NASTRANDIR: Ragnar beleuchtet Lübecker Viking Metal

08.08.2009 | 14:24

Nach ihrem ersten Longplayer "Zwischen Horizonten", der in voller Breite noch nicht überzeugen konnte, haben NASTRANDIR das durchgemacht, was man einen Reifeprozess nennen kann. Das soeben erschienene Folgealbum "Prayer To Earth" ist Anlass, mit Drummer und Texter Ragnar, der sich als humorvoller, aber auch nachdenklicher Kopf erweist, über die aktuelle Entwicklung, den Wechsel zu englischsprachigen Texten und die Verbindung der Lübecker Band zum naturverbundenen Viking Metal zu reflektieren.

Erika:

Mit "Prayer To Earth" erscheint eure zweite CD. Die erste, noch mit dem deutschen Titel "Zwischen Horizonten", hatte nicht durchgängig positive Kritiken. Zumindest meine Kollegin von POWERMETAL.de war seinerzeit von eurem ersten offiziellen Album nur wenig begeistert. Haben euch derartige Kritiken bei der Fortsetzung eurer Arbeit beeinflusst? Wenn ja, inwiefern?

Ragnar:
Ehrlich gesagt: nein. Dass wir uns stetig weiterentwickeln wollen und müssen, war ohnehin klar. Daran ist aber der Anspruch an uns selbst schuld und nicht unbedingt irgendein Review. Wir machen die Musik ja schließlich aus anderen Gründen, als möglichst viele Punkte, die ohnehin selten etwas Wirkliches außer die subjektive Meinung des Schreibers aussagen, anzuhäufen. Nichtsdestotrotz würden wir "Zwischen Horizonten" natürlich heute nicht mehr so aufnehmen. Haben wir ja auch nicht, wie dein Review bestätigt.

Erika:
Das 2007er Album war noch komplett in deutscher Sprache gehalten. Nun seid ihr mit "Prayer To Earth" weitgehend auf englische Lyrics umgestiegen. Warum? Und warum dann doch nicht ganz?

Ragnar:
Der Hauptgrund ist wirklich das andere Sprachgefühl beziehungsweise die andere Sprachmelodie. Es ist wirklich schwer zu beschreiben, aber bei manchen Riffs wussten wir einfach: Das wird ein englischer Song. Trotzdem war es mir wichtig, weiterhin auch die deutsche Sprache auf dem Album zu haben. Sie ist kantiger und direkter. Kurzum: Wir haben Songs gesucht, zu denen wir die Sprachen passend fanden. Wie da genau unsere Kriterien aussahen, kann ich nicht beschreiben. Einige Leute haben sich schon darüber beschwert, dass jetzt auch englische Texte dabei sind. Aber so ist das Leben, Dinge verändern sich.

Erika:
Ich begrüße den Wechsel zu englischen Texten. Die beiden verbliebenen deutschsprachigen Songs auf dem neuen Album sind für mich zwar mit Begriffen aus den typischen Wortfeldern des Viking Metals versehen, wirken aber insgesamt unzugänglich und letztlich ohne große Aussagekraft. Ragnar, vielleicht kannst du sagen, was dich da bewegt? Was ist dir wichtig? Möchtest du eine bestimmte Botschaft vermitteln?

Ragnar:
Ich bin eigentlich kein großer Freund davon, Texte zu erklären. Der Hörer soll sich lieber selbst seine Gedanken machen und dann unter Umständen einen ganz anderen Weg beschreiten als den, den ich eigentlich mal intendiert habe. Trotzdem ein paar erklärende Worte, da du anscheinend noch keinen Zugang gefunden hast. Deine Kollegen haben meine Ideen teilweise schon ganz gut wiedergegeben. Es geht nicht darum, Viking-Metal-typische Begriffe zu verwenden. Eigentlich ganz im Gegenteil. Die Texte reflektieren unsere Umwelt, das, was dort draußen geschieht und wie es sich auswirkt, aus einer heidnisch, naturverbundenen Perspektive. Ich hatte kein Interesse daran, erneut etwas über den Überfall auf Lindisfarne oder die Herkunft des Skaldenmets zu erzählen. Vielmehr erschien mir die Naturverbundenheit als der zentrale Schlüsselpunkt, der nordische Mythologie für uns heute noch bedeutsam macht. Denn die große Uhr ist fünf NACH zwölf, und die Natur beginnt den Menschen abzustrafen. Da ich aber in erster Linie Musiker und kein Weltverbesserer bin, reflektiere ich darüber, ohne den Zeigefinger zu erheben. Es passiert, was passiert: Wenn sich die Menschheit für einen kollektiven Selbstmord entscheidet, wird das neue NASTRANDIR-Album sie kaum daran hindern können.

Erika:
Ganz allgemein interessiert mich, wie ihr euren Weg zum Viking Metal gefunden habt. Nach wie vor ist dieses Genre ja immer noch eher im skandinavischen Raum verortet. Ihr selbst stammt aus Lübeck, immerhin Norddeutschland. Gibt es da einen persönlichen Ortsbezug?

Ragnar:
Im Prinzip kann ich da natürlich nicht für jedes Bandmitglied sprechen. Trotzdem ist es so, dass in der Band eine Faszination für die Thematik vorherrscht, was wohl auch niemanden groß verwundert. Wir sind allesamt sehr gern am Meer, und wenn es etwas zu feiern gibt, dann am liebsten dort. Insofern würde ich schon sagen, dass unsere Herkunft uns in diesem Punkt beeinflusst. Es ist einfach ein ganz bestimmtes Gefühl, welches entsteht, wenn du die Sonne im Meer versinken siehst. Ein Gefühl, dass sicher auch irgendwo in unserer Musik steckt. Die Wikinger haben sich übrigens tatsächlich hier in der Gegend rumgetrieben und nicht nur in Skandinavien. Von daher sind wir abgesichert, haha.

Erika:
Twilight kündigt eure Musik als 'Earthbound' Viking Metal an. Was versteht ihr darunter?

Ragnar:
In erster Linie haben wir nach einem Begriff gesucht, der deutlich macht, dass unsere Interpretation von Viking Metal nicht unbedingt mit der anderer Bands identisch ist. Wir haben uns für "Earthbound" entschieden, weil die Naturverbundenheit zum Ausdruck kommt, die als "Konzeptgeist" über dem Album schwebt. Wir verstehen darunter, alte Weisheiten, die der Viking Metal vermittelt, im Hier und Jetzt anzuwenden. Ich persönlich denke, dass wir aus der Vergangenheit lernen sollten, um in der Zukunft zu bestehen. Die Weltflucht in eine stark romantisierte Zeit führt zu wenig.

Erika:
Bei der Gestaltung des Cover-Artworks verzichtet ihr erfreulicherweise auf posige Darstellungen behelmter Wikinger in Kampfhaltung, sondern wählt schlichte Naturdarstellung bzw. zeigt euch selbst im Stile der Gegenwart. Gefällt mir sehr gut! Welche Überlegungen haben euch zu dieser Art der Selbstdarstellung bewogen?

Ragnar:

Vielen Dank! Auch das war ein logischer Schritt im Zuge des angerissenen Konzepts. Wir laufen nun mal nicht mit Kettenhemden umher, nicht im Alltag und auch nicht während der Probe. Warum sollten wir also für die Promofotos eines anziehen? Uns erschien es passend, die Fotos am Meer zu schießen, da es, wie gesagt, eine große Inspirationsquelle für uns darstellt. Das Covermotiv stammt von demselben Strand. Wir haben es ausgewählt, weil es so wunderbar viele Interpretationsmöglichkeiten zulässt. Ein entwurzelter, vereister Baum am Meer. Ich denke, dazu kann sich jeder sehr schöne Gedanken machen.

Erika:
Welche Erwartungen verbindet ihr mit dem Erscheinen eurer neuen Scheibe? Habt ihr euch spezielle Ziele hinsichtlich Konzerten oder einer Tour gesetzt, die ihr im Zusammenhang mit dieser Veröffentlichung erreichen wollt?

Ragnar:
Das schönste Gefühl ist es eigentlich schon, sein eigenes Album gepresst in der Hand zu halten. Das ist so eine Art Abschluss von unzähligen Stunden im Proberaum und Studio. Man stellt sich die Scheibe ins Regal, und das war's dann eigentlich. Trotzdem ist es natürlich ein netter Nebeneffekt, wenn die Scheibe gut ankommt und man so die Möglichkeit erhält, viele Konzerte zu spielen, denn die machen einfach wahnsinnig viel Spaß. Rock 'n' Roll muss auch mal sein! Zu einer Tour wird es frühestens 2010 kommen. Für 2009 sind einige Einzelkonzerte geplant, zum Beispiel auf dem Rock for Roots Festival. Wir hoffen, da noch einiges bestätigen zu können.

Erika:
Welches Feedback hattet ihr in den vergangenen zwei Jahren von Seiten eurer Fans? Erwartet ihr, mit "Prayer To Earth" neue Hörerkreise zu erreichen? Inwieweit wird sich eure Arbeit als Band mit einer zweiten CD auf dem Markt verändern?

Ragnar:
Das Feedback war wirklich großartig. An dieser Stelle ein riesengroßes Dankeschön an unsere Unterstützer! Es ist immer wieder überwältigend, ins Auto zu steigen, stundenlang zu fahren und schließlich ein Konzert zu spielen, bei dem die Leute sogar die Texte mitsingen können. Mit "Prayer To Earth" werden sicherlich auch Hörer etwas anfangen, die bei "Zwischen Horizonten" noch zur Kotztüte greifen mussten. Mal sehen, ob sie uns die Chance geben und sich auf das Album einlassen. Ich bin sehr gespannt auf die Konzerte nach dem Release!

Als Band sind wir mit und an "Prayer To Earth" gewachsen. Wir haben mittlerweile eine weitaus professionellere Einstellung zu dem Ganzen als noch vor drei Jahren. Aber der Zug hält ja nie an. Wir haben bereits mit dem Songwriting zu Nummer drei begonnen.

Erika:
Ihr habt euer Album mit einem Coversong von BATHORY gekrönt. Wie kam es zu dieser Wahl? Ist BATHORY eine Art musikalisches Vorbild? Wie bewertet ihr in diesem Zusammenhang den Einfluss dieser Band auf die sich entwickelnde Pagan-Metal-Szene?

Ragnar:
BATHORY ist für einige von uns ein ganz essentieller Einfluss. Für mich gehört BATHORY zu der atmosphärischsten Musik überhaupt, und da es uns in unseren Songs genau darum geht, Atmosphäre zu erzeugen, sehe ich schon Verbindungen. Quorthon hat ohne Frage sowohl die Black-Metal-Szene als auch die Pagan/Viking-Szene immens geprägt. Wir verdanken ihm vieles. Und auch wenn bereits viele andere Bands an den Meister erinnert haben, wir wollten ihm auch noch einmal persönlich Danke sagen. 'Gods Of Thunder Of Winds And Of Rain' ist purer, essentieller Viking Metal!

Erika:
Zum Schluss noch eine Frage nach euren eigenen musikalischen Wurzeln jenseits des Metals? Was hat euch da beeinflusst?

Ragnar:
Auch da ist natürlich wieder schwer für die ganze Band zu antworten. Ich für meinen Teil habe meine Wurzeln in der klassischen Musik und spiele seit dem sechsten Lebensjahr Geige. Das hat meine Sicht auf Metal natürlich ganz entschieden geprägt. Mir ist die Ehrlichkeit beider Musikarten ans Herz gewachsen. Leider beginnt genau das seit einigen Jahren im Metal zu verschwinden. Plastik-Trigger-Produktionen, wohin das Ohr hört. Die neuen Metalcore-Kids wissen leider oft gar nicht mehr, wie ein echtes Schlagzeug klingt. Es war uns daher wichtig, bei NASTRANDIR alles ECHT einzuspielen und aufzunehmen. Wenn du "Prayer To Earth" hörst, dann hörst du uns. Glücklicherweise teilt das Rosenquarz-Tonstudio diese Auffassung. Aber zurück zu den Einflüssen: Auch andere NASTRANDIR-Mitglieder kommen ursprünglich aus anderen Musikstilen. Gerade bei unserem Gitarristen, der sich sehr im Stoner und Doom-Rock zu Hause fühlt, sind wir dafür sehr dankbar, da er frisches Blut in unseren Viking Metal pumpt. NASTRANDIR-Musiker halten nichts von Scheuklappen. Solange mich die Musik ehrlich berührt, werde ich sie mir mit Vergnügen anhören, selbst wenn das HipHop aus Berlin ist. Ob das dann meine eigene Musik beeinflusst, sei mal dahingestellt.

Erika:
Gibt es noch etwas, das ihr gerne loswerden wollt? Hier ist Platz dafür.

Ragnar:
Vielen Dank, dass ihr euch dieses Interview durchgelesen habt! Wir hoffen, euch zahlreich auf unseren Konzerten zu treffen und danken für die Unterstützung! Hört mal in "Prayer To Earth" rein!

Erika:
Danke für eure Zeit zur Beantwortung dieser Fragen und vor allem viel Erfolg mit dem Album!

Ragnar:
Wir haben zu danken! Beste Grüße aus Lübeck!

Redakteur:
Erika Becker

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