NONEXISTENCE: Interview mit Philip Santoll

10.09.2007 | 22:48

Symbiosen im Metalbereich gibt es viele, jedoch selten eine so faszinierende wie die Fusion aus Doom und Black Metal. NONEXISTENCE, ein Ein-Mann-Projekt von Philip Santoll hat sich genau dieser Verbindung verschrieben, und mit "Nihil" ein Album rausgebracht, das in jeglicher Hinsicht fasziniert. Da hinter so einem Projekt mit Sicherheit auch eine faszinierende Person steckt, war die Frage, ob ein Interview mit Mr. Santoll möglich wäre, ziemlich leicht zu beantworten. Erfahrt also mehr über Doom, Black, Kosmologie und seltsame Hasen.


Lars:
Der Stil, den du spielst, nennt sich ja Cosmic Doom Black Metal. Erklär diesen Begriff doch mal etwas genauer.

Philip Santoll:
Die Musik von NONEXISTENCE lässt sich meines Erachtens nicht zwingend in eine einzige Schublade wie Doom oder Black Metal einordnen, da sie Elemente aus beiden Stilrichtungen verwendet. "Symphonischer Black Metal ohne Blast Beats" oder "Schwarzwurzeliger Doom Metal" klingen halt nicht so toll als Stilbezeichnungen, weshalb ich mich für die Beschreibung Cosmic Doom Black Metal entschieden habe. Darin kommt sowohl das inhaltliche Konzept der Kosmologie zum Ausdruck, insbesondere der Aspekt der Vergänglichkeit des Universums, als auch die Symbiose aus den beiden besagten Musikstilen. Die musikalische Grundstimmung, die sich durch die Verschmelzung der beiden an sich gegensätzlichen Stile ergibt, spiegelt auch das inhaltliche Konzept von NONEXISTENCE wider, bei dem es um Gegensätze und deren Gleichheit geht.

Lars:
Warum hast du dich für diesen besonderen Stil entschieden?

Philip Santoll:
Ich mache die Musik, die ich selbst gerne hören würde. Da ich "Nihil" im Laufe der Produktion mehrere tausend Mal gehört habe, hat sich der Stil letztlich so entwickelt, wie man es auf dem Album hören kann. Elemente, die mir gut gefallen, wurden nach und nach in die Songs integriert, bis schließlich alles ein homogenes Klangbild hatte. Der Musikstil ist weniger eine bewusste Entscheidung als vielmehr Ausdruck meines künstlerischen Schaffens.

Lars:
Nun ist Doom Metal nicht besonders populär, die Szene sogar richtig familiär. War es da schwer, mit dem Mix aus Doom und Black Metal einen Plattenvertrag zu bekommen?

Philip Santoll:
Gemessen an der Anzahl der ernsthaft versendeten Promos war es nicht sehr schwierig: Ich habe genau eine CD mit dem Premix des Albums verschickt, nämlich jene an Twilight. Da wusste ich allerdings bereits, was ich mir von meinem Geschäftspartner erwarte und was ich selbst für Leistungen erbringen kann. Viel schwieriger war es hingegen, während der Produktionsphase des Albums Feedback von Plattenfirmen zu bekommen, um noch eventuelle Schwachpunkte der Musik auszuloten. Da war die Resonanz praktisch null. Der Kontakt und die Kommunikation zu Twilight hingegen waren von Beginn an sehr gut, und ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit bei der nächsten CD.

Lars:
Wo ist für dich eher dein musikalisches zu Hause, im Doom oder im Black Metal?

Philip Santoll:
Wohl in beiden Stilen gleichermaßen. Ich bin seit knapp 20 Jahren im Metal beheimatet, wo ich schon sehr lange zu Doom, Black, Gothic und Dark Metal tendiere. Daneben höre ich noch einige andere Musikstile, die zwar nicht von den Ausdrucksformen, wohl aber von der Grundstimmung her ähnlich sind; Bands wie etwa MASSIVE ATTACK, DEAD CAN DANCE oder BLACKFIELD. Wesentlich ist für mich eine gewisse Ernsthaftigkeit und Dramatik in der Musik. In meinem eigenen Schaffen kommen diese vielseitigen Einflüsse natürlich zum Ausdruck, weshalb sich die Musik von NONEXISTENCE nicht leicht in eine Schublade zwängen lässt.

Lars:
Was sind die musikalischen Einflüsse für deinen Doomsound?

Philip Santoll:
Bands wie PARADISE LOST, OPETH oder MY DYING BRIDE sind schon seit Anfang/Mitte der Neunziger diejenigen, die mich emotional am meisten ansprechen. Das Majestätische, Schwermütige, Elegische dieser Bands hat mich stets fasziniert, ebenso wie die tiefgründigen, geheimnisvollen, metaphorischen Texte. Mir war schon früh klar, dass mein künstlerisches Ziel in dieser Richtung liegt, allerdings wollte ich dem Ganzen mehr Elan verleihen, um meine Zuhörer nicht einzuschläfern.

Lars:
Und was beeinflusst deine schwarzmetallische Spielweise?

Philip Santoll:
Was mich am Black Metal am meisten fasziniert, ist die klirrende Kälte, die durch den Verzicht auf übliche Harmonieschemen bzw. durch den exzessiven Einsatz von Mollakkorden entsteht, sowie die unglaubliche Intensität gekreischter Vocals. Ich habe drei Jahre lang in einer Black-Metal-Band Gitarre gespielt, wodurch ich ein Gefühl für diese Stilelemente und Ausdrucksformen entwickelt habe, die ich nach wie vor sehr gerne einsetze. Darüber noch ein Orchester und Chöre gelegt, und fertig ist der Bombast. Folglich stehe ich sehr auf LIMBONIC ART und DIMMU BORGIR, die in dieser Richtung wegweisend sind.

Lars:
Sowohl im Promozettel als auch auf deiner Myspace-Seite ist etwas von einem Aufenthaltsort in der Antarktis die Rede.
Was genau hat die Antarktis für eine Bedeutung?

Philip Santoll:
Die Antarktis steht symbolisch für die Einsamkeit, Kälte und Dunkelheit, in die ich mich während der letzten Jahre emotional zurückgezogen hatte, um "Nihil" zu erschaffen. NONEXISTENCE ist ja keine Band im herkömmlichen Sinne, daher ist dieser Ursprung metaphorischer Natur. Es geht hierbei um einen emotionalen und spirituellen Zustand, welcher durch einen so unwirtlichen und abgelegenen Ort wie die Antarktis verkörpert wird. Eben dieser Zustand herrscht ja auch nahezu überall im Weltall, welches für NONEXISTENCE eine wesentliche Rolle spielt. Wo ich selbst als hinter NONEXISTENCE stehender Künstler meinen Aufenthaltsort habe, spielt in dieser Hinsicht keine Rolle.

Lars:
NONEXSITENCE ist ja eine Ein-Mann-Band. Haben sich daraus einige Probleme ergeben oder ging das doch einfacher als erwartet? Und warum lässt du niemanden an NONEXISTENCE teilhaben?

Philip Santoll:
Nach zehn Jahren in "echten" Bands hat sich irgendwann der Punkt ergeben, an dem ich keine Kompromisse mehr eingehen wollte, um endlich die musikalische Vision umzusetzen, die mir schon lange vorschwebte. Nach fruchtlosen Versuchen, NONEXISTENCE zu viert als Band beziehungsweise zu zweit als Studioprojekt zu betreiben, habe ich schließlich begonnen, Drums und Keyboards zu programmieren, um mit dem Songwriting weitermachen zu können. Natürlich war es anfangs nicht ganz einfach, den Überblick über alle Instrumente zu behalten, vom damals noch fehlenden technischen Know-How mal ganz abgesehen. Doch die Möglichkeit, meinen Ideen und Vorstellungen endlich freien Lauf lassen zu können, macht das locker wieder wett, und mittlerweile schätze ich diese Arbeitsweise sehr.

Lars:
Auf deiner Myspace-Seite gibt es ja ein paar schön verunstaltete Plüschhasen als Porträt zu sehen. Gibt es da eine tiefere Bedeutung außer die offensichtliche humorvolle?

Philip Santoll:
Ich habe diese Hasen gesehen und gewusst, dass sie für NONEXISTENCE wie geschaffen sind. Einerseits symbolisieren sie die Reinheit und Unverdorbenheit des Black Metal, andererseits weisen ihre körperlichen Anomalien auf kosmische Einflüsse und die Unausweichlichkeit des Schicksals hin. Pure Cosmic Doom Black Metal eben.

Lars:
Ist "Nihil" für dich das Werk geworden, welches du haben wolltest?

Philip Santoll:
Die Songs von "Nihil" sind über einen längeren Zeitraum gewachsen und dabei einem ständigen Fluss von Veränderungen und Ergänzungen ausgesetzt gewesen. Die Grundrichtung war immer schon klar, doch kamen beispielsweise die symphonischen Elemente erst nach und nach dazu, wodurch sich der Stil etwas änderte. Erst als alle Songs einigermaßen fertig waren, bekam ich einen vollständigen Eindruck vom Gesamtbild und konnte noch erforderliche Anpassungen vornehmen. Mit dem Endresultat bin ich hochzufrieden! Letztlich bin ich viel weiter gekommen als ich es selbst für möglich gehalten hatte. Auch das Artwork, für das ich lange keine passende Lösung gefunden hatte, stimmt mich sehr glücklich.

Lars:
Mit welchen Gedanken bist du an die Arbeit zu deinem neuen Album rangegangen?

Philip Santoll:
"Endlich frei!" :-)
Nachdem für mich klar war, dass ich in meiner letzten Band nicht mehr weiterspielen wollte, weil ich dort meine Kreativität nicht mehr zum Ausdruck bringen konnte, erfüllte mich ein unglaubliches Gefühl der Freiheit. Endlich hatte ich die Möglichkeit, all das auszuprobieren und umzusetzen, was ich immer schon machen wollte, und dabei keinerlei Einschränkungen durch andere mehr unterworfen zu sein.

Lars:
Wenn du dich nicht mit Musik beschäftigst, was machst du dann?

Philip Santoll:
Während der letzten Jahre habe ich nahezu meine gesamte Freizeit in "Nihil" investiert. Das ging so weit, dass ich 2005 im Wesentlichen nichts anderes tat, als mich 10 bis 15 Stunden täglich um die Produktion des Albums zu kümmern. Ansonsten beschäftige ich mich mit wissenschaftlichen Artikeln und Büchern über Kosmologie und Quantenphysik und unternehme gerne nächtliche Waldspaziergänge.

Lars:
Worum genau geht es in deinem Album?

Philip Santoll:
Es geht bei NONEXISTENCE nicht um Nihilismus als Weltanschauung, sondern um Kosmologie. Der Titel "Nihil" bezieht sich darauf, dass letztlich alles aus Nichts besteht und auch aus dem Nichts entstanden ist. Das Universum ist nahezu völlig leer, und auch innerhalb der Atome sieht es nicht anders aus. Die Faszination für dieses Nichts und das darin Existierende – wozu ja auch die eigene Existenz zählt – zieht sich über das gesamte Album, ebenso wie das Bewusstsein um das unvermeidliche Ende von allem. Angesichts dieses Bewusstseins kommt der eigenen Existenz eine besondere Bedeutung zu, die es stets zu würdigen gilt. Es ist erforderlich, loszulassen, um zu seinem Selbst zu finden. Der Weg dorthin führt durch Schmerz, Einsamkeit, Dunkelheit und Kälte, wie eine Reise durch den Kosmos. Am Ende steht ohnehin das Nichts, also schätze dich selbst und das Leben im Jetzt.

Lars:
Mit was für einem Lebensmotto gehst du demnach vor?

Philip Santoll:
Eine Symbiose aus Carpe Diem und Memento Mori.

Lars:
Was hat dich zu diesem Thema gebracht?

Philip Santoll:
Die wohl jedem Menschen immanente Frage "Woher komme ich?" bzw. "Was bin ich?" hat mich schon als kleines Kind fasziniert und mein Interesse für Kosmologie geweckt. Ich beschäftige mich schon sehr lange mit diesem Thema, und irgendwann flossen diese Gedanken in meine Texte mit ein.

Lars:
Welche Literatur würdest du jemanden geben, der sich für Kosmologie interessiert?

Philip Santoll:
Eines meiner absoluten Lieblingsbücher ist "Die fünf Zeitalter des Universums" von Fred Adams und Greg Laughlin, in welchem das Leben des Universums vom Urknall bis zu seinem Tod in Kälte und Finsternis beschrieben wird; Gedanken welche auf "Nihil" immer wieder auftauchen. "Warum gibt es die Welt" von Lee Smolin ist ebenfalls ein sehr guter Überblick über die Evolution des Universums und zeigt, wie unsagbar unwahrscheinlich unsere Existenz eigentlich ist. "Das elegante Universum" von Brian Greene befasst sich mit der Superstringtheorie und damit den grundlegendsten Bausteinen der Materie sowie deren Bedeutung für das Universum als Ganzes. Alle drei Bücher sind ohne jegliche Vorkenntnisse nicht ganz einfach zu lesen, aber unglaublich faszinierend, wenn man erst in die Materie eingetaucht ist.

Lars:
Irgendwelche letzten Worte?

Philip Santoll:
Vielen Dank für das Interview und die Unterstützung durch Powermetal.de! Support the artist, buy the album! Cheerz!

Redakteur:
Lars Strutz

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