SIEGES EVEN: Interview mit Markus Steffen
17.09.2007 | 11:50Ein mehr als beeindruckendes Comeback haben SIEGES EVEN vor knapp zwei Jahren mit dem formidablen Longplayer "The Art Of Navigating By The Stars" hingelegt. Dass dies beileibe keine Eintagsfliege war, beweist das dieser Tage erscheinende, neue Album "Paramount", welches es schafft das hohe Level des Vorgängers beinahe mühelos zu halten. Ähnlich sieht das auch Gitarrist Markus Steffen, der sich viel Zeit für die Beantwortung der Fragen nahm.
Peter:
Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album "Paramount". Wie sind denn die Reaktionen bislang?
Markus:
Vielen Dank. Das Feedback auf "Paramount" ist bislang fantastisch. Beinahe wären wir im deutschen "Rock Hard" Platte des Monats geworden. Es sieht ganz danach aus, als würden wir nun auch außerhalb des Proggenres wahrgenommen.
Peter:
In meinen Ohren klingt "Paramount" vielschichtiger und dennoch geradliniger als euer famoser Vorgänger. War das die Richtung, die ihr einschlagen wolltet?
Markus:
Wir wollten einfach nicht eine zweite "Navigating" schreiben. Nicht, weil wir die Platte nun plötzlich nicht mehr mögen, sondern weil es unser erklärtes Ziel ist, auf jedem Album ein wenig anders zu klingen. "Paramount" ist sicherlich nicht so leicht zugänglich wie "Navigating", wenngleich die Stücke auf den ersten Blick melodischer, transparenter, evtl. sogar 'kommerzieller' klingen. Allerdings sind sie untereinander sehr heterogen – das war ganz sicher beabsichtigt und ist für mich persönlich der große Unterschied zur "Navigating". Die ganze technische Komplexität der Vergangenheit, die wir meist vordergründig zur Schau gestellt haben und dort auch ihren Sinn hatte, ist zwar immer noch da, aber eben differenzierter und subtiler in die Songstrukturen eingearbeitet. Ich würde mich deiner Meinung anschließen: 'vielschichtig' umschreibt die CD sehr treffend.
Peter:
Wie kommt man darauf eine Rede von Martin Luther King zu vertonen?
Markus:
'Mounting Castles' war von vornherein als Instrumental geplant, allerdings hat sich im Laufe der Vorarbeiten und Aufnahmen zu "Paramount" auch eine Art freies textliches Konzept der Stücke herausgebildet, wobei das alles recht unbewusst passiert ist. Einige Tracks, z.B. 'Paramount' oder 'Bridge To The Divine', handeln prinzipiell von Menschheitsträumen, von guten wie von weniger guten, der Absicht ein höchstes Ziel zu erreichen, einen Berg zu besteigen, einen blinden Fleck auf der Landkarte zu erreichen. Die M. L. King-Rede stellt für mich einen ebensogrossen Traum dar: Humanität, Brüderlichkeit. Insofern spiegelt sie einen Aspekt des Titels "Paramount" wider.
Peter:
Nach der eher konzeptionellen Ausrichtung von "The Art Of Navigating By The Stars" gibt es auf "Paramount" anscheinend keinen lyrischen Zusammenhang. Was kannst du mir denn über die Texte erzählen?
Markus:
Grundsätzlich: "Paramount" ist keine Konzeptplatte, aber wie eben schon erwähnt, besteht ein loser Zusammenhang zwischen einzelnen Songs und dem CD-Titel. Einige Titel, etwa 'Tidal', sind eher persönlicher Natur – inspiriert übrigens von dem Roman "The Sea" von John Banville. Andere wiederum, wie auch schon gesagt, haben diese exorbitanten Menschheitsträume – Mondlandung, Atombombe oder auch Gleichheit – zum Inhalt. Und die Frage: Muss jedes Ziel, das erreichbar scheint, auch um jeden Preis erreicht werden? Oder: Was ist an wirklich Wichtigem tatsächlich erreicht worden. Aber wie gesagt, das alles soll nicht als durchgängiges Konzept verstanden werden. Einige Tracks, 'Where Our Shadows Sleep' oder 'Eyes Wide Open', fallen da thematisch vollkommen aus dem Rahmen.
Peter:
Ihr seid Co-Headliner des Prog Power in Baarlo. Was erwartet ihr von der Show dort?
Markus:
Wir freuen uns, dass wir auf diesem renommierten Festival spielen können. Allerdings sind Festivals immer eine zweischneidige Sache: verkürztes Programm, kein Soundcheck, Hektik. Aber grundsätzlich ist das eine schöne Gelegenheit, zumal man auch mit anderen Musikern in Kontakt kommt. Und vielleicht erreicht man auch den einen oder anderen, der uns nicht unbedingt auf unserer eigenen Tour besucht hätte.
Peter:
Ihr geht als Headliner mit DREAMSCAPE auf Deutschlandtournee. Ist das ein sehr gewagtes Unterfangen für eine progressive Rockband mit (zu!) kleiner Anhängerschaft? Zumal auch der Support-Act nicht gerade Heerscharen anlocken dürfte.
Markus:
Ich glaube, dass sich das Risiko in Grenzen hält. Wir spielen ja eine Clubtour und sind nur vereinzelt in größeren Hallen. Darüber hinaus sind wir nicht mehr so unbekannt. Zumindest deuten die Verkaufszahlen von "The Art Of Navigating By The Stars" darauf hin, dass wir uns einem etwas breiteren Publikum geöffnet haben.
Peter:
Und was erwartet ihr von der Tour?
Markus:
Wir freuen uns, dass wir endlich wieder zusammen auf einer Bühne stehen können, gerade nach der langen Zeit des Songwritings und der Aufnahmen. Die letzte Tour mit DEADSOUL TRIBE war ja, wenngleich als solche tituliert, keine Headlinertour. Wir haben nun die Möglichkeit ein umfassenderes Set zu präsentieren und Songs zu spielen, die wir 2005/06 nicht darbieten konnten.
Peter:
Kürzlich wurden "Uneven" und "Sophisticated" wieder veröffentlicht. Gibt es darauf irgendwelche Schmankerl, die es für mich unumgänglich machen das Album erneut zu kaufen?
Markus:
Die Scheiben wurden komplett re-mastered und mit aktuellen Linernotes versehen. Wir wurden in der Vergangenheit so oft auf diese CDs angesprochen, dass es für einen Re-Release einfach höchste Zeit war. Natürlich ist das eine ganz andere Band, als wir es heute sind. Aber es ist immer noch ein gefragter und wichtiger Abschnitt der Bandgeschichte. Live spielen wir von beiden CDs allerdings nichts und werden das auch in Zukunft nicht tun.
Peter:
Wie würdest du in der Retrospektive eure bisherigen Alben beschreiben?
Markus:
"Life Cycle":
Heftig. Eine unglaublich undifferenzierte und laute Produktion. Wir waren absolute Rookies, was das Produzieren und das ganze Business angeht. Aber irgendwie mag ich die Songs noch immer. Das Titelstück und auch 'Repression & Resistance' haben wir noch immer regelmäßig in unserem Liverepertoire.
"Steps":
Musikalisch noch heftiger als das Debüt. Für unsere musikalische Entwicklung war "Steps" ein Meilenstein, eine Herausforderung, die uns nachhaltig geprägt hat. Die Songs live zu spielen ist noch immer eine Herausforderung und spannend. Wir betrachten die Stücke auch nicht als abgeschlossen; mit Arno haben sie eine ganz andere Charakteristik, und wir müssen sie immer neu erfinden. Für die anstehende Tour haben wir übrigens 'Corridors' ausgegraben und ins Set genommen.
"A Sense Of Change":
Zum damaligen Zeitpunkt unser kreativer Höhepunkt. Die CD deutete schon damals an, in welche Richtung wir einmal – fast 15 Jahre später – gehen würden. Ich liebe die Platte, wie jeder in der Band. Und vielen Fans gilt sie scheinbar noch immer als ein Highlight des Genres.
"Sophisticated"/"Uneven":
Dazu kann ich wenig sagen, da ich die Band ja vorher verlassen hatte. Aber mir gefallen die Scheiben; großartige Musiker, gut produziert.
"The Art Of Navigating By The Stars":
Die Platte war ein Abenteuer, sowohl was das Songwriting, das sich über sehr lange Zeit hinzog – wir hatten ja zu diesem Zeitpunkt keinen Vertrag – als auch die Zeit im Vorfeld der Aufnahmen angeht. Zu Beginn der Produktion hatten wir zwar eine Zusage von Inside Out, den Vertrag allerdings noch nicht unterschrieben. Darüber hinaus wussten wir nicht, was uns mit unserem Co-Producer Uwe Lulis erwarten würde, da wir uns überhaupt nicht kannten und wir nur wussten, dass er aus einer vollkommen anderen musikalischen Ecke kam. Aber: Ende gut, alles gut. Wir werden auf der "Paramount"-Tour sicherlich eine Menge von dieser CD spielen, das zeigt, wir sehr wir die Platte schätzen.
Peter:
Nach achtjähriger Pause, seid ihr nun seit zwei Jahren wieder richtig zurück im Business. Was hat sich in dieser Pause im Musikbusiness geändert und wie haben sich diese Auswirkungen auf euch als Band und Musiker ausgewirkt?
Markus:
Die massivste Veränderung hat sicherlich das Internet mit sich gebracht. Man kann merken, wie nervös die Plattenfirmen sind, weil die Dimension noch immer nicht richtig eingeschätzt wird. Ein Beispiel: Nachdem die Promo-CDs von "Paramount" verschickt wurden, wohlgemerkt an Leute aus dem Business, war die Scheibe flugs im Internet zum downloaden. Man mag davon halten, was man will. Moralische Bedenken scheint ohnehin niemand mehr zu haben. Ich habe letzthin den Betreiber einer Website, von der man "Paramount" illegal downloaden konnte, angeschrieben und ihn gebeten(!), den betreffenden Link zu entfernen. Antwort: Man habe die Community ja darauf hingewiesen, dass sie die Dateien nach 24 Stunden wieder löschen müssten. Dazu fällt mir dann auch nicht mehr viel ein. Man muss darauf reagieren und darauf gefasst sein, dass sich die ganze Industrie vollkommen verändern wird. Als Musiker werden nur die wenigsten von direkten CD-Verkäufen leben können. Der Weg scheint also zurückzugehen zu Konzerten, einfach live präsent zu sein. Aber was sag ich? Das alles hat längst begonnen und wir sitzen mittendrin. Andererseits darf das Internet auch nicht für alle Unzulänglichkeiten der Industrie herangezogen werden. Wenn ich höre, wie viel Geld an Künstler, auch im Independentbereich, gezahlt wird, ohne dass eine Vorleistung erbracht werden müsste, dann wundert mich nicht, dass das Geld zuweilen knapp wird.
Peter:
Welcher Musiker, den du je auf der Bühne gesehen hast, hat dich am meisten beeindruckt und warum?
Markus:
Der Gitarrist Julian Bream. Der müsste heute so um die 80 Jahre alt sein. Damals war er für mich der Inbegriff der Musikalität und des Tones auf der Gitarre. Sehr faszinierend fand auch Peter Gabriel, der mich auch heute noch sehr inspiriert.
Peter:
Wenn du eine All-Star-Band gründen könntest, wen würdest du einladen?
Markus:
Hm, Drums: Gavin Harrison; Bass: Geddy Lee; Gesang: Arno Menses; Keys: Rick Wakeman.
Peter:
Und wenn du ein Festival organisieren könntest, wen würdest du einladen?
Markus:
Wohl alle meine Jugendhelden: PETER GABRIEL, ALLAN HOLDSWORT, RUSH, MARILLION, IRON MAIDEN, puh, die Liste wäre endlos...
Peter:
So, das war's. Wenn du noch eine Message für unsere Leser hast, ist das der richtige Zeitpunkt.
Markus:
Vielen Dank für euren Support. Wir hoffen, dass wir euch mit "Paramount" einige schöne Momente liefern können. Vielleicht sieht man sich auf Tour.
Peter:
Mit Sicherheit!
- Redakteur:
- Peter Kubaschk