SETYØURSAILS: Interview mit Jules Mitch

01.06.2024 | 09:48

Wenn man erfolgreich seine Ziele erreichen möchte, dann muss man zum richtigen Zeitpunkt seine Segel setzen und genauso wie SETYØURSAILS den Wind mitnehmen, der zur Verfügung steht. Das tut die Band aus Köln nämlich im Moment wie keine weitere nationale Band im modernen Metal. Deswegen war es für uns selbstverständlich, zuzugreifen, als wir im Rahmen der "United & Conquer"-Tour die Möglichkeit bekommen haben, mit Frontfrau Jules Mitch zu sprechen. Dass wir dabei über das verdammt starke Album "Bad Blood" und die Tour sprechen, könnt ihr euch sicherlich denken, aber auch über ikonische Kopfbedeckungen, die angespannte politische Lage, Cover-Versionen und dass Metalcore ein gar nicht so schönes enges Konzept für die Band ist, konnten wir uns sehr offen unterhalten. Viel Spaß beim Interview!

Hey Jules, ich durfte euch ja bei eurem Tourstart in Leipzig bewundern und mittlerweile habt ihr auch schon ca. 2/3 eurer Shows hinter euch gebracht. Wie läuft es aktuell? Und wie zufrieden seid ihr mit der Tour?

Ja, crazy, oder? Es ist ja unsere erste Co-Headliner-Tour und wir sind somit auch auf volles Risiko gegangen. Wir hatten keine richtig greifbaren Erwartungen wie es laufen wird und sind jetzt natürlich absolut überwältigt. Ich glaube bis auf zwei Termine war alles ausverkauft. Auch gestern (Anmerkung: Headcrush in Hamburg) war es komplett ausverkauft und das war schon so krank, dass mir fast die Tränen gekommen sind. Die haben gar nicht mehr aufgehört zu klatschen und uns abzufeiern. Wir haben schon viele Supporting-Touren gespielt und da muss man dann immer mal so gucken, wie man ankommt, aber jetzt mit den eigenen Fans im Rücken, die nur wegen einem selbst dort sind, ist schon was ganz Besonderes für uns. Da sind wir sehr dankbar für.

Das ist schön zu hören. Also passt das Match mit RISING INSANE für euch auch ganz gut?

Auf jeden Fall. Wir kannten die Jungs, genauso wie VINTA, schon vorher und wir verstehen uns alle auch privat prima. Wir sitzen ja jetzt auch hier alle und Essen und Trinken gemeinsam und auch musikalisch passt diese Kombination wunderbar zusammen. Das ist schon ein echt super Package. Könnte nicht besser sein.

Ich gehe mal davon aus, dass dann auch die Verkaufszahlen der abschließenden Shows sich ähnlich darstellen? Der VVK ist ja für Bands eurer Größenordnung elementar wichtig, oder?

Ja, absolut. Das sieht auch wirklich gut aus. Aber du hast Recht, wir hatten schon ziemlich Schiss zu Beginn, ob wir genug Tickets verkaufen. Man will ja dann auch nichts wieder canceln müssen. Aber als dann die ersten Daten ziemlich schnell "Ausverkauft" gemeldet haben, waren wir schon positiv überrascht. Grade auch das Feedback zur neuen Platte hat dann nochmal einen extra Motivationsschub gegeben, dass die Tour super laufen wird.

War es denn direkt schon zu Beginn geplant, das Album erst direkt zu Tourstart rauszubringen? Ich meine es ist ja schon ein kleines Wagnis, wenn die Fans das Songmaterial noch nicht komplett verinnerlicht haben.

Ja, dass war tatsächlich geplant und es war extrem knapp. Ich habe alleine mit unserem Produzenten in den letzten 3 Monaten das Album geschrieben, weil wir vorher einfach keine Zeit hatten. Wir haben verdammt viele Gigs gespielt und dann hat Napalm mal leise angeklopft und uns daran erinnert, dass wir doch bald ein neues Album rausbringen müssen. Das war dann am Ende eine echte Punktlandung und hat grade noch geklappt mit der Tour. Und trotzdem konnten am ersten Tag in Leipzig die Fans die Texte schon. Wahrscheinlich früh morgens gestreamt und dann abends auswendig mitgesungen. Ich meine, die Singles waren schon länger bekannt, aber der Rest? Haben die keine anderen Hobbies? (Lacht) Nein Spaß beiseite. Es macht uns unfassbar stolz, zu sehen, dass Menschen nur für uns so einen Einsatz zeigen. Surreal, aber schon geil.

Gestern hat eure Vorband VINTA die Single 'Gift' rausgebracht. Auf der hört man auch dich als Duett-Partnerin. Hat sich dieses Feature innerhalb der Tour ergeben oder wie kam es dazu?

Wir sind ja beides Kölner Bands und kennen uns schon lange und sind auch ziemlich gut miteinander befreundet. Somit haben sie mich konkret angefragt, weil sie mal was Härteres machen wollten. Dann haben wir geschrieben und uns im Proberaum getroffen und fertig war der Track. Ich schreibe selbst auch viel Musik für andere Künstler und bin aber eigentlich kein großer Fan von deutschen Texten, insbesondere weil es so höllisch schwer ist, einen guten deutschen Text zu schreiben. Aber von VINTA bin ich Fan. Ihr Writing ist irre gut und die Texte sind echt stark. Und somit war es auch das erste Feature, was ich bisher zugesagt habe und es gab schon einige Anfragen. Ich würde mich auch nie einem größeren Act anbiedern, nur um über eine Kollaboration mehr Fans zu erreichen. Es muss mir einfach komplett zusagen und erst recht, wenn man sich das erste Mal als Sängerin auf Deutsch zeigt. Ohne Authentizität geht da nix.

Hast du denn überhaupt schonmal vorher was in Deutsch gemacht?

Nein, das war wirklich die Premiere. Ich habe zwar schon für andere Sängerinnen was auf Deutsch geschrieben, aber selbst noch nie performt. Da ich bei 'Gift' auch meinen Part selbst schreiben durfte, hat es diesmal wirklich mal gepasst. Ich finde es eine coole Sache und ich hoffe, beiden Fanlagern gefällt der Song.

Dann lass uns mal zu eurem neuen Album kommen. Ich durfte bei POWERMETAL.de auch das Review schreiben und finde es wirklich verdammt gut. Aufgefallen ist mir direkt, dass es meiner Meinung nach etwas härter, zuweilen sogar angepisster klingt als "Nightfall". Siehst du das ähnlich?

Also von den Texten auf jeden Fall. Es war eine andere Situation, in der ich das Album geschrieben habe. Bei "Nightfall" war ich in einer ziemlich heftigen depressiven Phase und habe das entsprechend thematisch behandelt und jetzt geht es um andere Inhalte. Die letzten zwei Jahre hatte ich viel mit einem privaten Shitstorm und einer gescheiterten Freundschaft zu tun, wo man mir die Lust am Musik machen nehmen wollte und mir einzureden versuchte, ich würde meine Band sabotieren usw. Das hat aber das Gegenteil bewirkt und ich habe Motivation daraus gezogen. So ne richtige "Jetzt erst recht"-Stimmung quasi. Aus diesem Schwung ist fast das ganze Album entstanden. Es gibt zwar noch ein paar andere Tracks, aber die Main-Attitüde ist "Raus aus der Opferrolle" und "Fuck You". Und demzufolge ist das ganze Album direkter und auch härter geworden.

Auf der anderen Seite ist das Album für mich aber auch ungewöhnlich rockig ausgefallen und ihr habt euch der Pop-Welt noch viel mehr geöffnet.

Das kann ich beides genauso bestätigen. Ich bin grundsätzlich viel mehr Rock'n'Roll-Mensch als Metaller und da ich das Album direkt mit dem Produzenten geschrieben habe, mussten wir uns nicht ständig noch mit dem Gitarristen abstimmen und mehrere Änderungsschleifen berücksichtigen, wie das normalerweise im Metalcore essentiell ist. Das war ein komplett geiles, befreites Arbeiten. An einem Tag 'Halo' geschrieben und am anderen 'T.F.M.F.'. Mega! Somit wird es natürlich etwas straighter und rockiger. Ich finde aber auch, dass es rockiger und poppiger geworden ist, weil ich ein großer Fan von poppigen Chorussen bin. Das muss schön aufgehen im Refrain und eingängig sein und nicht so fummelig und unnötig verspielt klingen. Da bin ich dem Rock definitiv näher als dem Metal. Und dadurch wirkt das ganze Ding etwas zugänglicher als "Nightfall" und nicht so Genre-lastig.


Wenn die Fans in Leipzig nach 8 Stunden alles mitsingen können, würde ich behaupten: Ziel erreicht!

Ja, oder? Es deckt so etwas mehr Breite ab. Das war aber nicht zwingend so gewollt, hat sich aus dieser Herangehensweise aber harmonisch so entwickelt.

Hast du denn im Pop-Bereich bestimmte Künstler, welche dich stark beeinflussen oder inspirieren? Grade im Hinblick auf das Songwriting?

Nicht so richtig. Da ich selbst als Songwriterin aktiv bin, lasse ich mich höllisch schnell beeinflussen und versuche es somit soweit es geht zu vermeiden. Also grade im Songwriting-Prozess muss ich das zwingend ausschließen, weil es sich so heftig im Kopf festsetzt und mich zu sehr einschränkt. Also höre ich sehr wenig Musik selbst.

Ich habe ein Interview von euch gelesen in dem ihr gebeten wurdet, die Entwicklung von "Enough" zu "Nightfall" zu beschreiben und ihr habt euch ungewöhnlich harsch zu "Enough" geäußert. Mittlerweile wird ja sogar häufig von "Nightfall" als Debüt geschrieben. Wie blickt ihr denn nun mit "Bad Blood" in der Hinterhand auf "Nightfall" zurück?

Haha – ach du scheiße. Coole Frage. Jaja - unser "Lieblingsalbum" "Enough". Also bei "Nightfall" war das Ding, dass man sich grade erst gefunden hat und nun das erste Mal etwas professioneller arbeiten konnte. Grade auch das erste Mal im Studio mit einem externen Produzenten. Also eine ziemlich krasse Findungsphase mit allerlei Experimenten und Versuchen und hinzu kommt, dass wir damals aber auch alle noch einen etwas anderen Musikgeschmack hatten. Wir hatten das Teil ja schon geschrieben, bevor wir den Plattenvertrag bekommen haben. Wir hatten es sogar schon geschrieben, auf eigene Kosten aufgenommen und uns damit bei verschiedenen Labels beworben. Das war noch vor Covid. Also ganz andere Vorzeichen. Es war/ist aber ein wichtiges Album für mich, weil ich meine damalige Situation verarbeiten konnte und ich auch grundsätzlich Musik mache, um Ordnung in meinem Kopf zu schaffen. Aber nichtsdestotrotz finde ich "Bad Blood" viel stärker. Es ist rockiger, punkiger, zugänglicher und spiegelt natürlich auch meine aktuelle Situation viel besser wider. Ich bin nicht mehr in diesem dunklen Loch und der Fokus ist anders gerichtet. "Nightfall" bleibt aber trotzdem ein cooles Album und sehe es nicht annähernd so kritisch wie "Enough".

Lass uns kurz mal auf ein paar einzelne Songs eingehen. Möchtest du uns erklären, wer der "Two Faced Mother Fucker" ist?

Hehe. Nein, das kann und möchte ich nicht sagen. Es ist auf jeden Fall aus einer gescheiterten Freundschaft entstanden. Den Songtitel 'T.F.M.F' hatte ich schon länger im Kopf und eigentlich war das Album auch schon fertig im Kasten. Aber ich habe zum Produzenten gesagt, ich will noch einen richtigen Upfuck-Song, einen richtigen Abriss der ordentlich ballert. Ganz in der Tradition von 'Fckoff' von "Nightfall". Das ist auch der einzige Song, den wir ganz gewollt für die Live-Situation geschrieben haben. Richtig schön stumpfer Beat. (trommelt auf dem Tisch rum). Und beide Tracks gehen live auch mächtig ab. Die Fans lieben die Dinger. Klar, sind beide Songs überspitzt und auch ironisch gemeint, aber sie machen halt auch unglaublich Spaß. Uns und offensichtlich auch den Hörern.

Ich find ihn auch musikalisch nochmal besonders. Sind dir diese harschen Gesangs-Parts, welche beinahe in eine Nu-Metal Rap-Performance schwenken, schwergefallen?

Nein – gar nicht. Das Teil hatte einen heftigen Flow und ist wirklich an einem Tag entstanden. Ich höre gerne STRAY FROM THE PATH und die arbeiten öfter mit so einem leichten RAGE AGAINST THE MACHINE-Style, also auch so ein bisschen angerappt, aber auch nicht wirklich lupenreine HipHop-Elemente. Und das macht total Bock, wenn du so laufende Drums hast, dazu laufende HiHats und darauf so abgehackte Riffs bringst, da passiert direkt was im Kopf. Und dieses Pattern, so wie die Vocals nun gesetzt sind, war richtig gejammt von mir. So komplett räudig mit dem Handy aufgenommen. Hab die Sitzung dann final auch tatsächlich so gelassen nur ein paar Wörter halt noch angepasst oder ausgetauscht. Und dieser Workflow ist für mich immer gut. Wenn du den Vibe hast, dem ersten Impuls nachgibst und nicht zu viel drüber nachdenkst, dann wird es fett.

Ein weiterer persönlicher Hit ist 'Dangerous'. Einmal lyrisch, aber auch musikalisch. Meine erste Intention war, als ich die Trackliste gesehen habe, ob es nicht vielleicht ein ROXETTE-Cover wäre. Das ist nun nicht der Fall – somit habt ihr auf dem Album gar keine Fremdkomposition. War das eine bewusste Entscheidung, grade im Hinblick darauf, dass 'Shallow' (LADY GAGA) ja ziemlich erfolgreich war.

Irgendwie tatsächlich nicht. Wir hatten zwar schon eine Idee, aber eher für live. Wenn man ehrlich ist, dann war 'Shallow' auch eher vom Management getrieben. Einer unserer Manager hat mich mitten in der Nacht angerufen, weil er den Song in irgendeiner Werbung gesehen hatte und der Meinung war, den müssen wir unbedingt machen. Ja, kann man schonmal machen und treibt natürlich auch die Spotify-Zahlen nach oben, aber im Endeffekt sind wir keine Coverband und möchten unsere eigene Musik promoten. Ich möchte neue Cover-Sachen für die Zukunft aber auch nicht ausschließen. Grade so ein paar PARAMORE-Klassiker wie 'Misery Business' mal in unserem Style für Konzerte oder Festivals zu bringen, kann cool sein. Grade wenn die da alle einen im Tee haben, geht es doch voll ab, wenn was gespielt wird, was alle kennen. Guck dir heute Abend VINTA und 'Durch den Monsun' an. Vorher alle Metalheads so Anti-TOKIO HOTEL eingestellt und dann feiern die den Song alle zusammen komplett ab. Sowas connected halt und ist live eine gute Sache. Aber als Release im Studio eher nicht. Zumindest ist nichts geplant in die Richtung.

Kannst du uns auch noch ein paar Worte zum gelungen Artwork der Scheibe dalassen? Wie kam es zu diesem Layout mit der Message "All Eyes On Us"?

Haha - gerne. Ich bin 1991 geboren und bin mit dem ganzen MTV-Punk und MTV-Metal aufgewachsen. Also mit AVRIL LAVIGNE, SUM41, SLIPKNOT und LIMP BIZKIT. Und ich wollte gerne so ein bisschen 1990er/2000er-Vibe haben als Gesamt-CI für die Band und habe dann unserem Designer Marius einen Vorschlag geschickt, weil mir die ganze Zeit so eine Collage mit ganz vielen Augen nicht mehr aus dem Kopf ging. Die hab ich dann so richtig räudig mit dem Handy abfotografiert in unterschiedlichsten Gestiken und ihm dann ca. 125 Bilder von meinen Augen geschickt. Das sah unbearbeitet natürlich übelst komisch aus. Und das Bad Blood-Typo was unten steht, habe ich dann mit Ketchup auf einen Zettel geschmiert und mit dem Finger nachgezeichnet. Das sah so widerlich aus, aber ich dachte schick es mal mit. Und er hat es tatsächlich durch so viele Filter gejagt und bearbeitet, dass es am Ende jetzt so stark aussieht und dieses gewünschte Ende 1990er/ Anfang 2000er Flair versprüht. Jetzt erinnert mich das Ergebnis total an meine eigene Jugend und das gefällt mir voll geil. Es wirkt halt auch sehr künstlerisch und sticht heraus. Dann haben wir halt hinten noch die Stripes mit den Augen von allen Bandmitgliedern drauf und noch Live-Bilder auch als Collage verarbeitet. Jetzt wirkt es total rund und künstlerisch hochwertig, aber trotzdem noch punkig, rotzig und roh. Es geht halt auch vom Design weg von dieser Metalcore-Richtung, weil ich das auch gar nicht mehr so fühle.

Das kann ich komplett nachvollziehen. Auch bei "Nightfall" hattet ihr schon diesen künstlerischen Anspruch und auch dort war mit der pinken Farbe das Thema Auge hervorgehoben. Ist diese Verbindung bewusst gewählt?

Haha – stark. Nein, das ist komplett unbewusst und es gibt keine direkte Verbindung. "Nightfall" war zu 100% DIY. Da haben Andre und ich diese Statue bei Amazon gekauft und Bilder vor einer schwarzen Wand gemacht. Im Anschluss alles dann selbst bearbeitet, da Andre als Web-Designer etwas Erfahrung mitbringt. Irgendwie waren wir mit diesem schwarz-weißen Ergebnis aber noch nicht zufrieden und haben dann komplett Random einfach einen farbigen Streifen drübergezogen. Also leider keine geheime Verbindung zwischen den beiden Alben.

Durch eure Herangehensweise ist nahezu jeder Song auf "Bad Blood" eine potentielle Single. War es schwer für euch, eine Entscheidung zu treffen, welche Songs vorab ausgekoppelt werden?

Sehr schwer. Es gab viel Schläge und Prügel. (lacht) Uns war zumindest allen klar, dass wir ein Feature auf einem Song haben wollen, weil wir halt den Adrian von ZEBRAHEAD auf einem Festival kennengelernt haben. Seine Stimme finde ich total geil. Und vom Gefühl her, war nur 'Bad Blood' der Song, der dafür getaugt hätte und als Titeltrack natürlich auch eine prädestinierte Nummer für eine Auskopplung. Davon ab ist es natürlich auch ein Statement, als Einstieg eine Nummer zu nehmen die direkt voll reinknallt. Als nächstes haben wir dann 'Lately' veröffentlicht und da war ich mir sehr unsicher. Den Chorus dafür hatte ich schon über drei Jahre auf dem Rechner und dachte immer, dass ich ihn vielleicht einer anderen Band gebe. War mir nicht so sicher, ob das wirklich ein SETYØURSAILS-Song ist. Habe ihn aber trotzdem unserem Produzenten geschickt und er war hellauf begeistert. Und so war es auch bei der Entscheidung, ihn als Single auszuwählen. Ich war voll dagegen aber wirklich alle anderen wollten die Nummer unbedingt. Ich wollte eigentlich 'Halo' haben, weil das mein Favorit vom Album ist, aber im Endeffekt bin ich jetzt ganz d'accord mit der Entscheidung. Es zeigt halt eine komplett andere Seite von uns und wir können uns nicht hinter dem Geschrei verstecken. Für die anderen Sachen brauchst du keine besondere Attitüde oder Eier, sondern haust das so raus. Sich jetzt so ruhig und zerbrechlich zu zeigen, war schon ein Rausbewegen aus der Komfortzone. Als letzten Endes haben wir uns dann für 'Bad Company' entschieden, weil wir alle da Bock draufhatten. Der hebt sich vom restlichen Material schon nochmal deutlich ab mit seinem ARCHITECTS-Style am Anfang und zeigt dann, insbesondere in Kombination mit dem Video, dass wir auch im Club gut aufgehoben sind. Das war uns auch nochmal wichtig zu zeigen, dass wir uns auch in diesem Bereich gerne bewegen.

Apropos Singles und Album. Viele junge Bands, insbesondere in eurem Genre, distanzieren sich peu a peu vom Album als Kunstform und gehen über zu einzelnen Song-Releases oder EP-Veröffentlichungen mit vier bekannten Liedern und einem neuen Track. Wie siehst du diese Entwicklung und wie wichtig ist das Album als Kunstform für SETYØURSAILS?

Ich verstehe die Kollegen komplett, da insbesondere durch TikTok die Aufmerksamkeitsspanne mittlerweile bei vielleicht 10 Sekunden liegt und dann wird weitergeswipt. Ich arbeite mit Jugendlichen zusammen und da sehe ich diese Entwicklung jeden Tag. Die testen halt maximal die erst fünf Songs an und wenn es sie dann nicht komplett begeistert, geht es weiter zum nächsten Anbieter. Somit volles Verständnis für die Reaktion von anderen Bands. Wir sind da aber noch etwas old-schooliger eingestellt und wollen immer mehr liefern als nur einzelne Tracks. Es gibt auch immer ein übergeordnetes Konzept bei jeder VÖ und die Texte sind sehr persönlich. Dieser Mehrwert ist mir wichtig. Wir sind keine Band, die Songs rausbringt, um live spielen zu können, sondern ich will Musik schreiben. Das muss mir was geben. Und unsere Fans spiegeln uns diese Detailliebe auch wider und ich bezweifele, dass wir diese intensiven Gefühle und das, was ich persönlich verarbeite in einzelnen Tracks rüberbringen können. Dazu kommt, dass ich immer in einem Rutsch schreibe und dann muss es raus. Jeden Monat einen Song zu schreiben, ist nicht meine Arbeitsweise. Und als dritter Aspekt gehört zu so einem Package halt auch so ein Artwork und unsere Fans wollen tatsächlich auch noch viele Sachen physisch haben und stellen sich das Vinyl ins Regal. Das ist aktuell sogar wieder ein etwas zunehmender Markt. Somit ist das noch ein zusätzlicher Motivator, auch da was Fettes zu liefern, was man anfassen kann. Ich kann natürlich nicht so weit in die Zukunft blicken, aber aktuell sind und bleiben wir eine Album-Band.

Lass uns nochmal kurz zu einem etwas ernsteren Thema kommen. Ihr seid eine Band, die sehr politisch engagiert ist, wenn es um die Themen Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit geht. Was möchtet ihr unseren Lesern insbesondere im Hinblick auf die Europawahl und die Landtagswahlen in Thüringen mitgeben?

Gerne. Ich möchte aber gar nicht bewusst sagen, wählt das oder das, sondern jeder eurer Leser hat einen TV, hört Radio oder ist auf Social-Media aktiv und merkt, was gerade hier abgeht. Ich kann nicht verstehen, wie Parteien eine Option sein können, welche andere Lebensformen nicht tolerieren oder andere Menschen diskriminieren. Das macht für mich keinen Sinn. Wir sind ein so schönes, reiches Land mit so viel Freiheiten und an allen Ecken und Enden wird sich beschwert. Mir fehlt so die Dankbarkeit dafür, dass wir hier sein dürfen. Grade unsere Generation ist doch nahezu ohne Probleme aufgewachsen und vergisst dabei die ganze Scheiße, was vorher in unserem Land so abgelaufen ist. Ich genieße mein Leben, die Freiheiten und Privilegien, die ich aktuell habe, aber wenn man sich mal mit den Wahlprogrammen und den Inhalten der Parteien beschäftigt, dann gibt es leider einige, die das nicht mehr so haben wollen. Meine verstorbenen Großeltern würden mit dem Kopf schütteln.

Also ist mein Appell an euch: Beschäftigt euch intensiv damit und hört nicht nur auf die kurzen Bullshit-Statements und Parolen, sondern setzt euch mit den Wahlprogrammen auseinander und trefft dann bitte die richtige Entscheidung. Die Richtung, in die es sich aktuell entwickelt, ist nicht schön und ich habe heute hier in der Hannover Innenstadt noch nie so viele AFD-Plakate gesehen. Selbst da stehen so krasse Propaganda-Slogans drauf, dass mir ganz anders wird. Diese Häufigkeit würde es in Köln nicht geben. In den Randgebieten vielleicht, aber nicht im Zentrum. Und das in einer so liberalen Stadt wie Hannover. Mir bereitet die ganze Normalisierung dieser Inhalte und das Wandern in unsere Mitte wirklich Unbehagen. Sehr traurig und erschreckend, aber wir alle haben das Wahlrecht und das müssen wir nutzen. Also geht bitte wählen und trefft die richtige Entscheidung.

Dem kann ich mich nur anschließen, geht bitte wählen und macht euer Kreuz an der richtigen Stelle! Lass uns zum Abschluss noch den Bogen zu einem etwas leichteren Thema schwenken. Ich habe interessiert euren Merchandise-Stand begutachtet und mir fehlt da ehrlich gesagt ein wichtiger Artikel. Wann nehmt ihr deine ikonische Kopfbedeckung mit auf ins Sortiment?

Ohne Scheiß, oder? Das ist in der Tat die meistgefragte Frage am Merchandise-Stand. Wo gibt es meinen Hut zu kaufen und ob wir den nicht bald mal selbst zum Verkauf anbieten. Das wäre echt mal ein Gag, das wirklich rauszubringen. Ich meine mein eigener ist ganz schön eklig, weil ich auch immer sehr viel mit Haarspray arbeite, aber ich habe auch mehrere davon. Aber da müssen wir uns echt mal Gedanken machen. Wir wollen eh noch was Cooles im Juni bekanntgeben und nach diesem Jahr würden wir dann spezielle "Bad Blood"-Jacken, welche ich zu Promo-Zwecken hatte, für einen guten Zweck versteigern. Da schmeiße ich glaube ich noch so einen alten Hut mit dazu.

Ich weiß nicht wie Fußball-affin du bist, aber der Hamburger SV hat ja Anfang des Jahres mit Steffen Baumgart einen neuen Chef-Trainer eingestellt, welcher auch durch seine ikonische Schiebermütze bekannt ist. Das Teil ist im Shop dann verkaufstechnisch durch die Decke gegangen.

Haha - ja krass. Sehr geil. Danke für den Tipp. Diese Hüte sind so schweineteuer, aber das wäre wirklich mal eine spannende Idee. Vielleicht kann man die günstig nachproduzieren. Wäre schon stark, wenn im Publikum dann plötzlich so 50 Leute mit der gleichen Kopfbedeckung wie ich stehen würden. Wir werden das mal weiterverfolgen.

Danke Jules für das großartige Gespräch und deine wertvolle Zeit, so direkt vor der Show, ist das nicht selbstverständlich. Zum Abschluss übergebe ich dir gerne nochmal das Wort für deine letzten Worte an unsere Leser.

Erstmal danke an dich Stefan für das angenehme Interview und ich hoffe, ihr bleibt noch für die Show. Und an die Leser: Vielen Dank für euren Support und besonders an alle, welche sich im VVK Tickets für unsere Shows besorgt haben und somit der Grund sind, dass wir weiter wachsen können. Das ist mir noch ein Anliegen, weil es vielleicht dem Otto-Normal-Hörer nicht bewusst ist. Dieses Ergebnis im Vorverkauf sorgt dafür, dass wir mehr Geld bekommen, um bessere Festivals zu spielen, weitere Touren realisiert bekommen und im Endeffekt auch unseren Fans einen höheren Mehrwert bieten können. Jedes Ticket hilft kleineren Bands zu wachsen und in der notwendigen Verhandlung mit den Bookern. Also: Danke fürs Streamen, Vorbeikommen und Headbangen.

Foto-Credits: Norman Wernicke

Redakteur:
Stefan Rosenthal

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