RUSH: Die Mercury-Jahre von 1974 - 1989 im Rückspiegel

04.12.2011 | 16:53

Für viele Fans des Progressive Rock ist RUSH die beste Band aller Zeiten. Zumindest hat das Trio nie ein schwaches Album abgeliefert, sich dabei stets weiterentwickelt und doch immer seine Identität gewahrt. Zur Veröffentlichung der drei "Sector"-Boxen blicken wir auf die Jahre 1974 bis 1989 zurück

Ganz klar, die Zeit, um die großen Bands und Klassiker bei POWERMETAL.de zu besprechen, hat man viel zu selten. Re-Releases sind da immer eine willkommene Angelegenheit, um dies nachzuholen. Bei RUSH ist das ein wahrer Mammutakt. 18 Studioalben, dazu diverse Livealben und DVDs. Und doch ist jetzt die richtige Gelegenheit gekommen, um zumindest auf einen Großteil der großartigen Diskografie des kanadischen Trios zurückzublicken.

Die drei "Sector"-Boxen beinhalten alle 15 bei Mercury veröffentlichten Alben (zwölf Studiowerke, drei Livealben) aus der Zeit von 1974 - 1989. Jede der Boxen enthält vier Studioalben, ein Livealbum sowie ein Album als 5.1-DVD-Mix. Dazu kommt je ein umfangreiches Booklet mit vielen unveröffentlichten Bildern und allen Texten sowie der schicke Vinyl-Replica-Look. Alle drei Boxen ergeben dann einen RUSH-Instrumentenkoffer. Doch widmen wir uns den drei Sektoren mal im Detail.

"Sector One"
"Sector One" befasst sich mit dem Frühwerk der Band vom Debüt "Rush" bis hin zum Durchbruch mit "2112" und dem anschließenden Livealbum "All The World's A Stage". "Fly By Night" ist noch einmal zusätzlich als DVD im 5.1 Surroundsound  enthalten.


"Rush"
1974 erschien das erste Album des kanadischen Trios, wobei das zu diesem Zeitpunkt noch aus Herren Lee, Lifeson und John Rutsey am Schlagzeug bestand. John Rutsey verließ die Band aber nach den Aufnahmen zu diesem Album und wurde durch Neil Peart ersetzt. Das Debüt ist noch deutlich hardrockiger als die folgenden Werke ausgefallen und gilt gemeinhin als 'schwächstes' Album der Herren. Aber das ist natürlich schon Meckern auf grandios hohem Niveau. 'Working Man' ist nicht umsonst bis heute gern gesehener Gast bei einem RUSH-Gig, 'Finding My Way' ist ein feiner Hardrocker und 'In The Mood' gefällt mit seinem Blues-Einschlag im Gitarrenspiel von Lifeson und einer schönen Hookline im Chorus. So gut wollen viele Bands mal werden.

"Fly By Night"

Seit der Veröffentlichung von "Fly By Night" vor 36(!) Jahren ist das Trio Lee/Lifeson/Peart jetzt zusammen. Und "Fly By Night" nahm bereits die nächste Entwicklungsstufe. Geddy singt eine Spur höher als auf dem Debüt, das progressive Element rückte bei einem Epos wie 'By-Tor & The Snow Dog' stärker in den Mittelpunkt, zudem gab man sich noch abwechslungsreicher, was die schöne Ballade 'Rivendell', der Hit 'Anthem' oder das abschließende, mit schönem Akustikintro eingeleitete 'In The End' beweisen. Die DVD besticht dann mit einem raumgreifenden, sehr viel detaillierteren Klang, der den Hörspaß noch einmal deutlich erhöht.

"Caress Of Steel"
Nur etwas mehr als sechs Monate später wurde mit "Caress Of Steel" bereits das nächste Album veröffentlicht. Und hier gelingt erstmals ein echter Geniestreich. 'Bastille Day' ist einer dieser kurzen, leicht vertrackten und doch eingängigen Hits, die das Trio in Massen geschrieben hat. Kern des Albums sind aber die beiden überlangen Epen 'The Necromancer' und 'The Fountain Of Lamneth'. 'The Fountain Of Lamneth' ist dabei so etwas wie die Blaupause dessen, was auf "2112" dann formvollendet wird.

"2112"
Wieder nur sieben Monate später stand bereits die nächste LP in den Läden und brachte dem formidablen Trio den endgültigen Durchbruch in Nordamerika. In ihrer Heimat Kanada erreichte RUSH erstmals die Pole Position in den Charts und in den USA schaffte man es immerhin auf #61. Damals musste man dafür noch ziemlich viele Scheiben verkaufen. Und das liegt nicht nur am 20-minütigen Titelsong, sondern auch an dem passend mit asiatisch angehauchten Melodien versehenen 'A Passage To Bangkok'. Ein riesengroßes Werk.


"All World's A Stage"
Nach vier Studioalben kommt bei RUSH ein Livealbum. Diese Regel galt bis einschließlich "Test For Echo" und so war "All World's A Stage" die erste livehaftige Aufzeichnung der Kanadier. Das Herz des Sets bildet natürlich '2112', von dem fünf der sieben Parts dargeboten werden, und 'By-Tor And The Snow Dog'. Doch finden Geddy, Alex & Neil schon hier die richtige Mischung aus kurzen, rockigen Nummern und progressiven Maulsperren. 'Bastille Day' ist ein brillanter Opener, Songs wie 'Anthem' oder 'Lakeside Park' betonen die Hardrock-Seite der Truppe und doch zeigt jeder Song auch, dass hier drei gigantische Könner am Werk sind.

"Sector Two"
Der zweite Sektor dieser Serie beinhaltet die Alben von "A Farewell To Kings" bis "Exit...Stage Left" und damit die wohl erfolgreichste Phase der Band überhaupt. "A Farewell To Kings" gibt es zusätzlich im 5.1 surround Sound auf DVD.


"A Farewell To Kings"

Schon etliche Bands sind an der Bürde eines gigantischen Vorgängers zerbrochen, bei RUSH ist davon allerdings nichts zu spüren. "A Farewell To Kings" ist qualitativ auf Augenhöhe mit "2112", was der Titeltrack, die Single-Hits 'Closer To The Heart' und 'Cinderella Man' sowie der herausragende Longtrack 'Xanadu' beweisen. Und 'Cygnus X-1' stimmt einen schon auf den Nachfolger ein. Zur DVD kann ich hier dieselben Worte wie bei "Fly By Night" benutzen. Toll.

"Hemispheres"
Das Herzstück des 1978 veröffentlichten Werks ist 'Cygnus X-1 Book II: Hemispheres', ein 18-minütiges Monster, das locker das Niveau von '2112' erreicht und vielleicht sogar übertrifft. Ich würde beinahe behaupten, dass '2112' nur das höhere Ansehen genießt, weil es der erste RUSH-Song dieser Art war. Mit 'The Trees' gibt es zudem einen grandiosen Ohrwurm mit vorzüglichem Text und das beinahe zehnminütige Instrumental 'La Villa Strangiato' sorgt auch heute noch livehaftig für Kauleisten, die gen Horizont rasen.

"Permanent Waves"

Die Achtziger beginnen mit leichten Soundmodifikationen. Synthesizer werden vermehrt eingesetzt, die Songs werden etwas kompakter und Geddy Lee singt ein wenig tiefer. In 'The Spirit Of Radio' bauen die Herren sogar Reggae-Versatzstücke ein, ohne dass es nervt. Und das ist ein Riesenkompliment von einem großen Reggaeverweigerer. 'Freewill' und 'Entre Nous' profitieren von dieser Kompaktheit, während 'Jacob's Ladder' vor allem dank der Synthies sehr spannend arrangiert ist. Mit dem neunminütigen 'Natural Science' gibt es noch eine Nummer, die Herz & Hirn gleichermaßen anspricht und gerade im Rhythmusbereich für Begeisterung sorgt. Keine Überraschung, dass das Trio damit die nächste Stufe auf der Erfolgsleiter nahm.

"Moving Pictures"

Nur um ein Jahr später auf dem endgültigen Höhepunkt angekommen zu sein. "Moving Pictures" ist bis heute das populärste & meistverkaufte Album der Herren, was sie ja erst kürzlich mit der "Time Machine"-Tour ausgiebig zelebrierten. Das auf einem Morsecode basierende Instrumental 'YYZ', die Hookwunder 'Tom Sawyer' und 'Limelight' oder das grandiose 'The Camera Eye', das ist die formvollendete Verschmelzung von Anspruch und Eingängigkeit. Völlig zu Recht ein Meilenstein der Musikgeschichte.

"Exit..Stage Left"
Auch dieser Sektor wird natürlich von einem Livealbum abgeschlossen. Formidabel wie immer spielen sich Geddy, Alex & Neil durch Diamanten wie 'The Spirit Of Radio', 'Red Barchetta', 'YYZ', 'A Passage To Bangkok' oder 'Closer To The Heart'. Und das sind bloß die ersten fünf Songs dieses Riesen. Bis auf die Tatsache, dass es hier kurze Pausen zwischen den Songs gibt, die ein wenig die Atmosphäre stören, wieder mal eine Demonstration der einzigartigen Klasse des Trios.

"Sector Three"
Der dritte und letzte Sektor dieser Serie beinhaltet die Studioalben von "Signals" (auch als DVD) bis "Hold Your Fire" und das Livealbum "A Show Of Hands".


"Signals"
Was sich schon auf "Permanent Waves" und "Moving Pictures" andeutete, wurde auf "Signals" noch einen Schritt vorangetrieben. Die Synthesizer nahmen einen noch größeren Stelenwert ein, die Songs wurden noch kompakter und Geddys Stimme wurde etwas tiefer gelegt. Das ändert zwar den Charakter der Band, die Klasse aber beeinträchtigt dies nicht im Geringsten. Songs wie 'Subdivision', 'The Analog Kid', 'The Weapon' (völlig unterschätzte Glanztat!) oder 'New World Man' beweisen, dass RUSH aus unschlagbaren Songwritern besteht, die es schaffen sich ständig weiterzuentwickeln, ohne auch nur im Ansatz ihre Identität zu verlieren. Auf die DVD gehe ich an dieser Stelle gar nicht mehr ein. Ich muss ja nicht alles dreimal schreiben.

"Grace Under Pressure"

Das Werk aus dem Jahr 1984 ist bis heute mein RUSH-Favorit. Egal, ob der fantastische Opener 'Distant Early Warning', das Gänsehaut erzeugende, sehr persönliche 'Red Sector A', 'The Enemy Within' oder das abschließende 'Between The Wheels'. Jeder Song ist eine Perle, die mit Dynamik, kleinen technischen Versatzstücken, tollen Texten und fantastischen Melodien en masse gesegnet ist. Viel besser kann man Musik nicht spielen. Wahnsinn.

"Power Windows"

Ich muss zugeben, dass "Power Windows" bei mir erst einen schweren Stand hatte, weil die Klasse von "Grace Under Pressure" nicht komplett erreicht wird. Liegt vielleicht auch daran, dass die Hits etwas subtiler geflochten wurden. Denn während 'The Big Money' zwar ein Single-Hit wurde, aber im Grunde verhältnismäßig unspektakulär daherkommt, ist vor allem das Trio 'Manhattan Project', 'Marathon' und 'Territories' komplett fantastisch. Das textlich herausragende 'Emotion Detector' oder das zarte 'Mystic Rhythms' sind weitere Höhepunkte einer absoluten Göttergabe.


"Hold Your Fire"

Auch "Hold Your Fire" wird selten aufgezählt, wenn es um die besten Alben der Band geht. Aber auch dieses vielleicht poppigste Werk der Troika ist nichts anderes als ein Glanzstück. Alleine 'Mission', 'Turn The Page' und 'Tai Shan' sind absolute Klassiker, die eigentlich auf keinem Konzert fehlen dürften. Aber das gilt ja bekanntlich für den halben Bandkatalog. Und auch 'Time Stand Still' oder 'Force Ten' liegen nur unwesentlich dahinter. Seinen verhältnismäßig schwachen Ruf erhält "Hold Your Fire" wohl durch die etwas unspektakulären 'Second Nature' und 'Prime Mover', die im Albumkontext etwas abfallen. Dennoch ist auch "Hold Your Fire" ein brillantes Werk.

"A Show Of Hands"

Den Abschluss bildet natürlich erneut eine Liveaufnahme. Aufgenommen auf mehreren Stationen zwischen 1986 und 1988 ist auch "A Show Of Hands" eine Ansammlung fantastischer Songs und führt zudem mit 'The Rhythm Method' das mittlerweile standesgemäße Drumsolo ein, welches zuvor immer noch in Songs integriert wurde, hier aber den verdienten Ehrenplatz enthält und natürlich ein Showhöhepunkt ist.


Nach so viel Text ist natürlich die Frage, wer denn diese Boxen kaufen sollte. Nun, preislich liegt jeder Teil bei etwa 40,- Euro und ist damit etwas teurer, als wenn man die fünf CDs einzeln kauft, da man diese in der Regel für ca. sieben Euro erwerben kann. Hier bekommt man zusätzlich noch jeweils ein Album als DVD mit perfektem Klangbild, eine sehr ansehnliche Box und das dicke Booklet mit vielen Fotos, die die Frisurentwicklung des Trios zeigen. Wer also eine der Phasen noch gar nicht sein Eigen nennt, kann hier bedenkenlos zugreifen. Hardcore-Fans tun dies eh. Beide Gruppen werden es nicht bereuen.

Redakteur:
Peter Kubaschk
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