OVERDRIVE: Interview mit Janne Stark
07.03.2022 | 12:42Die aktuellen Neuauflagen der beiden in den frühen 80er Jahren veröffentlichten Scheiben "Metal Attack" und "Swords And Axes" sowie der Umstand, dass OVERDRIVE im Laufe der nächsten Monate einige der in den vergangenen anderthalb Jahren gebuchten Konzerte nachholen wird, brachten mich auf Idee bei der Band genauer nachzufragen.
Konkret bei Gitarrist Janne Stark, der sich nicht lange bitten lassen musste, sondern unkompliziert und ohne jegliche Allüren antwortete und Terminvorschläge übermittelte. Via Skype stand der gute Mann Rede und Antwort, und lieferte einen mehr als interessanten, aktuellen Lagebericht:
Wie geht es dir?
Danke, alles gut. Ich kann mich nicht beklagen. Ich bin gesund und fit, und habe reichlich zu tun.
Bei OVERDRIVE scheint es seit geraumer Zeit schon generell wieder blendend zu laufen. Was steht denn als Nächstes an?
Nun, ich hoffe es klappt 2022 endlich mit den Konzerten, die wir eigentlich für 2020 gebucht und vorbereitet hatten. Warum das nichts geworden ist, brauche ich wohl nicht zu erklären, oder?
Nein, danke. Darüber ist in letzter Zeit ausgiebig gesprochen worden. Welche Gigs waren denn betroffen?
Unsere speziellen Gigs anlässlich des 40-jährigen Bandjubiläums. Die müssen wir nun eben im 42. Band-Jahr absolvieren. Ich hoffe zumindest, dass die Sache funktioniert. Bei uns in Schweden sieht es in der Tat so aus, als ob die Pandemie-Beschränkungen nun endgültig aufgehoben würden. So weit waren wir zwar vor einigen Monaten schon einmal, dieses Mal bin ich aber wirklich optimistisch.
Ein weiteres Album steht nicht zur Veröffentlichung an?
Du meinst ein neues Studioalbum? Nein, das noch nicht. Wir sind mit den Songs noch nicht soweit. Es ist aber gut möglich, dass es 2023 erscheint. Zuletzt waren wir mit den Arbeiten für die erste Vinyl-Auflage unseres 2011er Albums "Angelmaker" beschäftigt. Wir hatten damals ja eigentlich 19 Songs vorbereitet, auf der CD haben aber nur zwölf Platz gefunden. Deshalb gab es damals schon eine limitierte LP namens "The Angelmaker's Daughter", auf der sich sechs dieser Nummern sowie einige des Albums befanden. Die damalige Auflage von 350 Stück ist aber längst vergriffen, deshalb gibt es nun also weiteres Vinyl für unsere Fans.
Neuauflagen scheinen bei euch momentan an der Tagesordnung zu stehen. Seid ihr in die Arbeiten dafür involviert?
Nicht an den Auflagen selbst, die laufen allesamt über ein Label. Sehr wohl aber an der Zusammenstellung. Zum einen habe ich die Artworks überarbeitet und Fotomaterial zusammengestellt, und zum anderen das Bonusmaterial aufbereitet. Das war ziemlich aufwändig, denn wir haben uns dazu entschieden, ausschließlich Songs dafür zu verwenden, die an sich für unser drittes Album geschrieben wurden, das Mitte der 80er hätte erscheinen sollen. Da sich die Band damals aber kurz davor aufgelöst hat, wurde dieses Album nie veröffentlicht. Ich habe also mein Archiv durchwühlt und diverse Proberaum-Aufnahmen davon verwendet. Die konnte man zum Glück einigermaßen überarbeiten, so dass wir Instrumental-Versionen von insgesamt sechs Songs davon als Bonus-Tracks verwenden konnten.
Habt ihr damals keine Zeit für die Gesangsaufnahmen gefunden, oder gibt es einen anderen Grund, dass nur Instrumental-Versionen davon existieren?
Nun, der Gesang, oder eigentlich der Sängerposten, war einer der Gründe für die damalige Band-Auflösung. Pelle Thuresson, der von Anfang bei uns mit dabei war, konnte sich mit dem Posten am Mikro nie so wirklich anfreunden. Es wäre ihm viel lieber gewesen, er hätte sich auf den Bass konzentrieren können. Er ist eher der Typ, der lieber im Hintergrund arbeitet, als dass er sich ins Rampenlicht stellt. Deshalb hat er nach "Swords And Axes" einen Schlussstrich gezogen, und sich komplett aus dem Musik-Business zurückgezogen. Da wir aber Freunde geblieben sind, war er bei unserer Reunion wieder mit an Bord. Als Bassist allerdings!
Die Reunion scheint generell erfolgreich für OVERDRIVE gewesen zu sein. Schließlich habt ihr innerhalb von nur wenigen Jahren eine EP und drei Longplayer veröffentlicht. Was läuft denn anders als früher?
Wir sind definitiv reifer geworden. Außerdem können wir heutzutage ausnahmslos das tun und lassen, was uns in den Kram passt. Klar, mit einer solchen Einstellung lässt sich die Welt nicht aus den Angeln heben. Aber das hatten wir auch gar nicht vor. Und auch, dass man im "Big Business" von uns nicht wirklich Notiz nimmt, stört uns nicht. Aber wir wissen, dass es immer noch eine Menge Fans von OVERDRIVE gibt, die sich darüber freuen, wenn wir Musik machen und Alben veröffentlichen. Das reicht uns ehrlich gesagt mittlerweile. Unsere erste Reunion war im Prinzip das "Aufwärmprogramm" dafür. Es war 1997, als wir uns dazu überreden haben lassen bei einem Festival hier in Schweden aufzutreten. Zunächst waren wir zwar ein wenig skeptisch, denn immerhin waren wir mehr als eine Dekade von der Bildfläche verschwunden. Doch die Resonanz hat uns beflügelt, und so kam es, dass wir 2003 erneut auf einem Festival gespielt haben. Dabei kam der Stein so richtig ins Rollen. Nicht zuletzt unser neuer Sänger Per Karlsson hat uns alte Säcke wieder gehörig motivieren können.
Per ist als Frontmann von PORTRAIT ein Begriff und um einige Jahre jünger als ihr anderen. Die Konstellation scheint aber dennoch perfekt zu passen. Generationsthema scheint es bei euch keines zu geben, oder?
Nein, überhaupt nicht. Es klingt zwar fast surreal, dass unser Sänger im selben Jahr geboren wurde, als wir unsere erste EP veröffentlicht haben, bemerken tut man das aber nicht. Zum einen, weil er sich bei uns ja deshalb beworben hat, weil er seit langen Jahren ein Fan der Band ist, der unter anderem auch mit unseren Alben aufgewachsen ist. Es war vielmehr so, dass er eine Extraportion Elan und juvenile Frische mitgebracht hat. Sein Einstieg hat der Band immens gut getan, sowohl kreativ als auch auf persönlicher Ebene. Das hat sich nicht nur auf die von dir eben erwähnten Alben nach der Wiederaufnahme des Bandbetriebs ausgewirkt, sondern auch auf die weiteren Konzerte.
Davon hast du sicher auch die eine oder andere Anekdote für uns, oder?
Oh ja. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist uns allen unser Kurztrip nach Japan 2013. Wir waren für zwei Shows gebucht, und allesamt vollends motiviert. Doch ein paar Tage vor dem Abflug, konkret am Samstag vor dem Flug am Mittwoch, als wir noch eine Show in Schweden geben sollten, kam unser Drummer mit der Hiobsbotschaft, dass er einen Betriebsunfall gehabt hat, und nicht mitspielen könnte.
Guter Rat war teuer. Was sollten wir tun? Absagen? Nein, das kam nicht in Frage. Also entschieden wir nach Rücksprache mit dem Veranstalter dazu eine Acoustic-Show zu spielen. Irgendwie war es aber schon seltsam, als Co-Headliner auf einem Metal-Festival eine Acoustic-Show zu spielen. Aber es hat überraschenderweise gut funktioniert. Für unseren Japan-Trip blieben uns aber dennoch nur zwei Tage, und wir hatten keinen dafür definitiv einsatzfähigen Schlagzeuger. Kenta Svensson, unser Gitarrist wollte seinen Sohn Linus, der bei CARE OF NIGHT spielt, mitnehmen, doch Linus musste absagen, da er bei der Hochzeit seines besten Freundes engagiert war. Blieb uns also nur noch eine einzige Möglichkeit. Nämlich Jimmy Lexe zu fragen, der in den frühen 00er Jahre schon bei LOCOMOTIVE BREATH engagiert war. Unser zweiter Gitarristen Kjell Jacobsson brachte ihn ins Spiel, aber weniger, weil er sein Sohn ist, sondern weil Jimmy ein ganz vorzüglicher Drummer ist.
Das ist in der Tat so, denn was soll ich sagen? Der Junge entpuppte sich nicht nur als überaus lernfähig, und hat sich das Programm in zwei Tagen beigebracht, er hat uns zudem förmlich den Arsch weggegroovt! Unfassbar! Die beiden Shows in Osaka und Tokio, wie auch der Acoustic-Set bei HMV Records in Tokio werden uns wohl ewig in Erinnerung bleiben.
Schon witzig, dass es vor allem Geschichten sind, die mit Kenta zusammenhängen, die nachhaltig in Erinnerung bleiben. Es liegt wohl an seinem Beruf. Er ist Schauspieler bei einer sehr bekannten Western-Show hier in Schweden. Dabei kommt es offenbar immer wieder mal zu Verletzungen, denn er ist beileibe nicht der einzige des Ensembles, den man mit schon mehrfach mit Gips am Körper herum humpeln gesehen hat.
Dann bleibt nur noch zu hoffen, dass der gute Mann vor eurem Auftritt beim "Sweden Rock" in einigen Wochen soweit heil bleibt, dass kein Improvisationsbedarf besteht. Bis dahin vergeht zwar noch ein wenig Zeit, der Begriff Langeweile existiert bei dir aber wohl ohnehin nicht. Schließlich weiß man, dass du nicht nur OVERDRIVE am Start hast, sondern auch noch in so einige andere Formationen mehr involviert bist. Die bekannteste davon war wohl PLANET ALLIANCE. Existiert diese "All-Star-Formation" eigentlich noch?
Nein. Die Geschichte war generell nur für ein Album geplant. Zwar hatte das Label zwischenzeitlich mal Interesse bekundet eine Fortsetzung zu inszenieren, aber in die Gänge kam nichts mehr. Das selbstbetitelte Album aus dem Jahr 2006 wird wohl das einzige unter diesem Banner bleiben. Ich war in die Geschichte ja auch von Anfang nicht so wirklich involviert, sondern bin erst, oder genauer gesagt überhaupt nur, wegen einer Anfrage von Mike Andersson (u.a. auch bei FULLFORCE und CLOUDSCAPE sowie an der Seite von Marcel COENEN aktiv), der darauf singt und ein guter Freund von mir ist, hinzugestoßen. Klar, das Album klingt gut, die Songs sind toll, aber auf lange Frist war da nichts geplant.
Auch bei GRAND DESIGN hattest du eine Zeitlang die Finger im Spiel. Wie sieht es da aus?
Da bin ich vor drei Jahren als Musiker ausgestiegen. Allerdings bin ich nach wie vor mit den Jungs befreundet, und werde mich auch in Zukunft um diverse Kleinigkeiten wie das Artwork kümmern.
Im Vorjahr ist mit "Brave New World" das dritte CONSTANCIA-Album veröffentlicht worden. Hast du Neuigkeiten aus dem Lager dieser Band zu vermelden?
Ja! Wir haben uns riesig über das durchweg positive Echo gefreut. Es gab nicht eine einzige schlechte Kritik, und auch den Fans hat der Dreher gut gefallen. Pete Godfrey wird auch weiterhin bei uns bleiben, erste Riffs und Melodien für neue Songs existieren schon. Die geographische Distanz, von der in den letzten Monaten pandemiebedingt nichts zu spüren war, wird hoffentlich auch in Zukunft kein Problem für eine weitere Zusammenarbeit darstellen. Wir sind also guter Dinge, mit CONSTANCIA auch weiterhin Gas geben zu können!
Ein klein wenig aus den Augen verloren hat man dagegen LOCOMOTIVE BREATH. Gibt es diese Band überhaupt noch?
Oh ja. Ich weiß, viel ist in den letzten 15 Jahren nicht passiert. Aber Mattias Osbäck, der Sänger und ich, haben tatsächlich ein weiteres Album in Arbeit. Zwar haben wir damit schon vor rund zehn Jahren begonnen, so richtig ins Zeug gelegt haben wir uns dafür aber erst vor kurzer Zeit. Ich kann zwar noch nicht sagen, wann die Scheibe herauskommen wird, aber zumindest, dass es eine geben wird, kann ich versprechen.
Das klingt ja gut. Gilt das denn auch für MOUNTAIN OF POWER?
Sicher. Da sind wir sogar schon einen Schritt weiter, denn wir werden das fünfte Album unter diesem Projektnamen im nächsten Jahr veröffentlichen. Ein Teil ist sogar schon eingespielt. Ich werde wieder die Rhythmusgitarren aufnehmen und zusammen mit Joe Romagnola die Produktion übernehmen. Dieses Projekt hat sich im Laufe der Zeit zu einem echten Dauerbrenner entwickelt. Denn eigentlich begann alles mit der Idee eine Version von 'Can't Fake It' von TARGET aufzunehmen, aber ich hatte keine Ahnung, wie und wo. Irgendwie kamen mir dann immer mehr alte Songs in den Sinn, die ich gerne interpretieren wollte, und so kam es zur Gründung dieses Projekts. Da Joe von dieser Idee sehr angetan war, und wir im Prinzip denselben musikalischen Background haben, war er von Anfang an Feuer und Flamme und übernahm mit seinem Label Grooveyard Records die Veröffentlichung und den Vertrieb.
2020 hast du mit "Rock Solid" auch noch ein zweites Album zusammen mit Neil Merryweather unter dem Banner MERRYWEATHER STARK aufgenommen.
Eine schöne Geschichte mit tragischem Ende. Neil ist im März des letzten Jahres unerwartet verstorben. Ich bin immer noch geschockt von dieser Nachricht. Als ich 2019 zu ihm nach Las Vegas geflogen bin, um an den Songs zu arbeiten, hatte er noch keinen Schimmer davon, dass er eigentlich an einem Gehirntumor erkrankt war. Der wurde erst viel später erkannt, als er wegen andauernder Kopfschmerzen einen Arzt aufgesucht hat. Leider kam jegliche Therapie zu spät, denn der Tumor hatte schon eine überdimensionale Größe erreicht. Eine wirklich bittere und traurige Geschichte. Wir werden Neil als begnadeten Musiker, noch viel mehr aber als überaus hilfsbereiten Menschen in Erinnerung behalten. Möge er in Frieden ruhen!
Dem kann ich mich nur anschließen. In letzter Zeit waren es einfach viel zu viele aus dem Rock-Business, die uns für immer verlassen haben.
Da hast du recht! Einem meiner persönlichen Idole zolle ich übrigens seit bald zehn Jahren auch noch mit der Cover-Band FALLING HAZARD Tribut. Diese Formation wurde gegründet um Phil Lynott und THIN LIZZY zu würdigen. Wir haben dafür auch viele ältere und unbekannte Tracks einstudiert, und spielen immer wieder mal Gigs hier in der Umgebung, haben es aber auch schon in andere schwedische Metropolen geschafft. Veröffentlichungen stehen bei diesem Unternehmen logischerweise nicht auf der Agenda, wer sich für FALLING HAZARD interessiert, kann auf Youtube aber diverse Live-Videos finden.
Deine Tage scheinen generell länger zu dauern als die vieler anderer Menschen. Schließlich hast du neben deinen Tätigkeiten als Musiker auch schon mehrmals die Zeit gefunden dich als Autor zu betätigen. Ist das immer noch aktuell?
Ja! Mein viertes Buch befindet sich bereits in der Endphase. Es geht darin zwar wieder um die schwedische Rock- und Metal-Szene, allerdings habe ich dieses Mal kein enzyklopädisches Werk auf dem Schirm, wie das bisher der Fall gewesen ist [Janne hat mit "The Encyclopedia Of Swedish Hard Rock And Heavy Metal 1970-1996" (1996), "The Encyclopedia Of Swedish Hard Rock And Heavy Metal Volume II" (2002) und zuletzt 2013 mit "The Heaviest Encyclopedia of Swedish Hard Rock and Heavy Metal Ever!" absolut empfehlenswerte, weil umfangreiche und akribisch recherchierte Werke verfasst - d. Verf.]. Stattdessen habe ich mich mit der Geschichte der Szene selbst, mit dem Umfeld und diversesten Begleitumständen beschäftigt. Es handelt sich als eher um eine Studie.
Unter anderem gehe ich dabei genauer darauf ein, warum es für junge Menschen hier bei uns einfacher ist sein Leben als Musiker zu gestalten und eine Band zu gründen. Den genauen Titel des Buches weiß ich zwar selbst noch nicht, da ich aber auch zu ergründen versucht habe, wie sich manche Bands entwickelt haben, und woran das liegen könnte, wäre etwas in der Art von "The History And Background Of Swedish Hard Rock" wohl nicht unangebracht.
Respekt! Wenn man den Begriff "Workaholic" nicht schon erfunden hätte, würdest du glatt als "Prototyp" durchgehen. Mal ganz ehrlich: Viel Zeit für deine Familie bleibt dir nicht, oder?
Die Zeit, die mir bleibt, widme ich ihr voll und ganz! Übrigens hat meine Frau vor kurzer Zeit auch ihr erstes Buch veröffentlicht. Es trägt den Titel "We Came To Rock, The Official PRETTY MAIDS Journals". Wir inspirieren uns offenbar wirklich sehr. Das ist gut so, und so soll es auch bleiben!
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch, und viel Erfolg für all deine Projekte!
- Redakteur:
- Walter Scheurer