OBSCURA: Interview mit Steffen Kummerer
01.03.2016 | 16:30Mit einem Album in der Qualität von "Akróasis" im Rücken lebt es sich entspannt. Zum neuen Meisterwerk der Landshuter Death-Frickler OBSCURA sprachen wir mit Frontman Steffen Kummerer.
Theoretisch gäben schon die Personal-Querelen, die die Band in den letzten Monaten beschäftigten, genug Material für ein eigenes Interview her. Da aber das Waschen schmutziger Wäsche und die Diskussion über Dritte in Abwesenheit nach unserem Verständnis nicht zum guten Ton gehören, haben wir diese Themen im Gespräch ausgeklammert. Steffen hatte aber auch zu "Akróasis" genug zu berichten.
Über die positive Resonanz auf "Akróasis" ist Steffen natürlich sehr erfreut: "Die Reviews, die wir bis jetzt bekommen, fallen sehr positiv aus. Ehrlich gesagt sogar besser als wir es erwartet hätten", gibt er sich bescheiden. Seine eigene Einschätzung von "Akróasis" ist aber ganz realistisch: "Die neue Platte ist stilistisch breiter aufgestellt als die letzten Alben. Die letzten Alben waren zwar sehr komplex, haben aber nur selten den Blick über den Tellerrand gewagt. Ich finde, wir haben auf "Akróasis" mehr Variabilität in den Sound gebracht. Wir haben dafür viele neue Elemente in den Sound eingebracht, aber auch alte Elemente wie den Einsatz von Streichern wieder aufleben lassen." Auch die Vocoder-Vocals sind auf "Akróasis" deutlich prominenter platziert, als zuvor: "Das liegt daran, dass wir uns dieses Mal sehr viel mehr Zeit genommen haben, die Parts vor den Aufnahmen auszuarbeiten. Wir haben die Stimmen dieses Mal nicht einfach digital erzeugen lassen, sondern haben sie auskomponiert und wie klassische Instrumente gesetzt. Dass wir das vor der Aufnahme gemacht haben, führt dazu, dass wir dieses Mal ausgefeiltere Melodie-Linien haben und diese Linien auch besser zur Geltung kommen, als zuvor."
Auch das Songwriting hat auf "Akróasis" ein "Facelifting" verpasst bekommen: "Man sagt vielen Tech-Death-Bands nach, dass hauptsächlich Fingerübungen gespielt werden. Davon versuchen wir uns abzuheben und verstärkt auf Melodiebögen zu setzen." Dementsprechend ist das Material auch facettenreicher geraten als die älteren Alben, ohne sich von der eigenen Historie loszusagen: "Dahin haben uns mehrere Entwicklungen geführt. Hauptsächlich wollten wir die Geschwindigkeit etwas reduzieren, weil das alte, schnelle Material live meistens nicht so ankam, wie wir es uns gewünscht haben. Songs wie 'Fractal Dimensions' sind natürlich trotzdem sehr schnell, wir haben aber dieses Mal mehr Wert auf die ruhigeren Stellen gelegt", gibt Steffen zu Protokoll. "Die alten Scheiben waren sehr schnell und sehr direkt und ich hatte teilweise das Gefühl, dass sie nach 30 oder 40 Minuten teilweise ermüdend sind. Auf "Akróasis" wollte ich diese Ermüdung vermeiden und ein Album erschaffen, das auf die gesamte Spieldauer spannend ist. Dazu gehören wie bei einem Live-Konzert auch Momente zum Durchatmen wie 'Ode To The Sun'."
Bemerkenswert ist neben der stilistischen Vielfalt bei OBSCURA auch nach wie vor die textliche Komponente, die heutzutage ja oftmals vernachlässigt wird. "Das hat sich vor vielen Jahren so ergeben, dass die Texte bei uns immer zentral waren. Unsere Alben haben nicht nur einen musikalischen roten Faden", erklärt er, "sondern sind auch durch ein visuelles und textliches Konzept miteinander verbunden." Diese Verbindung schlägt sich auch darin nieder, dass "Akróasis" der dritte Teil eines Konzeptwerks ist, das sich über vier Alben erstrecken wird. So umfassende, tiefgehende Konzepte lassen sich natürlich nur schwerlich in wenigen Sätzen abhandeln und so holt Steffen auch weiter aus, um zu erläutern, was ihn beim Texten bewegt. "Die Platte "Akróasis" stellt den dritten Teil der Quadrologie dar. Das Ganze begann mit "Cosmogenesis", wo die Schöpfungsgeschichte nacherzählt wurde. Die zweite Platte "Omnivium" behandelte die Evolution, weshalb das Artwork auch eher organisch grünlich gehalten wurde. "Akróasis" befasst sich als dritter Teil auf mehreren Ebenen mit der Selbstfindung und dem Bilden eines Bewusstseins", skizziert Steffen die Verbindung zu den Vorgänger-Alben. Wie sich dieses Text-Konzept im Detail darstellt, ist dagegen eine komplexere Angelegenheit: "Das textliche Konzept hängt mit der Idee der Weltharmonie und der Weltseele zusammen. Diese Konzepte existieren schon sehr lange. Soweit ich es herausfinden konnte, hat das schon mit Pythagoras begonnen, der diese Ideen erstmalig formulierte. Der astrophysikalische Ansatz einer Weltordnung beruhend auf harmonischen Relationen wurde sehr oft wieder aufgegriffen, unter anderem von Goethe und den Naturalisten des 18. und 19. Jahrhunderts. Jeder Physiker würde vermutlich schreiend davon laufen, wenn er diese Werke lesen würde. Ich habe sie gelesen und fand sie sehr spannend und habe versucht diese ständig wiederkehrenden Motive mit in die Texte einfließen zu lassen", gibt Steffen gut gelaunt zu Protokoll.
Offensichtlich ist das ein Thema, das ihm sehr am Herzen liegt und so erklärt er sichtlich begeistert zur Namensgebung von "Akróasis": "Der Grund, warum "Akróasis" "Akróasis" heißt, ist dementsprechend auch in diesem Konzept zu suchen. Auf Altgriechisch bedeutet "Akróasis" in etwa 'genau zuhören'. Es ist außerdem der Titel eines Buches von Hans Kayser, das ich bei meiner Recherche gefunden habe. Kayser war ein schweizer Wissenschaftler, der in den 1960ern verstorben ist und sich sein ganzes Leben lang mit dem Gedanken der Weltharmonie auseinandergesetzt hat. Ich fand dieses Buch enorm spannend und habe dort so viele Querverweise zu unseren bisherigen Alben und den bisherigen Texten gefunden, dass unser Album jetzt diesen Titel trägt." Schließlich spannt Steffen den Bogen zurück zu den Texten: "Die Texte selbst basieren auf diesem astrophysikalischen Ansatz von Kayser und Kepler, haben aber in der zweiten Dimension den philosophischen Ansatz von Goethe und Schelling und beschreiben in einer dritten Schicht religiöse Ansichten. Ich versuche, die religiösen Ansichten in unseren Texten durch die philosophischen und astrophysikalischen Komponenten zu negieren und ins Gegenteil zu verkehren, das ist quasi die Verbindung zu 'Anticosmic Overload', das ich vor acht Jahren geschrieben habe." Das ist natürlich harter Stoff. Steffen kann aber auch mit etwas konkreteren Beispielen dienen: "Wenn man es auf wenige Zeilen herunterbrechen möchte, würde ich sagen, dass "Akróasis" im Wesentlichen die Apokalypse und die Huldigung des Todes behandelt." Doch, man ahnt es bereits, Steffen wäre nicht Steffen, wenn er diese Huldigung des Todes nicht auch gründlich analysiert hätte und begründen könnte: "Bei Professor Günther Hasinger aus München habe ich gelesen, dass zwei Drittel des Universums aus dunkler Materie bestehen sollen. Das ist eine kontroverse These, aber wenn man diesem Ansatz folgt, wäre das Licht der Eindringling in unserem Universum. Das, was also in den meisten Religionen als positiv dargestellt wird, wäre alles andere als positiv. Deshalb ist ein Song wie 'Ode To The Sun' eigentlich eine Ballade zur Huldigung des Todes und der Zerstörung. Und, Bezug nehmend auf Kepler und Kayser, spiegelt sich diese Zerstörung und Vernichtung in Monismen wider. Während Religionen wie das Christentum von einem Dualismus - also Gut und Böse in verschiedenen Gestalten - ausgehen, ist im Monismus der Gott Schöpfer und Zerstörer in einem. Und egal wie man es interpretiert, mündet alles in Zerstörung und Apokalypse, womit schon auf das vierte Album vorgegriffen wird." Mit so einem komplexen, schwergewichtigen Thema im Rücken ist natürlich auch das Texten selbst eine Herausforderung. "Ich bin auf "Akróasis" zum ersten Mal richtig zufrieden mit meinen Texten. Ich habe immer den Anspruch, dass die Texte sich auf einem Niveau mit der Musik bewegen sollten und ich finde, hier ist mir das zum ersten Mal gelungen. Da steckt sehr viel Detailarbeit drin - und vielleicht ist die auch überflüssig heutzutage, wo die Leute Streams bei Spotify, Youtube und Deezer hören, aber wir sind schon etwas älter, deshalb dürfen wir in dieser Beziehung auch etwas oldschool sein."
Das so gelieferte Stichwort Oldschool lädt natürlich zu einer Analyse unserer Szene ein. Und, siehe da, Steffen, der eben noch Tod und Zerstörung predigte, ist auf einmal Optimist: "Ich glaube, dem Metal ging es lange nicht mehr so gut wie heute. Es war selten so einfach, die Musik, die man machen möchte, aufzunehmen und unter das Volk zu bringen. Es gibt meiner Meinung nach mehr Bands als jemals zuvor, was ich sehr gut finde. Natürlich sind da auch diverse Deathcore- und Pagan-Metal-Bands dabei, mit denen ich persönlich nichts anfangen kann, aber auch diese Bands strengen sich an, schleppen Verstärker und halten die Szene lebendig. Ich glaube, dass das Lob der 80er und 70er als goldenes Zeitalter übertrieben ist, weil damals viel weniger Bands die Möglichkeit hatten, überhaupt Platten zu veröffentlichen. Ich finde es eine gute Entwicklung, dass das heute einfacher ist." Streaming sieht Steffen - ganz oldschool - dagegen eher skeptisch: "Ich habe gerade eine Abrechnung von Spotify erhalten, wo ich einen Cent für unseren gesamten Back-Katalog bekommen habe. Wenn ich so weiter mache, kann ich mir in 20 Jahren eine Briefmarke kaufen. Aber auch so bleibt es spannend und unsere Szene lebt und das finde ich gut."
Und dass das Live-Geschäft gut läuft, bedeutet natürlich auch für OBSCURA, dass "Akróasis" seinen Weg auf die Bühnen der Republik finden wird: "Wir arbeiten gerade daran, Ende des Jahres auf Headliner-Tour in Deutschland zu gehen. Das Package dafür wird sehr gut. Mehr kann ich leider noch nicht sagen, aber es wird sich lohnen." Auf diese Konzerte freuen wir uns schon jetzt und drücken OBSCURA die Daumen, dass "Akróasis" überall die Anerkennung findet, die das Album verdient.
- Redakteur:
- Ben Kettner