SHAMRAIN: Interview mit Janne Jukarainen
07.01.2008 | 09:12Dass die Finnen ein sehr trinkfreudiges Völkchen sind, ist allgemein bekannt, doch wer dabei nur an irgendwelche Humppa-Spaß-Combos denkt, liegt falsch. Denn SHAMRAIN sind der beste Beweis dafür, dass aus den unangenehmen Nebenwirkungen exzessiver Saufgelage wundervolle Musik entstehen kann. "Goodbye To All That" heißt der neue Abgesang auf die Lebensfreude und tönt doch ein wenig optimistischer als die vorherigen Werke, auch wenn Schlagzeuger Janne Jukarainen das mit dem Optimismus ein wenig anders sieht (und ich durchaus verstehen kann, dass dieses Wort für die melancholisch veranlagte Band eine Beleidigung darstellt). Warum SHAMRAIN sowohl für romantische Stunden zu zweit als auch für amoklaufende Erschießungskommandos den passenden Soundtrack liefert, erfahrt ihr im folgenden Interview.
Elke:
Als ich zum ersten Mal den Titel eures neuen Albums "Goodbye To All That" vernahm, habe ich fast befürchtet, dass es sich hierbei um eure letzte Platte, also eine Art Abschiedsbotschaft, handeln könnte. Aber ich nehme an, der Titel bezieht sich vielmehr auf die Texte, oder?
Janne:
Nun, ich hoffe, dass das nicht unsere letzte Platte ist, aber wer weiß das schon so genau. Und ja, der Titel fasst das lyrische Konzept recht gut zusammen.
Elke:
Ihr seid inzwischen seit sieben Jahren unter dem Namen SHAMRAIN aktiv, und das immer noch in der gleichen Besetzung. Lediglich euer zweiter Gitarrist Mikko Kolari stieß im Rahmen der Aufnahmen zum zweiten Album dazu. Gibt es ein Geheimrezept dafür, sich über all die Zeit nicht in die Wolle zu kriegen?
Janne:
Möglicherweise liegt das Geheimnis darin, dass wir uns gegenseitig nicht so oft sehen, da bis auf Matti und ich fast alle an unterschiedlichen Orten leben. Aber ich denke, der Hauptgrund ist, dass wir die gleiche Vision für diese Band teilen, nämlich gemeinsam etwas Einzigartiges und Besonderes zu erschaffen.
Elke:
Ihr scheint jeden Longplayer bei einem anderen Label herauszubringen. Nach Watch Me Fall Records und Firebox seid ihr jetzt bei Spikefarm gelandet. Habt ihr vor, dort etwas länger auszuharren?
Janne:
Wir haben mit Spikefarm einen Vertrag für ein weiteres Album, und hoffentlich werden wir ihn auch erfüllen. Ich möchte aber betonen, dass der Grund für die zahlreichen Label-Wechsel nicht in irgendwelchen Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und den Labels liegt. Wir haben uns stets im Guten getrennt.
Elke:
Wer ist bei SHAMRAIN für Musik und Texte verantwortlich, und wie genau geht ihr dabei vor?
Janne:
Matti [Bass und Keyboards - die Verfasserin] und Kalle [Gitarre - die Verfasserin] sind unsere Komponisten und Texter, und Mika kümmert sich um die Gesangs-Arrangements. Wir versorgen ihn dafür mit einem Demo der Songs und einem Textblatt und er beginnt zu improvisieren, um so die Gesangslinien zu entwickeln.
Elke:
Wie lange wart ihr mit der Fertigstellung von "Goodbye To All That" beschäftigt?
Janne:
Im Herbst/Winter 2006/2007 haben wir zunächst ein Demo des kompletten Albums eingespielt und im Mai 2007 dann mit den eigentlichen Aufnahmen begonnen, die sich bis Juli hinzogen. Gemischt wurde es schließlich im August. Nachrechnen darfst du selbst, aber es dauerte schon eine Weile.
Elke:
Matti sagte einst in einem Interview, dass Kalle und er oft am Kreativsten sind, wenn sie einen Kater haben. Mir geht es in solchen Momenten eigentlich eher dreckig und ich kann kaum geradeaus denken. Was bitte schön ist an Kopfschmerzen und Übelkeit so inspirierend?
Janne:
Ich nehme an, dass der damit verbundene physische und psychische Schmerz sie zu dieser Art von Musik inspiriert. Es ist offensichtlich, dass der Musik sehr starke Gefühle zugrunde liegen, sogar solch fürchterliche Qualen, wie man sie während eines Katers durchleidet. Aber natürlich ist das nur eine von vielen Inspirationsquellen für die beiden.
Elke:
Ähm, klar, Finnen trinken ja im allgemeinen nicht so viel... Die vorherige Scheibe "Someplace Else" erschien damals im Sommer, was meiner Meinung nach nicht wirklich die ideale Jahreszeit ist, um sich SHAMRAIN anzuhören. "Goodbye To All That" wurde hingegen - wie auch das Debüt - im Winter auf den Markt gebracht. Nehmt ihr auf solche Dinge Einfluss?
Janne:
Wenn ich mich richtig erinnere, gab es damals irgendeine Verzögerung bei der Veröffentlichung von "Someplace Else", denn eigentlich sollte die Scheibe schon viel früher herauskommen. Wir hatten schließlich zwei Optionen: Sie im Sommer zu veröffentlichen oder bis zum Herbst zu warten. Und warten stand außer Frage. Zurückblickend war das wohl nicht die klügste Entscheidung. Winter und Herbst sind die besten Zeiten für eine SHAMRAIN-Platte, denn wir machen nicht unbedingt Musik für helle Sommertage.
Elke:
Es scheint eine Art Tradition zu sein, jede eurer Alben mit einem merkwürdigen Geräusch zu beginnen und zu beenden, wie ein sanfter Windstoß oder so etwas ähnliches. Was hat es damit auf sich?
Janne:
Keine Ahnung, es passt einfach. Welch besseren Grund könnte es geben? Ich persönlich denke, dass es gut ist, atmosphärische Musik sanft ein- und ausklingen zu lassen.
Elke:
Was mir an dem neuen Album irrsinnig gut gefällt ist der warme Sound, den ihr darauf verewigt habt. Er klingt sehr organisch und 70er-lastig.
Janne:
Es freut mich, dass so viele Menschen das bemerkt haben. Eines war klar, als wir mit der Arbeit am neuen Album begonnen haben: Wir wollten einen Sound erreichen, der so natürlich wie möglich klingt. Keine Trigger, keine künstlichen Verstärker und so wenig Nachbearbeitung wie möglich. Den Großteil des Albums haben wir im Studio Villvox aufgenommen, das sehr modern ausgestattet ist. Es ist also jetzt bewiesen, dass man mit neumodischem High-Tech-Equipment nicht automatisch einen modernen, kalten Sound erzielt. Man muss einfach nur wissen, was man erreichen will, und die richtigen Leute finden, um das umzusetzen.
Elke:
Ich nehme an, der größte Unterschied zwischen "Goodbye To All That" und "Someplace Else" ist der etwas optimistischere Ansatz. Ungefähr die Hälfte der Stücke sind schneller, gradliniger und ein wenig poppiger. Lag dies in eurer Absicht? Und welche Art von Musik stellt ihr euch für die Zukunft vor - die langsamen, verträumten, atmosphärischen oder die leichtfüßigeren Pop-Rock-Songs?
Janne:
Hölle, ich würde es nicht "optimistisch" nennen! Aber ein wenig schneller trifft schon zu. Einige Arrangements sind komplexer als zuvor und einige dafür simplistischer. Und wir haben den schnellsten und den langsamsten Song unserer bisherigen Karriere auf diesem Album. Es geht also darum, die Extreme auszureizen. Ich glaube, in Zukunft werden wir das noch viel stärker tun als bisher und versuchen, die von dir genannten Elemente zu einer noch dichteren und intensiveren Gesamtheit zusammenzufügen.
Elke:
Auf euren bisherigen Alben hatte Gastsängerin Minna Sihvonen (MY BLUE HEAVEN) einige Einsätze, auf "Goodbye To All That" hingegen vermisse ich sie. Auch die Streicher, die auf "Someplace Else" Verwendung fanden, fielen dieses Mal unter den Tisch. Warum?
Janne:
Minna hat schon mitgewirkt, nur wesentlich geringfügiger als zuvor. Du hörst sie in "Ghosts I See" und "Evangeline". Ich liebe ihre Stimme und es ist schade, dass man sie so selten vernimmt. Es gab dieses Mal Terminkonflikte, aber ich bin sicher, dass sie auf dem nächsten Album wieder dabei ist, vorausgesetzt natürlich sie möchte das. Was die Streicher betrifft, hmm ... Möglicherweise wollten wir sie dieses Mal einfach nicht. Eine unserer Richtlinien für "Goodbye To All That" war, nicht einfach "Someplace Else Part Two" zu erschaffen, sondern reinen Tisch zu machen. Vielleicht kommen die Streicher auf dem nächsten Album wieder zurück, wer weiß.
Elke:
Ich habe mir etliche Reviews zu eurem neuen Album durchgelesen und stoße dabei immer wieder auf die gleichen Worte: Winter, Rotwein oder Tee, mit dem/der Liebsten kuscheln und Kerzenschein. Hat schon mal irgendjemand ein Review geschrieben und keines dieser Klischees verwendet?
Janne:
Du hast ein Wort vergessen, nämlich HIM, haha. Ich kann den Vergleich nicht wirklich nachvollziehen, aber wir werden lieber mit ihnen in einen Topf geworfen als mit irgendeiner beschissenen anderen Band. Es fällt mir schwer zu sagen, welche Worte uns am besten beschreiben, weil jeder Musik auf seine eigene Art erlebt, basierend auf der jeweils aktuellen Stimmung. Der eine sagt, dass man zu SHAMRAIN gut Liebe machen oder Rotwein trinken kann, ein anderer findet sie perfekt für Beerdigungen oder Hochzeiten oder Schießereien. Das ist aber genau das schöne an Musik im allgemeinen, dass ihre Schöpfer den Hörern nicht vorschreiben können, wie sie sich dabei fühlen oder was sie dabei machen sollen.
Elke:
Euer Gitarrist Kalle Pyyhtinen zeigt sich auch für einige Artworks der älteren Scheiben verantwortlich, aber soweit ich weiß, war er dieses Mal nicht beteiligt, oder? Und wofür steht eigentlich diese Voodoopuppen-ähnliche Kreatur?
Janne:
Doch, Kalle hat auch dieses Mal wieder das Artwork entworfen, nur unter dem Namen seiner Firma Utedesign. Er macht die perfekten Cover für uns, wir brauchen niemand anderen, so lange er selbst sich nicht dagegen sträubt. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was das Bild bedeutet, es ist nur eine Zeichnung, aber in dieser Umgebung wirkt sie irgendwie beängstigend. Ich liebe es einfach, es ist unser bestes Cover bisher.
Elke:
Auf dem aktuellen Cover findet man nicht mehr den Namen SHAMRAIN, geschweige denn den Album-Titel. Warum dieser plötzliche Hang zur Schlichtheit?
Janne:
Vielleicht ist Kalle so ein einfaches Gemüt, hehe. Nein, Spaß beiseite, das ist einfach unser Stil. Wir mochten schon immer die schlichteste Version der Entwürfe am liebsten, die uns für das spätere Motiv vorgelegt wurden. Ich kann es nicht besser erklären, als dass wir irgendwie denken, dass wir nicht viel Zeugs auf unseren Covern brauchen.
Elke:
Zwischen euren drei regulären Studio-Werken habt ihr ein Mini-Album und eine EP veröffentlicht, die ich leider nie in die Finger bekommen habe. Was habe ich dadurch alles verpasst?
Janne:
Die 7'' Vinyl-Veröffentlichung war eher eine Sache, an der wir selbst Spaß hatten, wir lieben diese kleinen Schallplatten einfach! Darauf gab es nur zwei Songs plus ein Intro. Der erste ist im Rahmen der "Empty World Excursion"-Aufnahmen entstanden, passte aber nicht zum Rest des Albums, und der zweite war eine Neueinspielung von unserem ersten Demo. Das war meiner Meinung nach unsere dunkelste Veröffentlichung, die Sonne scheint darauf unter Garantie nicht. Erschienen ist das Ganze über unser eigenes "Label", limitiert auf nur 200 Exemplare. Dann gab es noch die "Deeper Into The Night"-EP mit drei Songs aus der "Someplace Else"-Session, die auch hier nicht so ganz zum Rest des Materials passen wollten, sich aber mit den beiden ebenfalls enthaltenen neuen Stücken sehr gut ergänzen.
Elke:
Die meisten Leute wissen lediglich, dass Mika Tauriainen auch bei ENTWINE aktiv ist. Wie sieht es bei den anderen Mitgliedern von SHAMRAIN mit Nebenprojekten aus?
Janne:
Mikko, Matti und ich spielen auch bei HANGING GARDEN, dem bösen Zwillingsbruder von SHAMRAIN, wie wir manchmal sagen. Ich bin außerdem bei NAILDOWN, so dass es manchmal ganz schön hektisch für mich wird - aber mir macht es Spaß so. Kalle hat noch eine Band namens SCARLET YOUTH, die irgendwann im Frühjahr etwas veröffentlichen wird.
Elke:
Liveauftritte kamen in der Geschichten von SHAMRAIN bisher eher sporadisch vor, es gab lediglich ein paar Shows in Finnland. Wann bekommt der Rest der Welt euch zu Gesicht?
Janne:
Ja, ich weiß ... Und hoffentlich ändert sich das endlich einmal. Den Anfang haben wir bereits gemacht: Wir hatten während der letzten Monate ein paar tolle Shows in Finnland, und wir hätten jetzt große Lust auf eine Europatour. Wir waren uns bisher halt etwas unschlüssig darüber, wie diese Art von Musik live rüberkommen würde. Aber unsere Befürchtungen haben sich als unnötig erwiesen, wir wissen jetzt, dass es wunderbar funktioniert. Wir hatten viel Spaß auf der Bühne und bekamen tolles Feedback. Hoffentlich erhalten wir also bald die Gelegenheit, außerhalb Finnlands aufzutreten. Wenn ihr uns irgendwo in Europa sehen wollt (um erst mal klein anzufangen, haha), geht zu euren örtlichen Veranstaltern und verlangt, dass sie uns für ihre Shows buchen!
Elke:
Hoffen wir, dass deine Bitte auf offene Ohren stößt. Janne, ich danke dir für das Interview.
Janne:
Und ich danke POWERMETAL.de für diese Gelegenheit, uns Gehör zu verschaffen. Hoffentlich haben wir 2008 die Gelegenheit, nach Deutschland zu kommen und dort für euch Verrückte zu spielen. Bis dahin: cheers!
- Redakteur:
- Elke Huber