Listig: Wer hat den Längsten? Die besten Longtracks mit einer Spielzeit über 10 Minuten (Platz 21 -25)

08.06.2023 | 13:26

Menschen, die Heavy Metal hören, scheinen eine ausgeprägte Vorliebe für Listen zu haben. Anders lässt es sich kaum erklären, wie gern und ausgiebig solche Auflistungen in sozialen Netzwerken als Diskussionsgrundlage genutzt werden. Die teils recht hitzigen Wortgefechte sind zumeist höchst unterhaltsam, aber meist auch informativ. Denn diese Menschen verfügen zumeist über ein tiefes Insiderwissen und reisen im Internet oftmals mit einem gültigen Reisepass des Staates Nerdistan durch solche Listen. Auch unsere Redaktion beschäftigt sich gern mit solchen Dingen und so ist es mal wieder an der Zeit, Euch mit einer Liste zu unterhalten. Dieses Mal ist das Thema etwas ausgefallener, denn 18 schlau-ohrige Mitarbeiter haben jeweils ihre Lieblingssongs mit einer Spielzeit von mindestens zehn Minuten eingereicht. Diese Einzelauswertungen sind nach einem ausgetüftelten System zu einer Gesamtliste zusammenaddiert worden. Die Top 25-Songs aus dieser wichtigen Erhebung möchten wir Euch in den nächsten Wochen näher bringen. Viel Vergnügen!

Starten wir auf Platz 25 gleich mit einer kurzweiligen Nummer, die sicherlich nicht jedem bei der gewählten Überschrift einfallen wird: 'Killer' von SAVIOUR MACHINE. Der Song vom 93er Debütalbum dieser christlichen Truppe ist auch 20 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung ein wahrer Ohrenschmaus, obwohl rein musikalisch gar nicht viel geschieht. Dies ist nämlich die große Kunst der frühen SAVIOUR MACHINE-Songs: Es wird eine Atmosphäre aufgebaut und eine Geschichte erzählt. Genau dies gelingt den Herrschaften von SAVIOUR MACHINE bei allen Songs ihrer ersten beiden Alben ganz ausgezeichnet. Dies liegt in großen Teilen am sehr charismatischen Gesang von Frontmann Eric Clayton, der mit seiner tiefen, zumeist beruhigend wirkenden Stimme, ein ganz exzellenter Geschichtenerzähler ist. Dabei vergisst der Musikgenießer gelegentlich, dass es sich hierbei um Texte mit christlichem Inhalt handelt, denn gepredigt wird glücklicherweise selten. Auch musikalisch geht es im Hause SAVIOUR MACHINE zumeist bedächtig zu. Die Songstrukturen sind eher stringent, gradlinig und haben daher eine beschwörende Wirkung. Im konkreten Fall gibt es allerdings einige fast schon aggressiv-hektische Passagen, die den an sich eher vor sich hin pulsierenden Song noch einmal deutlich aufwerten. Die 605 Sekunden vergehen auf jeden Fall wie im Flug und ich habe gemerkt, dass ich noch ziemlich textsicher bin, obwohl die Scheibe schon viel zu lange nicht mehr bei mir gelaufen ist. Wer leicht gothischen Düster Metal mit sehr viel Tiefgang mag und sich bisher nicht mit dieser Band beschäftigt hat, sollte dies dringend ändern. Im Laufe der Zeit wurde man musikalisch leider zu ruhig und ausschweifend für meinen Geschmack, aber die ersten beiden Alben zählen nach meiner bescheidenen Meinung zu den Genre-Klassikern. Sollte man mal gehört haben. Wie auch das neue Material des neuen Clayton-Projektes ERIC CLAYTON & THE NINE. Was sagen die Nominierer über den Song? Walter fragt völlig berechtigt, "weshalb diese Nummer nicht der Titelsong des Albums" sei, während Jhonny meine Geschichten-These unterstreicht: "Noch so eine Band, die sich gerne in längeren Tracks austobt, und Eric Clayton als Wunderstimme und Geschichtenerzähler passt großartig dazu." Wer nun noch nicht überzeugt sein sollte, wird es nach Timos Abschlusskommentar sein: "Das kraftvoll-verstörende, atmosphärisch-packende Prunkstück des Debüt-Albums wird vom epochalen Gesang getragen." In der Kürze liegt die Würze, gell?

Auf Platz 24 taucht dann eine Band auf, die man mit minimaler Denkanstrengung hier erwarten durfte. Ich bin eher erstaunt, die fünf Burschen – doch, auf dem Album stimmt das noch – so früh in unserer Liste zu finden, gelten sie doch allgemein als der Heilige Gral in Sachen Epik. Aber so ist das mit Erwartungen, sie sind oftmals einfach irreführend. Und bevor ich jetzt noch lange um den heißen Brei herum schreibe, komme ich einfach mal zum Punkt. Gewählt wurde 'Sol Invictus' von ATLANTEAN KODEX. Zu finden ist dieser beinahe 11 Minuten lange Song auf dem zweiten Album namens "The White Goddess (A Grammar Of Poetic Myth)". Ich nehme an, die meisten Leser haben eine Meinung zu der Musik dieser Band, aber falls es Personen geben sollte, die sich bisher nicht mit ATLANTEAN KODEX befasst haben, lasse ich unseren Jhonny mal einen Satz raushauen, der klar macht, über was wir hier diskutieren: "Muss man live erlebt haben, denn viel besser geht Metal aus Deutschland nicht." Wow! Das Statement zeigt, mit welcher Begeisterung eine nicht ganz kleine Gefolgschaft diese süddeutsche Band abfeiert. Ihre Auftritte gleichen jedes Mal epischen Karaoke-Shows, denn es dauert zumeist nur wenige Minuten bis die halbe Halle lauthals jeden Chorus (und mehr) mitsingt. Dabei werden Fäuste gereckt und Luftinstrumente gespielt, man sieht begeisterte Gesichter vor und auf der Bühne, auch wenn manches hinter einer Sonnenbrille versteckt bleibt. Bei der gebotenen musikalischen Klasse ist das aber auch keine Überraschung. 'Sol Invictus' bietet nämlich mitreißend-treibenden Heavy Metal mit einem Refrain, der genau darauf ausgelegt ist. Wer bei diesen Notenfolgen unberührt bleibt, lebt in einer mir nicht bekannten Schattenwelt. Oder wie Timo so schön schreibt: "Dieser großartige Song der Oberpfälzer geht mir seit dem KIT 2014 auch heute noch durch Mark und Bein, wenn ich ihn zu Gehör bekomme." Obendrein ist dies wohl auch der Song, der den letzten Zweifler rumkriegen wird. Tobias kann das bestätigen: "Lange Zeit bin ich mit dem Sound von ATLANTEAN KODEX nicht warm geworden und erst als mir jemand dieses Epos empfohlen hat, änderte sich das schlagartig. Der Gesang ist einfach wunderbar, die Riffs sind steinerne Monumente und die großartigen Leads verpassen der Nummer schlussendlich die nötige Portion Theatralik." Sagt eigentlich alles, was man wissen muss.

And now for something completely different … Kenni und Marcel haben den unsterblichen Klassiker 'Free Bird' von LYNYRD SKYNYRD auf Platz 23 in unsere Liste gebracht und damit wohl einen der bekanntesten Longtracks der Rockgeschichte genannt. Nicht umsonst rangiert der Song unter den "The Rock and Roll Hall of Fame's 500 Songs that Shaped Rock and Roll". Ich denke, man kann schreiben, dass jeder, egal ob er grundsätzlich auf Southern Rock steht oder nicht, diesen Song kennen wird. Wer sich am Haupt kratzt, weil die Original-Version nur 9 Minuten und 8 Sekunden lang ist, dem sei gesagt, dass es eine 10 Minuten und 7 Sekunden lange Version mit einem feinen Outro gibt, die man auf "Skynnyrd's Innyrds" findet. Ja, wir cheaten, wenn es um wichtige Songs geht. Aber lassen wir die beiden Nominierer zu Wort kommen. Marcel: "Ein Song, der noch wohlsamer ist als die ersten, warmen Sonnenstrahlen im Sommer. Der Klang der Freiheit, wie ein Vogel fliegt der Song vom Himmel aus durch die Ohren mitten ins Herz." Wunderbar warme Worte, Marcel. Hab' gerade meine dicken Socken ausgezogen. Danke dafür! Aber auch Kenni spart mit Lob nicht: "Das wohl beste Solo in der gesamten Musikgeschichte, weil es sich die Zeit nimmt." Da Zeit ein unschätzbares Gut geworden ist, kann man diesen Song also guten Gewissens als "kleine Pause für zwischendurch" bezeichnen. Völlig kalorienfrei. Noch ein Bonus. Bon appetit.

Für den nächsten Platz wechseln wir erneut Stilistik und Dekade. Die Rede ist von HEATHENs 'No Stone Unturned' vom Comeback-Album "The Evolution Of Chaos" aus dem Jahr 2010. Neunzehn (!) lange Jahre hatte das Bay-Area-Thrash-Geschwader seine Fans auf ein neues Lebenszeichen warten lassen. Auch unser Fränky Wilkens resümiert: "Das Album und besonders dieser Track tauchten aus dem Nichts auf und fesselten mich auf Anhieb." Einzelne Musiker waren in der Zwischenzeit auf germanischem Grund musikalisch bei DIE KRUPPS aktiv. Das Erstaunliche an "The Evolution Of Chaos" ist der Umstand, dass mit Sänger David White, Klampfer Lee Altus und Drummer Darren Minter noch Musiker aus der Frühphase mit am Start sind. Da man mit Urgestein und Motivator Jon Torres (RIP!) am Bass und Kragen Lum an der zweiten Gitarre außergewöhnlich starke Adrenalinverspritzer ins Team geholt hat, klingt das Album halt auch genauso. Wenn man sich mit dem arg modernen Klangbild angefreundet hat, bekommt man knackfrischen Bay-Area-Thrash mit den gewohnt feinen Melodien geboten, für die man HEATHEN schon in der Vergangenheit geschätzt hat. 'No Stone Unturned' ist mit seinen 11 Minuten und 10 Sekunden dann allerdings auch für HEATHEN-Verhältnisse lang ausgefallen. Das stört allerdings nicht, denn was die fünf Herren hier abziehen, lässt wohl keinen Freund der melodisch-verschachtelten Thrashkunst unberührt. Kraftvoll nach vorne marschierend startet die Nummer schon gleich wie eine Walze, dazu eine Gesangsmelodie, die unwillkürlich zum Mitsingen einlädt. Das sieht auch Timo so: "Beinharter Melodic-Thrash, der sicherlich auch zu den ganz großen Songs des Genres gezählt werden kann, auch wenn er nicht zu den bekanntesten gehört." Der letzte Teil seines Kommentares ist zwar wahr, aber natürlich ein unverzeihlicher Irrtum der Musikgeschichte. Walter kommentiert: "Das Comeback nach 19-jähriger Veröffentlichungsabstinenz wusste gehörig Staub aufzuwirbeln. Der Longtrack entpuppte sich quasi als Programm!" Bis heute! Denn auch die langen Instrumentalpassagen in der Nummer sind ganz fantastisch. Dies alles macht diese Nummer zu einem modernen Thrash-Klassiker, den man nicht nur als Genre-Nerd einmal gehört haben sollte.

Auf Platz 21 finden wir ein deutsches Urgestein mit Augenklappe wieder. 'Treasure Island' von RUNNING WILD kommt für mich hier auch nicht überraschend. Man kennt ja seine Pappenheimer. Rüdiger schreibt dann auch folgerichtig: "Eine der besten metallischen Literatur-Adaptionen in Form eines einzelnen Longtracks." Bei Rolf Kaspareks Vorliebe für die Piraten-Thematik liegt eine Adaption von Robert Louis Stevensons "Die Schatzinsel" eigentlich auf der Hand. Im Jahr 1992 erscheint also diese epische Nummer auf dem Album "Pile Of Skulls" und mausert sich schnell zum Konzert-Highlight der Zukunft. Natürlich bekommt der Fan hier die typische RUNNING WILD-Stilistik geboten, die hier allerdings durch einen sehr langen Instrumentalpart in der Mitte des Songs erweitert wird. Der permanent nach vorne galoppierende Rhythmus lädt zum gepflegten Kopfwackeln ein, lenkt aber nicht zu sehr von der Story ab. Der jederzeit gut verständliche Gesang von Rock'n'Rolf macht es dem Zuhörer additiv sehr einfach, dieser Story zu folgen. Ein Faktor, den ich persönlich bei solchen Songs ungemein wichtig finde. Auf musikalische Überraschungen verzichtet man im Hause RUNNING WILD gänzlich, man variiert ein wenig mit dem Tempo und baut eine hübsche Instrumentalpassage in der Mitte ein, sodass die Spielzeit nicht langatmig wirkt. Da ich selbst jetzt kein ausgewiesener Fan der Band bin, übergebe ich das Wort noch einmal an Jhonny, der meint: "Nicht der einzige Rock n Rolf-Longtrack, aber der epischste ohne Frage." Kann man sicherlich so stehen lassen. Also: Holzbein umgeschnallt und ab die Luzie!

Redakteur:
Holger Andrae

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