VOIVOD: Interview mit Snake
01.08.2023 | 22:55Wir leben doch nicht in L.A.
Sie haben Höhen und Tiefen erlebt und feiern nun Geburtstag. 40 Jahre VOIVOD, 40 Jahre Albumveröffentlichungen. Wenn das kein Grund zum Feiern ist. Keine Frage, dass wir Sänger Snake vor das Mikrofon gezerrt und ihm einige Löcher in dem Bauch gefragt haben. Neben viel Lobhudelei gab es auch kritische Fragen, die gestellt werden wollten und über das neue Album "Morgöth Tales" wurde natürlich auch gesprochen.
Snake, Glückwunsch zum neuen Album, zu 40 Jahren VOIVOD und zu 40 Jahren Album-Releases. Gibt es irgendeine lustige Anekdote, die du uns erzählen willst?
Danke, Colin. Ja, in 40 Jahren passiert schon recht viel. Bislang war es für VOIVOD eine lange Reise mit unseren Fans, die wir nun 40 Jahre fahren. Es gab natürlich einige sehr gute Momente, aber auch welche, die nicht so schön waren. Alles in allem sind 40 Jahre schon eine Hausnummer und wir wollten das nun gebührend mit unseren Fans feiern. Das ist auch der Grund warum wir das Album so gemacht haben. Wir wollten einfach rekapitulieren, wo wir stehen und wie wir uns damit fühlen. Wir hätten auch leicht ein Doppelalbum machen können. Die Songs wurden chronologisch aufgenommen, gestartet mit dem ersten Song, den wir jemals aufgenommen haben ['Condemned To The Gallows' - C.B.]. Es war eine interessante Erfahrung den Song noch einmal aufzunehmen, da es so lange her war, dass wir damit im Studio waren damals. Da kamen einige Erinnerungen hoch. Witzigerweise wusste ich aber den Text von 'Condemned To The Gallows' nicht mehr komplett und ich dachte: "Oh, Mist. Was mache ich nun?" Ich habe dann das Internet durchforstet, bin aber nicht auf die Lyrics der Nummer gestoßen. Was nun tun? Ich habe dann meine Schwester angerufen und sie gefragt, ob sie nicht kurz mit Mom sprechen könnte bezüglich der Lyrics. Gottseidank hatte Mom, die eine sehr akribische Sammlerin ist, das einzige Exemplar der Lyricsheets zuhause, sodass ich das Stück doch noch einsingen konnte.
Danke an deine Mutter an dieser Stelle. Ich denke, das Album klingt wie ein neues von VOIVOD und absolut aus einem Guss. Im Gegensatz zu anderen Bands, die sich in ihrer Karriere mehrmals neu erfinden mussten und dadurch Fans verloren haben, fühlt es sich bei VOIVOD doch an wie ein natürlicher Prozess, den ihr durchlaufen habt.
Ja, wir haben versucht den Spirit von VOIVOD auch auf diesem Album zu erhalten. Natürlich stehen auch wir Veränderungen gegenüber. Allein mein Gesang hat sich über die Jahre weiter entwickelt und klingt nun anders. Das ist ganz natürlich, wenn du diese Art von Musik spielst. Ein Song wie 'Thrashing Rage' hat mir beispielsweise heute alles abverlangt, da ich jetzt nicht mehr so oft High-Pitches [hoher Gesang - C.B.] einsetzte, sondern mir quasi stattdessen die Lunge bei dieser Aufnahme aus dem Hals geschrien habe. Die Anderen saßen hinter der Scheibe im Aufnahmeraum und haben sich den Arsch abgelacht, weil ich mich so abgemüht habe (lacht).
Was ist denn das Geheimnis von VOIVOD? Ihr hattet in eurer Karriere ganz selten Wechsel im Line-up.
Das ist eigentlich gar kein Geheimnis, wir haben einfach die gleichen Ziele und Respekt voreinander. Das gehört nicht nur in einer Band dazu, sondern auch in einer Freundschaft. Weißt du, was gestern funny war? Die FOO FIGHTERS haben ein Konzert in einer mittelgroßen Halle hier in Montreal gespielt und Michel [Langevin, Drummer - C.B.] war in der Halle und als Dave Grohl [Sänger der FOO FIGHTERS - C.B.] ihn gesehen hat, hat er ihn vor 4000 Menschen gegrüßt und ihm spontan 'My Hero' gewidmet. Das war ein richtiger magic moment. So läuft das bei uns in der Band, aber auch anderen Bands gegenüber. Wir waren jüngst mit TESTAMENT auf Tour und hatten eine großartige Zeit mit ihnen. Coole Band, coole Typen. Ich liebe sie. Das ist so bei den meisten Bands. Man trifft sich auf Festivals und hat eine gute Zeit miteinander, es ist wie eine große Familie.
Da stimme ich dir zu. Ich kenne das auch so. Warum heißt das neue Album denn "Morgöth Tales"?
Das ist eine witzige Story. Wir waren gerade dabei Ideen für die Platte zu sammeln, als wir mit OPETH auf Tour waren. Wir spielten damals in Zürich in der Schweiz und Tom Warrior (ex-CELTIC FROST, TRIPTYKON) kam backstage zum Quatschen vorbei. Es wurde ein Foto gemacht, das ziemlich viral ging und jemand kommentierte es mit dem Begriff "Morgoth Tales" als Hommage an "Morbid Tales" [CELTIC FROSTs Debüt-EP - C.B.]. Wir waren total geflasht, als wir das gelesen haben und da war unser Albumtitel.
Das ist in der Tat eine witzige Geschichte. Also hat der Albumtitel nichts mit Tolkiens Werk zu tun, da der Böse im "Silmarillion" ebenfalls Morgoth heißt?
Nein, nein. Damit hat der Albumtitel gar nicht zu tun (lacht).
Lass uns doch noch über etwas Unangenehmes reden. Nämlich die Konzertabsage in Ulm, wo ihr stattdessen das "Rock Hard"-Festival gespielt habt. Ich kann euch da voll verstehen, in Gelsenkirchen ist mehr Publikum anwesend und so weiter. Hast du Angst Fans durch sowas zu verlieren?
Ja, ich weiß, was du meinst. Ein Konzert abzusagen ist immer mies, gar keine Frage. Ich bin auch enttäuscht, wenn ich mich hier in Montreal auf eine Show freue und die abgesagt wird. Ich kann die Leute da absolut verstehen, wenn sie sauer sind. Es war nun aber so, dass wir eine Entscheidung treffen mussten und wenn man bedenkt, wie teuer alles nach der Pandemie geworden ist, muss man sehen, wo man bleibt. Wir konnten dieses Angebot nicht ablehnen, dafür ist das "Rock Hard"-Festival zu prestigeträchtig. Es tut mir wirklich leid für die Leute, die sich auf den Gig gefreut haben. Dass ein Gig heutzutage abgesagt wird, ist mittlerweile ein Teil des Spiels. So traurig es ist.
Ich denke, das hat auch viel damit zu tun, dass man im Internet anonym bleiben kann und mit niemandem face-to-face reden muss.
Ja, da hast du natürlich auch Recht. Es ist einfach so, dass wir eine Band sind, die immer versucht alles für die Fans zu geben. Manchmal klappt das halt nicht. Vor allem nach der Pandemie sind die Preise doppelt so hoch wie vor drei Jahren und wir als Band werden immer dafür verantwortlich gemacht; über unsere privaten Einschnitte während einer Tour, wenn wir schlechtere Hotels buchen oder generell auf irgendeine Art von Luxus verzichten, wird natürlich weniger gesprochen. Das ist aber auch nicht die Aufgabe von Fans. Man sollte es sich nur vor Augen halten, dass bei einer Tour viel mehr im Raum steht, als eine Band, die auf die Bühne geht. Vor allem, wenn du nicht mehr 20 bist, so wie wir (lacht).
Danke für die ehrliche Antwort. Wie habt ihr eigentlich die Songs für das Album ausgesucht? Ich hatte einige mehr melodische Songs erwartet. 'The Unknown Knows' für 'Pre-Ignition' zum Beispiel. Oder war es das Ziel die Fans zu überraschen?
Das war richtig schwer. Wir haben bewusst darauf verzichtet die Klassiker wie 'Tribal Convictions' oder 'The Unknown Knows' zu wählen, da wir eher obskure Sachen auf der Platte haben wollten. Songs, die wir nicht oft live spielen, wie eben 'Pre-Ignition'. Wir hätten natürlich, ganz im Sinne einer ordinären Best-of, auch 'The Unknown Knows' oder andere Klassiker nehmen können, aber wir waren eher auf etwas Spezielles aus. Zudem haben wir mit 'Morgoth Tales' noch einen neuen Track am Start, der alle Facetten eines VOIVOD-Songs in sich trägt. Hinzu kommt, dass wir auch noch eine Coverversion von P.I.L. [PUBLIC IMAGE LIMITED - C.B.] aufgenommen haben. Der Song ist als Referenz auf alles zu verstehen, was momentan in der Welt abgeht, wie der Krieg in der Ukraine. Das Thema des Songs ist noch immer brandaktuell, da die Menschheit nicht aus ihren Fehlern lernt.
Ich denke, dass gerade 'Home' (der P.I.L.-Song) herausragt, da er sehr melodisch ist, aber dennoch die typischen VOIVOD-Vibes in sich trägt.
Oh, dankeschön (lacht). Es war wirklich eine Herausforderung den Song aufs Band zu bringen. Ich mag Johnny Lydon (Sänger, ex-SEX PISTOLS) sehr. Aber es war schon ziemlich anstrengend für mich den Song zu singen.
In dem Kontext finde ich es sehr cool, dass ihr den PINK FLOYD-Song nicht neu aufgenommen habt.
(lacht) Joah... ich finde aber, dass 'Astronomy Domine' genau da gut ist, wo er ist. Es ist eine sehr gute Version des Songs und es gab keine Not, das Stück noch einmal aufzunehmen. Simple as that.
Bist du dir eigentlich gewahr, welchen Einfluss VOIVOD über die Jahre auf Bands und Fans hatte bzw. hat?
Ja sicher. Das war Piggys [verstorbener Gitarrist - C.B.] Verdienst. Es gibt sehr viele "neuere" Bands, die wir beeinflusst haben, wie die FOO FIGHTERS. Es ist für mich selbst aber immer hart zu urteilen, wen wir beeinflusst haben. Es kamen Leute zu mir und meinten, dass der Sänger von GHOST sehr nach mir klingen würde. Das weiß ich aber nicht. Ich weiß nur, dass er ein riesiger VOIVOD-Fan ist. Vielleicht wirkt sich sowas auch auf die verschiedenen Musiker aus.
Ihr hättet nach "Angel Rat" richtig durchstarten können, das hat aber nicht geklappt. Trauerst du dieser vertanen Chance heute nach?
Tja... ein wenig schon. Auf der anderen Seite ist es gut so, wie es momentan ist. Wir haben niemals in unserer Karriere darauf geschielt, was gerade angesagt und trendy ist. Wir releasen immer das, worauf wir Lust haben. Unabhängig von irgendwelchen Firmen. Du kannst sowieso nicht sagen, warum eine Platte gut geht oder nicht. Wir hatten mit "Nothingface" ein richtig gut gehendes Album und "Angel Rat" schlug in die gleiche Kerbe. Dann kam der Grunge und Metal war kein Teil der Szene mehr. Für Metalbands war es daher sehr schwer ihren Stand zu behaupten. Sogar METALLICA schnitten sich die Haare ab. Allgemein kann man sagen, dass es schwierig ist vorherzusagen, wann und ob ein Album durch die Decke geht.
Da hast du natürlich auch Recht. Mir ist aufgefallen, dass wieder vermehrt jüngere Fans mit VOIVOD-Devotionalien herumlaufen. Bist du darauf stolz?
Ja, sicher bin ich stolz darauf. Keine Frage. Es gibt aber natürlich viele Metal-Dads, die ihre Kinder mitnehmen und so die Szene lebendig halten. Aber natürlich gewinnen wir dadurch auch viele neue Fans, was für uns ziemlich cool ist.
Denkst du, eine Band wie VOIVOD kann sich total auf die Musik konzentrieren, ohne ein Major-Label im Rücken? Ich denke nämlich, dass diese Mischung aus Progressive Rock, Metal und Punk ziemlich einzigartig ist.
Ja, wobei ich schon denke, dass die Labels mittlerweile wissen, was sie bekommen, wenn sie VOIVOD signen. Es ist aber schon die künstlerische Freiheit, die wir genießen. Wie gesagt, wir können das aufnehmen, worauf wir Bock haben. Wir wollen den Leuten immer neue Elemente aufzeigen und das hat nichts mit Geld oder verkauften Einheiten zu tun. Ich denke, das ist unser Auftrag (lacht).
Eine letzte Frage, Snake. Was zur Hölle ist im kanadischen Bier, dass die Musik in Kanada so grandios ist, wenn man an Bands wie RUSH, ANNIHILATOR oder TRIUMPH denkt?
Ja, stimmt schon. Kanada ist sehr speziell. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Land so weit ist und man sehr viele Meilen zurücklegen muss, um in den nächsten Ort zu gelangen. Es ist nicht so dicht besiedelt wie Amerika. Vielleicht klingen wir deshalb so, wie wir klingen. Wir werden nicht von anderen Bands beeinflusst. Wir leben ja nicht in L.A. (lacht).
- Redakteur:
- Colin Büttner