MOB RULES: Interview mit Matthias Mineur
29.12.2009 | 19:37Vor ein paar Wochen haben MOB RULES einen Track-By-Track-Kommentar zu ihrem aktuellen Album "Radical Peace" veröffentlicht. Wir wollten diesen Kommentar vertiefen und die Band deshalb auf ihrer Tour mit DIO interviewen. Nachdem dieser allerdings an Magenkrebs erkrankt ist, griffen wir auf das Telefon zurück und sprachen mit Gitarrist Matthias Mineur über das Album. Nicht selten nahm das Gespräch eine politische Wendung.
Pia-Kim Schaper:
Die DIO-Tour wurde leider abgesagt, weil er Magenkrebs hat. Wie habt ihr die Nachricht aufgenommen?
Matthias Mineur:
In erster Linie sind wir natürlich schwer betroffen. Das steht erst mal über allem. Unabhängig davon, was das für uns als Band bedeutet, ist es natürlich erst mal ein persönliches Schicksal von jemandem, den wir alle bewundern. Alles, was damit verbunden ist, ist da nachrangig. Uns tut es sehr leid, dass er krank ist, und wir drücken die Daumen, dass er gesund wird.
Pia:
Habt ihr schon eine neue Tour geplant?
Matthias:
Nein. Wir planen, aber der Ausfall der DIO-Shows kam so kurzfristig, dass wir da nicht mehr reagieren konnten. Das war alles angekündigt und gebucht, wir hatten unsere Crew gebucht und all diese Geschichten. Wenn sowas drei Wochen vor einer Tour kommt, dann kann man eigentlich nur noch absagen und kriegt keinen Ersatz mehr dafür. Wir checken gerade ab, dass wir Konzerte im Januar, Februar, März spielen, aber die laufen sowieso parallel dazu.
Pia:
Gibt es schon Pläne für die Festival-Saison?
Matthias:
Pläne gibt es natürlich, aber das ist noch so weit hin. Für uns ist erst mal klar, dass wir jetzt im Januar, Februar, März das neue Album promoten wollen. Für das nächste Jahr gibt es noch zwei, drei Projekte, die wir ins Auge gefasst haben. Insofern wissen wir noch gar nicht, ob wir im Sommer Zeit für die Festivals haben. Wir wollen natürlich auf jeden Fall ein paar spielen, einfach auch, weil es für die Band immer ein toller Spaß ist, auf diesen Festivals andere Kollegen zu treffen und auch Bands zu sehen, die man selber gut findet. Aber wie gesagt: Das Jahr 2010 wird noch ein, zwei andere Überraschungen mit sich bringen.
Pia:
Was wäre ein Traum für euch? Mit welchen Bands würdet ihr gern auf welchem Festival auftreten?
Matthias:
Wir haben jetzt schon vier Mal in Wacken gespielt, das größte Metal-Festival der Welt haben wir also reichlich bedient. Ich würde gerne beim Sweden Rock spielen, weil die Programmausrichtung immer nach meinem Geschmack ist. Da sind eigentlich immer die Bands, die ich gerne sehe. Natürlich würde ich gerne mal mit IRON MAIDEN auf der Bühne stehen. Solche Bands sind natürlich immer total reizvoll. Aber es gibt auch einen Haufen anderer Bands, zum Beispiel QUEENSRYCHE oder DREAM THEATER oder auch deutsche Bands wie EDGUY oder HELLOWEEN - das sind auch immer Bands, mit denen wir gerne spielen.
Pia:
Du hast euer neues Album "Radical Peace" schon angesprochen. Wie zufrieden seid ihr damit?
Matthias:
Super zufrieden. Es ist nach einer schwierigen Entstehungsgeschichte so stark geworden, wie wir gehofft haben. Wir waren uns bei ein, zwei Songs - unter anderem dieser langen Kennedy-Nummer ('The Oswald File' - Anm. d. Verf.) - im Vorfeld nicht sicher, ob sich wirklich auf Scheibe reproduzieren lässt, was wir im Kopf haben, und ob das hinterher so rüber kommt, wie wir es gehofft haben. Dass das alles funktioniert hat, dass die Produktion, die wir wie immer selber gemacht haben, gut geworden ist, dass die Resonanzen der Presse fast durchweg sehr euphorisch sind, das macht uns alles sehr glücklich. Ich bin mit dem Album total zufrieden, aber ich war es ehrlich gesagt schon, bevor es überhaupt irgendein Anderer gehört hatte. Ich hab die Platte im Studio mit gemischt und wusste daher, dass ich auf jeden Fall mit dem Album zufrieden sein werde - unabhängig davon, was die Öffentlichkeit dazu sagt. Dass jetzt die Presse und die Fans ganz begeistert sind, freut mich umso mehr.
Pia:
Wie schätzt du das Album im Vergleich zu euren bisherigen Alben ein?
Matthias:
Ich finde, es ist das konsequenteste Album, das wir bisher veröffentlicht haben, insofern, dass wir was sich kompositorisch im Proberaum andeutete - nämlich dass die Scheibe ein bisschen kantiger, ein bisschen schroffer, auch ein bisschen gewagter wird – dass wir das über die Produktion auch umsetzen konnten. Es ist auf jeden Fall das dynamischste MOB RULES-Album, das wir bisher rausgebracht haben. Als wir vor drei Jahren die "Ethnolution A.D." aufgenommen haben, hatten wir gewissermaßen eine Zäsur in der Band mit Umbesetzungen und als die CD rauskam, war mir schon klar, dass es so eine Art Übergangswerk sein wird zwischen alten MOB RULES mit der Urbesetzung und der neuen Besetzung. Ich hatte gehofft, dass das nächste Album - eben "Radical Peace" - dann wirklich auch die neue Besetzung so zeigt, wie sie spielt und das ist uns auch gelungen. Das neue Album ist im Gegensatz zu "Ethnolution A.D." wirklich eine runde Geschichte geworden.
Pia:
Anlass für unser Interview ist der Track-by-Track-Artikel, den ihr rumgeschickt habt. Da möchte ich jetzt etwas näher drauf eingehen.
Matthias:
Die Plattenfirma hat uns darum gebeten, so etwas aufzuschreiben, und dann haben sie das rumgeschickt. Ich wäre ehrlich gesagt gar nicht auf diese Idee gekommen, weil ich nicht wusste, ob das jemanden interessiert. Deshalb freut es mich, dass die Resonanzen so gut sind.
Pia:
Gleich im Opener 'Children Of The Flames' geht um den KZ-Arzt Joseph Mengele. Verarbeitet ihr häufig deutsche Geschichte?
Matthias:
Es ist zumindest das dritte Mal, dass wir deutsche Geschichte verarbeiten. Wir haben zum Beispiel auf der "Ethnolution A.D." einen Song über den Mauerfall gehabt und über die Annäherung von Ost und West. Ich finde, sich als deutsche Band auch deutschen Themen zu widmen, steht einem gut an. Das kommt auch daher, dass uns deutsche Geschichte interessiert mit all ihren Eigenarten und Unwägbarkeiten und auch Katastrophen. Diese Mengele-KZ-Geschichte ist ja die Katastrophe schlechthin und ich finde, dass sie thematisiert werden sollte und nicht in Vergessenheit geraten darf. Ich finde auch, dass es in der Musik, die wir machen, durchaus legitim ist, junge Fans einfach mal darauf hinzuweisen, dass es da spannende, dramatische, katastrophale Themen gibt, die man ruhig mal nachlesen könnte.
Pia:
Ihr habt geschrieben, dass es viele Parallelen zu IRON MAIDEN gibt.
Matthias:
Ich würde mal sagen, dass die Art, wie wir dieses Thema aufgegriffen haben - mit KZ und Arzt - dem ähnelt, wie Bruce Dickinson Geschichten erzählt. Auch IRON MAIDEN haben ja immer wieder richtig große historische Ereignisse als Grundlage ihrer Songs genommen und ich finde, dass wir das in diesem Text ähnlich gemacht haben wie Bruce Dickinson das macht. Dazu denke ich, dass gerade dieser Refrain-Part so ein MAIDEN-Flair hat. Diese Assoziation kam noch nicht mal von uns. Das sagte jemand, der uns im Proberaum gehört hat, und ich finde, das stimmt. Ich kann mich mit dieser Einschätzung auch identifizieren.
Pia:
Zu eurem Song 'Trial By Fire' sagt ihr selbst, dass es eine neue Variante von 'Rain Song' ist. Als ich das gelesen habe, dachte ich erst: "Warum macht eine Band einen Song zweimal?"
Matthias:
Es ist ein völlig anderer Song. Aber es ist ein Song, der ein ähnliches Highland-Feeling hat wie 'Rain Song', trotzdem ist es ein völlig anderes Lied und man kann die Stücke eigentlich nicht miteinander vergleichen. Wenn du PINK FLOYD analysierst, findest du auch Songs von 1984 oder '94, die mit Songs von '72 vergleichbar sind, wo man sagen kann: "Irgendwie greifen sie einen Faden wieder auf." Das ist nicht nur bei PINK FLOYD so, sondern bei allen Bands, ohne aber, dass der Song kopiert ist und das ist bei uns auch der Fall. 'Rain Song' und 'Trial By Fire' sind völlig unterschiedliche Songs, aber sie haben einen ähnlichen Stimmungsansatz - deswegen dieser Vergleich.
Pia:
Bei 'Warchild' habt ihr gesagt, dass der Song eigentlich noch eineinhalb Minuten länger wäre. Wird es diese längere Version als Bonustrack geben?
Matthias:
Es könnte sein, dass wir das irgendwann mal machen. Das müsste man abwarten. Bei Bonustracks ist immer die Frage, wie man sie platziert. Wir haben uns noch gar keine Gedanken darüber gemacht, aber es wäre eine Option.
Pia:
Ihr sagt, dass Bush Nordkorea und den Irak als "Achse des Bösen" bezeichnet, womit eigentlich im Zweiten Weltkrieg die Achse Berlin-Rom bezeichnet wurde. Glaubst du, dass Bush diesen Vergleich bewusst genutzt hat?
Matthias:
Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Da müsste ich mich wirklich auch genauer informieren. Ich kann nur dazu sagen, diesen komplette Wortlaut, der während der ganzen Bush-Regierung von der amerikanischen Administrative ausgegeben wurde - "Achse des Bösen", "Allianz der Willigen" - dieses Martialische, den finde ich menschenverachtend. Das ist etwas, was ich jetzt wohltuend mit Barack Obama verschwunden sehe. Da herrscht jetzt auch ein völlig anderer Tonfall. Das heißt nicht, dass nicht auch die aktuelle amerikanische Regierung in Zwängen drin ist, auf bestimmte Sachen militärisch reagieren zu müssen, oder glauben, reagieren zu müssen. Aber der komplette Tonfall ist ein anderer geworden und der komplette Dialog zwischen Ost und West, zwischen dem Nahen Osten und Amerika, zwischen unterschiedlichen Religionen scheint sich mit Barack Obama deutlich zu verbessern und das ist etwas, was ich persönlich der Bush-Regierung ankreide, dass sie einfach einen Wortlaut in die Politik gebracht haben, den ich persönlich als menschenverachtend empfinde.
Pia:
Wie sehr befasst ihr euch mit Politik und wichtig ist euch das?
Matthias:
Ich befasse mich viel mit Politik, einfach auch, weil es mich interessiert. Und Sachen, die Einen interessieren, fließen dann automatisch auch in Texte ein. Ob das nun wichtig ist, solche Texte in unseren Songs unterzubringen, mögen bitte Andere beurteilen. Unser Sänger Klaus Dirks singt über Sachen, die uns als Band beschäftigen und es gibt bei uns eine Einigkeit darüber, dass wir textlich keine Klischees bedienen wollen. Wir wollen nicht über "Metal Is Forever" singen, über "Bang Your Head" oder Drachen und Schwerter, Dämonen und Elfen, sondern wir sind eine Band, die sich in ihren Texten mit den Themen beschäftigt, mit denen wir uns auch privat beschäftigen.
Pia:
Zu eurem Song 'Astral Hand', der auch die erste Single-Auskopplung ist, habt ihr auch einen Videoclip aufgenommen. Wo wurde der gedreht?
Matthias:
Der wurde bei einem Konzert in Norddeutschland aufgenommen. Wir wollten einfach einen Clip machen, der ein bisschen live und "Behind The Scenes" ist. Wir haben einfach bei einem Konzert ein Kamerateam hinzu gerufen und haben es filmen und schneiden lassen. Das war eigentlich kein Big Deal, das war eigentlich nur ein Konzert, Kamerateam dazu, filmen lassen. Dann haben wir den Song an dem Abend zweimal gespielt, so dass beim zweiten Mal das Kamerateam auch mit auf die Bühne konnte und das Publikum filmen konnte. Dann wurde das geschnitten und fertig war's. War eigentlich kein großer Aufwand und hat trotzdem viel Spaß gemacht.
Pia:
Die Idee ging also von euch aus?
Matthias:
Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen angeberisch, aber so meine ich das gar nicht: 99 Prozent der Sachen, die bei MOB RULES gemacht werden, gehen auf unsere eigenen Ideen zurück. Es ist ganz, ganz, ganz selten, dass jemand von außen irgendwas ranträgt, sondern meist sind wir selbst die Initiatoren und auch diejenigen, die das dann in die Wege leiten.
Pia:
Du hast schon 'The Oswald File' angesprochen. Warum habt ihr euch dafür entschieden, einen achtzehn Minuten langen Song in der Mitte des Albums zu platzieren?
Matthias:
Diese Frage hat uns Monate beschäftigt. Es war schon alleine so, dass uns der Song monatelang beschäftigt hat, weil wir nicht wussten, ob wir das, was wir vorhatten, auch umgesetzt bekommen. Als der Song dann fertig war und wir uns im Klaren waren: "Ja, es wird funktionieren. Wir können diesen Song auch in dieser Länge bringen", gab es eine ganz lange Überlegungsphase, wie wir ihn platzieren sollen. Da gab es im Prinzip drei Möglichkeiten: Am Anfang, am Ende oder in der Mitte. Am Anfang wollten wir es nicht, weil wir auf keinen Fall die Leute mit einer langen Nummer "abschrecken" wollten, sondern wir wollten, dass sie erst mal in das Album reinkommen. Also erst einmal drei oder vier kurze bis mittellange Lieder, damit sich die Hörer in den Sound einfinden können. Am Ende wollten wir es nicht haben, weil wir auf keinen Fall wollten, dass die Leute das Gefühl haben, dass es zum Ende noch einmal so eine lange Nummer gibt und das Album eigentlich schon mehr oder weniger durch ist. Wir wollten einfach, dass dieser Song, der auch für uns etwas Besonderes darstellt, wirklich auch im Epizentrum steht, dass die Leute sich reingehört haben, dass sie dann, wenn sie Lust haben, einfach einen Achtzehn-Minuten-Track mal in einem durchhören können und dann am Ende noch mal zwei Nummern als Gegenpol bekommen. Ich empfinde ihn als perfekt positioniert.
Pia:
Was macht den Song für euch so besonders?
Matthias:
Einerseits, dass er achtzehn Minuten lang ist, das ist ein Haufen Arbeit gewesen. Wir wollten auf jeden Fall verhindern, dass man einen Achtzehn-Minuten-Song nur der achtzehn Minuten wegen macht, sondern er sollte eine lange Geschichte erzählen. Er sollte im Rahmen dessen, dass es trotzdem ein Rocksong ist, ein kleines Hörspiel in sich vereinen und er erzählt eine ausgesprochen spannende, politische Geschichte. Deshalb ist der Song ganz besonders für uns, auch deswegen, weil wir lange daran gearbeitet haben und bis zum Schluss nicht wussten, ob er so funktioniert, wie wir gehofft haben.
Pia:
In dem Lied geht es um das Kennedy-Attentat. Damit sprecht ihr wieder Amerika an. Warum geht es in euren Songs so häufig um amerikanische Geschichte?
Matthias:
Weil die amerikanische Geschichte großen Einfluss auf Europa hat und speziell auch auf Deutschland, angefangen mit dem Zweiten Weltkrieg: Als Deutschland geteilt wurde, gab es zwei unterschiedliche Richtungen. Die Russen haben Ostdeutschland im Prinzip Kriegsschulden bezahlen lassen und haben das Land leergeräumt. Amerika hat genau das Gegenteil gemacht - die haben Westdeutschland geholfen, wieder auf die Beine zu kommen, und haben mit dabei geholfen, das Land zu demokratisieren. Ich finde schon, dass es da einen ganz besonderen Bezug zwischen Deutschland und Amerika gibt. Abgesehen davon ist es DIE Weltmacht und das, was in Amerika passiert, hat Einflüsse auf alles. Und Kennedy war ja auch ein riesen Sympathieträger. Diese Berliner Rede, die man am Anfang hört, hat ja auch wirklich Geschichte geschrieben - nicht nur in Amerika, sondern auch in Deutschland.
Pia:
Glaubst du, dass es mit Obama jetzt wieder eine Phase geben wird, in der Deutschland und Amerika näher zusammenrücken?
Matthias:
Ja, das glaube ich. Ich glaube es deswegen, weil - wie ich vorhin schon einmal gesagt habe - der Tonfall der Bush-Regierung menschenunwürdig und verachtenswert war. Den Dialog, den Obama sucht, finde ich genau richtig. Es gibt überhaupt nur eine Chance für den Kulturen- und Religionenclash, der momentan in der Welt herrscht, wenn beide Seiten aufeinander zugehen, wenn es da ein Verständnis füreinander gibt, wenn Christen und Moslems und Menschen im Nahen Osten, in Amerika und in Europa Toleranz und Respekt voreinander haben und auch vor ihren unterschiedlichen Denkweisen und unterschiedlichen Mentalitäten. Diesen Dialog hat die Bush-Regierung abgebrochen und Obama greift ihn wieder auf und ich glaube, das ist der richtige Ansatz, denn wenn wir nicht andere Religionen akzeptieren, respektieren und verstehen und wenn andere Religionen unsere Art zu glauben, zu denken und zu leben nicht akzeptieren, respektieren und verstehen, dann wird es auf dieser Welt nie Frieden geben. Und Obama hat da für mich den richtigen Ansatz, wie übrigens damals Kennedy zum Teil auch.
Pia:
Kommen wir wieder zurück zur Musik. Wie steht der Song im Verhältnis zu 'Ethnolution I'?
Matthias:
Wir haben mit 'Ethnolution I' angefangen, politische Themen in unsere Musik einzubauen. Das war damals ein einmaliger Versuch, wir haben gedacht, damit belassen wir das. Allerdings kamen dann im Laufe der Jahre zwischen "Ethnolution A.D." und "Radical Peace" immer wieder Fragen an uns, warum es da nicht einen zweiten Teil zu gibt. Wir haben da gar nicht mit gerechnet. Wir haben gedacht, das wir das mit 'Ethnolution I' erledigt haben, aber es gibt ganz viele Fans, die uns geschrieben, gemailt und auf Konzerten darauf angesprochen haben und dass sie es toll fanden - thematisch und musikalisch - und sich wünschen würden, dass es da eine Fortsetzung gibt und dann haben wir gesagt: "Okay, dann machen wir das, obwohl wir es gar nicht geplant hatten."
Pia:
Werdet ihr den Song auch in voller Länge live spielen?
Matthias:
Das ist der Plan. Wobei wir im Moment noch so ein bisschen am Recherchieren sind, wie. Da gibt es unterschiedliche Ideen. Wir wollen ihn eigentlich sogar mit 'Ethnolution I' zusammen als Konzeptwerk spielen. Da gibt es ein paar Pläne für 2010, bei denen wir jetzt gerade am Recherchieren sind, was da realistisch ist. Da wird es einiges Spannendes geben.
Pia:
'Waiting For The Sun' - da habt ihr geschrieben, dass es ein Wackelkandidat war, der es letzten Endes durch den Gesang auf das Album geschafft hat. Was war daran so ausschlaggebend?
Matthias:
Es gibt immer zu jedem Album Songs, die wir, wenn wir sie im Proberaum fertig geschrieben hatten, bevor wir sie aufgenommen haben, in 1A- und 1B-Kategorien einordnen. Und bei 1A ist immer klar: Die Songs sind so stark, die werden unabhängig davon, wie die Produktion ausfällt, auf das Album kommen. Und bei den 1B-Songs sagen wir: "Könnte was werden, aber es könnte auch sein, dass er nicht stark genug für das Album ist. Lasst uns mal abwarten, wenn er aufgenommen ist, wie er dann klingt." Und 'Waiting For The Sun' war genau ein solcher Song. Er war fertig im Proberaum, wir hatten das Gefühl, er kann auf das Album, muss aber nicht. Dann haben wir ihn aufgenommen, haben ein paar Sachen Arrangement-technisch noch geändert, wir haben bei den Gesängen, den Chören etwas ausprobiert, was am Ende besser funktioniert hat, als wir gedacht haben. Als er fertig war, war er so gut, dass wir gesagt haben: "Ja, in der Form kann er auf das Album." Aber das war zu Produktionsbeginn nicht sicher.
Pia:
Was macht ihr mit den anderen 1B-Songs?
Matthias:
Einer zum Beispiel war als Bonustrack auf der Single, das war 'Man On The Run', der war von einem der vorherigen Alben übrig geblieben. Für Bonustracks, für vielleicht irgendwann mal veröffentlichen, vielleicht auch gar nicht. Es gibt ein, zwei Songs, die wir aufgenommen haben, die wir bei jedem Album, bei jeder Single unter dem Gesichtspunkt "Bonustrack" noch einmal wieder rauskramen und anhören und wenn wir das Gefühl haben, dass wir ihn als Bonustrack freigeben können, dann kommt der einfach noch mal raus und freut dann unsere beinharten Fans, die alles hören wollen. Wenn wir das Gefühl haben, er ist doch nicht so, wie wir uns präsentiert haben wollen, dann bleibt er in der Schublade.
Pia:
'The Glance Of Fame' habt ihr diagnostiziert, dass er in Richtung Prog Metal geht. Seht ihr dort auch einen Teil eurer Wurzeln?
Matthias:
Ehrlich gesagt entwickelt sich das ein bisschen dahin. Wir sind vor zehn Jahren mit der ersten Scheibe in einem Bereich gestartet, der von Prog Metal eigentlich ziemlich unberührt war. Das war mehr traditioneller, gradliniger Power Metal. Aber es hat sich so ein bisschen dahin entwickelt, einerseits durch die Umbesetzung, andererseits auch durch Scheiben, die in den vergangenen zehn Jahren rausgekommen sind, die uns alle begeistert haben. Sowas läuft immer unbewusst ab, das nimmt man sich gar nicht vor. Man fängt einfach an, zu komponieren und greift Ideen auf, die man irgendwo anders gehört hat oder freundet sich mit Akkordfolgen oder Rhythmen oder Passagen an, die so ein bisschen progressiver sind, weil man das selbst momentan toll findet. Das ist vor zehn Jahren nicht geplant gewesen und ist auch jetzt nicht geplant, das ist eine natürliche Evolution unseres Sounds, die damit zu tun hat, dass sich unsere Geschmäcker geändert haben und das sich auch die Besetzung geändert hat. Gerade mit unserem neuen Solo-Gitarristen Sven Lüdke, der ja zur "Ethnolution A.D." kam und ein riesiger Prog-Metal-Fan ist, hat sich da noch einmal einiges geändert. Und das merkt man der Scheibe einfach an. Die Band hat sich sukzessive geändert und damit hat sich auch der Sound einfach weiterentwickelt, ohne dass wir da den roten Faden verloren haben.
Pia:
Welche Bands waren es, die euch so begeistert haben?
Matthias:
Ich kann da nur für mich sprechen. Ich bin nach wie vor ein großer QUEENSRYCHE-Fan, ich fand, dass 'Octavarium' von DREAM THEATER eine tolle Scheibe war, aber ich fand zum Beispiel auch, dass die letzten beiden OPETH-Scheiben total toll waren, die habe ich richtig geliebt. Und ich weiß auch, dass so manche Harmoniefolge, so mancher Sound, so manche Passage auf dem neuen Album gerade von diesen Bands beeinflusst ist.
Pia:
Kennst du SONATA ARCTICA? Bei denen war es ähnlich, dass sie erst Power Metal gemacht haben und jetzt in die progressivere Richtung gehen.
Matthias:
Das ist etwas, das sich bei Bands gar nicht bewusst abspielt. Du wirst das von anderen Sachen kennen, von gutem Essen oder von Weinen oder von Filmen: Man wird älter, man ändert seinen Geschmack, man hört neue Sachen, man ist interessiert und es geschieht mit einem etwas, das man gar nicht in Worte fassen kann und was man sich auch gar nicht bewusst vornehmen kann. Es passiert einfach. Und so ist es mit einer Band auch. Wenn ich mir heute unser erstes Album und das neue anhöre und vergleiche, muss ich sagen, dass sich einiges geändert hat. Sowas läuft unterbewusst ab und nicht am Reißbrett. Das entwickelt sich, wie sich Menschen entwickeln.
Pia:
Welches ist dein Lieblingssong vom aktuellen Album?
Matthias:
'Astral Hands' ist auf jeden Fall einer meiner Lieblingssongs. Er enthält diese alten MOB RULES-Elemente, ist sehr melodisch, sehr gradlinig, verbunden mit einem progressiven Ansatz. Das finde ich sehr gelungen. Was ich auch richtig gut finde, ist 'Children Of The Flames', wo ich die Verbindung aus diesem wirklich schwierigen Text und der damit verbundenen derben, kantigen und auch so ein bisschen doomigen Musik sehr gut gelungen finde. Und natürlich bin ich auch stolz auf 'The Oswald File'.
Pia:
Plant ihr noch eine Überraschung zum fünfzehnjährigen Jubiläum?
Matthias:
Nicht mehr zum Jubiläum, das ist abgearbeitet. Aber wie gesagt: Es gibt diesen Kennedy-Song, bei dem wir glauben, dass er das Zeug hat, sich auch noch mal in einem anderen Gewand zu zeigen und auch komplett zusammen mit 'Ethnolution I' auf die Bühne gebracht zu werden. Da wird es 2010 etwas Besonderes geben. Wie es konkret aussieht, wissen wir noch gar nicht. Das ist auch abhängig von ganz vielen Faktoren, unter anderem auch von der Verfügbarkeit anderer Medien und von finanziellen Geschichten. Aber da wird es was ganz Besonderes geben und das sind dann sozusagen die Nachwehen des Jubiläums und auch des neuen Albums. Ich tippe mal, dass wir im Herbst 2010 noch einmal etwas Spektakuläres auf die Bühne stellen.
- Redakteur:
- Pia-Kim Schaper