NOCTE OBDUCTA: Interview mit Marcel

01.01.1970 | 01:00

Eine außergewöhnliche Band, ein erstklassiges Album, die Neudefinition der Stille: Nie war Melancholie so schön zu genießen wie auf NOCTE OBDUCTAs aktuellem Werk. Die Band hat ihr eigenes Klangspektrum unheimlich erweitert und es sich wahrlich verdient, mit den ganz großen Namen im innovativen Düstermucke-Business in einem Atemzug genannt zu werden.
Bandkopf Marcel hatte einiges zu erzählen:

Rouven:
Habt ihr bisher schon Feedback zu "Stille" bekommen? Wenn ja, was für Reaktionen gab es von der Presse bzw. den Fans?

Marcel:
Ja, allerdings erst von sehr wenigen Leuten, da bis zu dem Zeitpunkt, da ich diese Zeilen hier schreibe, noch praktisch kein Review etc. draußen ist. Die Reaktionen, die wir bislang haben, liegen aber alle zwischen sehr gut und fantastisch.

Rouven:
Glaubst du dass NOCTE OBDUCTA mit dem neuen Album einigen Fans vor den Kopf stoßen werden?

Marcel:
Bestimmt. Wer nur die klirrende Seite an NOCTE mag, der wir sicher nicht einverstanden sein mit "Stille", aber wir haben in ganz anderer Ecke ja schon mit "Schwarzmetall" einigen Leuten vor den Kopf gestoßen, während andere es wiederum für unser bestes Album halten, und wir werden mit NOCTE sicher niemals zweimal das gleiche Album machen, das wäre albern. Es ist aber dennoch so, dass auch "Stille" unverkennbar ein NOCTE-Album ist, wie ich finde.

Rouven:
Liege ich mit meiner Vermutung, dass du/ihr recht offensichtlich von OPETH und neueren MY DYING BRIDE inspiriert worden seid, richtig? "Stille" klingt zumindest meiner Meinung nach sehr stark danach.

Marcel:
Sagen wir es mal so, OPETH gehören zu den wenigen aktuellen Bands, die ich wirklich sehr gerne höre, was aber MY DYING BRIDE angeht, so mag ich da eher den alten Kram, auch wenn der neue sicher immer noch besser ist als vieles vergleichbares. Die Einflüsse sind aber bei weitem nicht so unmittelbar wie sie vielleicht erscheinen. Ich habe dein Review zur Scheibe gelesen, und muss sagen, die stärkste Beeinflussung von außen hat eigentlich bei dem in seiner Grundform schon neun Jahre alten "Der Regen" stattgefunden, als ich das Stück damals komponiert habe, aber das waren eher alte Sachen, lies mal den Text genau, dann weißt Du auch, welche. Ich denke, heutzutage muss man sich schnell den Vorwurf einer massiven Beeinflussung von OPETH gefallen lassen, da die Jungs einen gewissen Stil sozusagen perfektioniert haben, aber ich denke, vielleicht kommt man auch ganz einfach zu einem ähnlichen Klangbild, wenn man sich seine Inspiration woanders holt.

Rouven:
Lag es an den musikalischen Einflüssen oder gab es noch andere Gründe, mit "Stille" das mit Abstand ruhigste Album der Bandgeschichte aufzunehmen?

Marcel:
Wie gesagt, ich habe meine musikalischen Einflüsse nicht geändert, ruhige Passagen und sehr Schleppendes war bislang auf jedem Album vertreten, nur nicht in der Häufung. Ich wollte einfach auch mal etwas weniger aggressives machen, und es war eher eine spontane Entscheidung. Bei "Schwarzmetall" hatte ich ja auch keinen anderen Musikgeschmack, da habe ich genauso gerne PINK FLOYD gehört, wie ich es heute tue, es war einfach die Stimmung, in der ich war und mein Wille, mich auf einem weiten Feld zu bewegen. Ich muss keine Musik machen, wenn ich mich ständig wiederhole.

Rouven:
Kann man sich in Zukunft auch auf diese musikalische Marschrichtung einstellen oder war "Stille" eher etwas einmaliges?

Marcel:
Keine Ahnung, mag sein, dass wir Gefallen an der Häufung ruhiger Passagen finden, sicher werden wir auch mehr mit Sounds und klarem Gesang etc. experimentieren, aber zumindest die konkret geplanten Alben beinhalten wieder mehr BM-typische Passagen, ich würde einfach mal sagen, das Feld wird weiter. Wenn Du Dir ansiehst, wieviel wir an bloßer Spielzeit schon veröffentlicht haben, dann ist es nur logisch, dass man sich mit der Zeit immer weiter fasst, ist ja nicht so, dass wir das angestammte Areal dafür verlassen müssten.
Zumindest ist ein Großteil des noch vorhandenen Materials weitaus aggressiver als "Stille", da es zum Teil auch schon sehr alt ist. Nichtsdestotrotz gibt es auch Sachen, die noch ruhiger sind als die aktuelle Veröffentlichung. Prognosen will ich da aber keine stellen, ich mache das so, wie es mir gerade passt, und das kann man nie voraussehen.

Rouven:
Siehst du NOCTE OBDUCTA als eine Band an, die sich ständig weiterentwickeln (will/wird), oder gibt es eher etwas wie einen mehr oder weniger fest definierten Rahmen, der nur ungern verlassen wird?

Marcel:
Entwicklung sicher, aber keine lineare, wir werden einfach tun, was uns richtig erscheint. Und dass der Rahmen, in dem wir uns bewegen nicht so eng ist, dürfte ja bekannt sein.

Rouven:
Woher nimmst du die Inspirationen zu deinen Texten?

Marcel:
Aus eigentlich allem, da kann ich jetzt nicht wirklich konkret werden...weltanschauliche Dinge, Erlebnisse, Träume, Wünsche, Visionen, das übliche Spektrum. Ich kann diese Frage immer nur so beantworten, ich denke, das merkt man den Texten auch an, dass es sich hier nicht um Texte zu Filmen oder Büchern handelt. Wobei die einen auch inspirieren können im Ansatz. Mag sein, dass die Texte mittlerweile vielleicht noch ein Stückchen näher am Leben sind, aber ich denke, in den meisten Fällen wird man das nicht merken, wenn man mich nicht wirklich kennt.

Rouven:
NOCTE OBDUCTA sehe ich als eine Band an, in der Musik und Lyrik als Kunstform deutlich im Vordergrund stehen. inwiefern läßt sich das mit Black Metal vereinbaren?

Marcel:
Oh, sehr gut, zumindest mit meiner Definition des für NOCTE OBDUCTA typischen Black Metals, auch wenn wir natürlich gar nicht wirklich als eine Black Metal-Band zu bezeichnen sind, da wir uns absolut keiner satanischen oder religiösen Inhalte Bedienen, außer in rein symbolischem Kontext, und auch der Musik kann man ja oft genug den Vorwurf machen, sie haben nichts mit "wahrem" Black Metal zu tun. Und was bitte soll denn außer Musik und Lyrik im Vordergrund stehen? Parolen und Pöbeleien sicher nicht.

Rouven:
Wann steht denn mal wieder eine "richtige" Tour auf dem Programm?

Marcel:
Da kann ich nichts zu sagen, bislang war es nie im Interesse der Plattenfirma, so etwas zu machen. Das hat sich nun mit dem Wechsel zu Supreme Chaos Records geändert, aber es ist immer schwierig, weil so etwas Geld kostet, und wir außerdem alle einen verdammt vollen Terminkalender haben, aber wir hoffen noch immer. (Nicht nur ihr - d. Verf.)

Rouven:
Bist du mit der Behauptung, dass NOCTE textlich gesehen die absolute Speerspitze im deutschen Metal-Bereich bilden, einverstanden?

Marcel:
Mh, einverstanden bin ich damit schon, aber ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen, zumal ja auch Lyrik ab einem bestimmten Punkt etwas rein Subjektives ist. Sicher, den im Black Metal häufig anzutreffenden platten Müll wird man niemals als Lyrik bezeichnen, aber wenn man mal ein gewisses Level hat, dann geht's ja nur um Geschmack, und darüber kann man sich ja bekanntlich streiten. Oder eben nicht. Auf jeden Fall ist es aber so, dass die inhaltliche Seite bei uns schon immer sehr wesentlich war, und das haben die Leute auch eigentlich begriffen.

Rouven:
Bist du im Nachhinein gesehen mit deinem und eurem Schaffen bei NOCTE zufrieden?

Marcel:
Gute Frage. Auch wenn ich mit der ein oder anderen Sache nicht zufrieden bin, eigentlich schon. Schade nur, dass es intern sehr lange sehr wackelig war, so dass man vermutlich wesentlich mehr hätte machen können. Fehlende Unterstützung von außen ist da jetzt etwas, das hier nicht in die Waagschale geworfen werden sollte, das hat ja nicht direkt was mit uns zu tun. Aber ich denke, wir können noch wesentlich mehr machen und erreichen, wenn wir endlich mal länger am Ball bleiben, und ich meine damit jetzt nicht unbedingt einen sich in Verkaufszahlen ausdrückenden Erfolg.

Rouven:
Laut Robby (Supreme Chaos Records-Labelchef, d. Verf.) wird das nächste NOCTE-Album eine Doppel-CD über die Jahreszeiten - kannst du da schon genaueres zu sagen? Was erwartet uns musikalisch?

Marcel:
Nicht ganz, es ist ein wenig komplizierter. Erst einmal ist es keine Doppel-CD, sondern ein Zweiteiler. Also zwei getrennte Alben, die zwar inhaltlich einen Bezug zueinander haben und auch zusammen aufgenommen werden, allerdings getrennt veröffentlicht werden, und man braucht nicht das eine, um das andere zu verstehen.
Der eine Teil wird unterteilt sein in vier Kapitel plus Intro und die vier Jahreszeiten als Rahmen haben. Die Texte sind nur über diesen Jahreszeiten-Rahmen miteinander verbunden, die Jahreszeiten bilden sozusagen den Hintergrund für vier Texte, die eher bestimmte Gefühle und Stimmungen beschreiben. Wie du dir sicher denken kannst, sind die einzelnen Lieder verdammt lang. Das Material ist sehr episch, melodisch und im Härtegrad und Geschwindigkeit stark schwankend, im Vergleich zu "Stille" aber wesentlich schwarzmetallischer. Gerade der Herbst ist ein recht nordisch anmutendes Black Metal-Gewitter mit lecker viel Geholze.
Der andere Teil ist wiederum geteilt in zwei Teile. Die erste Hälfte besteht aus drei autobiographischen Kapiteln, die sich mit der Weltanschauung, mit der Aufbruchsstimmung und den Gefühlen beschäftigen zu der Zeit, als der musikalische Grundstein für die vier Jahreszeiten gelegt wurde. Das war in der ersten Hälfte 1993, und das Sommer-Kapitel entstammt noch zum allergrößten Teil dieser Zeit. Musikalisch sind diese drei Kapitel ein wenig eingängiger als die Jahreszeiten, im großen und ganzen aber auch vergleichbar episch, atmosphärisch und sehr abwechslungsreich. Die zweite Hälfte befasst sich dann mit dem Gefühl, dass es irgendwie weitergehen muss, da die erste Hälfte ja einen Rückblick darstellt. Musikalisch mischt sich hier ganz primitives Gehacke mit komplexen Strukturen, in denen wir das, was wir auf "Stille" begonnen haben, auf die Spitze treiben werden.

Rouven:
Die deutsche Black Metal-Szene: Ein Witz oder eine Offenbarung?

Marcel:
Och weißt Du, damit beschäftige ich mich eigentlich nicht großartig, will jetzt auch gar nicht hingehen und da irgendwelche Leute bewerten oder gar aburteilen, da habe ich keinen Bock drauf. Mir gefällt das, was ich sehe, meist nicht, aber ich habe meine Erfüllung in der Musik gefunden, und alles andere ist zweitrangig.

Rouven:
Gibt es eigentlich noch engeren Kontakt zwischen AGATHODAIMON und NOCTE?

Marcel:
Nö. Gut, wir haben den gleichen Drummer, aber ansonsten...

Rouven:
Welche Ziele möchtest du mit NOCTE OBDUCTA noch verwirklichen?

Marcel:
Mich. Ich will ganz einfach die Freiheit haben, mich musikalisch auszudrücken. Ein bissl mehr Live-Aktivitäten wären wünschenswert, aber das wird ja auch so langsam wieder. Und ich hoffe, dass es trotz der üblen Terminmassker der einzelnen Mitglieder, die ja teilweise noch in anderen Bands spielen weiterhin möglich ist, mit diesen Freunden Musik zu machen.
Wenn das nicht geht, dann muss man halt wieder umbauen.

Rouven:
Welche fünf Platten drehen sich im Moment am meisten in deinem CD-Player?

Marcel:
Mh, zwischen dem Zeitpunkt, da ich die erste Frage beantwortet habe, und dieser Frage liegen Wochen. Da kommt so einiges zusammen. Aber gerade die letzten Tage höre ich eigentlich nur PORCUPINE TREE und INQUISITION. Und hin und wieder mal ein wenig VERANDA MUSIC. Enttäuschend? (Keineswegs! - d. Verf.)

Rouven:
So, die "letzten Worte" an die Leser gehören dir...

Marcel:
Und wie immer weiß ich da nichts zu sagen. Doch, könnte mich für das Interview bedanken!
(Dank zurück!)

Redakteur:
Rouven Dorn

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