im Kasten und werden momentan noch zusammengefummelt. Da das gesamte Projekt auf Franks Mist gewachsen ist und er uns bei der Fertigstellung konsequent außen vor lässt, wissen wir nicht wirklich, wie das Ergebnis aussehen wird. Das Video müsste spätestens im Februar fertig sein.

Oliver:
Wenn man wie ihr aus Tuttlingen in Baden-Württemberg kommt, kann man eigentlich nur eine Band starten oder irgendwas anderes Künstlerisches machen, um sich abzulenken. Wenn ich mir eure bisherigen Gigs angucke, gibt's aber immerhin drei verschiedene Locations, wo man spielen kann.

Chris:
Ja, das stimmt. Wenn man aus einer Kleinstadt kommt, bleiben einem nicht viele Möglichkeiten. Entweder man sucht das Weite oder steckt seine Zeit und Energie wie in unserem Fall in die Musik. Ohne sinnvolle Beschäftigung in so einer Umgebung würde man auf die Dauer wohl sehr unglücklich werden. Von den drei Locations sind auch nur noch zwei übrig. Das örtliche Jugendhaus und ein Jugendclub, wobei das Organisieren von Konzerten in Tuttlingen zunehmend schwieriger wird.

Oliver:
Wenn du einen Drei-Jahres-Plan für eure Band aufstellen müsstet, welche Ziele würdest du euch für diesen Zeitraum setzen?

Chris:
Wichtigstes Ziel ist, dass wir in drei Jahren auf jeden Fall noch zusammen Musik machen und Spaß daran haben. Wir wollen regelmäßig unsere Sachen veröffentlichen, so viel wie möglich live unterwegs sein und dabei viele Leute kennen lernen. Das größte Ziel ist wohl, einmal zwei bis drei Wochen am Stück auf Tour zu sein. Das wäre wirklich krass.


Um den Jungs das zu ermöglichen, wäre ein erster kleiner Schritt, Interesse an der "Clean Sweep"-EP zu zeigen. Über http://www.losingall.net kann man das halbstündige Teil, das auch für DISBELIEF-Fans interessant ist, zum Preis von sieben Euro ordern.

Redakteur:
Oliver Schneider

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