MÖTLEY CRÜE: Wir blicken auf "Dr. Feelgood (35th Anniversary)"

19.11.2024 | 11:47

Nachdem uns der "The Dirt"-Streifen die 1980er Diskografie MÖTLEY CRÜEs wieder ins Gedächtnis brachte und ich im vergangenen Jahr die Glam-Helden in Mönchengladbach auch zum ersten Mal live sehen konnte, war die Flamme wieder am Brennen. Und sind wir einmal ehrlich: Mars, Sixx, Lee und Neil haben schon geile Alben herausgebracht. Und in der Blüte ihres Edelmetallrauschs schlug Album Nummer fünf ein wie eine Bombe. Kaum zu glauben, dass das Teil schon 35 Jahre auf dem Buckel hat. Zum Geburtstag gibt es daher einen speziellen, opulenten Output dieser Scheibe, die wie keine zweite den Spirit des Sunset Strip atmet. Wir blicken gemeinsam auf "Dr. Feelgood (35th Anniversary)".

Lasst uns zunächst das erste Jahr nach meiner Geburt Revue passieren. Denn während ich fröhlich in die Windeln schiss, waren vier Krawallmacher aus L.A. auf dem Zenit ihres Schaffens. "Girls, Girls, Girls" kratzte zwei Jahre zuvor an der Pole-Position, Drogen wurden konsumiert wie M&Ms, die Cocktails flossen in rauen Mengen, Frauen standen reihenweise Schlange für die Jungs. Und während diese – sagen wir mal – ihre Zeit durchaus genossen, dabei aber auch mehr als gefährlich und waghalsig lebten, haben sie es im Vollrausch dann doch irgendwie geschafft, sich in die Little Mountain Sound Studios von Vancouver zu schleifen, um dort ihr fünftes Album aufzunehmen. Diesmal war nicht Tom Werman mit von der Partie, sondern wurde von Bob Rock ersetzt, der sich wenig später mit den Arbeiten an einem gewissen "Black Album" ein Denkmal schuf. Doch auch "Dr. Feelgood" zeigte schon sehr gut, weshalb der gute Bob zu den angesehensten, besten Produzenten seiner Zeit zählte. Ich möchte auch weniger auf die Eskapaden mit Slash oder die Trinkgelage mit AEROSMITH eingehen, sondern die Musik auf "Dr. Feelgood" in den Fokus rücken. Und die wird dem Edelmetall, das es im Nachgang ergattern konnte, definitiv gerecht: Insgesamt 3x Gold und 10x Platin für 6,5 Mio verkaufte Exemplare sprechen hierbei eine doch recht eindeutige Sprache, nicht wahr?

Ich habe lang genug gequatscht, öffnen wir endlich die Box in schöner und robuster Vinyl-Optik. Als großer Freund von Gimmicks bin ich sehr fasziniert vom Geburtstagskuchen, den uns MÖTLEY CRÜE serviert, kommen doch hier Replika zum Einsatz, die doch eher selten gewählt werden. Neben einer sehr schönen Kopie des 16-seitigen-Tourplans von "Dr. Feelgood", einem passenden Poster sowie Aufnäher für die nächste Kutte lächelt uns eine Pressemappe an, in die wir einen Blick riskieren. Uns fällt ein sehr schönes Gitarrenplektrum mit entsprechendem Albummotiv genauso in die Hände wie ein cooler Backstage-Pass, ein Live-Show-Handzettel mit "Come Play With Dr. Feelgood"-Ansage und ein originales Pressefoto mit unseren Protagonisten aus Los Angeles. Doch damit nicht genug, denn neben einem medizinischen Umschlag – wenn man die Hintergrundgeschichten rund ums Album kennt, ist es nicht verwunderlich – ist es vor allem das üppige, 24-seitige Tourbuch mit bisher nie zuvor gesehenen und veröffentlichten Live- und Backstage-Fotos, das der Nostalgie und Authentizität den letzten Schliff verleiht. All diese Schmuckstücke, diese sehr geschmackvollen Gimmicks gepaart mit einem geschmackvoll illustrierten Buch lassen MÖTLEY CRÜE-Herzen höherschlagen und werten das Anniversary-Paket enorm auf.

Kommen wir zur Mucke und die ist selbstverständlich in Form des eigentlichen Albums als remasterte Version vertreten. Und hier schauen wir einmal kurz auf die Songs und können retrospektiv so gut verstehen, weshalb sich die Platte verkaufte wie warme Semmel: Titeltrack sowie 'Kickstart My Heart' braucht man nicht erwähnen, sondern gehören zum 1x1 der rockigen 80er, doch auch 'Same Ol' Situation (S.O.S.)' und 'Rattlesnake Shake' sind so dermaßen gute, mitreißende Ohrwürmer, während die dahinschmachtenden 'Time For Change' und 'Without You' den gefühlvollen Balladenpart auf "Dr. Feelgood" übernehmen. Ein bisschen Funk mit 'Slice Of Your Pie', ein so dermaßen druckvoller Klang und Mars' ganz eigener Gitarrenstil sind weitere Eckpfeiler dieses durch und durch fabelhaften Albums, das runtergeht wie Öl – oder eben Schnaps. Und wenn man SKID ROW oder auch BRYAN ADAMS und STEVEN TYLER für das Album gewinnen konnte, dann ist man vom Ritterschlag ohnehin nicht mehr weit entfernt. Folgerichtig also, dass das Scheibchen dem "Girls, Girls, Girls"-Vorgänger locker Paroli bieten und dieses sogar in sämtlichen Belangen übertreffen konnte.
Doch damit nicht genug, liegen der Geburtstagsüberraschung doch noch zwei zusätzliche Rundlinge bei, die vor allem bei CRÜE-Fanatikern für Funkeln in den Augen sorgen werden: So gibt es auf dem einen ziemlich rare, roughe Demo-Versionen von 'Dr. Feelgood', dem unveröffentlichten 'Get It For Free' sowie dem Dreierpack 'Kickstart My Heart', 'Time For Change' und 'Without You'. Eine ziemlich coole und für die etwas härtere Fraktion prädestinierte Idee! Weitere fünf Nummern, diesmal als druckvolle und dynamische Live-Versionen, sind auf der dritten CD vertreten. Vor allem 'Same Ol' Situation' geht ab wie Schmidts Katze.

Dann ist das rege Treiben bei der Anniversary-Party auch schon vorbei, doch gibt es auch im zweiten oder dritten Ansturm noch so viel Freude an diesem Package, das Herzen höherschlagen lässt. Denn nicht nur die Gimmicks, sondern vor allem die Demo- und Live-Versionen sind sehr gelungen und verleihen der robusten Box das gewisse Extra.

Leider war "Dr. Feelgood" der letzte große, zumindest musikalische Erfolg unserer L.A.-Helden, wollte nach Veröffentlichung und Tour der gute Vince doch eher seine Solokarriere ankurbeln, was ähnlich in die Hose ging wie die Sache mit John Corabi, der als dessen Ersatz geholt wurde, wodurch fünf Jahre später "Mötley Crüe" ziemlich gegen die Wand krachte. Auch wenn Neil danach wieder zurückkam und der Nachfolger "Generation Swine" zumindest die Fans versöhnen konnte, hatte es MÖTLEY CRÜE sehr schwer, an den Erfolg der 1980er Jahre anzuknüpfen. Doch – und hierzu zähle ich mich wie eingangs erwähnt auch – verhalf die "The Dirt"-Verfilmung den Jungs wieder zur Popularität. Alles weitere ist neuere Geschichte und das verschreibungspflichtige XXL-Medikament von "Dr. Feelgood" zum 35. Geburtstag ist ein hell leuchtender, mehr als gelungener Teil hiervon.

 

Redakteur:
Marcel Rapp

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