NEVERMORE: Interview mit Jeff Loomis
29.03.2011 | 13:23In München hatte man in Sachen NEVERMORE mehr Glück als in Stuttgart, wo die Amis aufgrund eines verspäteten Fluges durch Abwesenheit glänzten. Vor dem Gig in Backstage haben wir Saitenhexer Jeff Loomis für ein Interview verhaftet, einen Plausch über Gitarren, Gefühle und das Rockstar-Leben.
Die 'Power Of Metal'-Tour läuft - obligatorischer Kalauer - auf Hochtouren. "Wir sind mehr als zur Hälfte durch, es kommen noch etwa zehn Shows." Den Ausfall in Stuttgart kommentiert Jeff: "Warrel hat den Flug verpasst und es nicht rechtzeitig geschafft. Es war für uns sehr schade, nicht auftreten zu können, aber was soll man machen?" Weshalb die Band nicht gemeinsam mit Warrel geflogen sei, kann er sich auch nicht erklären. "Die Tickets wurden so gebucht. Ziemlich peinlich. Aber ich zumindest war da!" (lacht)
Von den Tourpartnern zeigt sich Jeff begeistert. "Mit MERCENARY haben wir schon vor einigen Jahren getourt, sehr coole Band, tolle Leute. Ich liebe die Musik von SYMPHONY X, vor allem ihre Gitarrenarbeit. Michael Romeo ist toll und es freut mich, mich mit ihm hinsetzen und ein wenig Gitarre spielen zu können. Ich denke, alles in allem ergeben wir eine gute, sehr vielfältige Mischung aus verschiedenen Arten von Musik. PSYCHOTIC WALTZ sind auf ihrer Reunion-Tour auch dabei, ich bin ein riesengroßer Fan seit der ersten Stunde, "A Social Grace" war ein großartiges Album. Es ist eine Ehre, mit ihnen auf Tour zu gehen."
Ob er unter all den unzähligen Touren und Festivals einen persönlichen Favoriten hat? "Ich mochte das Metalcamp-Festival in Slowenien sehr. Ich denke, das coolste Festival aller Zeiten war für mich mein allererstes, das gute alte Dynamo 1995, auf dem auch GRIP INC und MACHINE HEAD spielten, vor 80.000 Zuschauern. Man nannte uns die Frühstücksband, weil wir um 11.30 morgens spielten. In die Menge zu blicken war wie auf einen Ozean zu schauen, weil so viele Leute da waren. Es war auf jeden Fall ein denkwürdiges Erlebnis.“
Seit jeher waren NEVERMORE berüchtigt für ihre Partywut - bewahrheitet sich der Ruf auch auf dieser Tour? "Es passieren immer merkwürdige Sachen. Aber wir versuchen, verantwortungsvoller zu sein. Früher waren wir viel verrückter drauf, tranken auch wesentlich mehr. Seitdem sind wir reifer geworden - erwachsener, könnte man fast sagen. Schaut, ich sitze hier und trinke eine Fanta! Ich werde alt!" (lacht) "Beruflich mache ich das (Musik natürlich, nicht Fanta trinken - Anm. d. V.) seit 1995, also seit 16 Jahren, eine wirklich lange Zeit. Aber es macht mir Spaß, ansonsten würde ich es nicht machen."
Findet sich bei all den Tour-Turbulenzen noch Zeit, Ideen fürs neue Material zu sammeln? "Ein wenig. Unterwegs ist es für mich wirklich schwer, mich zu konzentrierern. Es ist eine gewöhnungsbedürftige Umgebung, und man hat nicht die Zeit für sich, die man daheim hat. Wenn ständig die Tür aufgeht und Leute reinplatzen ist es schwer, sich zu konzentrieren. Aber ich versuche so gut es geht, ab und zu ein paar Riffs oder Akkorde aufzuschreiben, wenn mir gute einfallen. Ich finde es aber besser für mich, daheim in meinem Studio zu komponieren."
Nachdem die jüngste Scheibe "The Obsidian Conspiracy" die Hörerschaft gespalten hat, ist einige Zeit vergangen. NEVERMOREs Einstellung zum eigenen Werk hat sich aber durch das zwiespältige Feedback nicht grundlegend verändert. "Ich denke, viele Leute haben von uns eine Art zweiten Teil von "This Godless Endeavor" erwartet, ein weiteres schweres, maschinenartiges Album. Es ist aber immer dieses Streben nach etwas Neuem da, von Album zu Album anders zu klingen. Bei der neuen Scheibe lag unser Augenmerk darauf, die Songs strukturierter und simplerzu gestalten. Peter Wichers, unser Produzent, der auch Warrels Soloalbum produziert hat, half uns dabei, die Songs aufs Wesentliche herunterzubrechen. Darum geht es bei dem Album: Dinge zu vereinfachen, eingängiger zu machen."
Werden NEVERMORE in zukünftigen Werken weiterhin die Richtung von "The Obsidian Conspiracy" einschlagen? "Das ist schwer vorauszusagen. Musik spiegelt immer wieder, wie man zu einem bestimmten Zeitpunkt fühlt. Ich kann nicht voraussagen, wie ich mich in einigen Jahren fühlen werde. Ich weiß nicht, ob ich wütend sein werde, zornig oder überglücklich. Ich hoffe auf jeden Fall, die Musik wird neu und experimentell sein, einfach etwas Frisches. Das ist es, was wir immer versuchen - auf jedem Album anders zu klingen. Was noch kommen wird? Es bleibt ein Mysterium!"
Einen großen Einfluss auf den Saitenhexer selbst hatten die Gitarristen aus den 80ern. "Ich wuchs mit dem klassischen Zeug auf, Yngwie Malmsteen, Eddie Van Halen, all die, die in ihrer Spielweise besonders viel Emotion und Geschwindigkeit hatten, auch Aggression. Dann mag ich wiederum Gitarrenspieler wie Brian May von QUEEN oder Jeff Beck. Mein Vater hatte eine riesige Albumsammlung, so hörte ich viel Zeug wie FLEETWOOD MAC." Zum Gitarrenspielen motivierte ihn ein Paradoxon: "Meine Inspiration, selbst Gitarre zu spielen, war das Schlagzeug. Es war mein erstes Instrument, von dem ich allerdings schnell gelangweilt war - es war recht fad, die Lieder nur zu begleiten. Mein Vater hatte eine Gitarre zu Hause rumstehen, eines Tages nahm ich sie mir einfach und fing an zu spielen, einfache Akkorde zu lernen. Später lernte ich aus Büchern, nahm auch einige Stunden, aber ich war als Kind in gewisser Weise zurückhaltend. So verbrachte ich die meiste Zeit damit, Musik durch das Hören zu erlernen, sodass ich Songs auf der Gitarre nachspielen konnte. Kurz darauf spielte ich auch schon in Bands. Ich denke, das ist ein Fehler, den viele jungen Leute begehen - unter ihnen sind gute Gitarrenspieler, die aber den ganzen Tag in ihrem Zimmer sitzen. Wie weit können sie sich da entwickeln? Man muss möglichst früh anfangen, mit anderen Musik zu machen, zu komponieren." Bitte zu Hause nachmachen, liebe Kinder - Jeff Loomis gibt neuerdings Gitarrenunterricht! "Rock House, ein Label von der Ostküste, kam auf mich zu, und ich habe Ja gesagt. Ich führe Kostproben meiner Musik vor und meine Art, Gitarre zu spielen, das Ganze ist auf DVD erhältlich. Bei Rock House sind einige echte Rockstars dabei, wie Alex Skolnik von TESTAMENT. Eine tolle Sache, ich bin froh, da mitzumachen." Gibt Attila Voros nicht zufällig auch Gitarrenstunden? "Das weiß ich gar nicht - er sollte auf jeden Fall, denn er ist verdammt gut! Die Technik hat uns zusammengebracht, als wir übers Internet nach einem neuen Gitarrenspieler suchten. Er hat Videos von sich beim Spielen von Nevermore-Songs gemacht, die er an Chris Brodericks Freundin schicke, die sie dann online stellte. Ich sah mir diese Youtube-Videos an und war verblüfft von seinem Niveau. Er spielte all die kleinen Nuancen, die ich auch spielte, er hat also die Songs perfekt gelernt. Also luden wir ihn in die USA ein und gaben ihm den Job. Er ist ein phänomenaler Gitarrist, und so jung, erst 25!" Für Attila ist NEVERMORE die erste Erfahrung dieses Kalibers, denn: "Er spielte davor in einer PANTERA-Coverband in Budapest, ist ein riesiger Fan von der Band. Ansonsten hatte er nicht so viel Erfahrung, wie man denken könnte, aber er ist talentiert, sehr talentiert."
Über die Jahre sind NEVERMORE zu echten Rockstars aufgestiegen. Was aber macht das Rockstar-Leben aus? Was sollte man mitbringen, um die großen Touren und all den Trubel zu überstehen? "Es ist eine Kombination aus vielen verschiedenen Dingen. Gesundheit ist sehr wichtig, man sollte auf sich aufpassen - das versuchen wir, Spaß haben und gleichzeitig verantwortlich sein. So weit weg von zu Hause sein, oft einsam sein ohne etwas anderes zu tun als ein paar Songs zu schreiben ... um damit klarzukommen, muss man einfach das lieben, was man tut. Es geht also vor allem um die Liebe zu Heavy Metal, um aggressive Musik, und vor allem die Fans, für die man spielt ... Das Tolle an Musik ist, dass man seine eigenen Emotionen ausdrücken kann und im Gegenzug die Emotionen der Hörer mitbekommt. Ich nehme nichts davon als selbstverständlich, denn wie viele Leute haben schon die Chance, um die Welt zu reisen und ihre Kunst für andere zu machen? Ich denke, ich habe großes Glück."
Wie stellt sich ein Rockstar sein zukünftiges Leben vor? Ruhestand in einem Schloss oder auf Haiti? "All meine Interessen haben mit Musik zu tun. Ich fände es spannend, Sountracks für Filme zu schreiben oder klassisch zu komponieren. Ich weiß, dass ich nicht mein ganzes Leben auf Tour verbringen kann, meine Ohren werden auch nicht besser und all das. Was ich aber später mache, wird auf jeden Fall in Richtung Musik gehen. Es wäre auch schön, näher an Zuhause und nicht mehr ständig unterwegs zu sein. Für die Gegenwart habe ich aber noch einige Jahre mit Gigs vor mir, und die werde ich durchziehen." Sieht die nahe musikalische Zukunft womöglich ein Sequel zu "Zero Order Phase" vor? "Oh, tatsächlich arbeite ich gerade an einem weiteren Solo-Album. Es wird wieder aggressiver sein, gleichzeitig aber auch experimenteller, mit vielen Bassgitarren. Für den Release rechne ich mit dem Spätsommer oder Herbst dieses Jahres." Den Anstoß für die Solo-Arbeit gab einmal mehr Jeffs Liebe zur Musik: "Ich bin großer Fan der alten Shred-Alben aus den Achtzigern und wollte schon länger ein intrsumentales Album machen. Das erste hat 2008 viel positives Feedback bekommen, die Leute scheinen diese Art von Musik zu mögen, deswegen mache ich ein weiteres." Damit greift Jeff eine Kunstform auf, die mit den Achtzigern verschwunden zu sein scheint; die modernen Solo-Gitarrenalben kann man an einer Hand abzählen. "Vielleicht ist es in der Tat ein wenig zu spät für diese Art von Musik, aber wenn sie gut gemacht ist und die Leute sie mögen, warum nicht? Es gab eine Zeit, wo selbst Solos selten gespielt wurden. Vielleicht lag es daran, dass einige Musiker dafür einfach nicht in der Lage waren. Vielleicht liegt es auch an den Vorlieben des Hörers. Ich persönlich schätze ein Gitarrensolo in einem Lied." Ein gutes Gitarrensolo lässt sich mit einer Rede vergleichen, mit einem guten Einstieg und einem abgerundeten Schluss. Das sieht Jeff ähnlich. "Ja, exakt. Vor allem aber geht es um Emotionen, die man mit dem Stück ausdrücken will. Es gibt Songs, die brauchen nicht unbedingt ein Gitarrensolo, aber bei uns sind sie meistens da, eine Art Trademark von NEVERMORE, könnte man sagen. Wenn ich ein Gitarrensolo schreibe, habe ich dabei den Song an sich und seine Stimmung im Blick, ob es etwas Dunkles und Schweres oder etwas Schnelles werden soll. Manche machen Solos um der Solos willen, und das kann nicht Sinn der Sache sein. Man muss Gefühl darin haben, einen gewissen Vibe."
Das Interview führten Regina Löwenstein und Julian Rohrer.
- Redakteur:
- Regina Löwenstein