Udo Dirkschneider geht seinen Weg!
31.01.2022 | 20:37Listening Session bei Atomic Fire Records, denn zum siebzigsten Geburtstag veröffentlicht Udo Dirkschneider die Coverscheibe "My Way".
Mein erster loser Kontakt mit der Stimme von Udo Dirkschneider war 1980, als ich 'I'm A Rebel' vor die Teenager-Ohren bekam. So richtig packen konnte mich zu Beginn der Achtziger weder ACCEPT noch der teutonische Hard Rock als solcher. Doch mit dem für mich besten (und erfolgreichsten) Album der ersten Dirkschneider-Ära "Russian Roulette" überzeugten mich die Solinger. Doch zu spät, ACCEPT und ihr Sänger gingen kurze Zeit später getrennte Wege. Konnte die Band sich lange nicht davon erholen, startete Dirkschneider mit seiner neuen Band U.D.O. und dem fulminanten Debütalbum "Animal House" richtig gut durch. Ein Einstand nach Maß für eine Solokarriere, wie man es sich als Künstler nur wünschen kann. Doch die gegenseitige Abstinenz währte nur ein paar Jahre. Anfang der Neunziger kehrte Dirkschneider zur Band zurück und man knüpfte mit "Objection Overruled" an alte Zeiten an. Doch die Dekade war nicht für die glorreiche Rückkehr von Heavy-Metal-Bands gedacht, und somit verlief das Ganze dann im Sand und nach drei Alben war wieder Schluss. Der gemeinsame Auftritt in Wacken 2006 ließ neue Hoffnung aufkeimen, doch ACCEPT holte sich Mark Tornillo ans Mikro. Udo besann sich mehr denn je auf U.D.O. und kann nebenher weitere Projekte realisieren. Ich persönlich konnte mit ihm 2014 ein kurzes Interview führen, als er als Gast bei der Jubiläumsshow von Doro Pesch auftrat. Neben diversen Geschichten wie zum Beispiel die Tourneen als DIRKSCHNEIDER, wo er mit ACCEPT-Songs auftrat oder die Kooperation mit dem Bundeswehr-Orchester folgt nun diese Sammlung von Coverversionen, mit der er sich ein eigenes Geburtstagsgeschenk macht.
[Frank Wilkens]
Wo Frank nahezu von Anfang an am Start war, aber nicht gleich so richtig gepackt wurde, da war ich zwar etwa zehn Jahre später am Start, doch dafür konnte mich die erste U.D.O.-Scheibe "Animal House" vom Fleck weg begeistern, und sie zählt für mich bis dato zum Besten, was der deutsche Heavy Metal zu bieten hat. Gleiches gilt für das Frühwerk von ACCEPT und zwar vom 1979er-Debütalbum weg, das bei mir einen ganz besonderen Stein im Brett hat. Meine Begeisterung speziell für Udo Dirkschneiders ganz frühe musikalische Schritte ist es auch, die meine Vorfreude auf das Coveralbum "My Way" schürt, denn immerhin will uns der Mr. German Metal mit diesem Album seine Interpretationen von Stücken vorstellen, die ihn durch seine Karriere hindurch geprägt und inspiriert haben. Das verspricht Hochspannung, denn wer mehr als fünfzig Jahre lang auf der Bühne steht und die Metalszene entscheidend mitgeprägt hat, der dürfte einiges über die Klassiker und vielleicht auch übersehenen Perlen zu erzählen haben, die ihn auf diesem Weg begleitet haben.
Daher lauschen wir bei der von Atomic Fire Records veranstalteten Listening Session sehr gespannt und aufmerksam den Klängen von "My Way", und Frank wird euch zunächst einmal seine Eindrücke von den einzelnen Songs schildern:
[Rüdiger Stehle]
Die 17 Songs auf "My Way":
1.
'Faith Healer' (ALEX HARVEY)
Ein Song, der im Original neben 'Whole Lotta Love' von LED ZEPPELIN und 'Gamma Ray' von BIRTH CONTROL zu den Evergreens im Hamburger Grünspan-Club zählt. Sozusagen einer der Klassiker des Psychedelic-Genres, wenn nicht gar der Klassiker schlechthin. Umso mehr war ich gespannt, ob und wie Udo den Spagat zwischen dem intensiven Original und dem typisch teutonischen Metal hinbekommt. Die Antwort lautet: Er hat es wunderbar hinbekommen, indem er den Track nicht kopiert, sondern seine eigene Variante daraus gemacht hat. Eines der Highlights dieses Albums.
2.
'Fire' (THE CRAZY WORLD OF ARTHUR BROWN)
Hier ist meiner Meinung nach das passiert, was bei 'Faith Healer' auch hätte passieren können. Die Intensität und die Endsechziger-Power des Originals geht hier etwas verloren, der Song taugt als Metalversion nur bedingt. Einer der wenigen schwächeren Momente auf der Platte.
3.
'Sympathy' (URIAH HEEP)
Kommt mit Keyboards daher, was bei einem URIAH HEEP-Cover unbedingt dazu gehört und ist mit Gitarrensolos aufgemotzt. Unter dem Strich eine gelungene Version.
4.
'They Call It Nutbush' (TINA TURNER)
Niemand erwartet, dass Udo wie Tina Turner singt. Aber auch dieser Track lebt im Original von einer intensiven Stimmung, die Udo sehr gut transportiert. Der Einstieg ist betont bluesig, bevor ein treibender ACCEPT-Rhythmus einsetzt, der von Bläsern eindrucksvoll unterstützt wird. Absoluter Kracher.
5.
'Man On The Silver Mountain' (RAINBOW)
Der Song wird hier sehr schwungvoll dargeboten. Auch wenn Udos Stimme nicht mit der von Ronnie James Dio mithalten kann, so überzeugt diese Version dennoch im Großen und Ganzen.
6.
'Hell Raiser' (THE SWEET)
Mit einem Song von THE SWEET kann der Solinger gar nichts verkehrt machen. Der Song hält sich gut an das Original und macht einfach nur Laune.
7.
'No Class' (MOTÖRHEAD)
Der nächste Selbstgänger. Der Wunsch, bei einem MOTÖRHEAD-Cover würde es sich ausnahmsweise mal nicht um 'Ace Of Spades' handeln, hat sich zum Glück erfüllt. Diese Version geht kompromisslos nach vorn und glänzt mit einer mächtig satten Gitarrenproduktion.
8.
'Rock’n‘Roll' (LED ZEPPELIN)
Diese Version kommt nicht so sperrig daher wie das Original von LED ZEPPELIN. Udo hat daraus eine lockere Rockhymne gemacht, die eher zu ROSE TATTOO passen würde als zu den legendären Briten.
9.
'The Stroke' (BILLY SQUIER)
Neben 'Faith Healer' der zweite Track, auf dessen Version ich im Vorfeld am meisten gespannt war. Zumal auch dieser Song von Billy Squier mich durch meine postpubertäre Phase begleiten durfte. Udo hält sich gut am Original und hat das Stück mit modernem Gitarrensound aufgemotzt, ohne das Ganze zu überladen. Auch eines der Highlights, definitiv.
10.
'Paint It Black' (THE ROLLING STONES)
THE ROLLING STONES dürfen nicht fehlen. Hier finden wir eine ordentliche, aber nicht überragende Metalversion mit dezentem Oriental-Einschlag.
11.
'He’s A Woman, She’s A Man' (SCORPIONS)
Fetzige Variante des alten SCORPIONS-Klassikers, der dem Original kaum nachsteht. Mit viel Drive und Fingerspitzengefühl konstruierte Version.
12.
'TNT' (AC/DC)
Einen AC/DC-Song aus der Bon Scott-Ära zu wählen, scheint eine logische und nachvollziehbare Entscheidung. Doch in diesem Falle kommt weder die einzigartige Stimme von Bon Scott noch deren Blues-Appeal gut zur Geltung. Für mich wirkt der Song daher etwas lahm und geht daher als eine der schwächeren Nummern durch.
13.
'Jealousy' (FRANK MILLER)
Diese Nummer von Fränkie Miller ist möglicherweise nicht jedem bekannt. Udo hat sich der Ballade angenommen und bringt sie in seiner unnachahmlichen Art ziemlich gut rüber.
14.
'Hell Bent For Leather' (JUDAS PRIEST)
So macht Heavy Metal Spaß. Der JUDAS PRIEST-Song ist ein Selbstgänger. In bester ACCEPT-Manier zu "Russian Roulette"-Zeiten rockt Udo das Ding locker nach Hause.
15.
'We Will Rock You' (QUEEN)
Muss es denn von QUEEN ausgerechnet dieser Song sein? Und wie müsste eine Version klingen, die sich nicht ans Original hält und somit einen Klon überflüssig macht? Udo Dirkschneider hat die Antwort parat und präsentiert eine coole und straighte Metalhymne. Ganz stark und völlig anders als erwartet, beziehungsweise befürchtet.
16.
'Kein Zurück' (WOLFSHEIM)
Der erste in Deutsch vorgetragene Song von Udo Dirkschneider. Die Nummer der Dark-Rock-Band WOLFSHEIM passt gar nicht zum bisherigen roten Faden, wird aber ganz ausgezeichnet dargeboten. Auch eine der kleinen positiven Überraschungen, mit denen im Vorfeld keiner gerechnet hatte.
17.
'My Way' (FRANK SINATRA)
Bitte keine Metalversion des Frank Sinatra-Klassikers, trieb es mich um. Und auch dieser Bitte wurde entsprochen. Udo Dirkschneider kann auch Jazz. Und wie! Als hätte er nie etwas anderes gesungen. Dazu glänzt diese Version mit Streichern und Bläsern. Nicht nur ein würdiger Schlusspunkt, sondern auch die Kirsche auf der Sahne.
Alles in allem also ein überaus gelungenes Album mit vielen schönen Versionen, die sich, wenn es darauf ankommt, auch mal etwas weiter vom Original entfernen. Zudem haben Udo und seine Mitmusikanten und Freunde sichtlich Spaß an der Sache gehabt. Und darauf darf es gern auch mal ankommen in der heutigen Zeit.
Frank hat euch nun die Songs einen nach dem anderen vorgestellt, und im Großen und Ganzen sind wir beide einer Meinung, so dass ich mich in erster Linie mit dem Gesamteindruck befassen möchte, welchen die Scheibe bei mir hinterlässt, und da muss ich Udo Dirkschneider und seinem Team ein wirklich großes Kompliment machen: "My Way" ist schlicht und ergreifend nicht nur ein weiteres Coveralbum eines etablierten Künstlers, sondern einiges mehr. Warum das so ist? Nun, ich denke, dass es selten jemandem gelungen ist, aus einer solch stattlichen Anzahl an weithin bekannten Klassikern aus allen möglichen Genres ein Album zu schmieden, das so sehr aus einem Guss zu sein scheint, wie Udos "My Way". Würde man diese Songs nicht alle schon seit Jahrzehnten kennen und sie zum ersten Mal auf dieser Scheibe hören, dann könnte es sich ohne Weiteres um die reguläre neue U.D.O. handeln, denn so viel, wie von diesen Songs in Udo Dirkschneider selbst steckt, so viel hat er auch in sie hinein gesteckt, um ihnen seinen ureigenen Stempel aufzudrücken. Es scheint, als mache Udo Dirkschneiders unverkennbare Stimme jene Klassiker, die ihn geprägt haben, zu seinen eigenen Songs, und das ist doch am Ende alles, was man sich als Fan zu Udos Geburtstagsparty wünschen kann, die im April steigen wird.
Meine persönlichen Highlights sind hierbei bisher die herrlich epische Version von Frank Millers 'Jealousy', die intensive Interpretation von MOTÖRHEADs 'No Class' und die von wirklich großartigen Leadgitarren und einem tollen Bass-Groove begleitete URIAH HEEP-Komposition 'Sympathy', bei der auch Mathias Dieth an der Leadgitarre mit von der Partie ist. Außerdem freut es mich als alten RAVEN-Fan natürlich besonders, dass Udo Dirkschneider, der einst mit den Gallagher-Brüdern zusammen STEPPENWOLFs 'Born To Be Wild' gecovert hatte, nun mit THE SWEETs 'Hell Raiser' einen Song an Bord hat, der von den damaligen Mitstreitern schon anno 1981 gecovert worden war. Dies mag Udo selbst gar nicht bewusst gewesen sein, wie er im Interview zugibt, doch das ändert nichts daran, dass der geneigte Fan aller drei Künsler auf Wolke Nr. 7 schwebt. Ähnliches gilt für 'Fire', das den Kollegen Frank ja nicht ganz so überzeugt hat, doch für mich, der neben Arthur Browns Original auch die 1991er-Version aus dem Hause CIRITH UNGOL abgöttisch liebt, ist diese weitere Interpretation ein besonderers Schmankerl.
Weiterhin freut sich der langjährige Fan natürlich auch über solche kleinen Referenzen an die gute alte ACCEPT-Frühzeit, denn wenn Udo AC/DC covert, dann denkt man natürlich unweigerlich an 'I'm A Rebel', das ursprünglich von Alexander Young für die Band seiner Brüder Angus & Malcolm geschrieben worden war.
Was gibt es mehr zu sagen? Nun, dass Udo die Songs seines Oeuvres so zielsicher ausgesucht hat, dass seine Stimme perfekt zu ihnen passt, und er mit seinem teutonischen Reibeisen damit auch den Werken von Sangesgöttern wie Ronnie James Dio, Klaus Meine, Rob Halford oder Freddy Mercury gerecht wird. Das muss ihm erst einmal jemand nachmachen, denn an solchen Unterfangen haben sich schon viele überhoben.
In der nachfolgenden Pressekonferenz gibt sich Udo Dirkschneider gut gelaunt, selbstbewusst und erleichtert. Zwar hat die Corona-Krise für einigen Sand im Getriebe gesorgt, und ebenso die Flutkatastrophe in der Heimat seiner Familie, doch sicher auch deshalb hat Udo ganz offensichtlich Freude daran, sich per Videokonferenz den Medienvertretern zu stellen. Hier und heute überwiegen nämlich ganz klar die erfreulichen Nachrichten: Udo ist inzwischen Großvater geworden, die Nachwehen der Flut werden langsam überwunden, und er hat ein Album in der Tasche, auf das er sichtlich stolz ist.
So bestätigt Udo auch im Interview, dass es ein bisschen was von beidem ist, das "My Way" ausmacht und es in den Ohren mancher Fans wie ein genuines U.D.O.-Album wirken lässt: Die Songs und originalen Interpreten haben zum einen ihren merklichen Einfluss auf Udos musikalische Karriere gehabt, und andererseits hat Udo den Coverversionen nun auch seinen unverkennbaren Stempel aufgedrückt. Wenn er anfange "herumzugrölen", dann klinge es halt einfach nach ihm, und könnte auch von U.D.O. sein. Daher sei es einfach ein sehr persönliches Album, das deshalb auch unter seinem vollen Namen "Udo Dirkschneider" erscheine und nicht unter U.D.O. oder DIRKSCHNEIDER. Dabei waren neben Udos Sohn Sven am Schlagzeug und anderen aktuellen U.D.O.-Leuten natürlich auch viele seiner langjährigen Weggefährten beteiligt, und zwar sowohl aus dem U.D.O.-Umfeld als auch aus ACCEPT-Zeiten. Die Arrangements der Songs übernahm der Produzent Martin Pfeiffer, während Peter Baltes (ex-ACCEPT, THE OLD GANG) neben den Bassspuren auch ordentlich Input zur Songauswahl gegeben und Udo insbesondere ans Herz gelegt habe, 'Faith Healer' zu präsentieren. Mathias Dieth (ex-U.D.O., THE OLD GANG, GRAVESTONE) steuerte die Soli zum HEEP-Cover bei, und auch Stefan Kaufmann (ex-U.D.O., THE OLD GANG, ex-ACCEPT) sei natürlich als Rhythmusgitarrist mit an Bord gewesen. Speziell beim THE SWEET-Cover, sei dies Stefan ein großes Anliegen gewesen, da die Briten für ihn eine alte Lieblingsband sind.
Standen bei einem Interpreten mehrere Songs zur Auswahl, dann habe natürlich die entscheidende Rolle gespielt, dass die Stücke zu Udos Stimme passen mussten. Dabei seien ihm etwa 'No Class' und 'Hellbent For Leather' quasi in einem Take von der Hand gegangen, während er bei 'Faith Healer' und 'Paint It Black' zwar ordentlich habe kämpfen müssen, mit dem Ergebnis aber doch sehr zufrieden sei. Andere Songs, wie etwa 'He's A Woman...' seien ihm trotz beträchtlicher Höhen leichter gefallen, als er es erwartet habe. Manche Songs von der Wunschliste seien indes letztlich nicht auf dem Album gelandet, weil es für deren neue Arrangements von den Rechtinhabern keine Freigabe gegeben habe, so etwa für 'Don't Let Me Be Misunderstood' von den ANIMALS oder für 'I'm Down' von den BEATLES.
Was nicht sei, könne jedoch noch werden, denn Udo Dirkschneider habe noch einiges vor, wenn er die Zeit dafür finde. Ein Album mit THE OLD GANG, das sich der eine oder andere Pressekollege wünschte, stehe hierbei zwar aktuell nicht zur Debatte, er wolle dies jedoch auch nicht generell ausschließen. Einen anderen, noch unerfüllten Wunsch hege er jedoch, und das sei auf jeden Fall ein Rock Musical. Außerdem werde sicher irgendwann auch wieder ein neues U.D.O.-Album kommen, für das auf jeden Fall schon Ideen vorhanden seien. Man habe ja momentan zu viel Zeit hierfür, und die solle man nutzen.
Ihr seht also: Udo Dirkschneider ist voll motiviert und hat noch viel vor, so dass der Titel seines letzten Studioalbums "Game Over" gottlob kein bisschen prophetisch gewesen ist. Sein kommendes Cover-Album "My Way" gibt ihm hierbei allen Grund zur Zuversicht, und wir freuen uns sehr auf die Veröffentlichung im April über Atomic Fire Records.
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle