SOEN: Interview mit Joel und Martin
29.01.2021 | 14:49"Man kann natürlich ironisch, subtil witzig und hintergründig sein, aber ich finde es ist ein Zeichen von Stärke, etwas zu schreiben, das die Leute wirklich berührt. Und wenn ich deine Reaktion höre, haben wir das geschafft." - Joel Ekelöf
Es ist Anfang Dezember, als ich mich mit Joel Ekelöf (v.) und Martin Lopez (dr.) zum leider nur virtuellen Treffen verabrede. CoVid-19 hat die Welt weiter im Griff und auch die Schweden sind mittlerweile von ihrem Sonderweg abgerückt. "Ja, wir sind wohl mit dem Ziel angetreten, die höchste Anzahl an Opfern pro Einwohner zu haben, aber wie du schon richtig sagst, hat die Politik und haben die Menschen langsam auch ein Einsehen, dass der Sonderweg vielleicht doch nicht die beste Idee war", eröffnet Joel etwas bitter und fügt an: "Ich hatte den Virus kürzlich auch, aber ich denke, ich bin jetzt wieder so weit gesund und habe nur noch etwas Husten. Was aber wirklich etwas beängstigend ist, ist, dass ich angefangen habe wieder normale Sachen zu machen, weil ich mich eben wieder ziemlich gesund gefühlt habe und dann war ich nach drei, vier Stunden so erschöpft, wie ich es zuvor nicht kannte. Von daher kann ich nur empfehlen, den Virus wirklich ernst zu nehmen."
So nervig CoVid-19 auch ist, wurde im Jahr 2020 immerhin viel gute Musik veröffentlicht. "Ja, finde ich auch", steigt Martin ein. "Und ich denke, dass 2021 noch besser wird, weil alle viel Zeit zum Schreiben haben und es auch mehr als genug Themen gibt, über die man schreiben kann." Das ist auch eine exzellente Überleitung zum neuen SOEN-Album "Imperial", welches das Jahr 2021 schon einmal hochwertig eröffnet. Mein Geständnis, dass mich Songs wie 'Illusion' und 'Fortune' tatsächlich zu Tränen rühren und damit das Album eine sehr traurige Note bekommt, stößt auf verständnisvolle Ohren. "Ich denke, einen erwachsenen Mann zum Weinen zu bekommen, ist eigentlich eine schwierige Sache und zeigt nur, welche starken Emotionen gerade auch die beiden von dir genannten Songs mit sich bringen", erklärt Martin und ergänzt: "Wir haben versucht Traurigkeit mit Stärke zu kombinieren, denn wenn man fragil und verletztlich ist, ist diese Stärke sehr notwendig. Und je nachdem, in welcher Stimmung ich mich gerade befinde, geht es mir entweder wie dir und ich habe Tränen in den Augen, oder ich höre die Songs und sie bauen mich auf und geben mir Kraft. Gerade auch, weil die Texte diese Kraft transportieren, wie ich finde." An dieser Stelle steigt Joel wieder ein: "Ich finde, es ist auch mutiger sich so verletzlich zu zeigen. Man kann natürlich ironisch, subtil witzig und hintergründig sein, aber ich finde es ist ein Zeichen von Stärke, etwas zu schreiben, das die Leute wirklich berührt. Und wenn ich deine Reaktion höre, haben wir das geschafft." Da stellt sich natürlich die Frage, ob es auch, nun ja, schmerzt diese Songs live zu spielen. Martin antwortet wie aus der Pistole geschossen: "Ja, tut es. Es gibt ein paar Songs, die wir live nicht wirklich spielen können, weil die Texte mir so viel bedeuten, dass sie mich vom Spiel ablenken. Ich verliere mich dann in ihnen und das geht natürlich nicht, wenn wir ein tolle Show abliefern wollen."
Einer der vielen Höhepunkte des Albums ist auch die erste Single 'Antagonist', wo auch das superbe Video hervorsticht und vor allem der Schauspieler als Nachrichtensprecher brilliert. "Er sollte wirklich Nachrichtensprecher werden, oder?", lacht Joel. Und Martin ergänzt: "Die Idee kam von unserem Produzenten Iñaki Marconi, der meinte, dass er den perfekten Schauspieler für die Umsetzung des Videos kenne und wir ihm einfach vertrauen sollen. Das haben wir getan und er hatte wirklich recht, denn Brendan [McGowan - PK] macht wirklich einen fantastischen Job, mit all diesen kleinen Gesten und Bewegungen." Etwas überraschend war vielleicht, dass der Ausdruck "Fire up your guns", der im Kontext eigentlich recht deutlich so etwas wie "erhebt eure Stimme" repräsentieren soll, durchaus zu etwas Kontroverse geführt hat, weil es als Aufruf zur Gewalt missinterpretiert wurde. "Ja, da waren wir auch etwas überrascht", gibt Martin zu. "Ich finde, das Video hat mehr kontroverse Reaktionen verursacht, als es verdient hat, denn die Message ist ja gerade in Verbindung mit dem Video doch schon recht klar. Man muss aber auch berücksichtigen, dass es vielleicht etwas anderes ist, ob man das Video in einem westeuropäischen Land wie Deutschland oder Schweden sieht, oder vielleicht irgendwo in Südamerika, wo es nicht so einfach ist, seine Stimme zu erheben und seinen Unmut in friedlichen Demonstrationen Ausdruck zu verleihen", erklärt der gebürtige Uruguayer. "Ich denke, es gibt auch noch einen anderen Punkt, den man bedenken muss", schaltet sich Joel wieder ein. "Auch wenn wir seit einer langen Zeit in einer gut funktionierenden Demokratie leben, können wir diese nicht einfach als gegeben hinnehmen und müssen auch für diese Demokratie und unsere Freiheit kämpfen. Wir sind jetzt in Westeuropa seit 75 Jahren ohne Krieg, das ist länger als jemals zuvor und man tendiert dazu, zu vergessen, dass es das jemals gab. Aber damit wir da nicht wieder hinkommen, müssen wir eben den Mund aufmachen." Wahre Worte.
Was an "Imperial" auch auffällt, ist, dass Joel noch natürlicher und roher klingt als auf den Vorgängeralben. "Ja, das stimmt", bestätigt Joel. "Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass das Album sehr emotional ist und ich denke, das spiegelt sich einfach auch darin wider wie ich singe. Es ist roher, weniger glatt, etwas weniger, nun ja, intellektuell als zuvor. Wir fanden, dass das Album auch genau das jetzt braucht und ich freue mich sehr, dass dir das auffällt." Bei YouTube gab es natürlich sofort ganz schlaue Kommentare, die einen Fehler beim Mix rausgehört haben wollen. "Oh man!", lacht Joel, "das habe ich auch gesehen und mich sehr gewundert. Wir sind ja nun schon ein paar Jahre dabei und haben etwas Erfahrung darin, wie wir klingen wollen, da sind solche Kommentare natürlich ziemlicher Quatsch. Aber wir geben darauf natürlich auch nicht viel. Es sagt einfach auch viel über das Konsumverhalten von einigen Menschen aus, wenn sie bei einem Song, der etwas über sechs Minuten geht und just online ging, nach drei Minuten so etwas schreiben wie 'das klingt ja gar nicht wie'. Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln."
- Redakteur:
- Peter Kubaschk