SCREAM SILENCE: Interview mit Hardy Fieting
01.01.1970 | 01:00Wenn es um Düsterrock aus deutschen Landen geht, dann kommt man um die Berliner SCREAM SILENCE nicht herum. Mit "Elegy" haben sie justament ein unglaublich starkes Album am Start, das auch für die Zukunft viel von den Gothic Rockern erwarten lässt. Ich quetschte Sänger Hardy Fieting nach allen Regeln der Kunst aus und auch Gitarrist Robert meldete sich einmal zu Wort.
Stephan:
Erstmal Gratulation zu diesem fantastischen Album. Habt ihr schon bei den Aufnahmen gespürt, dass da etwas ganz Großes heranreift oder hattet ihr zwischenzeitlich auch mal ein paar Zweifel?
Hardy:
Während des Songwritings kann man bei uns nie so genau sagen, wohin die Reise geht. Dazu arbeiten wir viel zu kreativ, unsere Songs entstehen eher während der Arbeit aus uns heraus. Natürlich wussten wir im Studio nicht genau, welches Ergebnis wir erzielen können. Niemand, der versucht, Musik aus sich heraus zu schaffen, kann so etwas von vornherein planen. Aber am Ende hatten wir dann aber schon das Gefühl die Emotionalität der Songs greifen zu können. Das war sogar für uns ein absolutes Novum, mit soviel Nähe zu unseren eigenen Empfindungen ist uns die Umsetzung unserer Songs bisher noch nie gelungen.
Stephan:
Wie schafft ihr es, dass ihr trotz der fast ausschließlich ruhigen Gangart die Musik so interessant und packend gestaltet und es nie eintönig wird?
Hardy:
Ich denke, es liegt an unserer Arbeitsweise, an der Art wie wir an neues Material herangehen. Mit einer gewissen Grundidee im Kopf, versuchen wir, unsere eigenen Emotionen in die Songs zu transportieren. Außerdem wird während den Aufnahmen viel arrangiert, addiert oder verworfen und verändert, der Song ist immer erst nach dem Mixdown fertig und kann sich noch Stunden vorher völlig anders anhören. Wir brauchen auch schon mal 6 Mixdowns, bis wir alle zufrieden sind.
Stephan:
Beschreibe doch mal bitte aus deiner Sicht die Weiterentwicklung, die sich bei euch in den letzten zwei bis drei Jahren vollzogen hat.
Hardy:
Da wir schon immer versuchen, jedes weitere Album noch ausgereifter und facettenreicher zu gestalten, ist innerhalb der letzten vier Alben schon sehr viel an Erfahrung hinzugekommen. Wir steckten bisher in jedes Album noch mehr Herzblut, Energie, Nächte und Kraft hinein, als auf jedem Vorgänger. An "Elegy" haben wir beispielsweise mit Unterbrechungen über ein Jahr gearbeitet. Musikalisch und auch beim Songwriting immer wieder über seinen eigenen Schatten zu springen, ist nicht immer leicht, aber dennoch lohnenswert.
Stephan:
Ihr seid eigentlich viel zu eigenständig um als Kopie irgendeiner Band hingestellt zu werden. Trotzdem taucht ab und an der Vorwurf auf, SCREAM SILENCE seien ein bloßer HIM-Abklatsch. Was entgegnest auf so etwas?
Robert:
Naja, immerhin singen sowohl Hardy als auch Ville sehr tief als auch sehr hoch, und in beiden Bands sind Gitarren dabei, das klingt doch schon sehr ähnlich, oder? Nein im Ernst, ich halte derartige Vergleiche schon für sehr oberflächlich, es zeigt eigentlich nur, dass jemand, der diese Vergleiche zieht, sich nicht ausreichend mit den musikalischen Inhalten dieser Bands beschäftigt hat, um die Eigenständigkeit zu bemerken, und würde wahrscheinlich noch absurdere Vergleiche mit anderen Bands ziehen, die wir wahrscheinlich nicht mal kennen. Von Coverbands mal abgesehen hat meiner Meinung nach jede Band ihren ganz eigenen Weg im Detail gefunden, sich musikalisch auszudrücken, obwohl sie sich ähnlicher Stilmittel bedienen.
Stephan:
Was soll eure Musik aussagen und beim Hörer auslösen? Wofür stehen SCREAM SILENCE?
Hardy:
Wir versuchen, den Hörer auf eine Art Reise in seine eigene Gefühlswelt zu entführen. Hin zu den Tiefen seiner inneren Empfindungen, die wir mit ihm teilen. Das führt zwangsläufig zu einer gewissen Melancholie in unseren Songs, aber gerade dieses Gefühl kann auch sehr befreiend sein, was wir ja auch selbst spüren, während wir diese Songs schreiben.
Stephan:
Schreibt ihr die Songs gemeinsam als Band oder gibt es einen/mehrere Hauptsongwriter, die die Songs zusammenbasteln?
Hardy:
Die meisten Songs werden vor den Aufnahmen nicht geprobt, sondern jeder einzelne versucht, seine Parts aus sich heraus auf, zu interpretieren. So entstehen mehrere Skizzen, die irgendwann ein Bild ergeben, welches Sinn macht. Erst dann kommt es zu den eigentlichen Recordings, wo ebenfalls nochmals vieles verworfen oder verändert wird. Ein langwieriger Prozess, der sich aber in unserem Falle als der einzig richtige Weg erwies.
Stephan:
Sind die Lyrics ebenso depressiv gehalten wie die Musik, und was für Themen schneidet ihr da so an? Welches ist dein Lieblings-Songtext auf "Elegy" und wovon handelt dieser Song konkret?
Hardy:
Das Konzept von "Elegy" war eine Art Vergangenheitsbewältigung. Aus verschiedenen Blickwinkeln versuchen wir die unterschiedlichen Gefühlszustände zu beschreiben, die jedem bei einem Rückblick auf sich selbst begegnen. 'The Sign' erzählt beispielsweise von einer schmerzlichen Erinnerung, die unauslöschbar in die Seele gebrannt ist, und Narben hinterlassen hat. In 'Oblivion' geht es um Verdrängung, wie es ist, wenn man ein Erlebnis so tief in sich vergräbt, um sich selbst zu schützen. 'The Doubt' erzählt von einem Menschen, der auf Grund seiner ewigen Fehlschläge Angst vor jedem neuen Schritt vorwärts hat.
Und, ganz bewusst am Ende des Albums, erzählt 'Elegy' von der Versöhnung mit den eigenen Erinnerungen, in die man sich, so schmerzhaft sie manchmal auch sein mögen, oft nur allzu gern verliert. Ich denke, bei diesem Song ist es uns gelungen mit sehr wenigen Worten genau das Richtige zu sagen.
Stephan:
Was ist dir wichtiger: dich mit deiner Musik selbst zu verwirklichen und ständig neu zu definieren oder damit andere Menschen zu erreichen und emotional zu berühren?
Hardy:
Beides gleichermaßen. Zunächst versucht man ja, ein kleines Stück von sich in jeden dieser Songs zu legen, und darin liegt die Selbstverwirklichung, die in jedem Fall sehr befriedigend ist. Aber wenn die Nachricht dann bei anderen Menschen ankommt, ist das auf jeden Fall ein sehr erhebendes Gefühl, denn dann hat man sein Ziel erreicht.
Stephan:
Kannst du dir vorstellen, auch mal etwas musikalisch völlig anderes zu machen bzw. was hast du da schon für Sachen ausprobiert?
Hardy:
Auf Grund meiner Produzententätigkeit habe ich sozusagen von "Berufswegen" mit doch recht unterschiedlichen Musikrichtungen zu tun. Das ist jedes Mal schon eine gewisse Herausforderung, da ich vorher nie erahnen kann, was mich erwartet.
Stephan:
Ist es richtig, dass Plainsong Records euer eigenes Label ist, auf dem nur eure Alben promotet werden? Was ist die Idee dahinter und warum der Weggang von Moonstorm Records?
Hardy:
Der Gedanke, ein eigenes Label zu gründen, lag bei uns schon sehr lange in der Luft. Nach Ablauf unseres Plattenvertrages mit "Moonstorm" hatten wir dann zwei Möglichkeiten. Entweder wir nehmen das durchaus verlockende Angebot eines großen Majors an , oder wir versuchen, unsere eigene Szene mit neuer innovativer Musik zu bereichern. Die Entscheidung ist uns nicht schwer gefallen und so entstand auch gleich ein Konzept für Plainsong Records. Mit SCREAM SILENCE als erstes "Main Project" werden wir im nächsten Jahr einige Seitenprojekte unserer Musiker veröffentlichen. Darunter TUNES OF DAWN - eine Goth-Metal-Band, bei denen Hagen als Frontmann sogar singt, oder auch THE WISPERING SEA - Roberts ganz eigenwilliges Neofolk-Projekt. Und im Moment verhandeln wir auch schon mit anderen Bands, und sind natürlich auch gespannt, was uns in den nächsten Monaten an Demos erreicht.
Stephan:
Ihr habt mit 'Curious Changes' auch eine Single herausgebracht, was mittlerweile auch im Rock/Metal-Bereich weit verbreitet ist. Was genau ist das Anliegen der Single und welchen Mehrwert bietet sie gegenüber dem Album?
Hardy:
Unsere Singles sind im Grunde dazu gedacht, einen Vorgeschmack auf das kommende Album zu geben und vor allem, um die Neugier darauf zu wecken.
Der "kommerzielle Erfolg", wenn man es mal so nennen will, zeigt sich bei uns immer erst anhand der Verkaufszahlen des dazugehörigen Albums.
Dennoch ist die neue Single "Curios Changes" allen zu empfehlen, schließlich findet man hier unser erstes Video (gedreht von unserem guten Freund Silvan Büge http://www.silwahn.de ), welches einfach ein "Muss" für jeden Fan ist!
Stephan:
Ihr habt schon zweimal auf dem Wave-Gotik-Treffen gespielt, darunter im Jahr 2000. Wie habt ihr das Chaos damals erlebt und unter welchen Bedingungen hat euer Auftritt überhaupt stattgefunden?
Hardy:
Genau genommen spielten wir bereits drei Mal auf dem WGT. Als 2000 alles im Chaos zu versinken schien, waren wir eine der ersten Bands, die sich bereit erklärten auf die Gage zu verzichten.
Es hätte sich für uns nichts geändert sauer nach Hause zu fahren. Für viele geprellte Besucher war es jedoch auf diese Art doch noch ein gelungener Abend ... wenn man das so nennen kann.
Stephan:
In welchem Rahmen schwebt dir die Live-Umsetzung von "Elegy" vor? Wie wollt ihr es schaffen diese packende Atmosphäre auf die Bühne zu transportieren?
Hardy:
Wir versuchen, wann immer es uns möglich ist, das auf "Elegy" zu hörende Streicherduett live dabei zu haben. Außerdem werden nahezu alle Songs visuell von einer Videoprojektion unterstützt. Alles in allem werden wir alles dafür tun jedem Konzert den richtigen Rahmen zu "verpassen".
Stephan:
Wie ist es in Berlin mit Fanbasis, Auftrittsmöglichkeiten etc. für eine Gothic-Band bestellt, wo dort doch hauptsächlich Death- und Black-Metal-Bands herumlärmen?
Hardy:
Über die Jahre haben wir in Berlin eine doch beachtliche Fanbase aufgebaut. Clubs wie das Kato, K17, Silver Wings oder auch der Knaack (um nur einige zu nennen) legten den Grundstein für diese Entwicklung in der Stadt. Wir werden wieder Weltstadt, in der engstirnige Veranstaltungsstrukturen schon lange nicht mehr zum Alltag gehören.
Stephan:
Wie ist eigentlich euer Stand im Ausland und glaubst du, dass ihr in dieser Hinsicht mit "Elegy" weiter punkten könnt?
Hardy:
In der Tat wächst die Fangemeinde im Ausland von einer Veröffentlichung zur nächsten.
Das liegt zum Teil auch daran, dass jedes Jahr neue Vertriebsstrukturen im Ausland Interesse an unserer Band bekunden und wir auf diese Weise einfach mehr Hörer erreichen. So läuft zum Beispiel das Geschäft in Italien in letzter Zeit hervorragend.
Stephan:
Spiegelt die Art der Musik auch die Charaktere der Menschen wider, die dahinter stehen, oder seid ihr privat nicht so depressiv und schwermütig veranlagt?
Hardy:
Andere Songs handeln von Dingen, die uns bewegen, weil Sie unmittelbar in unserem Umfeld passieren. 'The Doubt' beispielsweise handelt von einem Freund, der von solchen Selbstzweifeln umgeben ist, dass er Angst vor jedem Schritt vorwärts in seinem Leben hat. Viele unserer Songs sollen aber bei all der Melancholie auch Mut machen, damit fertig zu werden. 'Elegy' beispielsweise drückt aus, dass auch ein Blick zurück auf damals schmerzliche Erfahrungen trotz aller Wehmut durchaus schön und sehr befreiend sein kann. Und versprochen, wer mich kennt, der kann bestätigen, das ich ein doch recht fröhlicher "Geselle" bin.
Stephan:
Was ist so das härteste/extremste, was bei dir im CD-Player landet?
Hardy:
Wenn ich einmal "privat" Musik höre, ist von PHILIP GLASS bis SYSTEM OF A DOWN alles möglich ... kommt aber ehrlich gesagt recht selten vor ...
Stephan:
Verbindest du mit SCREAM SILENCE auch kommerzielle Ziele oder geht es euch ausschließlich um den künstlerischen Anspruch?
Hardy:
Stände Kommerz bei uns an erster Stelle, würden wir sicher ein wenig anders klingen. Bleiben wir jedoch ehrlich, wenn wir keine Platten verkaufen würden, sicherlich auch :-).
Stephan:
Famous last words?
Hardy:
Vielen Dank für die wirklich guten Fragen und einen besonderen Dank an alle Fans !!!
- Redakteur:
- Stephan Voigtländer