SABATON: Interview mit Joakim Brodén

19.06.2019 | 18:34

"Wir sind ein Haufen glücklicher, schwedischer Typen, die aussehen wie die Village People und über Tod und Zerstörung singen."

Vielen lieben Dank dafür, dass du dir heute die Zeit für uns nimmst. Es gibt eine ganze Menge Themen, über die wir heute reden könnten: Ihr veröffentlicht nicht nur ein neues Album, sondern feiert auch euer zwanzigjähriges Bandjubiläum UND zieht seit einiger Zeit auf Youtube den "Sabaton History Channel" hoch...

Ja, und ich freue mich darauf! Wir hätten uns auch auf unserem zwanzigjährigen Bandbestehen ausruhen können und irgendwelche Jubiläumsalben veröffentlichen können, aber ich bevorzuge es, immer nach vorne zu schauen. Der "Sabaton History Channel" ist ein langjähriger Traum von uns, den wir jetzt endlich verwirklicht haben. Natürlich müssen wir uns jetzt erst einmal anschauen, ob die Leute auch Interesse an unseren Videos haben, aber wenn der Channel gut ankommt, wollen wir irgendwann jeden SABATON-Song umsetzen. Wir haben uns einfach gefragt, womit wir unsere Fans zu unserem zwanzigjährigen Jubiläum glücklich machen können. Unsere Fans wollen SABATON hören, zumindest nehme ich das an. Also wollten wir einen Song gratis veröffentlichen. Schon 2009 haben wir nach Songideen gefragt und schon damals hat sich Bismarck als Favorit herauskristallisiert.

Kannst du dir erklären, warum diese Thematik so beliebt ist?

Der Name Bismarck ist legendär. Nicht viele Menschen wissen, dass "Bismarck" der Name eines Kriegsschiffs im Zweiten Weltkrieg war. Man kann es mit "Red Baron" vergleichen: Jeder hat schon einmal davon gehört, aber die wenigsten Menschen können ihn historisch einordnen. So jedenfalls kamen wir dazu, 'Bismarck' umzusetzen. Wir waren mit dem Song auch unglaublich zufrieden, aber der Plan, ihn gratis zu veröffentlichen, ging nicht wirklich auf. Wir haben nicht von Anfang an klar kommuniziert, dass er ein kostenloses Dankeschön an unsere Fans ist. Dauernd wurden wir gefragt, wann er auf Spotify und Apple Music verfügbar ist. Das hat uns ein wenig verwirrt: Immerhin wollten wir ja genau das nicht - dass die Leute für diesen Song bezahlen! Aber das war unser Fehler: Es ist unsere Aufgabe, die Musik zu schreiben und zu spielen, aber wir können oder sollten den Menschen nicht vorschreiben, wie sie unsere Musik zu hören haben. Manche mögen Vinyl, manche CDs, manche Youtube und manche eben Spotify. Wir haben uns daher dafür entschieden, den Titel auch auf Spotify zu veröffentlichen, aber was die Zukunft für 'Bismarck' bereithält, wissen wir auch noch nicht. Unsere eigentliche Aussage damit war ursprünglich: "Hey Leute, danke, dass ihr seit zwanzig Jahren zu uns steht. Hier ist ein Song für euch, wir haben ein cooles Video gemacht und wir hoffen, dass es euch gefällt!" Und er hat eine ganze Menge Aufmerksamkeit erregt.

Habt ihr das erwartet?

Wir hatten ziemlich hohe Ambitionen mit diesem Song. Und diese Ambitionen wurden sogar noch übertroffen.

Wo wir schon bei Ambitionen sind: "The Great War" ist ein unglaublich vielschichtiges, umfassendes Kapitel der europäischen Geschichte. Gab es während der Vorbereitungen, des Songwritings und der Produktion des Albums jemals einen Moment, in dem es euch zu ambitioniert vorkam, diese Zeit in ein Konzeptalbum zu pressen?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es das ist. Wir haben ja schon in einigen Songs vor "The Great War" den ersten Weltkrieg thematisch behandelt. Natürlich denke ich, dass wir nie wieder ein Konzeptalbum über den Ersten Weltkrieg schreiben werden. Aber ich wäre sehr überrascht, wenn diese Epoche nie wieder in einem unserer Titel auftaucht. Es gibt uns bereits seit zwanzig Jahren und niemand in der Band hat die Vierzig bisher überschritten. Einige von uns sind sogar noch unter dreißig! Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das noch zwanzig Jahre lang machen und es noch acht, neun weitere Alben von uns geben wird. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir über den Ersten Weltkrieg singen. Es gibt noch so viele Facetten dieser Zeit, die wir noch nicht thematisiert haben. Selbst wenn wir bis zum Ende unserer Karriere nur noch über "The Great War" singen würden, hätten wir nur die Oberfläche angekratzt. Das liegt aber auch an unserer Art, mit der Geschichte umzugehen. Wir zoomen an einzelne Charaktere, die eine großartige Grundlage für Storytelling bieten, ganz nah ran.

Wie schwierig war es an dieser Stelle für dich, die Themen für das Album auszuwählen?

Ziemlich schwierig. Es war teils sogar so, dass unsere Lieblingsgeschichten es nicht auf "The Great War" geschafft haben. Für uns ist es einfach wichtig, dass die Musik und die Themen die gleiche emotionale Sprache sprechen. Das macht es oft nicht einfach, sich zu entscheiden. Es gibt im Laufe unserer Produktion immer ein oder zwei "Waisenkinder": Geschichten, für die wir monatelang recherchiert haben, aber wir wissen trotzdem nicht, wie wir sie musikalisch umsetzen sollen. Wir gehen an unsere Alben mit einem ganz anderen Anspruch heran, als die meisten Leute es von uns erwarten. Wir wollen einfach einen Strauß guter Songs schreiben und gute Geschichten erzählen. Wir fangen an, Musik zu schreiben und dann kommt der Moment, an dem wir uns für ein Thema entscheiden. In diesem Augenblick fängt das Grundmotiv an, die instrumentale Musik zu beeinflussen. Und es klingt am Ende nie genauso, wie wir es erwartet hätten. Wir machen uns im Voraus keine Gedanken, ob wir härter, weicher, emotionaler oder sonst irgendwie klingen wollen. Das macht die Arbeit aber auch wunderschön.

Was war denn die größte Überraschung bei den Arbeiten an "The Great War" für dich?

Da gab es einige Überraschungen. Ein Titel, der sich wirklich außerordentlich gemacht hat, ist 'Seven Pillars Of Wisdom'. Chris und ich haben den Song zusammen geschrieben und wir waren sehr stolz darauf, aber im Studio hat er mit dem besten Gitarren- und Schlagzeugspiel in der gesamten Historie von SABATON einfach einen fantastischen Feinschliff bekommen. Es ist einfach großartig! Normalerweise fange ich an, unsere Musik zu hassen, wenn wir in den letzten Zügen der Produktion liegen, weil ich sie dann schon so oft gehört habe - aber irgendetwas in diesem Song bringt mich dazu, dass ich mir ein Bier schnappen und laut mitsingen will.

Auch wenn ihr auf "The Great War" viele verschiedene Geschichten erzählt, fügt sich zum Ende alles wie ein Mosaik zusammen und spannt einen großen Bogen. Angefangen bei 'The Future Of Warfare' bis hin zu 'The End Of The War To End All Wars'.

Das war eine wirklich komplizierte Angelegenheit. Wir hatten anfangs gehofft, dass wir "The Great War" als komplettes Konzept chronologisch aufbauen können und die Geschichte von Anfang bis zum Ende erzählen können. Schnell kamen wir aber zum Problem, dass wir hier über Menschen reden, die über mehrere Jahre eine Rolle im Krieg gespielt haben. Wo willst du sie zeitlich in diesem Konzept ansiedeln? Wann tauchen sie auf? Nehmen wir die Schlacht in Verdun beispielsweise: Sie dauerte mehrere hundert Tage. In dieser Zeit ist so viel anderes passiert. Das kannst du chronologisch gar nicht aufarbeiten. Außerdem hätten wir dann ganz andere Geschichten aufgreifen müssen, die vielleicht wichtig für das Kriegsgeschehen gewesen sind, für die wir allerdings keine kreativen Ideen hatten. Wir müssen über Dinge schreiben, die uns interessieren und mit denen wir arbeiten können, sonst macht das keinen Sinn. Schließlich haben wir versucht, die vorhandenen Geschichten in eine chronologische Reihenfolge zu bringen. Das hat das Hörerlebnis aber vollkommen kaputt gemacht. Viele unserer Fans werden sich das Album von vorne bis hinten in dieser Reihenfolge anhören - mir ist es daher wichtig, dass dieses Erlebnis, diese emotionale Achterbahnfahrt mit all ihren Höhen und Tiefen, stimmig ist. Anfangs war ich kein Fan davon, die Pläne einer chronologischen Umsetzung aufgeben zu müssen. Aber mit dem Resultat bin ich ausgesprochen zufrieden.

Apropos Hörerlebnis: Für eure Pre Listening Session habt ihr Journalisten zu einem ganz besonderen Ort eingeladen. Ihr habt dieses Presseevent in Verdun veranstaltet. Wie hat die Atmosphäre dieser geschichtsträchtigen Umgebung die Stimmung beeinflusst?

Für uns war die Listening Session in Verdun die perfekte Gelegenheit, den Journalisten nicht nur einen Einblick in unser neues Album, sondern auch einen Einblick in dessen Thematik zu geben und sie für die Geschichten von "The Great War" zu sensibilisieren. Ich bin niemand, dem Dinge schnell aufs Gemüt schlagen, wenn es um Kriegsgeschichten geht. Wenn ich über die Konflikte, über Zerstörung und Krieg recherchiere, dringt das emotional nicht so stark zu mir durch. Aber das Bewusstsein dieses Ortes, die Düsternis - sie war spürbar. Ich fühlte mich ein bisschen weniger glücklich, als ich mich für gewöhnlich fühle. Dieses Gefühl mit anderen Menschen zu teilen, hatte etwas Erlösendes. Ich konnte mit der Emotionalität des Themas abschließen. Das ist mir wichtig: Ich will nicht auf der Bühne stehen und darüber nachdenken müssen. Ich will einfach meinen Spaß haben. Das ist schon paradox, oder? Wir sind ein Haufen glücklicher, schwedischer Typen, die aussehen wie die Village People und über Tod und Zerstörung singen. Aber ja: Unsere Musik und die Themen, über die wir singen, sind sehr ernst. Aber wir nehmen uns selbst nicht allzu ernst.

Dennoch: Das letzte Lied von "The Great War" hat einen sehr ernsten Hintergrund. So erinnert die Zeile "To you from failing hands we throw the torch; be yours to hold it high" stark an einen Appell zur Erinnerung und Friedfertigkeit.

Ja, der letzte Song unterscheidet sich stark von den anderen Titeln. Wir haben den Text nicht selbst geschrieben, es ist ein altes Gedicht, von dem es viele verschiedene Vertonungen gibt. Zunächst wollten wir eine dieser Versionen covern. Aber der vorausgehende Track 'The End Of The War To End All Wars' ist derart episch und aufgeblasen mit Gitarren, Drums und Orchester, dass wir bewusst leisere Töne zum Ende hin anschlagen wollten. Zum ersten Mal in unserer Bandgeschichte haben wir so ziemlich sämtliche Elemente entfernt, die uns ausmachen. Die Orgel, die Gitarren, die Drums - sogar meinen Gesang! Ja, auf dem letzten Song des kommenden SABATON-Albums ist kein Bandmitglied zu hören. Der Chor, der 'In Flanders Fields' singt, ist jedoch ein Chor, mit dem wir schon lange zusammenarbeiten. Die Mutter unseres ehemaligen Schlagzeugers, seine Tante, mein alter Schwimmlehrer, ihre Freunde aus dem Kirchenchor... Das sind Menschen, mit denen wir bereits seit "Prima Victoria" arbeiten. Das ist sehr lustig, denn wir werden dauernd gefragt, mit wem wir denn nun den Chor aufgenommen haben: Mit einem Chor aus Moskau, New York...?

Andere Bands veröffentlichen zu ihrem zwanzigjährigen Jubiläum ein Best Of-Album...

Vielleicht tun wir das ja irgendwann. Aber gerade ist nicht die Zeit für uns, zurückzuschauen. Ich habe noch keine Ahnung, ob wir es tun und wenn ja, wie wir das anstellen. Aber gerade fühlt es sich nicht richtig an, also tun wir es nicht. Und dieses Denken ist ein Luxus. Wenn ich an unser Banddasein von vor zehn Jahren zurückdenke: Wir waren weitaus mehr getrieben davon, das zu tun, was wir mussten, um zu überleben. Indem wir Jahr für Jahr wuchsen, haben wir uns auch Freiheit erspielt - und jede Menge gelernt.

Was war die wichtigste Lektion, die ihr in dieser Zeit gelernt habt?

Mit den Konsequenzen unserer Entscheidungen umzugehen. Wir sind einige Male auf Tour gegangen, um wirtschaftlich zu überleben. Versteh mich bitte nicht falsch: Es ist nicht, als ob uns das Touren anöden würde. Wir hätten uns manchmal einfach längere Pausen gewünscht, aber das konnten wir uns damals nicht leisten. Natürlich, es ist immer einfach zu sagen, dass es diese Pause wert ist. Aber wenn du deine Rechnungen nicht zahlen kannst, dann ist das ein bescheuerter Ratschlag. Heute kann ich in dieser Hinsicht entspannter sein, wenn ich weiß, dass wir kein Geld verlieren, sondern uns einfach weiterer Gewinn durch die Lappen geht. Ich hatte fast immer eine gute Zeit unterwegs, aber ich will, dass das auch noch zwanzig weitere Jahre so weitergeht. Für Bands ist diese Situation ungemein schwierig: Du kommst von einer Tour zurück und lebst vom Merchgeld, suchst dir einen anderen Job, um dein Leben zu finanzieren... Das ist gar nicht mal so leicht: Versuch mal, einem potentiellen Arbeitgeber zu vermitteln, dass du in zwei Monaten wieder auf Tour gehst! So tingelst du dann von Job zu Job. Das laugt ganz schön aus. Die Touren selbst an diesem Punkt: Du verkaufst deinen Merch selbst, lädst ein, lädst aus und bist Künstler, Crew, alles zugleich. Ich muss sagen: Ich bin sehr froh, an diesem Punkt gewesen zu sein. Aber genauso froh bin ich, dass wir darüber hinausgekommen sind, bevor wir ausgebrannt waren. Ich bin sehr stolz auf diese Zeit in meinem Leben. Wir haben keinen Raketenstart hingelegt, leicht hatten wir es ganz sicher nicht. Aber es gibt Bands, die ich unglaublich bewundere, weil sie seit fünf bis zehn Jahren in dieser Lage sind und es immer noch tun. Und genau das sind die Bands, die die Leute unterstützen sollten. Auch wenn sie zweimal im Jahr die gleiche Stadt bespielen - einfach, weil sie es müssen. Das sind eigentlich die wahren Helden der Musikindustrie.

Redakteur:
Leoni Dowidat

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