Vortrag: Norwegischer Black Metal und die Kultur, die ihn hervorgebracht hat, New York

06.05.2010 | 16:06

Ein manchmal unfreiwillig komisches Vortrag-mit-Live-Interviews Format im skandinavischen Haus in New York.

Ich muss, glaube ich, im Vorfeld erwähnen, dass ich keinen Black Metal höre. Ich laufe zwar nicht gerade schreiend davon, wenn ich auf einem Festival zufällig über eine Schwarzwurzelkapelle stolpere, aber ich interessiere mich einfach nicht für diese metallische Schublade. Nicht musikalisch, und schon gar nicht ideologisch. Meine Teilnahme an dieser unter dem Titel "A Blaze In The Northern Sky - norwegischer Black Metal und die Kultur, die ihn hervorgebracht hat" für den 29. April 2010 angesetzten Veranstaltung im "Scandinavia House" in New York ist eher beruflicher Natur, kombiniert mit ein klein wenig Neugierde. Ich arbeite selbst in der Kulturabteilung des hiesigen deutschen Generalkonsulats und bekomme daher ständig hautnah mit, wie sich die deutsche "Kultur", sei es durch uns oder Institutionen wie dem Goethe-Institut, im Ausland präsentiert. Ein zugleich spannendes und kontroverses Thema wie Black Metal war bisher nicht darunter. Grund genug herauszufinden, was meine nordischen Kollegen dazu zu sagen zu haben.

Das "Scandinavia House" ist so etwas wie das Goethe-Institut der skandinavischen Länder. Unten gibt es ein Restaurant und oben einen Multifunktionsraum, der maximal 130 Menschen fasst. Heute ist er fast bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt, so groß ist das Interesse des überwiegend jungen Publikums an diesem Event. Ein Blick durch die Reihen lässt vermuten, dass die meisten Anwesenden aus der Metal-Szene stammen und unabhängig von der persönlichen musikalischen Präferenz in etwa wissen, worum es an diesem Abend geht. Das ist auch Grundvoraussetzung, denn die Moderatorin Patrizia "Miss Pee" Mazzuoccolo ist zwar charmant und engagiert, muss rhetorisch allerdings noch ein wenig üben. "Black Metal für Anfänger" geht jedenfalls anders, zu viele Stichworte fliegen dafür ohne nähere Erläuterung durch den Raum. Die zierliche Italienerin arbeitet seit über zehn Jahren als Journalistin für namhafte Metal-Magzine, hat vierzehn Jahre in London und sechs Jahre in Oslo gelebt, ihren Wohnsitz inzwischen in den Big Apple verlegt und schreibt hier an einem Buch über norwegischen Metal. Ich fühle mich ein wenig als Versuchskaninchen, kann ihr aber keinesfalls fehlende Kompetenz unterstellen, auch wenn nicht nur ihre Fingernägel, sondern auch ihre sprichwörtliche Brille manchmal etwas zu rosarot erscheinen.

Begleitet von technischen Aussetzern gibt sie zunächst einen kleinen Einblick in die Musik an sich, belegt durch ausgewählte Songs, welche für den Großteil der Anwesenden vermutlich verzichtbar gewesen wären. Wie Black Metal klingt wissen hier (fast) alle. Begründer der Szene kommen in der Person von Cronos (VENOM) und Thomas Gabriel Fischer (CELTIC FROST) per mp3-Schnipsel zu Wort, ein Zitat von Varg Vikernes (BURZUM) fungiert als per Beamer an die Wand projizierter Bildschirmschoner. Der Versuch, die Relevanz von Black Metal aus der Schweiz im norwegischen Kontext zu rechtfertigen, wirkt allerdings bemüht. Die Schweiz sei halt ähnlich dunkel und kalt wie das rund 1500 Luftlinie nördlich gelegene Norwegen. Alles klar...

In ihrem Element ist Patrizia, wenn sie per Skype Kontakt mit vier Szenegrößen aufnimmt. Erstes Opfer ihrer sehr locker geführten und erstaunlich frei formulierten Live-Interviews ist Harald Fossberg, ehemals Sänger von TURBONEGRO und inzwischen Feuilleton-Schreiberling der Tageszeitung "Aftenposten". Dass sie versehentlich zunächst Håvard "Mortiis" Ellefsen anbimmelt, ist nur eine weitere von vielen kleinen Pannen, die vermuten lassen, dass dieses Format heute seine Premiere erlebt. Das Gespräch zwischen Fossberg und Mazzuoccolo hat einen kleinen "wir Musikjournalisten unter uns"-Touch. Man kennt und schätzt sich, fachsimpelt über das neue BURZUM-Album genauso wie alte Zeiten und stimmt darin über ein, dass die Skandale der 90er Norwegen immerhin für noch etwas anderes bekannt gemacht habe als seine großen Ölvorkommen.

Zweiter Interviewpartner ist Nocturno Culto von DARKTHRONE, der gerade unterwegs nach Deutschland ist und deshalb nur am Telefon zu hören und nicht per Webcam zu sehen ist. Man spricht über die Bedeutung der Band, Fenriz' beharrliche Weigerung, live aufzutreten, die Unterschiede in den Persönlichkeiten der Protagonisten und dergleichen. Nach jedem Interview ist ein Frage- und Antwortteil vorgesehen, der bereits bei Fossberg sehr gezwungen ausfiel. Eine Frage zu einer im Hintergrund sichtbaren CD sollte er beantworten. Von Nocturno Culto möchte ein Gast wissen, was die beiden DARKTHRONE-Mitglieder beruflich machen, woraufhin wir uns noch einen mp3-Schnipsel über Fenriz' gewöhnlichen, überraschend banalen Tagesablauf anhören dürfen.

Danach klingelt es endlich wieder bei Ex-EMPEROR-Bassist Håvard Ellefsen, der ohne seine MORTIIS-Maske richtig sympathisch wirkt. Inzwischen läuft die Veranstaltung bereits über eine Stunde, in der kaum über die mit der Black-Metal-Szene in Verbindung gebrachten Skandale gesprochen wurde. Vielleicht fängt die Moderatorin deswegen verzweifelt an zu stochern. Ob Ellefsen, der inzwischen in Schweden lebt, denn aus Norwegen geflohen sei, möchte sie wissen. Dieser lacht nur und meint, er hätte sich wohl kaum ein gerade mal 500 km entfernt liegendes Ziel ausgesucht, wenn er wirklich habe abhauen wollen. Die Liebe sei vielmehr Schuld. Er habe auch nie einen Kirchenbrand gesehen und offenbar auch nicht unter dem System in Norwegen gelitten, in dem gemäß der Schilderungen von Patrizia alle Menschen gleich sein sollen, fast wie im Sozialismus des früheren Ostblocks.

Bleibt also nur noch einer übrig für ein paar dunkle Enthüllungen. Ex-GORGOROTH-Sänger Gaahl wird von Mazzuoccolo nahezu marktschreierisch angekündigt. Mit ihm werde sie ganz offen über Themen wie Okkultismus, Homosexualität und Gewalt sprechen. Was sie auch versucht, allerdings ohne großen Erfolg. Ob er Satanist sei, möchte sie von Gaahl wissen, dessen Antworten derart in Zeitlupe kommen, dass man stellenweise meint, die Verbindung sei zusammen gebrochen. Nach seiner Definition ja, in den Augen der Szene vielleicht eher nicht, resümiert er vage. Wie er zu Gewalt stehe? Sie sei manchmal nötig, antwortet er eher ausweichend, aber er sei nicht grundsätzlich gewalttätig. Wie er als inzwischen offen lebender Homosexueller in einer derart homophoben Szene zurechtkäme? Er sehe die Szene nicht als besonders homophob an, wiegelt er ab. Ob die Tatsache, in einer Schulklasse unterrichtet worden zu sein, in der es noch genau einen weiteren Schüler gab, einen negativen Einfluss ihn hatte? Nein, das käme in Norwegen öfters vor und sei daher ganz normal, erstickt er jeglichen Ansatz von Küchenpsychologie im Keim. Am Ende versucht sie, den anfangs viel gepriesenen Gentleman in ihm hervorzulocken, doch selbst die Rotwein-Empfehlung für das fiktive Picknick im Park lässt er sich mühsam aus der Nase ziehen. Möglicherweise bekommt er deswegen den ausgiebigsten (und gleichzeitig unergiebigsten) Frage- und Antwortteil des Abends, in dem es u. a. um seine neu entdeckte Liebe für das Theater ("ich wurde halt gefragt") geht.

Zweieinhalb Stunden später (geplant war höchstens die Hälfte der Zeit) habe ich vor allem eins gelernt: Auch die Ikonen der norwegischen Szene sind zu norwegisch-nächtlicher Stunde am Skype-Telefon nur Menschen wie du und ich. Sie begeistern sich für Musik (Fossberg), gehen regulären Jobs nach, bei denen die Kollegen nicht unbedingt dumm kucken, nur weil man in einer Band spielt (Culto), reden im müden Zustand ein wenig wirr (Ellefsen) und grinsen seelig, wenn sie gefragt werden, ob sie frisch verliebt seien (Gaahl). Trotzdem würde ich so etwas ähnliches gerne mal in einer deutschen Kultur-Institution erleben. Themenvorschläge sind hiermit erbeten.

Redakteur:
Elke Huber
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