NEVERMORE: Interview mit Warrel Dane

01.01.1970 | 01:00

Es wurde auch wieder Zeit: Nach drei langen Jahren legen Seattle's Finest mit "Enemies Of Reality" endlich wieder ein neues Studiowerk vor. Meine Fragen zu dem recht vertrackt ausgefallenen neuen Opus beantwortete ein etwas zunächst etwas verpennt, später aber gewohnt sympathischer klingender Warrel, der sich in Dschörmenie deutlich wohl fühlte:

Rouven:
Heute ist der letzte Tag in den Century Media-Headquarters für euch. Ich gehe einfach mal davon aus, dass die bisherigen Interviewpartner eine Menge zum neuen Album zu sagen hatten - wie fiel denn die bisherige Kritik aus?

Warrel:
Also bisher waren die Leute durch die Bank weg sehr zufrieden und haben sich positiv über "Enemies Of Reality" geäußert...

Rouven:
Hat denn keiner gemeckert dass das Teil mit seiner knappen Dreiviertelstunde zu kurz ausgefallen ist?

Warrel:
(lacht) Doch, da kamen einige "Beschwerden", aber hey, es gibt schließlich kein Regelbuch, das besagt, dass NEVERMORE nur Alben abliefern dürfen, die mindestens eine Stunde Spielzeit zu bieten haben. Schau dir mal unser Debut an, das war auch nicht länger. Und ich finde die Plattenlänge genau richtig, wir haben hier neun Killer und kein einziges Stück, das nur Mittelmaß wäre. Wenn ich mir dann hingegen ältere Scheiben von uns anhöre, da sind schon einige Songs drauf, die mir im Nachhinein betrachtet nicht mehr sehr zusagen.

Rouven:
Welche denn zum Beispiel?

Warrel:
Naja, da möchte ich jetzt nicht näher drauf eingehen. Sonst wird mir da in Zukunft noch ein Strick daraus gedreht...

Rouven:
Wie kommt's eigentlich dass "Enemies..." wieder deutlich vertrackter ist und rein musikalisch gesehen deutlich in die "Politics..."-Ecke geht?

Warrel:
Hm, da müsstest du schon Jeff (Loomis, Gitarrist und Songschreiber - d. Verf.) persönlich fragen, ich habe in Sachen Songwriting ja nicht wirklich viel beigetragen. Aber ich bin mit dem Resultat sehr zufrieden, die Musik passt meiner Meinung nach wunderbar zu meinen Lyrics.

Rouven:
Kann man "Enemies Of Reality" als "politisches" Album ansehen? Oder sind die Texte eher im allgemeinen Sinne kritisch gehalten?

Warrel:
Die "Enemies..." haben absolut gar nichts mit Politik zu tun. Die Texte behandeln eher allgemeine, alltägliche Themen, mit denen ich mich kritisch auseinandersetze. Es ist noch nicht mal wirklich etwas persönliches in dem Sinne dabei. Das ist allesamt dunkle Dichtkunst, oder wie ich es gerne formuliere, "dunkle, symphonische Hymnen des Hasses und der Trauer". Ich kann teilweise gar nicht genau sagen, was manche Texte wirklich bedeuten, weil ich einfach drauf los geschrieben habe.
Sind das da Kirchenglocken bei dir im Hintergrund? (Warrel rief pünktlich um zwölf Uhr Mittags an - d. Verf.)

Rouven:
Ja, die hört man hier jeden Tag um zwölf und um sechs Abends, wieso?

Warrel:
Das würde mir gehörig auf den Sack gehen (lacht) ... ich wollte eigentlich noch sagen, dass ich jedem Hörer empfehle, sich "Enemies..." mal per Kopfhörer anzuhören, um die Intensität wirklich wahrnehmen zu können.

Rouven:
Guter Stichpunkt - den Sound finde ich zwar zur musikalischen Ausrichtung durchaus passend, aber gemessen an der grandiosen Produktion von "Dead Heart In A Dead World" fällt er meiner Meinung nach doch ein bisschen ab...

Warrel:
Ursprünglich wollten wir einen sehr dreckigen, rohen Sound auf der Platte haben, um die Aggressivität zu unterstreichen. Mit dem letztendlichen Resultat waren wir dann auch nicht zu 100% zufrieden, deshalb wird die Scheibe vor der Veröffentlichung jetzt nochmals Remastert, was das Problem beheben sollte - dann sehe ich keine Probleme, schließlich ist der Inhalt auf "Enemies..." nicht glattpoliert oder fröhlich, und so soll das Teil dann auch klingen.

Rouven:
Kommen wir mal zu eurem neuen "Bandmitglied" - Chris Broderick von JAG PANZER, der euch momentan livehaftig unterstützt. Ist er "nur" eine Art Aushilfskraft oder könntet ihr euch auch vorstellen, über einen längeren Zeitraum mit ihm zusammenzuarbeiten?

Warrel:
Chris ist nach wie vor noch ein festes Mitglied bei JAG PANZER und wir sind verdammt froh, dass wir ihn von dort "ausleihen" durften, schließlich ist der Gute ein sehr begnadeter Gitarrist. Außerdem ist er der ideale Gegenpart zu unserem Jeff, da er auch nur mit siebensaitigen Gitarren arbeitet. Ich würde mal sagen, es macht Chris eine Menge Spaß, mit uns zusammen auf der Bühne zu stehen, aber dauerhaft abwerben werden wir ihn auf keinen Fall - dafür ist ihm seine Arbeit mit JAG PANZER auch zu wichtig. NEVERMORE haben bisher wunderbar als Quartett funktioniert, und das wird in Zukunft auch so bleiben. Schließlich haben wir mit dem Posten des "zweiten Gitarristen" auch schon einiges an Erfahrungen gemacht...

Rouven:
Wie war eigentlich euer Auftritt auf dem Rock Hard-Festival?

Warrel:
Klasse! Wir hatten eine Menge Spaß und waren sehr froh, dass es bei uns nicht geregnet oder gewittert hat. THRESHOLD hatten da ja wirklich Pech. Es war eine sehr gute Show, die auch dem Publikum prima gefallen hat. Von daher freue ich mich sehr auf die anstehende Europa-Tour.
Jim (Sheppard, Basser - d. Verf.) hat es sogar so gut gefallen, dass er in dem naheliegenden Fluß ein Bad genommen hat. Der hat gestunken wie ein Schweinestall...(lacht)

Rouven:
Gut, dass du die anstehende Tour ansprichst - wann werden wir NEVERMORE denn wieder zu Gesicht bekommen, und gibt es schon feststehende Infos über den Support-Act? (Mittlerweile steht fest: NEVERMORE gehen zusammen mit ARCH ENEMY im Herbst auf Tour - d. Verf.)

Warrel:
Also bisher kann ich dir sagen, dass wir Headliner sein werden, über den Support-Act kann ich dir leider aus Verhandlungstechnischen Gründen noch nichts sagen. Es wird auf jeden Fall ein gutes Package werden, das kann ich versprechen!

Rouven:
Sind die Gerüchte, dass ihr in den USA vom FBI überwacht werdet, wahr? Man munkelt in Internet-Kreisen, dass die amerikanische Regierung mit eurer Systemkritischen Einstellung und einigen Texten ganz und gar nicht einverstanden ist...

Warrel:
(lacht) Na das ist mal eine Theorie! Davon hab' ich ja noch gar nix gehört - aber lustig wäre es auf alle Fälle. Nein, da ist nichts dran. Aber hör' bloß auf mit solchen Gerüchten, da wird man ja Paranoid...wenn die Regierung alle Leute die sich Systemkritisch äußern überwachen ließe, dann müsste sie ja ein Auge auf mindestens die Hälfte der Bevölkerung haben, von daher droht uns mit Sicherheit kein Unheil (lacht)

Rouven:
Man weiß ja nie, oder?
So, mal etwas komplett anderes: Was möchtest du bzw. ihr mit der Musik ausdrücken?

Warrel:
Also im Moment, mit der neuen Platte - auf jeden Fall Wut und Aggression. Ich meine, wir hatten einige musikalische Probleme in der Vergangenheit, vor allem aber auch welche, die geschäftliche Sachen betrafen (Warrel spielt hier wohl auf den "Ärger" mit Century Media an, NEVERMORE wollten aus ihrem laufenden Vertrag austreten - d. Verf.), und das kanalisiert sich alles auch in die Musik, wie man auf "Enemies..." hören kann. Hinzu kam noch das viele touren, was einen auf Dauer fertig macht und vor allem auch sehr Zeitintensiv ist - mit ein Grund, weshalb wir für die neue Platte so lange gebraucht haben. Aber genau in dieser Stimmung haben wir angefangen, on the road neue Songs zu schreiben, was sich, wie ich finde, im Nachhinein als richtig erwiesen hat.

Rouven:
Wo siehst du NEVERMORE in fünf oder zehn Jahren?

Warrel:
(lacht) Wer weiß das schon? Gute Frage. Ich schätze mal, wir werden immer noch das tun, was wir jetzt auch machen - Spaß an der Musik haben.

Rouven:
Und wenn wir schon bei politischen Sachen waren, bietet sich das gerade an: Wie siehst du die Zukunft der Vereinigten Staaten?

Warrel:
Also die stelle ich mir nur mit einem anderen Präsidenten vor, mehr gibt's dazu wirklich nicht zu sagen.

Rouven:
So, vorletzte Frage: Deine momentanen fünf Lieblings-CDs?

Warrel:
Gut, viel Zeit hab' ich auch nicht mehr hier (lacht). Das wäre momentan, lass mich überlegen...

Rouven:
Die eigene CD zählt nicht.

Warrel:
Mist (lacht) ... naja, dann nehmen wir folgende:
1. CARNAL FORGE - The More You Suffer
2. SOILWORK - Figure Number Five
3. OPETH - Damnation
4. PORCUPINE TREE - In Absentia
5. IRON MAIDEN - The Number Of The Beast

Rouven:
Gut, dann bist du gleich erlöst - willst du unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?

Warrel:
There is no stronger Drug than Reality! Sozusagen das neue NEVERMORE-Mantra (lacht).
See you on Tour!

Redakteur:
Rouven Dorn

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