SAVIOUR MACHINE - Interview mit Sänger Eric Clayton, Teil 2
08.11.2025 | 15:48So, und wie versprochen folgt hier nun die Fortsetzung des ersten Teils des Gesprächs mit Eric Clayton von SAVIOUR MACHINE. Read and enjoy!
Es gab seinerzeit Probleme mit dem Vertrieb von MCM zwischen "Legend III:I" und "Legend III:II", welches ja Demo-/Outtake-Versionen, zu denen Massacre Zugang hatte, enthält und gegen den Willen der Band veröffentlicht wurde, was zu großen Kontroversen führte. Wie kam es seinerzeit denn überhaupt zu dem umstrittenen Release von "Legend III:II" über MCM und Massacre? Gab es hierüber noch irgendwelche Nachwehen und wie ist die derzeitige Rechtslage?
Es ist wirklich eine komplizierte Geschichte. Im Grunde war es so, dass ich so um 2004, vielleicht 2005, einfach genug hatte. Ich hatte über Jahre genug Hinweise und Beweise gesammelt, um zu wissen: Zwischen MCM und Massacre lief irgendetwas nicht sauber. Da lief etwas im Hintergrund, und es hat einfach gestunken. Ich habe Vertreter beider Firmen dann drauf angesprochen, ganz normal zuerst, freundlich, sachlich, und habe gesagt: "Hey, ich brauch ne komplette Abrechnung. Ich will wissen, was Sache ist, ich will alles sehen." Und das habe ich zwei Jahre lang versucht, ruhig und vernünftig. Aber irgendwann war es dann soweit, dass ich gesagt habe: "Okay, jetzt reicht's. Zeigt mir alles, oder das Ding ist durch." Und genau da wurde es dann richtig kompliziert, Papierkram, Anwälte, dieses ganze Zeug. Das alles hing mit diesem Lizenzvertrag zusammen, den ich über MCM laufen ließ. Das war ja eigentlich eine Managementfirma, die ich selbst gegründet hatte. So was Offizielles eben, damit das Ganze nach außen hin seriös aussieht. Nicht nur SAVIOUR MACHINE, die Band, sondern halt eine Firma, weißt du? So dass Labels dich auch ernst nehmen.
Als wir dann '94 das erste Mal nach Europa rüberkamen, war das eigentlich Matthias Mittelstadt, der das alles in Gang gebracht hat. Er war unser Verbindungsmann, hatte da sein kleines Netzwerk, und irgendwie kam eins zum anderen. Unsere erste Tour in Deutschland war im Dezember '94, zwölf Shows in, ich glaube, fünfzehn Tagen oder so. Und, Mann, das war irre. Richtig schockierend erfolgreich. Wir dachten, okay, das wird so ne kleine Testtour, und dann war da dieser Hype, die Clubs voll, die Leute ausgerastet. Wir standen da und dachten nur: "Heilige Scheiße, wir haben endlich einen Ort gefunden, wo die Leute uns wirklich mögen!" Das war das erste Mal, dass wir das so richtig gespürt haben. Und weißt du, in Kalifornien hatten wir zwar auch unsere Verbindungen, unsere kleine Szene, Goth, Metal, Rock, was auch immer. Aber das war eher so eine merkwürdige Nummer. Wir hatten diesen schon fast mythologischen Ruf um uns herum. Es ging eher um das Spektakel, den Skandal, das Image. Die Clubs hatten uns irgendwann satt. Wir waren denen einfach zu laut und zu extrem. Kalifornien war für uns also irgendwann tot.
Deshalb fühlte sich das sogenannte "Middle America", also das christliche Amerika, erst mal wie so eine Einladung an. Da waren plötzlich Leute, die wirklich zuhören wollten. Die sich für die Texte interessierten, für die Botschaft. Und das war stark. Aber ich habe auch schnell gemerkt, dass das gefährlich ist. Das drückt jede Menge Knöpfe, bei Labels, bei Vertrieben, bei Kirchen, bei diesen ganzen großen religiösen Organisationen. Und Mann, wir hatten keine Ahnung, wie eng diese christliche Musikszene wirklich ist. Wie schnell sich da alles rumspricht, wenn du nur eine falsche Sache sagst. Ich war jung, übermütig, und ja, ich habe in Interviews Sachen gesagt, die man diplomatischer hätte sagen können. Ich war 21, 22, und ich habe Leute direkt konfrontiert, sie wegen ihrer Heuchelei angegangen, wegen ihres oberflächlichen Christentums.
Ich kam halt aus dieser kleinen Kirche, wo du die Leute wirklich kanntest. Und dann siehst du plötzlich diese Mega-Churches, wo es mehr um Geld geht als um Gnade. Und das hat mich einfach wütend gemacht. Ich war ehrlich, aber eben ungehobelt ehrlich. Und das hat mir eine Menge Ärger eingebracht. Die Kontroverse um unsere Shows, um das Blut, um das ganze Bild, das war ja schon genug. Aber ich habe das Ganze dann noch angeheizt, anstatt es zu beruhigen. Ich hätte vielleicht der "nette, brave Christ aus Kalifornien" sein sollen, aber das war ich nie.
Und wenn du mich heute fragst: Ja, ich würde dieselben Fragen wieder stellen. Ich meine, komm schon, ist es nicht gefährlich, Religion und Politik so eng zu verknüpfen? Sollte Kirche und Staat nicht getrennt bleiben, so wie es in der verdammten Verfassung steht? Ich habe damals Blut auf amerikanische Flaggen und auf Kreuze getropft. Das war keine Blasphemie, das war ein Statement. Ich wollte zeigen: Wenn du die Flagge mit dem Kreuz verschmilzt, dann hast du ein Problem, und zwar ein großes. Viele haben das aber nicht verstanden. Manche haben es gehasst. Aber für mich war das Kunst, Ausdruck, ein Schrei. Und oft musste ich danach erklären, was ich eigentlich sagen wollte. Was du als Künstler eigentlich nie tun willst. Aber das war mein Weg, weißt du? Und wenn ich heute zurückschaue, denke ich mir nur: Mann, was für ein weiter Weg das war, bis wir irgendwann hier gelandet sind, in Deutschland. Und das war so: Wow, endlich irgendwo angekommen!
Das Coole hier war einfach: Niemand quatscht dir rein, niemand sagt dir, dass du dies oder das nicht machen darfst. Ich habe das zwar auch von ein paar Christen hier erlebt, aber die meisten sind einfach nur Metal-Fans, ganz normale Kids, weißt du? Und das war so ein Moment, wo ich dachte: "Okay, endlich spielen wir für Leute, die einfach Musik hören wollen, und die wirklich interessiert, was wir machen." Das war irgendwie befreiend. Es fühlte sich einfach offener an. Ich würde sagen, es war hier alles ein bisschen liberaler, gerade in Deutschland. Es hat eingeschlagen wie eine Bombe, total positive Zeit. Kein kirchlicher Legalismus, keiner, der mit dem Finger zeigt. Die religiösen Leute, die ich hier getroffen habe, waren gläubig, klar, aber nicht so hardcore drauf wie viele Christen in den USA. In Amerika heißt es ja schnell: "Fick dich, du kommst in die Hölle!", weißt du, so dieser ultra-moralische Mist. Da darfst du nicht fluchen, darfst nichts Anstößiges zeigen, musst ständig aufpassen. Hier war das total anders. Ich meine, in den USA musste ich damals diese weißen Statuen auf der Bühne, diese Figuren mit Ketten, die wir in unseren Shows hatten, wirklich abdecken, weil sie sonst Stress gemacht hätten. Und hier in Europa hieß es dann: "Hey, die Statuen bleiben, das sieht cool aus!" Kein Mensch hat sich drüber aufgeregt. Das war echt so ein kleiner Kulturschock. Wir waren für die Amis damals total subversiv, fast schon gefährlich. Und wenn ich heute, all die Jahre später, im Rahmen dieses Doku-Projekts zurückschaue, denke ich: "Mann, das war echt verrückt, was wir da gemacht haben." Aber die Welt ist seitdem noch viel verrückter geworden.
Ich meine, hast du dir mal angeschaut, was heutzutage auf manchen Death-Metal-Festivals abgeht? Diese nordischen Bands, das gleicht teilweise eher eine Ritual-Zeremonie als einem Rock-Konzert. Ich habe mir in den letzten Jahren viel altes Material von uns angeschaut, so Live-Aufnahmen aus den 90ern, und dachte erst: "Na ja, das wirkt heute bestimmt total harmlos." Aber ehrlich? Nein. Es hat immer noch Wucht. Ich meine, klar, im Vergleich zu den Sachen, die du heute siehst, wie GOJIRA oder diese ganzen heidnischen Bands mit Hörnern, Corpse Paint und riesigen Kostümen, das ist schon eine andere Liga. Auch heutiger Power Metal ist wie ein Mix aus "Mad Max", "Matrix" und nordischem Folk, weißt du? Voll durchinszeniert.
Und ich finde, Metal ist einfach immer theatralischer geworden, das gehört mittlerweile voll dazu, auch kommerziell. Und dann denke ich an eine Band wie GHOST. Ein Freund von mir hat es neulich perfekt auf den Punkt gebracht: "Im Grunde machen die heute das, was ihr schon vor dreißig Jahren gemacht habt. Nur halt glattgezogen, elegant, comicmäßig. Es regt nicht mehr so zum Nachdenken an, es sieht einfach nur cool aus." Er meinte dann so: "Ey, das ist irgendwie ein bisschen wie Scooby-Doo, aber als Metalband." Und da musste ich echt lachen. Ich verstehe das schon, ja, die haben catchy Songs, Melodien, all das. Aber mich kickt das nicht. Die Stimme ist mir zu weinerlich, zu unsauber. Ich fand die ersten zwei Alben okay, aber danach, keine Ahnung. Ich check das Phänomen GHOST einfach nicht. Aber gut, es gibt halt Sachen, die man fühlt, und Sachen, die man nicht fühlt. Ich glaube trotzdem, vieles von dem, was wir damals Ende der 80er, Anfang der 90er, gemacht haben, das steht heute noch. Manche der krassesten, schockierendsten Dinge, die wir auf die Bühne gebracht haben, wirken noch immer. Ich meine, klar, heute gibt es norwegische Bands, Festivals, wo es echt düster zugeht. Das ist schon next level. Aber das, was wir damals gemacht haben, das war für die Zeit einfach wild. Und wenn ich jetzt so darüber rede, denke ich mir: "Wow, wir waren wirklich mittendrin."
Du hast bereits 2017 in einem Interview auf dem "Wacken Open Air" verlauten lassen, dass ihr mit SAVIOUR MACHINE an einem Album arbeitet, welches nicht Teil der Legend-Trilogie sein, sondern an die ersten beiden Veröffentlichungen anknüpfen soll und wahrscheinlich auch mit "III" betitelt sein wird. Wie ist denn hier der generelle Stand? Können wir hier in absehbarer Zeit noch etwas erwarten, oder ist es logistisch einfach nicht machbar, da ihr ja alle über den Globus verteilt wohnt?
Das war echt eine seltsame Geschichte. Ich war in Wacken, aber nicht, um zu spielen. Oliver Otto ["Otti", Betreiber des ehemaligen Ballroom Hamburg - Anm. des Red.], ein Kumpel von mir, meinte spontan: "Hey, ich hab noch 'ne Karte, willst du mitkommen?" Und ich so: "Äh, eigentlich nicht." Ich bin halt echt kein Typ für große Menschenmengen. Ich meine, das ist mittlerweile kein Geheimnis. Ich bin nicht besonders scharf drauf, inmitten von tausenden Leuten zu stehen, die alle rumschreien und saufen. Ich kriege da schnell dieses beklemmende Gefühl, fast schon so ein bisschen agoraphobisch, weißt du? Klar, ich mag Festivals, aber eher so die chillige Variante. Schick mich auf ein Reggae-Festival, irgendwo mit Grasgeruch in der Luft, Sonne im Gesicht, perfekt! Aber Metal-Festivals? Ich liebe die Energie, wenn ich auf der Bühne stehe, aber im Publikum? Nope. Das ist einfach nicht mein Ding. Gilt übrigens genauso für Gothic-Festivals wie das "Wave Gotik Treffen". Ich war da nie, aber ich kenne genug Leute, die da regelmäßig hinfahren, und ich weiß genau: viel zu viele Menschen auf einem Haufen. Ganz egal, wie freundlich die alle sind oder wie schön die Atmosphäre ist, für mich ist das einfach zu viel. Ich glaube, ich bin da echt empfindlich, was so Energien angeht.
Und lustigerweise hätte das WGT eigentlich total gut zu euch gepasst. Mit meiner Ex-Frau bin ich dort für einige Jahre immer gewesen. Das ist schon ein tolles Festival, keine Frage, weil es eben kein typisches Festival ist. Du hast da Bühnen überall in der Stadt, in Theatern, Clubs, sogar in der Oper. Es ist mehr wie ein Gesamtkunstwerk in der Stadt als "nur" ein Festival. Ich habe immer gedacht: "Ey, das würde eigentlich total gut zu euch passen." Und das denke ich bis heute.
Ich kenne auch einige Leute, die regelmäßig da auftreten, Ashton Nyte von THE AWAKENING zum Beispiel. EVA O war auch schon mehrmals da. Ich selbst wurde aber noch nie eingeladen. Wenn es irgendwann passiert, würde ich es aber auf jeden Fall in Betracht ziehen.
Aber zurück zu Wacken 2017, das war ja der eigentliche Punkt. Ich war also da, gerade mal zwanzig Minuten auf dem Gelände, da kommt mein Freund Olli aus Hamburg auf mich zu und sagt: "Ey, komm, ich will dir jemanden vorstellen!" Und er zieht mich zu diesem Typen, rotes Haar, Mikro in der Hand, und meint: "Der will dich interviewen, der wusste gar nicht, dass du hier bist!" Und zack, plötzlich stehe ich da und gebe ein spontanes Interview mitten im Lärm. Keine Vorbereitung, kein Drehbuch, nichts. Einfach improvisiert. Und das Lustige ist: Genau zu der Zeit hatten Jeff, Sam, Nathan, Chuck und ich super viel Energie. Wir hatten gerade dieses BOWIE-Tribute-Projekt am Laufen, das lief richtig gut, total gute Vibes zwischen uns allen. Wir haben gefeiert, zusammen aufgenommen, einfach eine schöne kreative Zeit zusammen verlebt. Und genau da kam auch die Idee auf: "Hey, vielleicht machen wir ja doch noch mal was Neues mit SAVIOUR MACHINE." Und das war dann der Moment, wo die Gerüchteküche losging: "Oh, sie spielen vielleicht beim Keep It True-Festival!", solche Sachen halt. Und ganz ehrlich: Wenn das Angebot stimmt, würde ich das immer noch machen. Vor allem, wenn jemand wie Olli [Weinsheimer - Anm. d. Red.] das organisiert, ich mag ihn total. Super professionell, ehrlich, zuverlässig. Wir kennen uns seit Jahren, er war sogar auf unserer Album-Release-Party. Wenn ich also irgendwann wieder was mit SAVIOUR MACHINE machen würde, dann definitiv mit jemandem wie ihm. Jemandem, dem ich vertraue. Die Wacken-Leute hingegen kenne ich nicht wirklich. Die haben mir zwar 2018 ein Angebot geschickt, nachdem ich mich 2017 kurz mit einem der beiden Chefs unterhalten hatte, und sie meinten: "Wenn du die Band wieder zusammenbekommst, machen wir dir ein Angebot." Und ja, sechs Wochen später kam tatsächlich ein entsprechendes Angebot ins Haus geflattert. Aber ich hatte grob durchgerechnet: Flüge, Proben, Unterkunft, Equipment, am Ende blieb nichts übrig. Ein Nullsummenspiel. Kein Gewinn, kein künstlerischer Grund. Nur Aufwand.
Und da war für mich klar: Warum all das machen, wenn es keinen echten Sinn ergibt? Jeff und ich haben da lange darüber geredet. Und wir sind uns einig: Wenn wir jemals wieder etwas zusammen machen, dann nur aus dem richtigen Grund. Nicht für Geld, nicht für Nostalgie, nicht, um Fans zu bedienen. Sondern, weil es künstlerisch Sinn macht. SAVIOUR MACHINE ist einfach zu besonders, um es nur für den Effekt wiederzubeleben. Wir beide sind totale Filmnerds, und wenn du Filme liebst, weißt du: Sequels sind fast immer eine schlechte Idee. Ich meine, "Dumm und dümmer" war 1994 genial, und die Fortsetzung zwanzig Jahre später? Naja. Oder "Der Pate: Teil I und II", Meisterwerke. Teil III, guter Film, aber trotzdem nicht dasselbe.
Du willst dein Vermächtnis nicht verwässern, weißt du? Es gibt so eine Art "künstlerischen Selbstschutz". Wenn die Inspiration nicht echt ist, wird es auch das Ergebnis nicht sein. Und das Publikum merkt das. Früher zumindest. Heute, in dieser ganzen Fake-Welt, bin ich mir da manchmal nicht mehr so sicher. Aber trotzdem: in Musik, Film, Kunst. Überall, wo es um echte Emotion geht, da muss etwas Reales drin sein. Und das ist das Schöne: Jeff und ich sind der Idee gar nicht verschlossen. Vor zehn Jahren hätten wir beide noch gesagt: "Nie wieder. Niemals." Aber heute? Wenn die richtige Idee kommt, wenn der richtige Song entsteht, dann ja, absolut. Wir sagen also weder ja noch nein. Nur: Wenn es passiert, dann richtig. Nicht einfach irgendeine 30-Jahre-Reunion-Show, sondern etwas mit Bedeutung. Etwas, das etwas aussagt, so wie alles, was wir früher gemacht haben. Ob es politisch, spirituell oder einfach menschlich war, SAVIOUR MACHINE hatte immer Tiefe, immer Konzept. Und das müsste auch wieder so sein, hochkonzeptionell, rein, echt. Und ehrlich gesagt, Jeff und ich schreiben ja immer noch Musik. Erst heute hat er mir ein neues Stück für den Film geschickt, wunderschön. Wir schicken uns ständig Ideen hin und her, wie so ein Pingpong aus Text, Akkorden und Melodien. Vier Songs auf dem Album 'Revelation Mine', 'American Whore', 'Space Between Us' und 'A Thousand Scars' sind auf genau diese Weise entstanden. Fast so wie Gedankenübertragung. Und das ist das Schöne: Nach all den Jahren sind wir kreativer, kommunikativer und enger verbunden als je zuvor. Selbst über die Distanz. Ich kriege seine Musik, er meine Texte, und irgendwie entsteht dann da Magie.
2017 dachten wir kurz, wir machen vielleicht eine dritte SAVIOUR MACHINE-Platte, etwas Eigenes, kein "Legend"-Nachfolger. Wir waren monatelang Feuer und Flamme dafür, aber irgendwann merkten wir: Das Material fühlte sich nicht nach SAVIOUR MACHINE an. Ein paar Songs vielleicht, 'Revelation Mine', 'American Whore', ja. Aber der Rest? Das war etwas anderes. Zu intim. Zu persönlich. Es war fast wie eine eigene Sprache, die nur Jeff und ich verstehen. So wie diese creepy Zwillingsmädchen aus "The Shining", so fühlt sich unsere Zusammenarbeit manchmal an (lacht). Und genau deshalb funktioniert es auch so gut. Die Filmdoku, an der wir jetzt arbeiten, ist im Grunde unsere Art, SAVIOUR MACHINE zu feiern. Wir schreiben die Geschichte nicht um, wir beleuchten sie nur neu. Und das ist eine tiefe, bewegende Erfahrung. Und ja, die Band ist technisch gesehen "aktiv", aber realistisch gesehen eher auf Eis. Wir haben uns nie offiziell getrennt. Es war nur…ich musste weg. Ich bin damals echt einfach nur weggelaufen. Richtig weit. Ich musste einfach komplett raus aus allem. Aber weißt du, solange Jeff noch da ist und ich auch, gibt es immer die Möglichkeit, dass irgendwann nochmal etwas unter dem Namen SAVIOUR MACHINE entsteht. Diese Idee habe ich jedenfalls noch nicht aufgegeben.
Wer gehört denn, Stand jetzt, zur aktuellen Besetzung von SAVIOUR MACHINE?
Wenn wir das wirklich durchziehen würden, dann wäre ich heute Dean eigentlich näher als vielen anderen. Verrückt, oder? Der Typ war seit '95 nicht mehr bei SAVIOUR MACHINE, und trotzdem habe ich mit ihm öfter Kontakt als mit den, na ja, sagen wir mal, den "aktiven" Mitgliedern der Band. Schon eine interessante Dynamik, oder? Und für die Hardcore-Fans da draußen: Hört genau hin, da steckt ein kleines Easter Egg drin (lacht).
Aber mal im Ernst: Wenn du mich heute fragen würdest, wie SAVIOUR MACHINE auf die Bühne zurückkommen könnte, wer da stehen würde, wer was spielt, da habe ich schon ein ziemlich klares Bild im Kopf. Das wäre eine große Band. Aber es gibt außer Jeff und mir keine feste Besetzung. Ich würde es aber keine SAVIOUR MACHINE-Reunion nennen, wenn Dean nicht dabei ist. Das gehört einfach zur Geschichte. Und stell dir das mal vor: Ein Abend mit SAVIOUR MACHINE. Vielleicht so drei Shows an einem Wochenende, ein paar hier in Europa, ein paar drüben in Kalifornien. Alles schön aufgenommen, damit man das festhält. Keine Riesen-Tour, sondern etwas Besonderes. Elegant, fast schon wie eine Oper. Du kommst da rein, und da steht eine verdammt gute Hausband, im Grunde meine Leute von THE NINE. Die kennen das ganze SAVIOUR MACHINE-Zeug in- und auswendig. Und dann gibt es drei Stunden Musik, vielleicht ein bisschen mehr. Ein kompletter Abend, eine Reise durch die ganze Geschichte, mit allen, die je Teil davon waren. Vom ersten Drummer bis zu Sam West, von Chris Fee bis Nathan, Dean Forsyth, alle dabei. Vielleicht sogar ein paar Gastauftritte, wie von Carl Johan Grimmark, der ja auch zwei Jahre bei uns war. Das wäre so meine Vision: Wenn wir jemals etwas machen würden, dann wäre es kein simples Comeback, sondern eine echte Feier von allem. Ein großes Finale, bei dem jeder noch einmal auf die Bühne kommt. Vielleicht ein halbstündiges Set mit Dean am Bass, dann kommt Sam West und übernimmt die Drums, und so geht's weiter. Das wäre mein Traum: ein ultimatives SAVIOUR MACHINE-Konzert, mit allen zusammen. Einmal. Richtig groß.
Kennst du eigentlich die Band ANACRUSIS aus den Staaten? Die haben genau so was gemacht, wie du dir das vorstellst. "An Evening with Anacrusis" hieß das. Richtig cool. Die haben ein Konzert gespielt, bei dem jede ihrer vier Besetzungen nacheinander aufgetreten ist, also jede Ära ein eigenes kleines Set. Und dann kam die nächste Formation dran. Total faszinierend. Das Ganze gibt es übrigens noch auf YouTube, kannst du dir echt mal anschauen. Und so was passiert ja auch manchmal beim "Keep It True"-Festival. Da kommen alte Bands für ein einziges, besonderes Event nochmal zusammen. Dieses Jahr zum Beispiel war da dieses Jeff Ulmer-Tribute von SACRED BLADE. Jeff ist ja vor ein paar Jahren gestorben, aber sie haben eine komplette Tribute-Show für ihn gemacht, mit seiner Schwester auf der Bühne und allen, die jemals Teil der Band waren. Richtig schön, echt. So etwas hat einfach Seele.
Cool, das ist eigentlich mein ultimatives Ziel, so eine richtig große, runde Sache. Alles, was jemals Teil der Family war, wieder zusammenzubringen. Das wäre einfach cool. Natürlich, logistisch wäre das wahrscheinlich die Hölle. Jeff und ich haben da schon darüber gesprochen, wir sind halt keine zwanzig mehr. Schon damals war es stressig, so eine SAVIOUR MACHINE-Tour durchzuziehen. Weißt du, das ganze Rumgeschleppe, stundenlang vor der Show in die Maske. Das ist nichts, was du mit Mitte fünfzig unbedingt nochmal haben willst. Aber wenn es das richtige Festival wäre, oder ein besonderes Event, so ein einmaliges Ding, dann wäre ich sofort dabei. Wirklich. So was wie mit Oli zum Beispiel, das wäre perfekt. Darüber müssen Jeff und ich echt noch einmal reden, einfach mal spinnen, was theoretisch machbar wäre.
Und jetzt mal was, das eigentlich nicht an die Öffentlichkeit soll: Jeff, Dean und ich, wir schreiben seit fast zwei Jahren ganz locker an einem Musikstück rum. Nichts Offizielles, nicht Geplantes, einfach so. Jeder bastelt an Teilen, schickt Ideen hin und her. Ich sammle das ganze Zeug, bastle es dann zusammen, und langsam entsteht da was. Vielleicht wird es mal ein Song. Oder eher ein richtig langer Song. So ein 20-Minuten-Epos oder so. Mal schauen, was am Ende bei rumkommt, aber es würde sich perfekt ins SAVIOUR MACHINE-Universum einfügen. Kein "Legend", kein "Saviour Machine I oder II", sondern etwas Eigenständiges, aber mit allen Verbindungen, die dazugehören. So wie im Marvel-Universum: Alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Vielleicht gibt es sogar eine kleine Brücke über "A Thousand Scars". Es wächst und wächst, aktuell ist es ein Instrumentalstück, aber ich habe schon Ideen für Gesang, Melodien, Notizen, so kleine Skizzen halt. Es passiert also etwas. Es gibt Material, es gibt Ideen, wir spielen rum. Und wir drei wissen: Wenn das Ding irgendwann fertig wird, dann wäre es das einzige Projekt, das echt genug, rein genug und organisch genug wäre, um den Namen SAVIOUR MACHINE zu tragen. Songwriting-technisch läuft es meistens wie früher, Jeff und ich schreiben den Großteil, aber Dean hat immer wieder Input.
Schon damals war das so: Jeff und ich vielleicht 80 Prozent, aber Dean war immer dieser ruhige Fixpunkt dazwischen, der kleine Impulsgeber. Gerade zwischen den frühen Demos und "Saviour Machine" hat er echt viel zusammengehalten, das siehst du dann auch in der Doku. Dean war so eine Art Erdung zwischen Jeff und mir. Wir hatten diese intensive Verbindung, und Dean war der, der das Ganze geerdet hat. Als er dann weg war, ist irgendwie auch alles ein bisschen auseinandergefallen. Aber hey, nach vorne schauen, oder? Mehr kann man eh nicht tun. Vielleicht sollte der erste Schritt ja sowieso etwas Kleines sein, zum Beispiel eine Neuveröffentlichung. Einfach, um die Energie zurückzubringen, die Begeisterung, die ganze Magie. Das wäre der Plan: Wenn die Doku fertig ist, kommt das große SAVIOUR MACHINE Box-Set. Alles drin, "Saviour Machine I und II", "Live in Deutschland", alles schön auf Vinyl, remastered, ordentlich gemacht. Gerade in Deutschland gibt es da ja super Möglichkeiten. Wir haben da ja auch schon darüber geredet. Ich liebe den Gedanken daran, Merchandise, Vinyl, Box-Sets, das wäre schon was. Ich brauche nur jemanden, der das alles organisiert, weil, ich sag’s dir ehrlich, als Filmemacher habe ich völlig unterschätzt, wie zeitfressend das Ganze ist. Heilige Scheiße, jetzt versteh ich echt, warum Stanley Kubrick acht Jahre für einen Film gebraucht hat. Wenn du alles selber machst, dauert es halt. Und das ist bei mir auch so. Nicht, weil ich drauf bestehe, sondern weil ich einfach niemand anderen habe.
Ich hatte darüber nachgedacht, wieviel Leute heutzutage überhaupt noch bereit sind, Geld für ein (vorerst nur) rein digitales Produkt zu bezahlen. Die Leute, gerade in unserer Szene, wollen ja immer etwas in der Hand haben.
Ja, du hast total recht, besonders die deutschen Fans lieben physische Produkte. Ich merke das immer wieder: Die wollen etwas anfassen. Die wollen eine echte Platte in der Hand halten. Ich finde das mega sympathisch, das zeigt einfach, dass Musik für sie noch etwas Echtes ist. Das ist genau der Punkt, über den ich seit einer ganzen Weile nachdenke. Genau das ist gerade so mein Ding, womit ich echt kämpfe. Die Leute sagen ständig zu mir: "Oh Mann, ich kann's kaum erwarten, das zu sehen! Ich schau mir alles auf einmal an, wenn's auf Blu-ray rauskommt."
Wir leben halt in dieser Binge Watching-Welt, weißt du? Niemand will mehr warten. Keiner hat Lust, monatelang auf die nächste Folge zu warten. Und ganz ehrlich, ich verstehe das auch. Ich bin da selbst nicht besser. Wenn ich irgendwo reingezogen werde, will ich wissen, wie's weitergeht. Sofort. Aber das Schöne an dieser Doku ist: Sie ist gemacht, um mehrmals geschaut zu werden. Ich sage den Leuten immer: "Guckt sie euch irgendwann noch einmal an." Genau wie bei jeder SAVIOUR MACHINE-Platte, die ich jemals gemacht habe, du kannst sie immer wieder hören und entdeckst jedes Mal wieder etwas Neues. So ist das hier auch. Wenn die Doku richtig funktioniert, nimmst du bei jedem Durchgang neue Details mit. Manche Sachen siehst du erst auf den zweiten Blick, oder du hörst irgendeinen Satz, der plötzlich anders klickt. Und klar, da sind auch diese kleinen Easter Eggs, die Filmnerds sofort erkennen: so Sachen wie "Hey, war das gerade ein Zitat aus 'The Shining'?" oder "Moment mal, ist das 'Apocalypse Now'?" oder "Warte, ist das 'Clockwork Orange'?" So kleine "Warum hier, warum jetzt?"-Momente, die das Ganze spannender machen. Aber im Kern ist es einfach eine menschliche Geschichte. Eine über Jeff und mich. Weil, das sind wir, das war schon immer das Herz von SAVIOUR MACHINE. Unsere Beziehung war das Zentrum des Ganzen, bis "Legend" erschien. "Legend" wurde irgendwann größer als wir beide zusammen. Das war so ein richtiger Frankenstein-Moment, weißt du? Unser eigenes Monster. Und ich schwöre dir, ein Teil davon, warum "Legend" am Ende alles gesprengt hat, war, dass Dean gefehlt hat. Dean war immer die Brücke zwischen Jeffs und meinem Wahnsinn. Er war der Typ, der uns am Boden gehalten hat, wenn wir völlig abgehoben sind. Jeff und ich, wir sind beide Künstler durch und durch. Für uns muss alles Sinn ergeben, alles muss echt, organisch und perfekt sein. Und Dean war der, der dann sagte: "Okay Jungs, das ist cool, aber lasst uns trotzdem Songs schreiben, die die Leute auch mögen." (lacht) Er war der Pragmatiker. Während Jeff und ich darüber nachgedacht haben, Bühnen mit Statuen und Masken und Ketten zu bauen, kam Dean und meinte: "Das wird teuer, Jungs."
Aber so waren wir: Jeff und ich, Kunst, Kunst, Kunst. Alles musste einzigartig, unverfälscht und perfekt sein. Und dieser Perfektionismus kann dich auffressen, vor allem, wenn du jung bist. Du jagst einem Ideal hinterher, das du nie erreichen kannst. Irgendwann kapierst du, dass Perfektion gar nicht existiert, und dass das völlig okay ist. Heute, in unseren Fünfzigern, haben Jeff und ich endlich so etwas wie unseren Frieden damit gemacht. Wir machen diesen Film jetzt, und ganz ehrlich: Selbst, wenn ihn nie jemand sieht, wäre das okay. Wir lieben dieses Projekt. Es hat uns wieder näher zusammengebracht, gerade nach all dem Mist, den wir beide erlebt haben. Wir hatten immer mal Phasen, wo es stiller wurde, aber seit den späten Neunzigern, nach Jeffs erster Scheidung, sind wir wieder richtig eng. Und das, was uns wirklich verbindet, ist Musik. Wenn wir zusammenarbeiten, passiert einfach etwas. So eine Magie, die man nicht planen kann. Und genau das war es auch beim BOWIE-Projekt. Da habe ich gemerkt: "Verdammt, ich hasse Musik gar nicht so sehr, wie ich dachte." Ich war überzeugt, dass ich fertig bin mit dem ganzen Scheiß. Aber durch dieses Projekt, durch diese kreative Energie, kam das alles wieder zurück. Ich habe Jeff Sprachnachrichten geschickt, so im Stil von: "Hey Bruder, ich lieg gerade auf dem Boden, schau mal, ob du um dieses Riff herum was bauen kannst. Ich glaube, es ist in D." (lacht) Und er kam dann zurück mit komplett ausgearbeiteten Ideen. Das hat mich total inspiriert. Diese Momente haben mich echt wieder wachgerüttelt. Ich habe gemerkt: Vielleicht bin ich doch noch nicht durch mit Musik.
"A Thousand Scars" war ja wie ein riesiger Brunnen, so tief, dass ich dachte, danach kommt nichts mehr. Aber dann kam Bowie, und er hat mich ein zweites Mal gerettet. Sein Tod hat bei mir so eine kreative Explosion ausgelöst. Er war einer meiner ersten großen Einflüsse. So eigen, so rätselhaft, so poetisch. Der Typ hat mich gezwungen, Dinge nachzuschlagen (lacht). Ich dachte mir ständig: "Wer zum Teufel ist Khalil Gibran?" Bowie hat mich intellektuell herausgefordert. Er hat gezeigt, dass man als Künstler mehr sein kann als nur ein Rockstar. Ich bin in meiner wilden Zeit zu Bowie gekommen, Drogen, Chaos, all das. Aber gerade da haben mich seine Siebziger Jahre-Sachen total gepackt. Ich war besessen davon. Ich habe ihn studiert, wie jemand, der versucht, zu verstehen, wie und warum ein Gemälde funktioniert. Seine Wandlungsfähigkeit, seine Furchtlosigkeit, das war Wahnsinn. Ich fand nicht alles gut, was er gemacht hat, bei weitem nicht. Aber ich habe immer bewundert, dass er es versucht hat. Der Typ hatte einfach Eier. "Ich mach jetzt Funk. Ich mach jetzt Jazz. Ich mach jetzt ein verdammtes Theaterstück." Und dann, wie er von uns gegangen ist, das war pure Kunst. Dieses 'Lazarus'-Ding, dieses Abschiedsalbum, das war fast Kubrick-like. Alles so durchdacht, so bewusst.
Bowie hat mich zweimal inspiriert: einmal am Anfang meiner Karriere, und dann wieder, Jahrzehnte später, als ich dachte, das Kapitel wäre abgeschlossen. Und jetzt sitze ich hier, mit THE NINE und all diesen Ideen. Jeff, Dean und ich arbeiten locker an etwas Neuem, vielleicht wird es irgendwann ein SAVIOUR MACHINE-Stück. Vielleicht auch nicht. Aber es lebt. Es atmet. Und das reicht mir. Mit THE NINE habe ich auch ein paar Songs in der Mache, so groovige Sachen, bei denen ich denke: "Da steckt was drin." Ich weiß nur nicht, wann ich die aufnehmen soll. Ich sitze auf fünfzehn Stunden Filmmaterial, die geschnitten werden müssen, das dauert locker noch anderthalb Jahre. Aber ich habe beschlossen: Ich nehme hier und da mal einen Song auf. Keine großen Pläne, einfach Musik machen. Vielleicht veröffentlichen wir das dann als ERIC CLAYTON AND THE NINE. Nicht als Soloalbum, sondern wirklich als Bandding. Etwas weniger konzeptionell, mehr organisch. Ich habe da auch schon ein Lied im Kopf, 'American Jesus', das könnte was werden. Ich merke, dass ich beim Schreiben immer wieder dieselben Fragen stelle. Fragen, auf die ich selbst noch keine Antwort habe. Und vielleicht ist genau das der Punkt: Musik als Weg, um die richtigen Fragen zu stellen, in dieser verrückten, absurden Welt, die uns alle irgendwie auffrisst.
Rückblickend: Welches SAVIOUR MACHINE-Album ist für dich das beste und wichtigste?
Uff, das ist echt 'ne harte Frage. Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht komisch, aber wenn ich ehrlich bin, war die erste Platte wahrscheinlich die wichtigste. "Saviour Machine I" war einfach das Ding, das uns überhaupt erst durchgebracht hat. Das Album hat uns bekannt gemacht, erst drüben in den Staaten, dann auch hier in Europa. Und irgendwie hält sich das bis heute. Über dreißig Jahre später tauchen immer noch Leute auf, die sagen: "Ey, das war eine DER Platten der 90er!" Verrückt, oder? Aber weißt du was? Auch wenn sie so wichtig war, ist sie nicht meine Lieblingsplatte. "Saviour Machine I" hat etwas Mystisches, fast Rätselhaftes an sich. Sie klingt wie nichts anderes. Du kannst sie heute auflegen, und sie klingt immer noch komplett nach '93, zeitlos irgendwie, aber trotzdem total eigen. Sie steht einfach für sich. Wenn ich aber sagen müsste, welche Platte ich am liebsten höre, dann wäre es "Saviour Machine II". Die hat einfach ein bestimmtes Gefühl, das ich mag, so eine melancholische Stimmung, weißt du? Während der Entstehung ging es mir nicht besonders gut. In Amerika lief damals einiges schief, und ich habe einfach nicht verstanden, warum uns die christliche Szene so gehasst hat. Ich meine, wir reden doch alle über denselben Jesus, oder (lacht)? Da ist viel Frust und Traurigkeit in die Songs eingeflossen, so eine stille Wut. Und genau das spürt man auf der Platte. Sie war auch unsere erste richtige Konzeptplatte, alles hatte einen roten Faden, eine Idee dahinter.
Wenn es um das technisch beeindruckendste Werk geht, dann muss ich aber ganz klar sagen: "Legend II". Ohne Frage. Das Ding war Wahnsinn. Wir hatten um die 360 Spuren, kein Witz, und haben das alles auf ADAT aufgenommen. Wir standen da mit ungefähr dreißig Maschinen gleichzeitig und haben trotzdem noch Spuren hin- und hergeschoben. Es war total verrückt. "Legend II" ist für mich so etwas wie das pure, ungefilterte Chaos aus Kreativität, fast mehr Klangkunst als Musik. Eine Soundlandschaft, ein Rätsel in Tönen. Aus Produktions- und Kunstsicht ist das wahrscheinlich das rätselhafteste Ding, das ich je gemacht habe.
Besteht denn noch Kontakt zu Arjen Lucassen, mit dem du ja 2004 und 2015 an der sehr hochgelobten Rock-Oper "The Human Equation" zusammengearbeitet hast? Gibt es hier womöglich Pläne für eine Fortsetzung der Kollaboration?
Ich stehe tatsächlich noch immer mit einigen Leuten von damals in Kontakt. Mit Devon Graves zum Beispiel. Klar, Devon ist in der Zwischenzeit ein richtig guter Freund geworden. Mit ihm schreibe ich immer wieder mal. Und auch sonst habe ich noch so lose freundschaftliche Kontakte zu ein paar anderen Leuten. Lustigerweise habe ich mehr mit James' [LaBrie, Sänger von DREAM THEATER - Anm. des Red.] Sohn Chance zu tun als mit James selbst. Während der "The Theater Equation"-Vorstellungen hatte James ja seine Familie dabei, und unsere Kids, also Chance und meine Tochter Kira, haben ein bisschen Zeit miteinander verbracht. Das war schön, irgendwie sehr menschlich, weißt du? Aber Devon ist der Einzige, mit dem ich wirklich regelmäßig in Kontakt stehe. Sonst ab und zu ein paar Nachrichten hier und da, mit Annika und Irene Jansen, Heather Findlay, Magnus Ekwall (der große Schwede, der 'Pride' gespielt hat, super Typ). Aber Pläne für irgendwas Gemeinsames? Nein, glaube ich nicht.
Ich hatte schon den Eindruck, als ich mit Arjen an "The Theater Equation" gearbeitet habe, dass das Ganze eine ziemlich eingeschworene Crew ist. So ein bisschen wie eine Theatertruppe, weißt du? Alles perfekt aufeinander eingespielt, eine gut geölte Maschine. Und da passen bestimmte Typen einfach super rein, andere eher nicht so. Ich habe mich da aber total willkommen gefühlt, wirklich, es war professionell, freundlich, richtig angenehm. Aber gleichzeitig hatte ich auch so ein bisschen das Gefühl, Außenseiter zu sein. Vielleicht liegt das daran, dass ich normalerweise der Typ bin, der selbst alles schreibt, produziert und lenkt. Und diesmal war ich einfach nur Teil einer Besetzung. Und das war irgendwie total befreiend. Ich musste mich um nichts kümmern, einfach auftauchen, singen, meine Marks treffen, fertig (lacht). Das war richtig cool, aber eben nichts, was ich mir dauerhaft vorstellen könnte. Wenn man mich noch einmal fragen würde, klar, ich würde es mir auf jeden Fall überlegen. Aber ich glaube, Arjen arbeitet einfach gern mit seinem festen Kreis. Und ehrlich gesagt finde ich das auch völlig okay. Meine Beteiligung an "The Theater Equation" war ohnehin eine einmalige Sache, so ein bisschen außerhalb seines sonstigen Stils. Ich finde, "The Human Equation" (oder "The Theater Equation", wie wir es live gemacht haben) ist das emotionalste und ehrlichste Werk in seinem ganzen Katalog. Es ist weniger "Comic", weniger SciFi, weniger dieser spacige Kram, den er sonst oft macht. Es hat etwas Bodenständiges, Menschliches, und das hat mich total angesprochen. Ich sehe da viele Parallelen zu "Operation: Mindcrime", diese erzählerische Tiefe, die Charakterentwicklung, die emotionale Wucht. Das Werk funktioniert einfach, weißt du? Und es ist das Einzige in seinem Repertoire, mit dem ich mich wirklich identifizieren kann. Ich war nie der große Science-Fiction-Typ. Wenn überhaupt, dann muss es etwas richtig Tiefes, Konzeptuelles sein. Und genau das war hier der Fall. Ich bin echt dankbar, dass ich Teil davon sein durfte. Aber ehrlich gesagt, wenn er nicht wieder etwas in der Art macht, kann ich mir nicht vorstellen, dass er irgendwann sagt: "Hey, lass uns noch mal den Bariton holen."
Ich habe dieses Album tatsächlich leider noch nie gehört, habe mir seinerzeit nur ein Album gekauft, und das war "The Electric Castle".
Solltest du unbedingt mal reinhören. Aber wie ich schon meinte, ich war erst nicht wirklich Feuer und Flamme. Das war einfach etwas ganz anderes. Aber er ist echt ein brillanter Typ. Er weiß genau, wie man für seine Sänger schreibt. Wenn er jemanden im Kopf hat, kennt er dessen Tonumfang und kann sich schon vorstellen, wie es klingen wird, bevor überhaupt ein Ton gesungen ist. Und das Material, das er mir für die Platte gegeben hat, war einfach perfekt auf mich zugeschnitten. Nichts war zu schwierig, er hat mich nie in eine Lage gebracht, in der ich außerhalb meines Stimmumfangs singen musste. Die Herausforderung lag eher in der Emotion, also wirklich die richtige Stimmung zu treffen. Ich glaube, das war auch das, was ihn am meisten beeindruckt hat. Als wir zusammengearbeitet haben, kamen wir spät abends ins Studio. Er meinte nur: "Okay, morgen legen wir los." Und ich so: "Nee, keine Chance, ich kann heute Nacht sowieso nicht schlafen, lass uns direkt anfangen." Am Ende haben wir alles in etwa vier Stunden aufgenommen und durchgezogen, mitten in der Nacht. Ich hatte die Texte vor mir, wusste, was er wollte, und es hat einfach Klick gemacht. Er hatte alles ganz klar im Kopf. Er meinte nur: "Ich will, dass die Stimme der Vernunft stark klingt, autoritär, aber glaubwürdig." Also bin ich das wie eine Schauspielrolle angegangen, ich bin da richtig reingeschlüpft.
Ich wollte gerade sagen, für dich war es wahrscheinlich um einiges leichter als für den Rest der Truppe, oder? Du hast ja aufgrund der SAVIOUR MACHINE-Konzerte schon diesen "Acting Background".
Das ist eine interessante Perspektive. Ich denke, das war für mich tatsächlich leichter als für einige der anderen, weil ich eben diese Schauspielerfahrung mitbringe, da hast du recht. Als wir damals mit den Proben anfingen, das ist jetzt übrigens fast zehn Jahre her, total verrückt, war ich einer der wenigen, die sofort verstanden haben: Hey, das ist im Grunde ein Theaterstück, eine Oper. Wir spielen hier Rollen! Ich war da sofort drin. Ich hätte das auch ohne Make-up machen können, kein Problem. Aber auch Devon ist total theatralisch, der ist direkt in seiner Rolle aufgegangen. Und Mike Mills? Der war wie ein echter Method Actor, voll drin, absolut perfekt. Es hat einfach richtig Spaß gemacht. Vielleicht sogar ein bisschen zu viel Spaß (lacht). Es war eine total professionelle Atmosphäre, aber wir haben es echt genossen.
Bei eben jenem Projekt war ja u.a. auch der bereits eben von dir erwähnte Devon Graves von PSYCHOTIC WALTZ beteiligt, der dich sowohl bei deinem Soloalbum als auch nun bei der Konzeption deiner Videoreihe maßgeblich unterstützt. Habt ihr euch vorher schon gekannt oder seid ihr erst für das Projekt erstmals aufeinandergetroffen?
Viele dieser alten Aufnahmen, du weißt schon, diese uralten Bootlegs aus Clubs, klingen einfach furchtbar. Sie wurden ja mit alten Videokameras aufgenommen, das war alles andere als High-End. Devon hat da wirklich viel Arbeit reingesteckt, um das Material zu retten.
Schon in der allerersten Episode, wo alte mit neuen Aufnahmen kombiniert werden, ist das einfach nur großartig umgesetzt.
Ich glaube, das war seine Idee, oder zumindest haben wir da ziemlich auf einer Wellenlänge gelegen. Du meinst den Anfang des Films, die Ouvertüre, oder? Ja genau, diese Szene, wo man uns zuerst in Schwarz-Weiß in der Kirche sieht, und dann wechselt es in Farbe. Die Idee hatte ich vor ungefähr einem Jahr, und sie ließ mich einfach nicht los. Ich finde, jedes Projekt, egal ob Album, Film oder Buch, steht und fällt mit dem Anfang und dem Ende. Diese beiden Momente sind immer die schwierigsten, aber auch die wichtigsten. Ich wollte unbedingt diese alten Kirchenaufnahmen nehmen, die ersten Auftritte von uns überhaupt, und sie mit Live-Material aus Deutschland überblenden. Das war 1995, also so ziemlich in der Mitte unserer Karriere, kurz bevor alles komplizierter wurde. Natürlich sind wir danach noch gewachsen, haben mehr Platten verkauft, Wacken 96, '97 und so weiter, aber '95 war irgendwie das Herzstück. Die Doku endet genau da, mit "Live in Deutschland". Und ich dachte: Wenn ich die Schwarz-Weiß-Bilder mit ähnlichem Format einfach überlagern könnte, dazu ein bisschen sakrale Musik im Hintergrund, könnte das richtig stark werden. Es ist langsam, ruhig. Nicht das, was man heute erwarten würde. Die meisten Filme starten ja direkt mit einem Paukenschlag, zack-zack-zack, schnelle Schnitte und so. Ich habe stattdessen gesagt: "Gebt mir vier Minuten Stille, bevor überhaupt irgendetwas passiert." Erst dann hört man mich sagen: "Ich möchte die Band vorstellen." Das ist das erste gesprochene Wort nach vier Minuten, ein bewusster Moment. Ich wollte die Geschichte visuell erzählen, mit Montage, mit Atmosphäre, dieses französische Mise en scène-Ding eben. Nur durch Bilder eine Aussage schaffen. Von dieser Kirche zu dieser Kirche in sieben Jahren, das ist die ganze Symbolik. Und das ist auch der Kern der Doku: Jedes Mal, wenn Jeff und ich mit SAVIOUR MACHINE auf der Bühne standen, fühlte es sich an wie Kirche. Nicht im religiösen Sinne, sondern als unser eigener Tempel. Ein heiliger Ort, an dem wir alles rauslassen konnten, was uns bewegt hat. Es gab Momente auf der Bühne, da hast du es richtig gespürt. Dieses Etwas, das über dich hinausgeht, was dir Gänsehaut macht. Wenn du so etwas einmal erlebt hast, vergisst du das nie mehr. Und genau das fängt die Doku ein, dieser Weg von kleinen Clubs zu großen Bühnen. Für mich war das fast wie ein Ritual. Ich stand da oben, habe gepredigt, nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit dieser großen, fast opernhaften Vision. Jeder konnte sich das rausziehen, was er wollte.
So haben Devon und ich uns übrigens auch kennengelernt, bei dieser "The Theater Equation"-Produktion. Lustig eigentlich: zwei Kalifornier, beide aus fast derselben Gegend, nur zwei Stunden voneinander entfernt, aber wir hatten uns vorher noch nie getroffen. Er kommt aus San Diego, ich aus San Bernardino. Und trotzdem kannten wir weder PSYCHOTIC WALTZ noch SAVIOUR MACHINE voneinander. Völlig verrückt! Jetzt sind wir super befreundet, leben in Nachbarländern und arbeiten unter der Leitung eines niederländischen Musikers. Was für eine seltsame, schöne Welt. Und das BOWIE-Projekt, das wir zusammen gemacht haben, das hat mich echt umgehauen. Unser Cover von 'Fame' war der Hammer. Ich habe ihm danach gesagt: "Hey, ich habe da ein paar Songs rumliegen. Wenn ich irgendwann mal eine Solo-Platte mache, dann bist du mein Toningenieur." Und er meinte einfach nur: "Klar." Das war's, und jetzt sind wir hier. Ich kann ihm meine Rough Mixes schicken, einfach alles, was ich habe, und sagen: "Mach das mal warm, gib ein bisschen Druck, benutze deine Magie." Und er schafft es, aus alten, billig klingenden Aufnahmen etwas richtig Großes zu machen. Er lässt Produktionen ohne Budget klingen, als hätten sie ein anständiges Budget gehabt. Das ist echte Magie. Und genau das ist Devon.
David Bowie gilt bekanntlich als einer deiner größten musikalischen Einflüsse, wie du eben bereits erwähnt hast. Mit deinem Bruder Jeff hast du DAVID BOWIE unter dem Namen BOWIE: DECADE musikalischen Tribut gezollt. Leider ist die Doppel-CD mittlerweile ja auch nicht mehr zu bekommen. Welche weiteren Künstler und Bands haben dich sonst denn noch so maßgeblich beeinflusst?
Abgesehen von DAVID BOWIE war mein größter Einfluss wahrscheinlich Jim Morrison. Ich war jahrelang total besessen von THE DOORS. Morrison war für mich ein riesiger Teil meines poetischen Fundaments. Dieser Wunsch, Songs zu schreiben, die Tiefe und Bedeutung haben, mit Allegorien, Symbolik und all dem. Und nicht nur als Texter, auch als Sänger hat er mich beeindruckt. Die Leute denken bei ihm oft sofort an 'L.A. Woman', und klar, das ist ein großartiger Song. Da ist seine Stimme schon ziemlich rau. Aber auf den ersten paar Platten? Da klang er für mich wie Frank Sinatra in der Hölle, weißt du, was ich meine (lacht)? Diese Mischung aus Eleganz und Abgrund war einfach faszinierend. Ich war ein Spätzünder, was BLACK SABBATH angeht, das kam erst später. Anfangs war ich viel stärker von DAVID BOWIE beeinflusst, von frühen PETER GABRIEL-Sachen, von ALICE COOPER. Nichts davon ist jetzt besonders überraschend, denke ich. Hört man alles irgendwie in meiner Musik wieder.
Und dann war da natürlich Freddie Mercury. Als Sänger, fantastisch! Aber vor allem als Showman. Freddie hatte diese Aura, dieses "Ich geh da raus, und der ganze Saal gehört mir"-Ding. Ohne Kostüm, ohne Make-up, einfach pure Präsenz. Bowie hatte seine Charaktere, sein Make-up, diese mystische Ebene. Freddie brauchte das alles nicht. Das hat mich unglaublich beeindruckt. Und gleichzeitig war er, wie viele große Frontmänner, eigentlich ein schüchterner Typ. Dieses Paradox fand ich spannend. Auf der Bühne überlebensgroß, privat eher introvertiert. Ich konnte das total nachvollziehen. Als ich das erste Mal ohne Make-up als Eric Clayton auf der Bühne stand, war das viel beängstigender als all die Jahre davor mit Farbe im Gesicht. Aber selbst damals, mit zwanzig, hatten wir schon eine gewisse Bühnenpräsenz. Jeff war 18, ich 20, wir waren Babys (lacht)! Trotzdem sah das schon recht professionell aus. Wir wussten nicht wirklich, was wir taten, aber wir wussten, wie wir aussehen wollten. Wir waren totale Filmnerds, Pacino, De Niro, diese ganze Ära. Wir dachten uns: Wenn wir schon nicht perfekt spielen können, dann wollen wir wenigstens so wirken, als wüssten wir, was wir tun. Stoisch, intensiv, mit Blicken, mit Haltung. Währenddessen waren die anderen Bands um uns herum in Spandex und Lederhosen, tranken Jack Daniels auf der Bühne, total dieser L.A. Hardrock Circus. AEROSMITH, GUNS N’ ROSES, dieses ganze Glam-Ding. Und dann kommen wir da raus, komplett ernst, fast theatralisch, und die Leute fragen sich: "Was zur Hölle ist das?" (lacht) Aber genau das hat die Sache spannend gemacht. Wenn du schon auffällst, dann richtig. Keine halben Sachen. Je mehr die Leute irritiert waren, desto mehr dachten wir: "Okay, dann machen wir das genau so weiter."
Klar, es gab auch Momente, in denen Jeff und Dean überlegt haben, ob wir uns anpassen sollten. Weniger Make-up, ein bisschen Grunge, Flanellhemden und so. Aber ich war da knallhart. Ich meinte: "Keine Chance. Keine Flanellhemden auf meiner Bühne." (lacht) Ich war ein richtiger Tyrann. Aber irgendwer musste die Band und ihre Identität beschützen. Denn sobald du anfängst, dich anzupassen, verlierst du das, was dich besonders macht. Und etwas wirklich Originelles zu erschaffen, ist verdammt schwer, egal in welchem Bereich. Wenn du also einmal etwas Eigenes gefunden hast, musst du es pflegen, wachsen lassen, weiterentwickeln, aber nie verwässern. Natürlich hat mir das auch den Ruf eingebracht, "schwierig" zu sein (lacht). Ich bin 57 und wahrscheinlich zu stur für diese Branche. Zu viel künstlerische Integrität, zu wenig Kompromissbereitschaft, das mögen Labels nicht besonders. Ich will halt ordentliche Verträge, keine halbgaren Abmachungen. Neulich habe ich ein gutes Angebot abgelehnt, weil die Bedingungen Mist waren. Da hieß es plötzlich: "Wir verhandeln keine Verträge." Ich dachte nur: "In welcher Welt lebt ihr bitte?" So funktioniert das einfach nicht. Wenn du schon Jahrzehnte in diesem Business bist, weißt du genau, was du willst, und was nicht mehr. Seit Covid ist es sowieso schwieriger geworden. Das Geld, das man vor der Pandemie bekam, war okay, nicht überragend, aber fair. Heute will kaum noch jemand vernünftige Gagen zahlen. Ich meine, ich kann mit 57 nicht mehr jede Nacht in irgendwelchen Clubs auftreten und mir für Peanuts den Arsch aufreißen. Ich liebe es, live zu spielen, aber körperlich ist das einfach härter geworden. Und ehrlich gesagt: Ich habe auch keine Lust mehr, die wenige Zeit, die ich habe, in Dinge zu stecken, die sich nicht richtig anfühlen.
Wie ein Musiker und guter Freund von mir auf der Bühne immer zu sagen pflegt: "Ich bin einfach zu alt für diesen Scheiß!"
Genau so ist es. Und um das Thema BOWIE noch abzuschließen, es gab tatsächlich mal eine Doppel-CD-Version vom BOWIE: DECADE-Projekt. 300 Stück, das war's. Natürlich längst ausverkauft. Ich würde das aber gerne noch einmal aufgreifen, am liebsten als Doppelvinyl. Ich habe alle Masters, das wäre machbar. Wir sollten das wirklich mal anstoßen. Klasse Idee!
Nun noch ein, zwei Fragen "außerhalb der Reihe". OZZY oder DIO?
Ah, das ist diese eine fiese Frage, oder (lacht)? Einige Leute schlagen sich ja klar auf eine Seite, Ozzy oder Dio. Ich wünschte, ich könnte einfach sagen: "Beide!", aber das wäre wohl die feige Antwort. Also gut, ich muss mich entscheiden…Mist. Okay, ich mach's wie ein Politiker und druckse ein bisschen rum (lacht). Im Kontext von BLACK SABBATH würde ich sagen: eindeutig Ozzy. Wenn man das große Ganze betrachtet, die komplette Ära, den Sound, der alles geprägt hat, das war schon er. Aber gleichzeitig gibt es da "Heaven And Hell", was für ein verdammt starkes Album! Und "Mob Rules" ist ebenfalls richtig gut. Es gibt Songs aus der Dio-Phase, die qualitativ locker mit den besten Sachen aus der Ozzy-Zeit mithalten können.
Betrachten wir es so: Ozzy steht für das Ganze, für die Identität von BLACK SABBATH. Dio hatte dagegen diese magischen Momente, in denen er individuell einfach überragend war. Sängertechnisch? Kein Wettbewerb. Dio war schlicht der bessere Sänger. Aber was die Persönlichkeit angeht, spielen sie in völlig verschiedenen Ligen. Ozzy ist eine der größten Persönlichkeiten überhaupt, nicht nur im Metal, sondern in der gesamten Rockwelt. Seine Reichweite, gerade durch die "The Osbournes"-Show, war unglaublich. Ich meine, meine Frau kannte BLACK SABBATH vorher gar nicht. Sie hat Ozzy erst durch die TV-Show kennengelernt! Das allein zeigt, was Sharon und das ganze Osbourne-Imperium aus ihm gemacht haben. Und das Krasse ist: Er hat sich immer wieder neu erfunden. Selbst in den letzten Jahren nochmal, quasi eine zweite Wiedergeburt. Dio dagegen hatte dieses intime Erbe. Er war näher dran an seinen Fans. Jeder, der ihn je getroffen hat, sagte, es fühlte sich an, als würde man jemanden wiedersehen, den man schon lange kennt. Er hat sich Zeit genommen, wirklich zugehört. Das war ehrlich, menschlich, tief. Nicht, dass Ozzy das nicht auch konnte, aber Dio war einfach anders drauf. Er war klug, sprachgewandt, total präsent. Der Typ konnte mit jedem über alles reden, über Musik, Kunst, Politik, egal was. Und ja, beide hatten starke Frauen hinter sich, keine Frage. Am Ende ist es eine unmögliche Frage. Beide sind Giganten. Beide gehören ganz klar auf den Heavy Metal Mount Rushmore. Also, fiese Frage, aber faire Antwort, oder (lacht)?
Vielleicht ist die nächste Frage ja ein bisschen einfacher. VENOM oder BATHORY?
Oh, ich dachte mir sowas. Wenn es um die Ursprünge geht, würde ich wohl VENOM sagen. Nicht, weil ich ihr Zeug rauf und runter gehört hätte, sondern weil ich ihren Platz in der Metal-Geschichte kenne. Sie waren einfach einer der Grundpfeiler. Obwohl ich nie richtig mit VENOM vertraut gewesen bin. Für mich klangen sie immer eher nach Punkrock als nach Metal. So ein bisschen MOTÖRHEAD-Vibe, weißt du? Wenn es aber um den Sound geht, der mich wirklich gepackt hat, dann BATHORY. Vielleicht sogar gleichzeitig mit VENOM, keine Ahnung. Aber ja, VENOM war roh, dreckig, fast schon Punk. Und diese Frage, wer für Black Metal am wichtigsten war, puh, schwierig. Ist nicht so ganz meine Baustelle.
Wenn du mich dagegen nach den großen Dreien gefragt hättest: LED ZEPPELIN, BLACK SABBATH oder DEEP PURPLE, das wäre einfacher gewesen. Da würde ich sagen: für Heavy Metal ganz klar BLACK SABBATH. Für Rock insgesamt eher LED ZEPPELIN. ZEPPELIN hatte die größere Reichweite, aber SABBATH hatte die tiefere Resonanz. Die Musik, die danach kam, hat sich viel stärker an SABBATH orientiert als an ZEPPELIN. Denk mal an die 80er, der ganze Hair-Metal-Kram war voll von Robert Plant-Verschnitten. Und in den 90ern kam dann Grunge, SOUNDGARDEN, ALICE IN CHAINS, das war im Grunde SABBATH durch die moderne Linse. Die Saat war gelegt. Bands wie SOUNDGARDEN und ALICE IN CHAINS haben diesen schweren, düsteren Sound weitergetragen. Als ich SOUNDGARDEN das erste Mal gehört habe, dachte ich: "Heilige Scheiße, das klingt, als hätten LED ZEPPELIN und BLACK SABBATH ein Baby bekommen" (lacht)! Ich war sofort Fan. Von all den Seattle-Bands waren sie mein Favorit. Mein Bruder Jeff war eher der ALICE IN CHAINS-Typ. Wir haben ewig darüber gestritten, welche Band besser war. Er hatte sogar ein ALICE IN CHAINS-Shirt. Und das Lustige ist: Er spielt bis heute großartige ALICE IN CHAINS-Cover, einfach so aus Spaß.
Bei uns zu Hause war es musikalisch sowieso ein wilder Mix. Ich bin mit dem Musikgeschmack meiner Mutter aufgewachsen, NEIL DIAMOND, BARBARA STREISAND, später auch LEONARD COHEN. Mein Vater hatte COHEN-Platten, das war das Härteste, was bei uns lief. Und dann kam 'Hotel California' von den EAGLES, dieses Gatefold-Cover hat mich als Kind total fasziniert. Ich glaube, das war mein Einstieg in diese tiefere Welt des Rock. Kurz danach kam KISS, und das hat dann alles verändert. Meine erste eigene Platte war "Kiss Alive II", 1978. Ich weiß den Tag noch genau. Ich war zehn Jahre alt und habe sie mir von meinem eigenen Geld gekauft, das war mein Türöffner. Das hatte dieses kleine bisschen Dunkelheit, dieses Verbotene. Eltern damals dachten ja, KISS steht für Knights in Satan's Service (lacht). Für uns Kids war das wie Rock'n'Roll mit Comic-Helden. Und Gene Simmons wollte eigentlich Superman sein, das sagt er ja selbst. Und er hat es geschafft, auf seine Art. Zwei Jahre später habe ich "Van Halen I" gehört, und das hat mir komplett den Kopf weggeblasen. Dann kam "Blizzard Of Ozz" mit Randy Rhoads. Diese Typen haben das Spiel verändert. Meine drei "Türöffner-Platten" waren "Van Halen I", "Blizzard Of Ozz" und SCORPIONS' "Blackout". Das war so 1980, '81. Danach war's vorbei, ich war infiziert. Bei den SCORPIONS bin ich mit "Blackout" eingestiegen, aber Jeff hat sich danach durch den ganzen Backkatalog gegraben. Und da haben wir erst richtig gemerkt, wie stark der alte Kram mit Uli Jon Roth war. Dann Songs wie 'Gates Of Babylon' von RAINBOW, das sind für mich Meisterwerke, so auf Augenhöhe mit 'Kashmir' von LED ZEPPELIN. Ich habe 'Gates Of Babylon' immer mehr gemocht als 'Stargazer'. Dieses Riff ist einfach zeitlos.
Ich war immer mehr der Rock-Typ, Jeff und Dean waren stärker von Metal geprägt: PRIEST, MAIDEN, frühe DEF LEPPARD, bevor sie zu glatt wurden. Ich dagegen mochte das Härtere, Psychedelische, leicht Düster-Gothic-hafte. Dean war sowieso der mit den Gothic-Platten: THE CURE, BAUHAUS, SISTERS OF MERCY. Jeff hatte die SABBATH- und OZZY-Platten. Dean war totaler Randy Rhoads-Jünger, aber gleichzeitig Keith Richards-Fan, das war so seine Dualität: Präzision und Chaos. Als Dean dann von Gitarre auf Bass gewechselt ist, kam diese Gothic-Seite stärker durch. Viele seiner frühen Basslines klingen fast wie von THE CURE, man hört das in Songs wie 'Carnival Of Souls'. Diese düstere, melodische Note, die kam direkt von da. Jeffs Stil war wiederum total anders. Es war so ein Hybrid aus Tony Iommi, David Gilmour und The Edge. Ihm ging es nie ums Virtuosentum, sondern um Atmosphäre, Gefühl. Er wollte, dass seine Solos singbar sind, keine Noten-Feuerwerke, sondern Emotion. Wenn Jeff spielt, hat sein Ton oft so eine Traurigkeit, weißt du? Diese melancholische Tiefe, die dich direkt trifft.
Ich habe mit Gitarristen gespielt, die alles können, technisch perfekt, denen aber dieses spezielle Gefühl fehlte. Und dann gibt es Leute, die nur drei Noten spielen, und du kriegst Gänsehaut. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass das der Kern ist: Emotion. Früher war ich völlig gefangen in diesem Perfektionswahn. Mikrofone, Takes, Equipment, alles musste perfekt sein. Aber dadurch verliert man das Wesentliche: den Moment. Ich wünschte, ich hätte das früher erkannt. Wenn ich jetzt zurückblicke, war "A Thousand Scars" wahrscheinlich die einzige Platte, die sich wirklich komplett echt und organisch angefühlt hat. Keine ewigen Overdubs, keine dreißig Takes, maximal drei. Alles roh, direkt, ehrlich. Ich wollte, dass es lebt. Nicht, dass es perfekt ist. Bei früheren Sachen, gerade mit SAVIOUR MACHINE, dachte ich oft: "Verdammt, hätte ich nur mehr Zeit gehabt" oder "Hätten wir ein anderes Mikro benutzt". Aber das alles war Teil des Lernprozesses. "A Thousand Scars" war reiner Ausdruck, Schmerz, Traurigkeit, Schönheit. Kein Filter. Heute weiß ich: Musik ist nichts anderes als Emotion in Bewegung. Und all die Technik, das Drumherum, das ist nur Beiwerk. Ich wünschte, ich hätte das schon als junger Musiker verstanden. Aber hey, besser spät als nie. Und am Ende bleibt die Live-Energie. Es gibt Leute, die sagen: "Ich liebe euch auf Platte, aber live seid ihr unschlagbar." Und das ist für mich das größte Kompliment überhaupt. Vielleicht hätten wir mehr Live-Alben machen sollen. Heute würdest du eh alles durch die KI jagen können, Stimmen optimieren, Fehler raus, alles glattziehen. Aber das ist nicht dasselbe. Musik muss atmen. Sie muss menschlich bleiben.
Ein besseres Schlusswort kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Eric, ich danke dir vielmals für das tolle Gespräch!
Der Dank ist ganz auf meiner Seite. Da ist ja gut was zusammengekommen. Viel Spaß bei der Auslese (lacht).
Interview: Stephan Lenze und Marco Witte
Bearbeitung und Übersetzung: Stephan Lenze
Fotocredits: Eric Clayton / SAVIOUR MACHINE
- Redakteur:
- Stephan Lenze





