TAROT: Interview mit Marco Hietala
06.05.2010 | 11:41Elke:
Erst mal Glückwunsch zu "Gravity Of Light"! Ihr seid damit in Finnland direkt auf den zweiten Platz der Albumcharts gesprungen, was die höchste Platzierung ist, die je ein TAROT-Album erreicht hat. Überholt wurdet ihr ausgerechnet von einer deutschen Formation namens THE BASEBALLS. Könnt ihr uns Germanen jetzt überhaupt noch leiden?
Marco:
Danke! Ich mag den Rest von euch immer noch, aber werde garantiert meinen Schläger mitnehmen, falls ich THE BASEBALLS mal irgendwo treffen sollte ... Im Ernst, ich denke, wir haben selbst genug "balls", um diese Niederlage mit Würde zu tragen.
Elke:
In Finnland ist TAROT eine "alte" Band, die dort seit den frühen 80ern relativ erfolgreich ist, während euch in Ländern wie Deutschland viele erst durch euer Nuclear Blast-Debüt "Crows Fly Black" zur Kenntnis genommen haben. War der Vertrag mit den Donzdorfern eine Art Neustart, der viele Türen geöffnet hat?
Marco:
In gewisser Weise ja. Wir hatten früher viel Pech mit Plattenverträgen und dergleichen und es fühlt sich definitiv gut an, dass sich endlich jemand richtig um uns kümmert. Natürlich löscht das die Vergangenheit und die Alben, die wir zuvor gemacht haben, nicht aus. Ich bin aber auch lieber stolz drauf, dass wir all diese Jahre so viel Beharrlichkeit und Stärke bewiesen haben.
Elke:
Ihr wart in letzter Zeit beschäftigt wie nie zuvor. Ihr gabt viel mehr Konzerte und wurdet entsprechend international bekannter, habt sogar eine DVD herausgebracht ... Ist man dann nicht doch ein wenig enttäuscht, dass es mehr als 20 Jahre gedauert hat, bis man endlich den verdienten Erfolg ernten darf?
Marco:
Es bringt doch nichts, verpassten Gelegenheiten hinterher zu trauern. Ich bin einfach glücklich, dass die Dinge endlich ins Rollen kommen. In gewisser Weise waren die Jahre des Kämpfens auch irgendwie gut für uns. Wir sind jetzt zweifellos bodenständiger, als wir in unseren Zwanzigern gewesen wären. Wir betrachten alles gelassener, haben uns aber trotzdem die jungenhafte Rebellion und die aufrührerische Einstellung bewahrt. Es hätte leicht schief gehen können, wenn uns der Erfolg auf dem Goldtablett serviert worden wäre.
Elke:
Seit der Veröffentlichung von "Crows Fly Black" sind vier Jahre ins Land gezogen, in denen deine andere Band NIGHTWISH eine neue Sängerin fand und auf eine intensive Welttournee ging. War diese lange Pause geplant, vor allem vor dem Hintergrund, dass TAROT international gerade anfingen durchzustarten?
Marco:
Wir arbeiten in diesem Rhythmus, seitdem ich NIGHTWISH beigetreten bin. Wenn die eine Band eine Pause einlegt, wird die andere aktiv. Ich denke, die anderen Jungs wissen genau, dass meine Existenz stark von NIGHTWISH abhängt. Es gibt also keinen Grund für unnütze Eifersüchteleien.
Elke:
Auf den ersten Blick wirkt "Gravity Of Light" weniger düster als der Vorgänger, und die Hälfte der Songs scheinen förmlich um eine Live-Umsetzung zu betteln. Liegt das vielleicht daran, dass ihr seit "Crows Fly Black" viel häufiger auf der Bühne standet?
Marco:
Schon möglich, aber so habe ich das so noch nie betrachtet. Wir haben einfach gemacht, was wir immer tun. Zac [Zachary Hietala, Gitarre], Janne [Tolsa, Keyboards] und ich gingen mit tonnenweise Riffs und Ideen in Jannes Studio und bastelten diese nach und nach zusammen. Sobald wir zehn Songs fertig hatten, die wir uns alle mit einem fetten Grinsen im Gesicht anhören konnten, gaben wir sie Pecu [Zinnari, Schlagzeug] und Tommi [Salmela, Gesang und Samples] und begannen mit den Proben.
Elke:
Eure Plattenfirma definiert den aktuellen Stil als ein Wiedersehen mit einem alten Freund. Er habe etwas zugelegt, zeige einige neue Narben und Tattoos, habe einen längeren Bart und ein etwas aufbrausenderes Temperament, aber immer noch das Herz am rechten Fleck. Würdest du dieser sehr bildhaften Beschreibung zustimmen?
Marco:
Von ganzem Herzen! Das ist eine perfekte Beschreibung.
Elke:
Vermutlich hast du sie dir sogar selbst ausgedacht, haha. In einem anderen Interview sagtest du einmal, dass die Musik von TAROT "etwas für die haarigen Heavy Metal Typen" sei. Überraschenderweise kenne ich jedoch auch viele Mädels, die euch gut finden. Ja was denn nun?
Marco:
Vielleicht mögen nette Mädchen einfach haarige Heavy Metal Typen?
Elke:
Ich wüsste da durchaus ein paar Damen, auf die das zutrifft ... Wenn du einen Song von dem neuen Album auswählen müsstest, um TAROT im Jahre 2010 zu definieren, welcher wäre es? Ich spekuliere auf 'Hell Knows', weil das auf eurer Webseite von drei Mitgliedern als Lieblingstrack genannt wird.
Marco:
Richtig, die perfekte Definition unseres Stils findet du in 'Hell Knows'. Ich mag den Song selbst sehr gerne. Wir haben darin den Kontrast zwischen Härte und Dunkelheit in Verbindung mit einem sehr zerbrechlich wirkenden Gefühl des Verlorenseins gut hinbekommen.
Elke:
Eines der Markenzeichen von TAROT sind die zwei nahezu gleichberechtigten Sänger. Ich fand aber auch Tommis Solo "Veteran Of Psychic Wars" auf dem letzten Album sehr gelungen. Warum durfte er dieses Mal keinen "eigenen" Song haben?
Marco:
Es gibt Solo-Passagen auf diesem Album. Tommi ist der Hauptakteur in 'Calling Down The Rain' sowie 'Pilot Of All Dreams', in dem ich lediglich den Chorus übernehme. Ich spiele die führende Rolle in 'Magic And Technology' und 'Gone'. Es gibt übrigens ein System, wie man uns auseinander halten kann. Meine Gesangslinien sind eher schräg und Tommis sind gerade.
Elke:
Ihr mögt Cover-Versionen von eher ungewöhnlichen Songs wie zuletzt eben dieser BLUE ÖYSTER CULT-Track ja sehr gerne. Warum hat es kein Cover auf das neue Album geschafft?
Marco:
Wir hatten eines in der engeren Auswahl, haben uns am Ende aber entschlossen, nur eigene Sachen zu verwenden. Möglicherweise werden wir diesen Song in der Zukunft einsetzen, aber ich sage dir nicht, um was es sich konkret handelt. Die Spannung muss ja erhalten bleiben.
Elke:
Tommi wurde erst auf dem letzten Album vollwertiges Mitglied, obwohl er zuvor bereits einige Jahre live ausgeholfen hat. Wie groß war sein Einfluss auf "Gravity Of Light"?
Marco:
Wir schreiben unsere Songs immer noch im gleichen Team, bestehend aus Zac, Janne und mir, wobei ich für sämtliche Texte zuständig bin. Tommi und Pecu haben bisher noch nichts angeschleppt, was sie auf einem Album verewigt sehen wollen. Falls sich das jemals ändern sollte, greifen wir sicher gerne zu. Natürlich möchten wir nicht, dass irgendjemand etwas singen oder spielen muss, mit dem er sich nicht zufrieden ist. Die Jungs haben also immer die Möglichkeit, Dinge anders zu arrangieren, als wir Songschreiber uns das vorgestellt haben.
Elke:
Worum geht es in den Texten, und wie wichtig sind sie für die Musik?
Marco:
Für mich sind die Texte ein wichtiger Faktor. Sie sorgen wesentlich dafür, dass ein Song glaubhaft erscheint. Auf diesem Album beschreiben sie in gewisser Weise das Dasein eines Außenseiters. Der Mann von der Straße, der von der Gesellschaft geleitet und unter Druck gesetzt wird. Natürlich mit den in Science-Fiction und Fantasy verkleideten Metaphern, bei denen man wohl ein wenig zwischen den Zeilen lesen muss.
Elke:
Du warst schon immer ein Arbeitstier und hattest stets andere Projekte neben NIGHTWISH und TAROT am Start. Das letzte, von dem ich gehört habe, ist eine Band namens SAPATTIVUOSI (auf Deutsch: Sabbatjahr), die BLACK SABBATH-Songs auf Finnisch nachspielt. Das klingt nach einer Menge Spaß! Erzähl mal, was es damit auf sich hat.
Marco:
SAPATTIVUOSI hatten bereits zwei Alben mit einem anderen Sänger heraus gebracht, auf dem sie das Material von der Ozzy-Ära von BLACK SABBATH behandelten. Als die Jungs ein Album aus der Dio-Epoche machen wollten, kontaktierte mich ihr Gitarrist und fragte, ob ich zufällig gerade Zeit dafür hätte. Die hatte ich zwar eigentlich nicht, aber da ich ein riesiger BLACK SABBATH-Fan bin, konnte ich diese Gelegenheit einfach nicht verstreichen lassen. Das Album und die fünf Live Shows, die wir danach gespielt haben, machten mir in der Tat großen Spaß. Diese Lieblingssongs meiner Kindheit zu singen fühlte sich einfach so vertraut an. Ich hoffe sehr, dass wir die Zeit finden werden, so etwas noch einmal zu machen.
Elke:
Noch spannender finde ich, dass du kürzlich im finnischen Fernsehen bei einer Show namens "Kuorosota" mitgemacht und den zweiten Platz belegt hast. Das war ein Chorwettbewerb, der allerdings nicht das Geringste mit dem zu tun zu haben scheint, was in Deutschland allgemein unter "Chorgesang" verstanden wird. Wie ich in einem Video auf YouTube sehen konnte, hat der von dir geleitete Chor aus deiner Heimatstadt Kuopio sogar zusammen mit dir und Tommi 'I Walk Forever' vom neuen Album zum Besten geben können. Das war sicher eine gute Werbung für euch. Wie bist du denn zu dieser Ehre gekommen?
Marco:
Die Firma, die diese Sendungen für den finnischen Kanal 4 produziert, hat mich kontaktiert und gefragt, ob ich Interesse hätte, die bei der Sache mitzumachen. Für mich war das eine schöne Herausforderung, da ich selbst nie zuvor in einem Chor gesungen habe. Auch die Tatsache, dass der Preis wohltätigen Zwecken zu Gute kommt und du dafür eine Organisation aus deiner Heimatstadt auswählen darfst, war ein wichtiger Entscheidungsfaktor. Ich muss gestehen, dass mir das am Ende mehr Spaß gemacht hat, als ich anfänglich dachte. Es gelang mir, zwanzig total verrückte und zu allen Schandtaten bereite Menschen für diesen Chor zu gewinnen, welche die Musik gleichzeitig sehr ernst nahmen. Die persönliche Chemie hat unglaublich schnell gepasst und wir hatten sechs Wochen lang eine gute Zeit bei diesem Trip. Ich wollte mich aber nicht ausschließlich auf Hard Rock konzentrieren, also haben wir eine Version von 'Like A Virgin' gemacht, bei der Typen in Death-Metal-Masken auftraten, und ließen die Mädchen in einer anderen Folge 'Genghis Khan' singen. Natürlich gab es auch 'Paradise City' und 'We Are The Champions', um etwas zu bringen, was mehr zu meinem üblichen Genre passt. Bei 'I Walk Forever' dachte ich mir, wenn die schon mein Gesicht benutzen, um die Sendung bekannter zu machen, kann ich genauso gut ihre Sendung für meine Zwecke missbrauchen. Das war gute Werbung für uns, wie du schon sagtest.
Elke:
Spöttische Zungen behaupten ja, das Beste an TAROT sei, dass man dort Marco Hietala ohne störenden Frauengesang zu hören bekommt. Was ist dir bei Live-Auftritten persönlich lieber: Bei TAROT als Bassist und Frontmann im Mittelpunkt zu stehen, oder mit NIGHTWISH zu spielen, bei denen du "nur" der Bassist und Background-Sänger bist?
Marco:
Mir gefällt beides. Es ist toll, da vorne zu stehen und das Publikum zum Mitmachen zu bringen. Es gibt dir einen total Kick, wenn dir das gelingt. Aber ich genieße es auch, bei NIGHTWISH weniger Verantwortung zu haben, weil jemand anderes die Hauptlast trägt. Ich kann dann einfach ganz entspannt einen Schritt zurück treten und mich auf die Sache konzentrieren.
Elke:
Das Jahr 2010 scheint eine Menge Premieren für TAROT mit sich zu bringen, denn ihr gebt zum ersten Mal Konzerte in den USA, Japan und Mexiko. Welche außer-finnischen Aktivitäten stehen außerdem auf eurem Terminplan?
Marco:
Die von dir erwähnten Gigs sind bereits bestätigt, aber wir haben auch die Termine für Süd-Amerika und Zentral-Europa so gut wie unter Dach und Fach. Im Sommer spielen wir überwiegend auf Festivals hier in Finnland. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass wir diesen Winter auf Tour gehen werden, ebenso wie im Sommer 2011, aber wir müssen das auch mit dem Zeitplan für das neue NIGHTWISH-Album abstimmen. Ich werde sicher nicht die ganzen dafür benötigten Monate im Studio verbringen, also wird es genügend Zeit für Shows mit TAROT geben.
Elke:
Wenn man nach dem Wort "Tarot" googelt, bekommt man überwiegend Ergebnisse, die mit dem berühmten Kartenspiel zu tun haben. Wenn jemand für euch die Karten legen würde, was würde die Zukunft für euch bereit halten?
Marco:
Ich wette, man würde fünf total betrunkene Typen sehen, die um Mitternacht irgendwo in einem Tourbus abhängen.
Elke:
Interessiert sich irgendjemand aus der Band für solche Sachen?
Marco:
Falls es möglich ist, ein Zweifler zu sein, der gleichzeitig offen für alle Arten von seltsamen Möglichkeiten ist, dann denke ich, dass das auf uns alle zutrifft.
Elke:
Ich danke dir für dieses Gespräch, Marco. Möchtest du unseren Lesern noch irgendetwas mitteilen?
Marco:
Wir brauchen Power und wir brauchen Metal! Also lest weiter!
- Redakteur:
- Elke Huber