SULAMITH: Bandvorstellung & Interview mit Karsten

27.02.2016 | 11:55

Seit den Abgängen von NEAERA und MAROON klafft eine schmerzhafte Lücke in der deutschen Modern-Death-Metal-Szene, und nur wenige der zahlreichen Underground-Bands scheinen qualitativ in der Lage zu sein, die Nachfolge der einstigen Vorreiter antreten zu können. Mit SULAMITH aus Paderborn durften wir vor zwei Jahren einen Vertreter der nächsten Generation entdecken, der das Zeug hat, sich im Wettstreit mit den übrigen Thronanwärtern durchzusetzen.

2013 erschien die EP "Passion", mit brutalen Krachern an Bord wie 'Earthlings' und 'Lost Resistance Army', kompromisslos im Sound, kreativ im Songwriting, harsch, aber nie stumpfsinnig in den Aussagen. Der kürzlich veröffentlichte erste Longplayer "The Manhunt Begins" konnte die zuvor geschürten Erwartungen erfüllen und macht Hoffnung auf größere Taten und einen möglichen Durchbruch unserer Landsleute.

Sulamith Band

Die Vorgeschichte von SULAMITH ähnelt einerseits zwar jener von anderen Nachwuchskapellen, hat allerdings auch eine tragische Komponente, wie uns Gitarrist und Mastermind Karsten im Interview erzählt: "Vor SULAMITH habe ich noch in einer anderen Band gespielt, HUMAN SUIT hießen wir, die sich dann leider 2011 etwas, sagen wir, unschön aufgelöst hat, weil unser Bassist gestorben ist. Wir waren dann am überlegen ob wir weitermachen oder nicht, aber es wäre komisch gewesen, ohne ihn auf der Bühne." Unabhängig davon wuchs allerdings auch schon die Idee, etwas anderes auf die Beine zu stellen: "Ich hatte nebenbei sowieso schon was Härteres im Sinn, hatte da schon ein paar Songs fertig geschrieben, und hab dann ganz klassisch Leute zusammen gesucht, über Anzeigen, und so nach und nach die Leute zusammen getrommelt gekriegt. Am Schlagzeug gab's dann noch einige Umbesetzungen, aber seit zwei Jahren ungefähr sind wir komplett in einer Mannschaft - bis auf den Sänger. Mit dem alten funktionierte das einfach nicht. Jetzt haben wir aber die Besetzung die ich immer haben wollte, mit richtig guten Leuten, auf die man sich verlassen kann."

SULAMITH. Ein mehrdeutiger, durchaus provokanter Name für eine Metalband. Allerdings waren die Ostwestfalen scheinbar nicht die ersten, die sich für diesen Namen entschieden haben: "Eigentlich wollten wir die Singlebörse der Zeugen Jehovas in der Google-Suchliste verdrängen," lacht Karsten. Und - Tatsache, die gibt es wirklich! Aber natürlich ging es der Band um etwas anderes. "SULAMITH ist eine sehr ambivalente Figur; auf der einen Seite aus dem alten Testament, in dem sie als eine besungene Braut für die Liebe steht. Und auf der anderen Seite wird sie in der "Todesfuge" von Paul Celan als Repräsentantin der jüdischen Opfer im Dritten Reich aufgeführt. Ich bin im Grunde zwar antireligiös, aber ich fand das halt so interessant, dieses Widersprüchliche, und das zeigt sich dann auch relativ oft in unseren Texten. Ich spiele gerne mit Sprache, mit Begriffen, und gerade SULAMITH fand ich nicht nur vom Klang cool, sondern auch von diesen zwei sehr widersprüchlichen Bedeutungen, Interpretationen. Die anderen fanden das auch cool - und wir waren dann irgendwann entsetzt dass es diese Singlebörse wirklich gibt."

Karsten ist als Gitarrist und Songschreiber quasi der kreative Kopf der Band: "MusikSulamith Live und die Lyrics schreibe ich zum größten Teil vor. Unser anderer Gitarrist ist Ami, der übersetzt das dann." Wer sich nun nicht nur mit der deftig-brutalen Musik von SULAMITH auseinandersetzt, sondern auch in die Texte der Truppe vertieft, wird feststellen, dass hier alles andere als stumpfsinnige Gewaltlyrik aufgefahren wird. Gesellschaftskritisch und differenziert werden hier Themen angefasst, an die sich andere Musiker scheinbar nicht herantrauen. Aber: "Ich will keine vulgären Ausdrücke, oder generell gewaltverherrlichendes Zeug, das kann ich überhaupt nicht haben. Klar kann's schon mal sein, dass man da irgendwas rein interpretieren kann, aber irgendeine Gewaltaufforderung gegen wen auch immer, nein, überhaupt nicht. Ich versuche da lieber die Leute mit ihren eigenen Waffen zu schlagen."

Also eine politische Band, in der eine bestimmte Denkweise kanalisiert wird? Oder geht es hier nur darum, Frust loszuwerden? "Kanalisieren nicht im Sinne von Aggressionen loswerden. Ich bin kein aggressiver Mensch, aber kanalisiere natürlich schon was so in meinem Kopf herum geht. Ich habe ganz viele Quellen was die Texte angeht, Zeitungen, Bücher, Nachrichten, was auch immer, man liest ja genug Mist, der da gerade passiert. Und wenn mich ein Thema interessiert, suche ich dann da noch ein bisschen weitere Lektüre, irgendwelche Anhaltspunkte, wo ich noch Input kriege." Bei Songs über Kindersoldaten, die NRA, oder schlicht und einfach die Auswirkungen von Börsenspekulationen kann man aber wohl doch über eine politische Band sprechen? "Ich würde uns schon als politische Band bezeichnen. Wir sind jetzt nicht irgendwie links/rechts/mittig, aber so von den Texten ist das halt schon klar gesellschaftskritisch, politisch. Bei "Manifest Of Morning", einem unserer neuen Songs, geht's beispielsweise gegen diese Jammerlappen von Nazis. Ja, es geht schon auch in diese Richtung, gegen Extremismus, sei es links, sei es rechts... Wichtig ist dann halt auch, dass wir diese Gesellschaftskritik ein bisschen größer anberaumen. Bei "Waste" zum Beispiel haben wir auch so abstrakte Themen wie Börsenspekulationen, und was das für Auswirkungen hat. Das sind spannende Themen für mich, die ich dann schon irgendwie kanalisiere, um einfach mein geistiges Ejakulat irgendwie loszuwerden."

Rein auf der musikalischen Seite ist MACHINE HEAD als Einfluss sicherlich nicht von der Hand zu weisen, wobei SULAMITH eben auch im Death Metal verhaftet ist und so zwischen Thrash, Death und Core eine sehr interessante Bandbreite aufweist. "MACHINE HEAD ist mein absolutes Highlight, und ich wollte auch mehr in die Richtung gehen, das hat sich allerdings ein bisschen verändert mit der Zeit. Ich hör so viel Musik... Ich hab hier sogar noch 'nen Punkrock-Song liegen, der aber auch mit Blastbeats unterwegs ist. Relativ verrücktes Zeug. Die Bandbreite ist sehr umfangreich. Ich lasse mich auch von sehr vielem einfach inspirieren, THE GATHERING beispielsweise ist eins meiner absoluten Highlights, oder auch RISE AGAINST, oder sowas. Teilweise ist es fast unüberschaubar - aber MACHINE HEAD und SLIPKNOT ist wohl das, was mich zu meiner Musik bewogen hat."

Cover

Auf persönlicher Ebene wird Karsten vor allem von zwei Menschen inspiriert: "Also, der Kabarettist Serdar Somuncu ist ein absolutes Highlight, fast eine Gottheit für mich. Der ist extrem direkt, und auch extrem hart in seinen Aussagen, aber das finde ich cool, diese klaren politischen Sachen,  das inspiriert mich schon sehr. Außerdem inspiriert mich meine Frau. Sie gibt mir immer wieder sehr interessante Denkanstöße, ist sehr reflektiert und hat von sehr vielen Themen sehr viel Ahnung. Teilweise verpacke ich auch dahingehend einige Sachen in die Texte. Besonders wenn es um frühe kindliche Fremdbestimmung von Seiten des Staates geht."

Wie man es von Underground-Bands kennt, sind die äußeren Rahmenbedingungen auch für SULAMITH gelegentlich schwierig. Alle Musiker stehen im Beruf, haben teilweise eigene Familien - hauptsächlich besteht die Herausforderung aber vor allem darin, sich einen höheren Bekanntheitsgrad zu erarbeiten, während es gilt, aus den Liveauftritten die Motivation und Energie für künftige Taten zu extrahieren. "Gerade als junge Band ist es sehr schwierig, an Shows zu kommen. Was ich hier so an Bewerbungen raus haue - das ist echt erschreckend, was da zurück kommt. Aber dann kommen auch wieder so kleine Highlights, wie das Stemwede Open Air, das war für uns echt 'ne absolute Bombe. Eigentlich ist das ja eher ein Punkrock/Ska-Festival, da waren wir musikalisch totale Exoten, und dachten, oh, guck mer mal wie das so wird. Wir hatten dann auch den allerletzten Slot am Sonntag, 23 Uhr, absolut letzte Band - aber dann war das voll, absolut alles voll, und die Leute sind so abgegangen, das hab ich bei Metal-Konzerten teilweise nicht gesehen, die haben sich da voll drauf eingelassen. Oder Metal Christmas in Bielefeld, das war schon ziemlich geil, weil das auch richtig voll war, so 700 Leute... Wir haben da u.a. mit EKTOMORF gespielt. Das sind dann schon so kleine Highlights." Der Aufwand, den die Bands betreiben, ist dennoch immens: "Viel läuft natürlich über Vitamin B, das haben wir dementsprechend leider noch nicht wirklich, und leider auch nicht wirklich die Ideen, wie man das in der Form aufbaut. Wir haben, was Labels angeht, die Demos rausgeschickt, aber da kam dann relativ wenig zurück. Es kamen ein paar Angebote, aber die waren völlig überzogen, da hätten wir erstmal so viel rein investieren müssen, das können wir gar nicht in der Form. Wenn man dann irgendwelche Summen im mehrfachen Tausenderbereich reinbuttern muss, um dann vielleicht Erfolg zu haben, das im Endeffekt aber auch nicht weiß..."

Sulamith Live

Dennoch geht es bei SULAMITH zielstrebig weiter. Obwohl "The Manhunt Begins" gerade erst erschienen ist, stehen schon genug Songs für einen Nachfolger in der Pipeline. Wann es allerdings genau weiter geht - "steht jetzt im Moment noch ein bisschen in den Sternen. Ist halt immer die Frage, wie das mit dem Aufnehmen ist. Wir nehmen bisher immer in Eigenregie auf. Ich hoffe mal dass es Mitte nächsten Jahres klappt. Aber das ist noch ganz ganz vage. Wir wollen auch nicht wie IN FLAMES alle anderthalb Jahre CDs raushauen. Da verkaufen sich viele Bands auch unter Wert, weil man da auf Quantität setzt, und dabei die Qualität manchmal flöten geht."

Allgemein ist Karsten auch eine gewisse Unzufriedenheit mit der Metalszene in Deutschland anzumerken. Zu viel Aufwand müssen Bands betreiben, zu schwach besucht sind viele kleine Konzerte, während die Mega-Events viele Besucher und sicherlich auch deren finanzielle Mittel binden: "Was Underground-Bands angeht, ist es schon schwierig. Ich weiß nicht ob es daran liegt, dass es zu viele gibt, und dass die Veranstalter wahrscheinlich jeden Tag so 50 Mails kriegen und einfach keine Zeit mehr haben, das alles durchzuhören. Aber es kaufen sich eben auch viele Leute zum Beispiel MANOWAR-Tickets für 80.-€, für eine Band, die meiner Meinung nach seit 20 Jahren nix Vernünftiges rausgebracht hat, und meckern dann rum, hier sei viel zu wenig los, aber schaffen's dann nicht, sich für 5.-€ 'ne kleine Club Show reinzuziehen. Dass wir bei unserer Release Show über 100 Leute in den Laden reingekriegt haben, lag auch nur daran, dass ich da sehr, sehr viel Alarm gemacht hab, sehr viel Zeit in Werbung investiert hab. Ich weiß nicht ob das nur in Deutschland so ist oder einfach generell. Ich weiß nicht warum die Leute nicht mehr so interessiert daran sind, sich einfach auch mal auf was Neues einzulassen, anstatt SLAYER zum 500.Mal auf dem With Full Force zu sehen."

Entsprechend fällt sein finales Statement aus: "Die Leute sollen zusehen, dass sie ihre Ärsche mal 'n bisschen mehr bewegen, sich einfach mal auf neuere Sachen einlassen. Es gibt tolle Bands hier, überall, sei es AYAHUASCA aus Köln, das ist 'ne geile Death-Metal-Band, oder auch SLAVEYARD! Die Leute sollen einfach zusehen, dass sie mal wieder mehr zu den Club Shows gehen, anstatt dass Wacken schon wieder nach 12 Minuten ausverkauft ist, obwohl die Karten viel zu teuer sind...."

Bei SULAMITH sind zunächst wieder einige Shows sowie eine Sommer-Session mit drei anderen Bands in deren jeweiligen Heimatstädten in Planung. Bis dahin meine dringende Empfehlung an alle Freunde harter, thrashig-coriger Todesstahlklänge: Holt euch "The Manhunt Begins" (gibt's u.a. ganz regulär bei Amazon), und gebt dem deutschen Underground eine Chance! Auf dass der Verlust von Bands wie NEAERA bald wettgemacht werden kann!

Redakteur:
Timon Krause

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