OCTAVIA SPERATI: Interview mit Silje Wergeland

22.06.2007 | 22:40

"Band mit Frontfrau" scheint endgültig zu einem eigenständigen Genre mutiert zu sein. Jede Kapelle, die aktuell eine Sängerin beschäftigt, wird unsinnigerweise in denselben großen Topf geschmissen. NIGHTWISH, WITHIN TEMPTATION, EVANESCENCE oder LACUNA COIL fahren einen unterschiedlichen Sound - völlig egal. Auch OCTAVIA SPERATI aus Norwegen haben eine Frau am Mikro und dürfen sich sicher bald darüber freuen, dass die Doom-Kante und die THE GATHERING-Parallelen ihres zweiten Albums "Grace Submerged" überhört und unpassende Vergleiche zu den genannten Kapellen gezogen werden. Warum ihre Band anders klingt, erklärte die mit einem sehr niedlichen Brit-Englisch-Akzent gesegnete Sängerin Silje Wergeland.


Oliver:
Silje, beeinflusst euer Heimatland Norwegen euch als Band und eure Musik?

Silje:
Es ist vielleicht sogar ein größerer Einfluss, als wir bewusst wahrnehmen. Einige andere Musiker sagen, dass man tatsächlich hören kann, dass die Musik aus einem nordischen Land kommt. Wir sind natürlich Teil einer bekannten norwegischen Metalszene, wobei wir keinen Black Metal spielen. Aber wir überlegen uns nicht: "Lasst uns norwegische Musik machen." Es passiert einfach ganz natürlich.

Oliver:
Für "Grace Submerged" habt ihr THIN LIZZYs 'Don't Believe A Word' in einer introvertierten Klavier-Version gecovert. Warum habt ihr den Song so arrangiert?

Silje:
Es ist ein sehr trauriger Song, der etwas von Phil Lynotts eher traurigem Leben reflektiert. Ich weiß nicht, ob das die Absicht war, aber für mich tut er es. Und deshalb wollte ich das in den Song einfließen lassen. THIN LIZZY sind eine großartige Band, und ich liebe ihre Musik. Und einen THIN LIZZY-Song zu covern, ist es etwas ganz Besonderes für uns. Es war ziemlich beängstigend, eine der besten Bands des Planeten zu covern. Das kann man total versauen. Aber bisher haben wir sehr gutes Feedback bekommen. Ich glaube, es gab bis jetzt nur eine Person, die gesagt hat, dass die Version nicht ihr Ding sei.

Oliver:
Eure Interpretation erinnert an TORI AMOS. Bist du ein Fan von ihr?

Silje:
Zum Zeitpunkt, als wir mit der Version anfingen, hatte ich zwar von ihr gehört, aber ich war nicht wirklich ein Fan von ihr. Als wir den Song aufgenommen hatten, sagte jemand: "Du siehst aus und klingst wie TORI AMOS." Danach habe ich sie mir angehört. Und sie ist eine großartige Künstlerin. Ich liebe ihre Art, Musik zu machen.

Oliver:
Worauf führst du die Zeitlosigkeit eures Sounds zurück?

Silje:
Wir haben uns noch nie für irgendwelche Trends interessiert und wollten auch nie Teil eines Trends sein. Wir haben uns nicht hingesetzt und gesagt, dass wir diese oder jene Musik machen wollen. Sie basiert einfach auf der Musik, die uns beeinflusst hat und die wir mögen und die wahrscheinlich auch noch eine Ewigkeit Bestand haben wird - wie die von METALLICA oder SLAYER. Unsere Einflüsse reichen von Black Metal bis zu den klassischen Hard-Rock-Bands wie SABBATH und all den Siebziger-Bands, die die Musik kreiert haben, von der wir heute ein Teil sind.

Oliver:
Die Texte des Albums behandeln persönliche Dinge. Zensierst du dich beim Schreiben in irgendeiner Form selbst? Wo ziehst du die Trennlinie zwischen dem, was du zu sagen bereit bist, und dem, was die Leute absolut nichts angeht, weil es privat ist?

Silje:
Das ist eine sehr gute Frage. Manchmal schreibst du einfach drauflos und denkst dir erst hinterher, dass es vielleicht gut ist. Aber wenn dich dann jemand fragt, worum es geht, merkst du: "Fuck! Ich habe vergessen, dass ich dafür geradestehen muss." Im Vorfeld unserer ersten EP hatte ich ein schlimmes Erlebnis. Eine Person, die mir - und auch einigen anderen in der Band - sehr nahe stand, beging Selbstmord. Das war eine schwere Zeit für mich. Und die erste EP handelt davon. Wir wollten das aber nicht breittreten, weil wir es nicht benutzen wollten, um irgendwie Aufmerksamkeit auf die Band zu lenken. Also habe ich ein wenig um den heißen Brei herumgeredet, anstatt zu sagen, worum es geht. Vielleicht stand mir die Person auch zu nahe, um darüber zu reden. Gleichzeitig spürte ich aber, dass ich mir gegenüber ehrlich sein muss, weil es mir sehr wichtig war. Das ist der Zwiespalt, in dem man ist, wenn man Texte schreibt. Aber du musst einfach über etwas singen, das du fühlst oder das du fühlst, während du die Musik machst. Manchmal schreibe ich auch über die Musik.

Oliver:
Songtitel wie 'Guilty Am I' oder 'The Final Rest' strahlen nicht übermäßig viel Optimismus aus.

Silje:
Metal ist keine fröhliche Musik (lacht). Ich bin nicht depressiv oder so, aber das ist ein Teil meines Lebens. Ich schreibe über Dinge, die mir im Kopf rumschwirren und rausmüssen. Meistens habe ich einfach nicht das Bedürfnis, über fröhliche Dinge zu schreiben. Aber ich setze mir keine Grenzen. Wenn etwas Derartiges passiert und ich das Gefühl habe, dass ich darüber schreiben muss, werde ich es tun.

Oliver:
Magst du es trotz allem, Texte zu verfassen?

Silje:
Ja und nein. Manchmal ist es gut, aber manchmal auch schwer. Die Texte müssen zur Musik passen, und dann muss ich auch noch entscheiden, ob sie okay sind.

Oliver:
Ist euer Albumtitel ein Kommentar zur aktuellen Weltlage und zu der selbstzerstörerischen Natur des Menschen?

Silje:
Ja, es geht schon in diese Richtung, aber es ist nicht nur das. Wir wollten keinen Titel, der nur eine Sache beschreibt. Grundsätzlich sind wir keine politische Band, aber manchmal ist es schwierig, nicht von dem ganzen Mist, der um uns herum passiert, beeinflusst zu werden. Die Menschen tun das, sie sind destruktiv, nicht nur in einem globalen Zusammenhang, sondern auch im ganz einfachen Miteinander.

Oliver:
Was ist deiner Meinung nach die passende Gelegenheit, sich "Grace Submerged" anzuhören?

Silje:
Ich denke, einige Songs sind gute Rock- und Partysongs. Aber ich bin mir nicht sicher, ob 'Don't Believe A Word' ein Song ist, zu dem man wirklich headbangen würde (lacht). Wir wollten ein Album machen, das wir mögen und das von allem ein bisschen hat. Aber es ist keine Tanzplatte (lacht).

Oliver:
Mit 'Deprivation' und 'Guilty Am I' habt ihr zwei Songs, die auf eurem 2002er Demo "Guilty" zu finden sind, neu eingespielt. Habt ihr eine spezielle Beziehung zu den Songs?

Silje:
Die Aufnahmen zu der ersten EP waren unsere ersten überhaupt. Und wir sind mit einigen der Arrangements nicht mehr glücklich, und die Produktion ist auch sehr schwach. Wir wollten die Songs aber nicht wegwerfen, weil wir die meisten davon mögen. Und wenn wir sie live spielen, möchten sie einige vielleicht hinterher auch auf einer CD haben. Einige der anderen Songs werden wir später eventuell auch noch mal verwenden.

Oliver:
Ich habe gelesen, dass die meisten von euch noch kein Instrument spielen konnten, als ihr euch entschieden habt, eine Band zu gründen. Gab es irgendein Schlüsselerlebnis, das euch an die Instrumente getrieben hat?

Silje:
Ich denke, dass wir es alle in uns hatten. Wir haben uns nicht wirklich fürs Tanzen oder so was interessiert. Wir wollten spielen; das hatte jeder von uns im Hinterkopf. Und ich spielte auch schon Klavier. Wir waren vielleicht betrunken und deshalb optimistisch und haben uns einfach gesagt: "Yeah, lasst uns eine Band starten! Wir müssen unbedingt wissen, wie das geht." Und so habe ich am Anfang Klavier gespielt, weil ich es schon konnte, und gesungen. Aber ich war nicht besonders gut darin, gleichzeitig zu singen und zu spielen. Wir haben dann in meinem Wohnzimmer geprobt, weil wir dachten, dass alles vielleicht etwas schneller geht, wenn wir uns beim Lernen zusehen (lacht). Aber es funktionierte. Es ist übrigens nicht jeder in der Band ein Frischling. Unsere jetzige Keyboarderin (Tone Midtgaard - Anm. d. Verf.) hatte von ihrem siebten bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr Klavierunterricht, und unser aktueller Drummer (Ivar Alver - Anm. d. Verf.) spielt auch schon sehr, sehr lange.

Oliver:
Bei euch scheint der Drumhocker eine eingebaute Schleudersitzfunktion zu haben. Behandelt ihr eure Trommler so schlecht?

Silje:
(lacht) Ja! Wir sind eine sehr, sehr fiese Band. Aber wenn du dir andere Bands anguckst, ist das kein ungewöhnliches Problem. Wir hatten jetzt vier Drummer in sieben Jahren. Es ist schon ein kleiner Albtraum, aber wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt. Es schockt uns nicht mehr, wenn sie gehen. Aber unser Drummer ist jetzt ein Jahr dabei. Es sieht so aus, als würde er länger bleiben wollen (lacht).

Oliver:
Auch aufgrund der Tatsache, dass euer Label Candlelight seinen Hauptsitz in England hat, seid ihr schon recht ausgiebig in Großbritannien getourt, wo Metalbands schon seit etlichen Jahren nicht mehr viel reißen können. Was sind eure Eindrücke?

Silje:
Wir wurden sehr gut angenommen und verkaufen dort auch am besten. Es ist aber definitiv ein schwieriger Markt. Die Musik, die wir spielen, ist weder Black noch Gothic Metal; sie hat von allem etwas. Und deshalb ist es vielleicht einfacher, unsere Musik zu mögen. Ich kann schwer sagen, ob es woanders genauso ist, weil wir noch nie außerhalb Großbritanniens, Irlands und Norwegens gespielt haben. Aber wir mögen Großbritannien. In Norwegen kann das Publikum sehr steif sein, aber in Großbritannien ist es relaxt, es tanzt, und es gibt Moshpits, was in Norwegen sehr selten der Fall ist. Dort ist es einfach kalt und steif (lacht).

Oliver:
Alle stehen nur wie angewurzelt da und starren zur Bühne?

Silje:
Es kommt darauf an. Wenn du früh spielst, dann ja. Aber wenn die Leute besoffen sind (lacht laut) ... Es ist allerdings nicht immer so. Es hat auch damit zu tun, wie groß die Band ist. Aber es ist schon anders in Norwegen. Wenn du dich mit Norwegern unterhalten willst, können sie reserviert sein. In England ist es kein Problem, dich mit jemandem zu unterhalten, der dir auf der Straße begegnet. Jeder ist freundlich. Das Wort "Gentleman" muss ja auch irgendwo herkommen (lacht).

Redakteur:
Oliver Schneider

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