PORTRAIT: Interview mit Christian Lindell

01.04.2014 | 07:43

"Es wird Zeit, dass diese Retro-Welle vorbei ist, PORTRAIT wird davon nur profitieren." Die Schweden haben Blicke in die Vergangenheit satt, wie Gitarrist Christian erzählt.

 

Nils: Zunächst einmal Glückwunsch zum neuen Album! Viele Bands veröffentlichen ein tolles Debüt, danach ist aber Sense. Ihr scheint euch von Album zu Album zu steigern. Ist "Crossroads" das ultimative PORTRAIT-Album?

Christian: Dankeschön! Im Augenblick fühlt es sich natürlich an wie unser bestes Werk, aber sagt das nicht jede Band über ihr neues Album? Es ist jedes Mal eine Herausforderung, beim Songwriting das Optimum zu erreichen. Deswegen lernt man bei jedem Album etwas dazu. Seien es Dinge, die man besser machen kann oder Dinge, die man in Zukunft lieber weglassen sollte. Deswegen glaube ich, dass man unsere Entwicklung anhand der bisherigen Veröffentlichungen ganz gut nachvollziehen kann. Seit wir die Band gegründet haben, sind wir auf dem Weg zum "perfekten" PORTRAIT-Sound. "Crossroads" ist die größtmögliche Annäherung an unser Ideal - zumindest für den Augenblick!

Habt ihr euch beim Songwriting oder der Produktion bewusst an anderer Musik orientiert oder wie kann ich mir das bei euch vorstellen?

Es gibt keine musikalischen Einflüsse, die wir zu kopieren versuchen. Aber natürlich lässt sich schnell erkennen, dass der Heavy Metal der 80er uns maßgeblich beeinflusst. Trotzdem wollen wir unser eigenes Ding machen. In dieser Hinsicht haben wir hoffentlich etwas mit unseren musikalischen Ahnen gemeinsam, denn deren Entwicklung und die Suche nach Identität und Originalität ist das, was uns am meisten inspiriert. Wir begreifen diesen Prozess auch als Suche. In Sachen Produktion haben wir uns ganz auf Tore verlassen, der uns seine Ideen vorgetragen und dann umgesetzt hat. Das hat sich als sehr gut erwiesen, ich wüsste ehrlich gesagt nicht, was man hätte anders oder besser machen können.

Auf "Crossroads" klingen viele Songs noch zugänglicher, melodischer als auf dem Vorgänger. Hat das auch etwas mit dem kleinen Besetzungswechsel zu tun oder ist das schlicht und ergreifend eine Konsequenz eurer Entwicklung?

Das kommt wohl darauf an, was du unter "melodisch" verstehst. Melodien gab es auf dem letzten Album auch, hehe. Aber ja, dieses Mal gehen die Songs noch besser ins Ohr, "catchy" könnte man gut sagen. Ich sehe es als ein Zeichen unserer Entwicklung als Musiker und sonst nichts. Der Besetzungswechsel spielt da überhaupt keine Rolle, denn Auslöser dafür waren keine musikalischen Differenzen. Auswirkungen auf "Crossroads" lassen sich also ausschließen.

Leider dauert "Crossroads" nur 42 Minuten, was ich wirklich schade finde. Hattet ihr keine weiteren Songs auf diesem Niveau oder ist das eine Reminiszenz an das Vinyl-Zeitalter, wo Alben aufgrund technischer Begrenzungen nicht länger waren?

Wir haben nur die Songs geschrieben, die letztendlich auch auf dem Album gelandet sind. Es gab natürlich noch ein paar Ideen, die aber nicht umgesetzt wurden. Als wir den letzten kompletten Song aufgenommen hatten, wussten wir, dass wir alle Zutaten für das Album hatten und wir die anderen Ideen lieber für die nächste Platte verwenden können. Außerdem hasse ich ehrlich gesagt Alben, die nur auf Doppel-Vinyl passen. Insofern bin ich sehr froh, dass wir dieses Mal mit einer LP auskommen.

Die Stilrichtung, der ihr euch auch verschrieben habt, ist in den letzten Jahren unheimlich in Mode gekommen. Profitiert ihr davon, was meinst du?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht denn ich denke, dass unsere Platten deutlich stärker sind als vieles, was die Bands in diesem "Old School Trend" so fabrizieren. Unsere Musik hat mehr Qualität als nur das Label "retro", auch in den 90ern hätten wir dafür die gleiche Anerkennung bekommen. Was mir an diesem Trend überhaupt nicht gefällt, ist die Tatsache, dass wir mit diesen ganzen einfallslosen Truppen in einen Topf geworfen werden, wenn über uns in den Medien berichtet wird. Aber diese Welle wird bald ein Ende haben, und das kann für PORTRAIT nur gut sein.

Du hast in einem relativ aktuellen Interview nicht nur den Konsum-Mainstream kritisiert, aber auch den Metal-Untergrund. Existiert zurzeit ein grundsätzliches Problem in der Szene?

Ich weiß zwar nicht genau, worauf du konkret anspielst, aber die Dinge, die ich über "die Szene" gesagt habe, waren nicht auf den Untergrund bezogen. Ich wollte damit nur auf das Phänomen anspielen, dass einige Bands nur dadurch von den Leuten als gut wahrgenommen werden, weil irgendein bekannter Musiker sich dementsprechend geäußert hat. Ohne de Untergrund wären wir nichts und ich bewundere die Leute, die immer noch daran interessiert sind, in diesem riesigen Haufen Kacke nach den kleinen Goldklumpen zu suchen, die man gute Musik nennen kann.

Was ist denn wichtiger? Anerkennung im Untergrund oder Plattenverkäufe?

Na ohne die Anerkennung in der Szene würden wir überhaupt keine Platten verkaufen, allzu wichtig ist uns der kommerzielle Aspekt aber weniger. Wir wollen auf Tour gehen, Gigs spielen und bislang spielt sich das Live-Geschäft eher mit Leuten aus dem "Untergrund"statt. Ich würde aber wahnsinnig gerne hauptberuflich Musik machen können und große Namen wie JUDAS PRIEST, IRON MAIDEN oder DIO haben gezeigt, dass man das tun kann, ohne seine Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Ist PORTRAIT mittlerweile schon zu groß, als dass ihr Platten mit eurem eigenen Blut unterschreiben könnt?

Nein, aber es wäre doch ziemlich blöd, sein Blut so zu verschwenden und einer fremden Person quasi einen Teil von sich zu geben. Davon abgesehen: Kann eine Band jemals zu groß für so eine Geschichte werden? Ich habe jedenfalls noch nicht davon gehört ;)

Wenn du mit jeder Band auf Tour gehen könntest, wen würdest du wählen?

Vermutlich THE RODS und NIFELHEIM.

"Crossroads" könnte man als das beste KING DIAMOND-Album seit "Give Me Your Soul ..." bezeichnen, oder?

Klar. Oder als beste TOTO-Scheibe seit "Isolation".

 

Redakteur:
Nils Macher

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