THE OCEAN: Interview mit Robin Staps
26.04.2010 | 16:12THE OCEAN waren lange mehr als nur eine Band. Ein musikalisches Kollektiv unter der Leitung von Bandkopf Robis Staps. Wir sprachen mit Robin über das neue Album "Heliocentric", seinen neuen Sänger Loic Rossetti und das vor der Tür stehenden Friction Fest.
Zuallererst Gratulation zum neuen Album "Heliocentric", das ich gleich in mein Herz geschlossen habe. Wie sind die Reaktionen darauf bisher? Bei POWERMETAL.de seid ihr mit einem Score von 7,6/10 auf #7 gelandet.
Ich persönlich halte nicht viel davon, Musik mit Schulnoten zu bewerten und eine Stunde subjektive Musikrezeption auf eine vermeintlich objektive Zahl reduzieren.
Das Album polarisiert - man liebt oder hasst es. Und das ist gut so, denn das ist durchaus beabsichtigt. Ich wundere mich nicht, dass die lokale Szenepolizei hier und da meckert, dass das Album nicht Metal oder nicht Postrock oder nicht Sludge genug sei. Songs wie 'Ptolemy Was Wrong' oder 'Epiphany', orchestriert über weite Strecken nur mit Klavier und Gesang, provozieren altgesottene Fans, die überwiegend auf unser etwas älteres, härteres Material stehen. Das verstehe ich durchaus. Es wird viel geredet, was uns nur gelegen kommt. Die Presse ist hervorragend bisher, "Heliocentric" ist Platte des Monats im Metal Hammer und diesseits wie jenseits des Atlantiks gibt es viel Euphorie.
Der Grund, warum mir "Heliocentric" so ausgezeichnet gefällt, hört auf den Namen Loic Rossetti. Oder anders gesagt: endlich singt jemand durchgehend auf einem Album von euch. Früher war mir das oft zu viel Gebrüll & zu wenig Gesang. Wie oft hast du das jetzt schon gehört und wie seid ihr an Loic gekommen?
Loics Stimme ist ungeheuer vielfältig und ausdrucksstark, hat einen enormen Ton- und Dynamikumfang und einen hohen Wiedererkennungswert - das fällt natürlich jedem sofort auf. Gleichzeitig polarisiert gerade Loic enorm, denn der Ansatz ist natürlich schon ein anderer als in der Vergangenheit. Da müssen sich einige erstmal dran gewöhnen, ist halt Geschmacksfrage. Wir haben Loic nach einer langen Odyssee gefunden, wir hatten über 100 Zuschriften von Leuten, die es versuchen wollten. Das schwierige war, einen Sänger zu finden, der eine starke clean-Stimme hat, die zu unserem neueren Songmaterial passen würde, gleichzeitig aber auch ein überzeugender Schreihals ist, denn wir wollen uns nich abkehren von unserer härteren Seite und wollen nach wie vor Songs wie 'Hadean' oder 'City In The Sea' live spielen. Als wir Loics Demo-Aufnahmen für unsere neuen Songs hörten, eher beiläufig im Studio, wurde plötzlich alles still. Mir war sofort klar, dass da ein Ausnahmetalent am Werke war und die Stimme einfach zu den bereits geschriebenen Songs passte wie die Faust aufs Auge. Als er dann aber auch 'City In The Sea' fett und überzeugend rüberbrachte, war die Sache innerhalb von fünf Minuten entschieden.
Ich finde, mit Loic wird eure Musik noch facettenreicher. Ein Song wie 'Ptolemy Was Wrong' wäre früher in der Form eigentlich nicht möglich gewesen. Wie werden sich diese Möglichkeiten zukünftig in der Musik niederschlagen und wie sehr hat sich Loic jetzt schon auf "Heliocentric" eingebracht?
Es gibt keine Grenzen mehr. Ich bin endlich in der Position mit Leuten zusammenzuspielen, denen man nichts erklären muss und die alle meine Ideen ohne Abstriche umsetzten können und obendrein noch selbst gute Ideen mitbringen. Jeder Einzelne bringt ein enormes Input in die Band hinein, wir wollen alle dasselbe - deshalb ist die Band in dieser Kostellation so stark, wie sie nie zuvor war. Es wird in der Zukunft weitere songs wie 'Epiphany' oder 'Ptomely Was Wrong' geben - es wird aber auf der anderen Seite auch harte Stücke geben, natürlich. Wir haben uns nie als Metal-, Sludge-, Postrock- oder Indie-band begriffen, wir standen immer irgendwo zwischen diesen Stühlen und einzelne Alben haben unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Das wird künftig noch offensichtlicher zutage treten.
Die meisten Gesangslinien auf "Heliocentric" stammen von mir und waren geschrieben, bevor Loic in die Band kam. Insofern war sein kreativer Input auf Heliocentric noch begrenzt. Wir haben aber viele Parts dann überarbeitet, einige komplett verworfen und neu geschrieben. Das Arbeiten im Studio war sehr angenehm und produktiv, und Loic hat enorme Ausdauer. Wir hatten einige Sessions, wo wir zehn Stunden lang Gesangsideen aufgenommen haben, und am Ende des Tages dann noch Schreiparts gemacht haben. Loic ist Perfektionist, wie ich auch, und extrem selbstkritisch. Manchmal haben wir stundenlang an einer einzigen Line gesessen, diese immer wieder verändert, zehn verschiedene Zweitstimmen aufgenommen und dann die Beste ausgewählt.
Und wo wir gerade bei 'Ptolemy Was Wrong' sind. Womit lag Ptolemäus denn nun falsch? Er war ja in der Astronomie, der Astrologie, der Geographie und der Musik unterwegs.
Ptolemäus gilt als Begründer des geozentrischen Modells, der Idee, dass die Erde Mittelpunkt des Universums sei. Das frühe Christentum fand diese Idee prima und hat sie aufgegriffen und mitunter recht vehement verfochten, bis dann Kopernikus und Galilei daherkamen und eben bewiesen haben: 'Ptolemy Was Wrong'. Der Song ist aus der Perspektive von Galilei geschrieben, der sein Leben lang den Nachthimmel beobachtet hat und irgendwann feststellte, dass da was nicht stimmen kann mit dem geozentrischen Modell. Im übertragenden Sinne geht es in dem Song aber auch darum, wie man damit umgeht, wenn man merkt, dass etwas, woran man glaubt und was einem sehr wichtig ist, nicht der Wahrheit entspricht: ignoriert man diese Erkenntnis, oder stellt man sich der oft unangenehmen Wahrheit? Die Lüge kann lebenserhaltend, lebensnotwendig sein, schreibt Nietzsche in "Jenseits von Gut und Böse".
Was kannst du mir denn über die anderen Texte erzählen?
Eine ganze Menge. Ich verweise an dieser Stelle auf Video-Kommentare, die ich für Metal Blade TV gemacht habe. Da beziehe ich zu jedem einzelnen Songs des Albums detailliert Stellung. Die Kommentare gibt es hier:
1. Shamayim (instrumental)
3. The First Commandment Of The Luminaries
Wie ist denn derzeit die Situation Band vs. Kollektiv?
Wir sind seit etwa zwei Jahren eine feste Band. Das Kollektiv besteht aber gleichzeitig weiter und wird künftig auch live zu besonderen Anlässen auf die Bühne gehen: am 26. März haben wir erstmalig mit dem gesamten Kollektiv live gespielt, inkl. Geigen, Bratschen, Celli, Kontrabass, Posaunen, Saxophon und Klavier. Am 7. Mai werden wir das ganze in Berlin im Rahmen des Friction Fest welches ich auch mitorganisere, wiederholen. Das ganze wird auch für eine DVD gefilmt, die später auf Metal Blade erscheinen wird.
Was erwartest Du dir vom Friction Fest, von dem bunten Billing und dem Heimspiel, das ihr dort genießen werdet?
Ich persönlich freue mich sehr auf das Festival, als Veranstalter und musikalischer Teilhaber. Wir haben versucht, ein möglichst diverses Line-up zusammenzustellen, welches die üblichen Genregrenzen überschreitet und einfach ein Forum bietet für interessante, ungewöhnliche Ansätze innerhalb von Rockmusik; von Metal über Indie bis Avantgarde. Ich bin mit dem Line-up, das wir dafür gewinnen konnten, sehr zufrieden: Freitag ist der "härtere" Tag, mit BOHREN & DER CLUB OF GORE, ENTOMBED, uns, WOLVES OF THE THRONE ROOM und vielen anderen. Samstag ist etwas ruhiger, mit EFTERKLANG, BLACK HEART PROCESSION, LONG DISTANCE CALLING und vielen anderen Acts. Ausserdem haben wir einige eher unbekannte persönliche Lieblingsbands gewinnen können, wie TAINT aus Großbritannien, die Italiener AUCAN oder HACRIDE aus Frankreich. Jeder, der THE OCEAN mag, sollte sich die anhören. Das war mir persönlich wichtig.
Es wird zwei Bühnen geben im Astra, so dass es Non-Stop Musik gibt und natürlich auch draussen eine Area zum chillen mit Essen- und Plattenständen, etc. Wir wollen das Festival etablieren und haben unglaublich viel Zeit und Arbeit da investiert. Der Venue ist neu und hervorragend ausgestattet. Das wird gut:)!
Wie entstehen unter diesen Vorraussetzungen denn eure Songs?
Die habe ich bis dato, inklusive "Heliocentric", selber geschrieben. Ich brauche zum Songwriting Ruhe, ich bin keine Jam-Natur. Für das folgende Album "Anthropocentric" hat erstmalig auch unser anderer Gitarrist Jona einige Songs beigesteuert.
Die Kommunikation wird natürlich nicht vereinfacht dadurch, dass meine Band-Kollegen in der Schweiz wohnen und ich in Deutschland. Ein unlösbares Problem ist das aber auch nicht in Zeiten von Internet und Billigflügen. Es muss halt bloss alles gut geplant sein.
Meine Songs entstehen meistens irgendwo in weiter Ferne. "Precambrian" habe ich überwiegend in Australien geschrieben, "Heliocentric" in Spanien. Auf Reisen bin ich immer besonders inspiriert, habe unzählige Ideen. Manchmal klappt es aber auch zuhause.
Gibt es denn eine Headlinertour zum Album?
Wird es geben, Mitte Mai - Mitte Juni ca. mit Support von KRÜGER aus der Schweiz und anderen. Genaue Dates werden dieser Tage bekanntgegeben, ich selbst bin noch nicht genau im Bilde.
- Redakteur:
- Peter Kubaschk