ULVER: Wir blicken auf "Trolsk Sortmetall 1993 – 1997"
10.07.2023 | 08:53Die Metal-Szene und vor allem der Underground sind voller Musik-Romantiker. Sie lieben aufwendige Veröffentlichungen, die mit allerlei Besonderheiten und exklusiven Gimmicks ausgestattet sind, für Fans einen echten Mehrwert bieten und auch im heimischen Regal eine mächtig gute Figur machen. Darum erfreuen sich die Tape-Box-Sets aus dem Hause Darkness Shall Rise Productions großer Beliebtheit, da sich die Verantwortlichen viele Gedanken machen, a) welche Bands zu den Auserwählten gehören, b) mit welchen Exklusivitäten die Veröffentlichung daherkommen und c) welchen Mehrwert sie selbst jenen Fans bieten, die schon nahezu alles von ihren Lieblingen zu Hause rumliegen haben. Doch eines ist sicher: Darkness Shall Rise Productions findet das Besondere. Da wir erst vor wenigen Wochen der Band MYSTICUM auf den Zahn fühlten und die Norweger mit ihren Landsmännern von ULVER 1994 eine sehr interessante Split-Veröffentlichung an den Black-Metal-Freund brachten, spannt sich so der Bogen zur heutigen Besprechung. Ladies and gentlemen, willkommen bei "Trolsk Sortmetall"!
Richtig, heute sind die norwegischen Wölfe im Neofolk daheim und wissen ihre zahlreichen Veröffentlichungen bis zum heutigen Tage mit TripHop, Ambient, elektronischer Pop-Musik und Post-Rock-Momenten zu garnieren. Doch auch Kristoffer Rygg und ULVER sprangen Anfang der 1990er Jahre auf den Black-Metal-Zug auf und prägten dessen Underground norwegischer Herkunft von 1993 bis 1997 maßgeblich. Darum nehmt meine Hand und begleitet mich in die ULVER-Anfangszeit, in der Rygg und Co. noch weit entfernt von der heutigen Bandausrichtung waren und das Schwarzmetall mit der Folklore-Muttermilch aufnahmen.
"Trolsk Sortmetall 1993 – 1997" ist allerdings keine Idee von Darkness Shall Rise Productions, sondern existierte schon vor rund zehn Jahren in den Köpfen und Händen des Labels Century Media, welches es sich zur Aufgabe nahm, das 1993er Demo "Vargnatt", eine unveröffentlichte Proberaumaufnahme von 1995, sowie einen ein Jahr später aufgenommenen Samplerbeitrag und die zwischen 1994 und 1996 entstandene Alben-Trilogie "Bergtatt", "Kveldssanger" und "Nattens Madrigal" neu zu veröffentlichen. Mit allerlei exklusiven Boni, auf die ich natürlich auch eingehen möchte, liegt der Spielball nun bei den Herrschaften von Darkness Shall Rise Productions, die diese Vorlage äußerst elegant, geschmackvoll und wertvoll veredelten. Schauen wir uns die Tape-Box einmal genauer an:
Wie alle Boxen aus diesem Hause ist auch der vorliegende Inhalt in einer schweren, luxuriösen Box mit Heißfolienprägung untergebracht. Und ihr kennt es: Bevor wir zu den Tapes kommen, schauen wir uns all die wunderbaren Gimmicks und Fan-Besonderheiten an, die ULVER und Darkness Shall Rise Productions für uns bereithalten. Das Hardcover-Buch alleine ist schon eine Investition wert. Es sind alle Inhalte der einstigen Century Media-Veröffentlichung von 2014 enthalten und man lässt darüber hinaus auch Kristoffer "Garm" Rygg, Håvard "Haavard" Jørgensen, Carl-Michael "Czral" Eide, Stian "Shagrath" Thoresen, Jan Axel "Hellhammer" Blomberg, Ivar Bjørnson und Grutle Kjellson, sowie weitere Schlüsselfiguren der damaligen Metal-Szene zu Wort kommen. Auf insgesamt 168 Seiten hält das Buch neue und ausführliche Interviews bereit, ist mit vielen Fotos und Flyern bespickt und selbst die Texte aller Songs sowie deren englische Übersetzung sind enthalten. Die absolute Vollbedienung für alle ULVER-Fans, die auch durch die authentischen Bilder norwegischer Landschaften sowie die vielen Illustrationen aus alten Schmökern in die richtige Stimmung gebracht werden. Es ist äußerst elegant und geschmackvoll gehalten und vor allem die etwas neueren Interviews sorgen für das i-Tüpfelchen. Da passt es wie die Faust aufs Auge, dass besagtes Büchlein in weiß gehalten wurde und somit einen edlen Anstrich erfährt. Zwischen 1993 und 1997 kam ziemlich viel zusammen.
Kann man sich von diesem Buch erst einmal loseisen, darf man sich einen tollen Shaped-Backpatch mit ULVER-Schriftzug auf die Kutte nähen oder eine Wand mit einer vom Design her identischen XXL-Flagge verzieren. Aufmerksame Fans erkennen hierbei auch das Artwork der vorliegenden Box, das auch schon für die 2014er Veröffentlichung herangezogen wurde. Wer nicht nähen oder beflaggen kann, darf zumindest seine Schreibkünste unter Beweis stellen. Während die anderen Box-Sets mit schönen Patches daherkommen, gibt es in der "Trolsk Sortmetall 1993 – 1997"-Version insgesamt fünf ansprechende Promo-Postkarten, von denen eine beispielsweise auf ein 2000er Konzert hindeutet und die andere die Band anno 1997 zeigt. Was Bewunderern dieser Sets allerdings bekannt ist, hält auch hier wieder Einzug: die Poster! Die sind im Falle von ULVER auch wieder sehr mystisch gehalten, zeigen überwiegend die Musiker und ergeben mit dem handnummerierten Zertifikat direkt dahinter ein sehr rundes Gesamtbild. Und so manche Box hat unter den Tapes noch eine kleine Besonderheit, wovon auch "Trolsk Sortmetall 1993 – 1997" keine Ausnahme bildet. Kuttenträger dürfen sich also nicht nur über einen schönen Backpatch, sondern auch über einen robusten Metall-Pin freuen, der künftig das gute Stück schmücken darf. Wie eh und je gibt es auch heuer wieder viel zu erleben – ich fühle mich immer wie ein kleines Kind an Weihnachten, wenn ich die Box-Sets von Darkness Shall Rise Productions auspacke.
Doch kommen wir nun zu der Musik, zu den Tapes. Und hier lohnt sich auf jeden Fall ein genereller Blick auf die Geschichte dieser besonderen Band: Es war zu Beginn der 1990er Jahre in Norwegen, als sich Kristoffer Rygg und Carl-Michael Eide in der Schule kennenlernten und die eine oder andere musikalische Parallele entdeckten. Was macht man dann? Man gründet eine Band! ULVER wurde geboren und spielte zu Beginn Thrash Metal. Ein paar gemeinsame Proben und die ersten Ideen für gemeinsame Musik wurden geboren. So wurde mit "Vargnatt" das erste Demo aufgenommen – laut Beiheft vom 15. bis zum 17. Oktober 1993 in einem norwegischen Trollwald. Mit von der Partie war auch Robin Malmberg von MYSTICUM, der den Jungs bei der Aufnahme am Bass aufhalf. Somit haben wir auch schon das erste Tape dieser Box in der Besprechung, auf dem sich ULVER als recht eigenständige Band präsentiert, die harschen Black- und Thrash Metal mit akustischen Passagen, dynamischen Rhythmen und einem sehr abwechslungsreichen Gesang verband. Und sind wir ehrlich, aber die Produktion war damals unterirdisch und ist durch die Überholung nur bedingt besser geworden. Doch genau hier liegt der Reiz solcher Songs wie 'Tragediens Trone', 'Trollskogen' und 'Nattens Madrigal', das uns später in überarbeiteter Form nochmals über den Weg laufen soll. Denn obwohl der Klang einiges abverlangt, hat es ULVER schon früh verstanden, dem rohen Black Metal feine Folk-Nuancen zu verpassen und ihm dadurch einen hochinteressanten Touch zu verleihen. Nein, im Schönspielen waren Rygg und Co. nicht daheim, doch die Mystik, die Originalität und das Wegweisende auch für künftige ULVER-Alben war schon auf dem allerersten Demo deutlich präsent. Und auch heute ist die Atmosphäre von "Vargnatt" etwas Besonderes und ein Grundpfeiler für die folgenden Jahre.
Das Demo wurde publik und landete auch bei Metalion, Herausgeber des Fanzines "Slayer" und Inhaber des Labels Head Not Found, der ULVER einen Vertrag und die Möglichkeit der Aufnahme für ein komplettes Album anbot. Und nach einer kleinen Split-Geschichte mit MYSTICUM und dem Weggang des Drummers Eide wurde das Projekt Debütalbum in die Tat umgesetzt: Die fünfköpfige Band – Kristoffer "Garm" Rygg, "Haavard" Jörgensen, Torbjörn "Aismal" Pedersen, der Brite Hugh "Skoll" Mingay und Erik "AiwarikiaR" Lancelot – verschanzte sich im November und Dezember 1994 in dem Endless Lydstudio in Oslo, um mit "Bergtatt – Et Eeventyr i 5 Capitler" den ersten Teil der Triolgie über die finsteren Aspekte norwegischer Folklore aufzunehmen. Und das Ergebnis kann sich hören lassen, bekommt der atmosphärische und sinnliche Folklore-Charme der Band doch wesentlich mehr Platz, die Melodien sind ausgereifter und trotz des für den Black Metal typischen Finsterflairs inklusive des harschen Gesangs, sorgen akustische Momente und Kammerkantaten für das gewisse Extra. Sogar Flöten- und Klaviertöne finden Einzug in dieses Debüt, das eben weniger von seiner Aggressivität als mehr von der Aura lebt und einen Hauch von Melancholie und Verletzlichkeit mitschwingen lässt. Über knapp 35 Minuten bauen die fünf Musiker inklusive ihrer Gäste solch eine archaisierte, natürliche und wunderschöne Atmosphäre auf, die man nach einem eher rabiaten Demo von ULVER wohl so nicht hätte erwarten können. Mir persönlich haben es vor allem das zweite ('Soelen Gaaer Bag Aase Need') und vierte ('Een Stemme Locker') Kapitel angetan; Musik, in der ich mich komplett verlieren kann, die so erfrischend daherkommt wie ein Bad im norwegischen Wintersee.
Doch wer hätte gedacht, dass die ULVER-Musiker diesen Schritt noch weiter gehen würden? Richtig, 1995 wurde das 35 Minuten lange "Kveldssanger"-Album in gleicher Besetzung aufgenommen, das den Bogen vom melodischen Vorgänger weiter spannte und sich vollends auf die akustischen Ausflüge ULVERs konzentrierte. Die Abendlieder wurden erneut im Osloer Endless Lydstudio eingespielt und zeigen ULVER mit hymnenhaften Chören, fein strukturierten Akustikmomenten, mit Ruhe und Souveränität ausgestattet und mit Cello- und wieder Flötenparts experimentierend. Das Ergebnis ist noch naturnäher und archaisierter als zuvor, gleicht mehr einem Hörspiel eines wunderschönen, norwegischen Naturmärchens und zeigt ein neues Level im Neo-Folk. So sitze man gefühlt alleine und mit sich und der Welt im Reinen am norwegischen Wintersee, nachdem man zuvor in diesen eingetaucht ist, philosophiert mit sich selbst über den Sinn des Hier und Jetzt. Man schaut östlich der Sonne und westlich des Mondes in die Nachtzeit, fühlt den Herzschmerz gekleidet in den Farben der Nacht und sehnt sich den unruhigen, wolfsgrauen Schlaf auf dem Hügel der Elfen herbei. Ein durch und durch atmosphärisches, allein von der Akustik getragenes Album, das inmitten des hochmelodischen Vorgängers und wahrhaft wüsten Nachfolgers noch besinnliche Töne von sich gibt.
Doch damit ist es im dritten und letzten Teil der Trilogie vorbei. Denn wo sich die Folklore breit gemacht hat, wütet nun der puristische und harsche Black Metal – wie zu ULVERs frühen Demotagen – wieder umher. Richtig, es wurde bei den acht Wolfshymnen auf "Nattens Madrigal – Aatte Hymne Til Ulven i Manden" wieder deutlich aggressiver, wütender und Zähne fletschender. Richtig, das Wolfsrudel ist auf seinem dritten Album äußerst hungrig, die Atmosphäre bitterkalt, die Aura zerstörerisch und atypisch für den norwegischen Black Metal, wie wir ihn heutzutage aus der damaligen Zeit kennengelernt haben. Nein, auf die Besinnlichkeit stoßen die fünf Burschen auf ihrem dritten full-length-Album nun wahrlich nicht an und beenden ihre finsteren Aspekte der norwegischen Folklore mit einem bitterbösen und lauten Knall. Aber so betrachten die ULVER-Jungs alle Aspekte dieser Folklore, zu denen nicht nur die melodischen und akustischen, sondern auch die harschen, fast schon anarchistischen Töne zählen. Über 44 Minuten lang entfacht ULVER einen ungeheuren und vor Wut und Aggression nur so strotzenden Flächenbrand, von dem die zweite ('…And The Devil') und dritte ('…And Hatred') Nummer nicht nur vom Titel her sinnbildlich stehen. Die Folklore-Nuancen sind noch vorhanden und der Wiedererkennungswert nach wie vor gegeben, doch in Anbetracht der beiden Vorgänger ist "Nattens Madrigal", das achtteilige Hymnen-Inferno, doch die größte Überraschung, die den Kreis zum "Vargnatt"-Demo dennoch sehr geschmackvoll schließt.
Damit könnte auch die Box langsam ihr lautes Ende eingeläutet haben, denn das Demo sowie die komplette Trilogie sind für sich eine geschlossene, äußerst spannungsvolle Reise durch die Wildnis Norwegens – in allen Facetten. Auf dem letzten der insgesamt fünf Tapes befinden sich noch einige Probeaufnahmen aus den Jahren 1994 und 1995, unter anderem eine Frühversion vom ersten und dritten "Bergtatt"-Kapitel 'Troldskog Faren Vild' sowie 'Graablick Blev Hun Vaer', die den Braten nicht allzu fett machen, aber dennoch im direkten Vergleich nett anzuhören sind. Nun sind wir wahrhaftig am Ende dieser Box angekommen, die auch – komplett ausgepackt – einen fulminanten Eindruck macht und der Musik ULVERs einen geschmackvollen Rahmen verleiht.
Wir halten fest: Trotz späterer Hinwendung zur elektronischen und cineastischen Musik spielt die Black-Metal-Phase – ob nun in harscher, melodischer oder akustischer Gestalt – eine große Rolle in der Entwicklung ULVERs. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass vor allem die ersten Jahre die spannendsten in der Bandgeschichte sind, da die Werke trotz klanglicher Defizite ein hohes Maß an Authentizität und künstlerischer Freiheit genossen. Und wenn man wie im Falle von Darkness Shall Rise Productions die Frühphase ULVERs derart filigran, elegant und geschmackvoll aufbereitet und die Vorlage Century Medias von 2014 erstklassig verwandelt, dann kommt man an der Tape-Box "Trolsk Sortmetall 1993 – 1997" partout nicht vorbei. Und Hand aufs Herz, als Musikkassette machen vor allem die regulären Alben noch viel mehr her als später auf CD.
- Redakteur:
- Marcel Rapp