SUN CAGED: Interview mit Marcel Coenen

01.01.1970 | 01:00

Die fünf Holländer, die seit etlichen Jahren unter dem Banner SUN CAGED im progressiven Untergrund für offene Münder sorgen, haben im vergangenen Herbst endlich ihr erstes Rundeisen auf den Markt gebracht. Da bereits einige Monate ins Land gegangen sind, kann ich heute ohne Übertreibung behaupten, dass es sich hierbei um mein ganz persönliches Highlight-Werk des Jahres handelt. Kaum eine Woche, in der die Scheiblette nicht meine Hallen mit erfrischenden Klängen verziert.
Natürlich habe ich keine Kosten und Mühen gescheut und mich mit Gitarrist Marcel Coenen in Verbindung gesetzt und ein bisschen gelabert.


Holger:
Auch wenn ihr unkonventionelle Musik macht, werde ich jetzt ganz konventionell mit der Frage nach der Bandhistorie in dieses Interview einsteigen. Ihr habt ja schon eine Menge Besetzungswechsel hinter euch. Ist es so schwer in Holland kompetente Musiker zu finden? Zu allem Übel hat euch nun auch noch euer Drummer Dennis verlassen. Was ist da denn passiert?

Marcel:
Nun, so viele Besetzungswechsel hatten wir nun auch wieder nicht. SUN CAGED sind ursprünglich als Projekt gestartet worden. Damals bestand die Band aus Dennis, Rob und mir, so dass wir auf unseren ersten EP auf diverse Gastmusiker zurückgreifen mussten. Als sich meine alte Band LEMUR VOICE auflöste, entschieden wir uns SUN CAGED als Vollzeitband zu betreiben. In Joost fanden wir dann einen geeigneten Keyboarder. Zusammen mit dem damaligen Sänger Sascha Buchardt nahmen wir dann die zweite EP auf. Sascha musste uns dann leider verlassen, da er nicht ernsthaft bei der Sache war und so kam unser aktueller Sänger Andre ins Spiel. Dennis hat uns letzten Dezember aufgrund musikalischer Differenzen verlassen. Er wollte sich in eine andere Richtung bewegen, so dass wir uns freundschaftlich getrennt haben.

Holger:
Die üblichen Gründe also. Du hast eben schon LEMUR VOICE angesprochen. Was ist denn genau aus deiner alten Band geworden?

Marcel:
LEMUR VOICE sind seit 2000 Geschichte. Und auch wenn es wie ein Klischee klingt, es waren auch hier musikalische Gründe ausschlaggebend. Drei der ehemaligen Mitglieder spielen heute in einer Band namens SLOW POKE RODRIGO. Wenn du dir diese Band, die mir sehr gut gefällt, anhörst, wirst du verstehen, warum es LEMUR VOICE nicht mehr gibt.

Holger:
Werde ich demnächst mal machen. Dennis war ja auch mal Drummer bei WITHIN TEMPTATION. Kommt da nicht ein bisschen Neid auf, wenn man sieht, wo die momentan stehen?

Marcel:
Natürlich nicht! Ich mag ihre Musik und denke, dass der Erfolg absolut gerechtfertigt ist.

Holger:
Schön zu hören. Warum hat es denn so lange gedauert, bis euer erster Longplayer fertig war?

Marcel:
Ich denke gar nicht, dass es so lange gedauert hat. Die erste EP war ja, wie gesagt, nur eine Projekt-EP, so dass wir eigentlich nur zwei Demo-EPs und eines mit unserem Sänger Andre gebraucht haben, um einen Deal zu ergattern.

Holger:
Ich dachte auch eher an den zeitlichen Rahmen als an die Anzahl der Demos bis zur Veröffentlichung, aber egal ... auch ein Zeitmaß.
Lagen noch andere Angebote außer dem von Lion Music vor?

Marcel:
Natürlich! Wir haben uns für Lion Music entschieden, weil wir denken, dass es ein sehr gutes Label ist und Lasse einen fantastischen Job in Sachen Promotion hinlegt.

Holger:
Was verstehst du denn unter gutem Label-Support?

Marcel:
Das Album muss überall gut und leicht erhältlich sein und das Label muss massiv Werbung machen.

Holger:
Wie viele Demos habt ihr denn verkauft? Gibt es eine Chance diese noch zu bekommen?

Marcel:
Nein, die Demos sind absolut ausverkauft. Wir haben aber auch nicht so viele pressen lassen, da wir uns von Beginn an auf das Album konzentrieren wollten.

Holger:
Werden die unveröffentlichten Tracks später noch einmal erscheinen?

Marcel:
Möglich. Obwohl ich denke, dass wir uns in erster Linie auf neues Material konzentrieren werden.

Holger:
Gab es für euch die Alternative, ein Album komplett in Eigenregie zu veröffentlichen?

Marcel:
Ja, das war sogar unsere ursprüngliche Absicht. Eigentlich haben wir das ja sogar gemacht, da wir mit Lion Music nur einen publishing deal haben.

Holger:
Was denkst du über das "progressive underground network"? Magst du überhaupt den Begriff "progressive"?

Marcel:
Die Szene ist sehr loyal, was natürlich sehr gut für uns ist. "Progressive" bedeutet für mich, Grenzen neu auszuloten, neue Dinge zu probieren und nicht den Trends zu folgen.

Holger:
Schöne Umschreibung. Verfolgst du die Entwicklung – Progression – dieser musikalischen Ausrichtung?

Marcel(lacht):
Nein, wir folgen überhaupt keinem Stil. Wir schreiben, was uns in den Sinn kommt. Das kann Death Metal oder Pop sein, völlig gleichgültig.

Holger:
Was hältst du denn von der NeoProg-Szene, die Mitte der 90er von Labels wie SI Music den Markt überflutet hat?

Marcel:
Da waren gute Sachen dabei, obwohl ich so etwas eigentlich nicht privat höre.

Holger:
Was hörst du denn privat?

Marcel:
Das mag dich nun überraschen, aber ich höre fast gar keinen Prog. Eher gute Popmusik (STING, JAMIROQUAI etc.) und sehr viel Jazz/Fusion. Ich mag aber auch richtig hartes Zeug, wie FEAR FACTORY oder MESHUGGAH.

Holger:
Empfiehl mal gute Newcomer!

Marcel:
Da gibt es viel zu viele. Momentane stehe ich total auf FREAK KITCHEN!

Holger:
Wenden wir uns den Texten des Albums zu: Ich werde das Gefühl nicht los, es hier mit einer Art Konzept zu tun zu haben. Vielleicht magst du etwas Licht ins Dunkel bringen?

Marcel:
Es ist kein Konzept, aber ich kann gerne detailliert auf die einzelnen Inhalte eingehen. Alle Texte handeln von Situationen, die jeder schon einmal erlebt haben wird. Das ist das "Konzept". Hier aber nun die Details:
'Sedation' - hier geht es um jemanden, der versucht den Schmerz zu vergessen, der sein Leben bestimmt. Er nimmt Drogen, Alkohol, alles was er kriegen kann ... er befindet sich in einer Art Dauer-Trauma. In diesem Zustand wandelt er durch den Alltag und sieht nicht die Menschen, die ihm helfen wollen.
'Sun Caged' – hier geht darum, sich selbst dauern zu bewusst zu belügen. Man wandert durchs Leben, ohne auch nur etwas von dem erreicht zu haben, wovon man geträumt hat und versucht sich einzureden, alles wäre wunderbar.
'Home'- gibt es einen Gott? Sind wir allein? Geht es nur um den Schmerz? Wohin gehen wir? Glauben wir nur an Gott, weil wir Angst haben zu sterben? Um diese Fragen dreht es sich. Natürlich gibt es keine schnellen Antworten.
'Soil' - ein sehr fiktiver Song, in dem es um die Angst vor dem Tod geht.
'Hollow' – hier geht es um das Gefühl, nur ein kleines Rädchen in der großen Maschinerie zu sein. Wenn dieses Gefühl abstirbt, findet man es angenehm, sich um nichts mehr Gedanken machen zu müssen. Strange.
'Closing In' - ein Song über Misstrauen. Sei wie alle anderen, oder werde zum Außenseiter.
'The Eighth Day' – die Welt ist ein dunkler Ort, nur draußen ist es hell. Jedes Jahr werden die Bilder im TV grimmiger und wir gewöhnen uns daran. Lasst die anderen doch sterben, belastet uns nicht damit. Dies zieht natürlich unser aller Untergang nach sich. Gott hat die Welt in sieben Tagen erschaffen, am achten werden wir sie zerstören ... nichts wird übrig bleiben.
'Secrets Of Flight' – lerne zu leben, ohne dass es dir jemand beigebracht hat. Du wirst viele Fehler machen und einige werden dich prägen.
'Unchanging' – hier geht es um eine Person, die ihre Gefühle nicht unter Kontrolle hat. Jeder Tag ist wie der letzte, nichts passiert. Sie weiß nicht mehr, welchen Weg sie beschreiten soll.

Holger:
Vielen Dank. Das war sehr ausführlich und interessant. Kommen wir jetzt auf das sehr gelungene Artwork zu sprechen. Kann es sein, dass ich mich etwas an die Arbeiten von Travis Smith erinnert fühle?

Marcel:
Hahaha, der Mann, der unser Artwork gemacht hat, wird sich geschmeichelt fühlen, da er ein großer Verehrer von Travis Smith ist.

Holger:
Der ist ja auch völlig begnadet! Sage mir doch nun bitte: Was macht SUN CAGED außergewöhnlich?

Marcel:
Ich denke, unsere Stageshow ist sehr gut! Wir machen viel Unsinn auf der Bühne, lachen viel im Gegensatz zu vielen Progbands, die nur da stehen und konzentriert auf ihre Instrumente schauen.

Holger:
Das klingt gut. Ich denke aber auch, dass es nur wenige Bands gibt, die gleichzeitig so aggressiv und schräg klingen. Ein Song wie 'Soil' hat ja fast schon Nu-Metal-Einschlag.

Marcel:
Wir mögen auch solche Musik. Ich persönlich mag zum Beispiel SYSTEM OF A DOWN sehr gerne. 'Soil' wurde aber eher von MESHUGGAH inspiriert.

Holger:
Ich werfe dir jetzt ein paar Namen an den Kopf und du sagst bitte was dazu:
WATCH TOWER

Marcel:
Hervorragende Band, die ich absolute liebe ;)

Holger:
ZERO HOUR / DEATH MACHINE

Marcel:
Great guys!!!

Holger:
PSYCHOTIC WALTZ

Marcel:
Eine meiner Lieblings-Prog-Bands, mit einem meiner Lieblings-Sänger.

Holger:
DAMN THE MACHINE

Marcel:
Kenne ich nicht so gut, deshalb kein Kommentar.

Holger:
SPIRAL ARCHITECT

Marcel:
WATCH TOWER meets PSYCHOTIC WALTZ? Egal, total klasse!

Holger:
HEAVEN'S CRY

Marcel:
Tolle Liveband!

Holger:
Wer diese Bands mag, kann ja gar keine schlechte Musik machen.
Gib uns doch abschließend mal eine Aussicht auf zukünftige Aktivitäten.

Marcel:
Wir werden einige Gigs spielen, sind auf dem Sweden-Rock-Festival vertreten und im September in Atlanta auf der ProgPower-Preparty. Nebenher schreiben wir natürlich ständig neue Songs für das nächste Album. More details soon.

Holger:
Wie sind gespannt! Herzlichen Dank für das Gespräch.

Marcel:
Wir haben zu danken!

Redakteur:
Holger Andrae

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