SPIRITUAL FRONT: Interview mit Simone Salvatori

29.09.2010 | 11:57

In diesen Tagen erscheint das neue Album der römischen Band SPIRITUAL FRONT. Für Kenner wirkt es auf den ersten Blick sehr soft und wesentlich kommerzieller gestaltet als die Werke der Vergangenheit. Warum das so ist und was eigentlich mit Suicide-Pop gemeint ist, das verrät uns Sänger Simone Salvatori.

Swen:
Hi Simone, toll das es mit einem Interview geklappt hat. Es ist ja eine Weile her, als wir uns im vergangenen Jahr in Rom beim "Post Romantic Empire" gesehen haben. Bitte stelle doch deine Band erst einmal vor - für alle, die sie noch nicht kennen.

Simone:
Hallo Swen, ja das Festival vergangenes Jahr war wirklich toll. Ein lustiger Auftritt und eine geniale Atmosphäre.
Ich bin der Sänger der römischen Band SPIRITUAL FRONT. Ich begann das Ganze 2000 nebenher als ein Soloprojekt. Im Laufe der Jahre brachte ich immer mehr Energie für das Projekt auf, um es voranzutreiben. Ich bin mit Leib und Seele dabei und versuche, die Geschichte eines Jungen zu erzählen, aber auch die Geschichten der Stadt Rom und was für mich Liebe und Schmerz bedeutet. Durch die leidenschaftliche Mischung aus Suicide-Pop, Balladen, Blood'n'Waves und traurigem Tango, die sich ständig weiterentwickelt, werden unser Sound und unsere Worte zum perfekten Soundtrack für dein Leben. Probier es aus!

Swen:
Die Musik von SPIRITUAL FRONT wird gern als "Suicide-Pop" bezeichnet. Ist das ein von dir geprägter Begriff oder wie ist er entstanden? Trifft er auch noch auf das neue Album zu?

Simone:
Ich denke, dass die Bezeichnung "Suicide Pop" perfekt zu unserem Sound und unseren Einstellungen passt. Der Sound ist einerseits geradlinig, direkt und eingängig, andererseits bitter, faszinierend und negativ. Natürlich trifft das auch auf das vorherige Album "Armageddon Gigolo" zu. Jedoch ist das neue Album jetzt stilvoller und präziser geworden und besitzt zudem sehr viel mehr an Schärfe, um nicht allzu emotional zu wirken. Die aufregende Verweigerung, ein Leben voller sexueller und künstlerischer Zwänge zu leben - das ist "Suicide-Pop".

Swen:
Wenn du in einem Satz "Rotten Roma Casino" beschreiben müsstest, wie würde diese Beschreibung aussehen?

Simone:
Mehrdeutig, tief und bitter.

Swen:
Was verbirgt sich hinter dem Albumtitel?

Simone:
Es ist einfach ein Tribut an unsere Heimatstadt. Eine Stadt, die Künstler und Verbrecher, perverse Träume und Heilige, verfluchte Männer und Engel der Reinheit hervorbrachte. Diese Gegensätze von Rom hatten also einen entscheidenden Einfluss auf den Entstehungsprozess des Werkes. Casino deswegen: Ständig riskieren wir unser Leben, spielen um unsere Gefühle und unsere Zukunft. Nichts ist in dieser Welt sicher.

Swen:
Erzähle uns ein wenig zum Album. Wie lange hast du daran gearbeitet, beziehungsweise schreibst du alle Songs selbst? Woher nimmst du die Inspirationen zu deinen Texten und wie viel persönliche Einflüsse stecken darin?

Simone:
Alles von mir steckt in diesen Texten. Es ist nicht nur ein kleiner Teil von mir selbst, sondern meine ganze Persönlichkeit, denn meine Inspirationen kommen selten von etwas, was ich nicht selbst lebe oder fühle. Ich sage mir nicht: So, jetzt müssen wir ein neues Album machen. Zudem verfüge ich nicht über ein monatliches Einkommen, um eine CD aufzunehmen. Also kann man schlecht sagen, wie lange oder von wann bis wann ich an dem Album gearbeitet habe. Sowie mir Inspirationen kommen, arbeite ich an Stücken, weil die Musik ein Teil von mir ist. Es ist etwas, was zu meiner Persönlichkeit gehört, zu meiner Vergangenheit und zu meiner Zukunft. Es interessiert mich nicht, ob wir eine oder eine Million CDs verkaufen.

Swen:
Wer hatte die Idee zum Albumcover?

Simone:
Das Artwork stammt von Chris Askew. Ich hatte diesen genialen, amerikanischen Künstler getroffen und wir wollten irgendwann einmal etwas gemeinsam machen. Ich war ziemlich verblüfft, als er sich entschied, das Cover zu kreieren. Er ist einer der Größten! Wirklich, du solltest dir mal seine Arbeiten ansehen. Einfach unglaublich, was der Mann erschafft und sein Stil ist einzigartig.

Swen:
Ich finde, dass die Musik insgesamt gesehen wesentlich eingängiger und massentauglicher ist, als es noch bei "Armageddon Gigolo" der Fall war. Ist das die natürliche Weiterentwicklung von dir und der Band oder der Versuch, neue Dinge auszuprobieren, und sollen damit neue Hörer und eine breitere Masse angesprochen werden?

Simone:
Selbst wenn ich die Masse damit erreiche, was würde sich ändern? Es ist jedenfalls kein kommerzieller Versuch, mehr Menschen zu erreichen. Wir haben einfach mehr Geld und Zeit in eine qualitativ bessere Produktion investiert. Es ist sicherlich poppiger und direkter, was wahrscheinlich daran liegt, dass alles nun viel erwachsener wirkt. Es sind nach "Armageddon Gigolo" fast fünf Jahre vergangen, wenn ich den gleichen Fehler noch einmal machen würde, wäre das schon frustrierend. Auf den ersten Blick wirkt der Sound heller, aber er ist es nicht. Im Gegenteil, ich denke er ist bitterer und schärfer im Vergleich zu "Armageddon Gigolo".

Swen:
Deine Texte haben es ja ganz schön in sich und sind provokativ. Dennoch verpackst du die Themen in sehr softe und wohlklingende Töne. Warum?

Simone:
Wir haben noch nie schwierige oder harte Musik gespielt. Außerdem ist es besser, provokative Texte in softer Musik zu verpacken. Es ist wie bei einem Softporno: Du weißt um was es geht, ohne es richtig zu sehen…

Swen:

Da wir gerade beim Thema sind: Das Video zu 'Darkroom Friendship' könnte man schnell in die Kategorie "Sex sells" stecken. Was kannst du dazu Kritikern entgegenwerfen?

Simone:
Sex sells? Was ist der Lohn? (lacht) Ich habe versucht, mich zu verkaufen…
Nein aber mal ernsthaft: Wir haben einfach versucht, etwas anderes zu machen, um uns aus der Gothic- und Dark-Folk-Szene herauszulösen, in der wir seit einigen Jahren etwas gefangen sind. Es ist ein softer Song und ziemlich ironisch. Aber wie du siehst, bevorzugen die Leute sinnloserweise immer die gleiche Art eines Sounds über viele Jahre. Würde ich aber immer nur die gleichen Songs spielen, dann würden sie sich genauso aufregen. Und was ist das Ergebnis? Ich kann für meinen Teil sagen, dass es mich nicht stört, was sie sagen. Ich mache Musik für intelligente Leute und nicht für blinde Mitläufer.

Swen:
Ja, da hast du recht. Das ist ein sehr schwieriges Thema. Die einen fassen Veränderungen positiv auf, die anderen nicht. Aber mal was anderes: Kann ich die Telefonnummer der jungen Dame mit dem Schmetterlings-Tattoo haben?

Simone:
Wieso fragt mich jeder danach?

Swen:
Oh, ich merke die Dame ist heiß begehrt. Naja gut, wenn du nicht willst, machen wir weiter. Im Video zu 'Sad Almost A Winner' spielst du einen reichen Liebhaber eines Mannes, der aber betrogen wird. Damit wirst du sicher deine weiblichen Fans schocken…

Simone:
Haha. Das denke ich nicht. Ich wollte einfach mal die Rollen tauschen. Niemand ist zu einhundert Prozent hetero oder homo. Das sind dumme Etikette. Naja, ich wollte einmal etwas anderes verkörpern. Aber schockieren? Nein, das glaube ich nicht, es ist nur eben "anders" als sonst. Ich habe schon einige Schauspielkurse besucht, aber ich hatte nie die Möglichkeit, einen Homosexuellen zu spielen. Es war auf jeden Fall lustig.

Swen:
Die Handlung im Video ist stark an den Film "Faustrecht der Freiheit" von Rainer Werner Fassbinder angelehnt. Wie bist du auf diesen Film und die Idee gekommen?

Simone:
Ich liebe Fassbinder. Er ist einer meiner Lieblings-Regisseure. Die Geschichte war sehr erstaunlich. Es geht um sexuelle Regeln. Dumme Menschen konzentrieren sich auf diese Regeln, aber das, was unsere Seele und unsere Gefühle sagen, lässt sich nun mal nicht in diese Grenzen einzwängen.

Swen:
In diesem Video sieht man ein neues Tattoo auf deinem Oberkörper "Hated for Loving", was bei 'Darkroom Friendship' noch nicht da war. Gibt es dazu eine Geschichte?

Simone:
Das Tattoo habe ich mir nach dem Clip machen lassen. Ich liebe diese Aussage. Sie stammt von einem MORRISSEY-Song. Ich mag den Sinn dieses Satzes sehr, weil er eine Menge über die Liebe und die Wahrnehmung, die wir dazu haben, aussagt. Es ist also ein Tribut an einen Künstler, den ich sehr schätze.

Swen:
In deinem Interview auf der DVD sagst du, dass du versuchst, deine Position im Konflikt zwischen der Kultur und der Natur zu erklären. Habe ich das richtig verstanden?

Simone:
Ja, das hast du. Es ist aber nicht mein persönliches Problem, sondern unser aller Problem. Unsere Kultur beeinflusst unweigerlich unser Verhalten, unsere Sexualität und unsere Wahrnehmung. Ich lebe diesen Gegensatz Tag für Tag ständig, wenn ich beispielsweise durch die Straßen laufe oder mich mit jemandem unterhalte. Alles wird von einer geistigen und kulturellen Struktur beeinflusst. Es ist ein schwieriges Thema und ich könnte da jetzt noch stundenlang philosophieren…

Swen:
Das verschieben wir dann einfach bis zum nächsten Mal. Hast du eigentlich einen persönlichen Lieblingssong auf dem Album - und wenn ja warum?

Simone:
Ich würde mich wahrscheinlich entscheiden für…
Nein, eigentlich kann ich das nicht, denn alle Songs sind in einer Art und Weise ein Teil von mir.

Swen:
In vielen Titeln sind weibliche Vocals im Hintergrund zu hören. Damit habt ihr in der Vergangenheit kaum gearbeitet. Was hat es damit auf sich?

Simone:
Ich habe es nicht von Anfang an geplant, aber es machte sich gut. Ich mag die Frauen, die auf dem Album mitsingen. Du hast recht, in der Vergangenheit haben wir solche Stimmen selten verwendet und männliche Vocals bevorzugt. Aber dieses Mal haben wir es einfach mal so probiert und es war eine lustige Geschichte.

Swen:
Einige Songs wie beispielsweise 'The Days Of Anger' oder 'Black Dogs Of Mexico' haben einen einschlägigen Country-Touch oder könnten gut der Soundtrack aus einem Western sein. Ist das der neue Sound von SPIRITUAL FRONT?

Simone:
Wir hatten schon immer einen Hauch von Filmmusik in unserem Sound. Der Klang nach Western kommt daher, dass ich ein großer Fan der "Spaghetti-Western" bin. Ich liebe deren Soundtracks. Ich werde nie die bekanntesten Stücke von Ennio Morricone, Nino Rota oder Riz Ortolani vergessen. Eigentlich mögen wir in der Band alle diesen Sound und die Atmosphäre, die davon ausgeht. Von daher ist es leicht, diese Stimmung in unserer Arbeit wiederzufinden.

Swen:
'Song For Johnny' klingt nach einer antiamerikanischen Haltung? Was hat es damit auf sich?

Simone:
Den Song schrieb ich vor einigen Jahren als einen Tribut an Jonny Cash. Allerdings wurde er nie herausgebracht und so entschieden wir, ihn auf "Rotten Roma Casino" zu veröffentlichen. Ja, natürlich erinnert dieser Sound an die typische Country- und Gospel-Stimmung der damaligen Zeit. Es ist eben ein Tributsong. Vergiss nicht, dass wir mit dem amerikanischen Kino aufgewachsen sind. Diese Welt ist gar nicht mal so unrealistisch. Oder anders gesagt: Nicht alles ist nur Film.

Swen:
Welche Intension oder Geschichte versteckt sich denn hinter 'German Boy'? Warum ist hier Einsamkeit schmerzhafter als woanders?

Simone:
Der Satz ist ein Zitat aus dem Wim-Wenders-Film "Falsche Bewegung", das mir sehr gefallen und mich stark beeindruckt hat. Ich liebe Deutschland. Und eine Hommage, die ironisch und gleichzeitig leidenschaftlich ist, war für mich Pflicht. Die Jungs aus der Band und ich lieben es, nach Deutschland zu reisen und dort zu spielen. Die deutschen Jungs und vor allem die Mädchen sind fantastisch…

Swen:
Musikalisch als auch gesanglich fällt 'Overkilled Heart' ein wenig aus der Reihe. Ich finde die Zusammenarbeit mit Sonja sehr gelungen! Erzähle uns doch, wie es zu diesem Song und dem Duett gekommen ist.

Simone:
Mir gefiel die Idee, etwas zu machen, was etwas klassischer und dramatischer ist, etwas, das wie ein tragischer, alter Soundtrack klingt. Normalerweise bin ich kein großer Fan von weiblichen Stimmen, aber Sonja Kraushofer (PERSEPHONE, L'ÂME IMMORTELLE) hat einen sehr beeindruckenden und bemerkenswerten Stil. Es war also eine große Sache für mich, sie zu fragen, ob sie bei dem Song mitarbeiten möchte. Ich finde, der Song ist wirklich cool. Er unterscheidet sich zwar von der Musik, die wir sonst machen, aber genau deswegen klingt er auch viel interessanter.

Swen:
Okay, damit wären wir auch schon am Ende. Vielen Dank für deine Zeit, Simone. Hast du noch Lust auf die berühmten abschließenden Worte?

Simone:
Ja, klar. Mal überlegen: Schau nie zurück, sondern immer nach vorn! Grazie.

Redakteur:
Swen Reuter

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