WINGER, KIP: Interview mit Kip Winger
02.07.2008 | 11:31Ein Interview mit KIP WINGER ist immer so eine Sache. Auf der einen Seite ist der Bassist und Sänger eine sehr sympathische Person, mit der man äußerst eloquent über Musik und das Leben im Allgemeinen philosophieren kann, neigt aber auf der anderen Seite auch bei allzu platten oder standardisierten Fragen zu einsilbigen Antworten. Trotzdem ist es für mich jederzeit eine Herausforderung, vor allem, da er mit dem aktuellen Soloalbum "From The Moon To The Sun" ein solch zeitloses Werk abgeliefert hat. In der heutigen Frage-/Antwortstunde zeigt sich Kip redselig und entspannt, so dass er auch bereitwillig zu einigen kritischen Zwischentönen Stellung bezogen hat.
Chris:
Mit deiner Hauptband WINGER steckst du musikalisch in einem viel engeren Korsett. Ist es daher fast schon eine Art Befreiung, wenn du deiner Kreativität bei deinen Soloalben absolut freien Lauf lassen kannst?
Kip:
Ja, absolut. Es ist jedoch immer eine große Herausforderung qualitative hochwertige Musik zu schreiben, gerade wenn es nur für ein einziges Instrument ist. Wenn ich für WINGER komponiere, geschieht das immer nach einem bestimmten Muster, denn Reb und ich kommen mit den meisten musikalischen Ideen an und anschließend mache ich die Texte fertig. Auf meinen Soloalben arbeite ich dagegen mit vielen verschiedenen Musikern zusammen und kann so beim Songwriting oder mit Aufnahmetechniken mehr experimentieren.
Chris:
Im Vorfeld des neuen Albums sind immer wieder Vergleiche mit Künstlern wie STING, PETER GABRIEL oder DAVID BOWIE gefallen. Hast du diese Namen ins Spiel gebracht?
Kip:
Ich liebe alle diese drei Künstler und habe sie als Kind wirklich verehrt. Ich muss aber gestehen, dass ich heute grundsätzlich nicht mehr viel Musik höre - außer vielleicht Orchestermusik. Das ist mein höchstes Ziel. Ich mag gute Pop/Rock-Songs und denke, es gibt momentan einige sehr gute Leute da draußen, aber ich arbeite normalerweise lieber zu Hause an meiner eigenen Musik.
Chris:
Das ist ja ganz nett, aber die erwähnten Musiker sind ja nicht gerade irgendwer. Da herrscht ja auch ein immenser Erwartungsdruck. Magst du es denn überhaupt, wenn man dich mit anderen Künstlern vergleicht?
Kip:
Da befinde ich mich doch in absolut guter Gesellschaft. Ich schätze diese Vergleiche sehr. Der größte Unterschied jedoch ist, ich bin kein Engländer. Ich habe letztendlich englische und europäische Musik durch meine amerikanischen Erfahrungen gefiltert.
Chris:
Nun gut, kommen wir doch mal zu deinem aktuellen Werk. Warum hat eigentlich Reb Beach nicht auf deinem Album mitgespielt?
Kip:
Meine Soloalben sind 180 Meilen weit weg von den Sachen, die ich mit WINGER mache. Und das mit Absicht. Meine Solowerke sind einzig und allein eine künstlerische Aussage meiner tiefen Hingabe zur Musik.
Chris:
Letztendlich hat ja auch Andy Timmons ein paar großartige Soli beigesteuert. Wie kam es denn zu dieser Zusammenarbeit?
Kip:
Andy hat bisher auf all meinen Soloalben gespielt. Er ist einfach ein unglaublicher Musiker. Ich liebe sein Gitarrenspiel, das sich wiederum sehr von Rebs Spiel unterscheidet. Das hilft ungemein, meine Alleingänge von WINGER musikalisch abzugrenzen.
Chris:
Mein absoluter Lieblingssong ist 'Nothing'. Vielleicht auch, weil da mal die Gitarren so richtig laut sind und es am meisten nach WINGER klingt. War das beabsichtigt?
Kip:
Ich tue einfach nur das, was ich für den jeweiligen Song für richtig halte. 'Nothing' hat einfach einen kräftigeren Sound gebraucht. Das ist einer der ersten Songs, die Cenk und ich geschrieben haben. Es hat jedoch einige Zeit gedauert, bis wir genau wussten, was wir wollten.
Chris:
'In Your Eyes Another Life' ist eine wunderschöne Ballade über das Leben nach dem Tod geworden. Bist du Buddhist?
Kip:
Ich glaube, dass alle Religionen irgendwie ein Körnchen Wahrheit beinhalten. Ich glaube aber genauso, dass Religion sehr gefährlich sein kann, und ich glaube definitiv an ein Leben nach dem Tod.
Chris:
Auf der europäischen Pressung von "From The Moon To The Sun" befindet sich eine neu bearbeitete Version von 'Monster', die das Original von "This Conversation Seems Like A Dream" mehr als in den Schatten stellt. Fantastisch. Wie kamst du auf diese Idee?
Kip:
Ich habe Cenk einfach die Originalspuren gegeben und er hat sie neu gemischt und bearbeitet. Das ist allein sein Verdienst. Als ich das Endresultat dann gehört habe, hat es mich einfach umgehauen. Die Version musste auf das Album.
Chris:
Ein weiteres sehr interessantes und eher untypisches Stück ist 'Ghosts'. Was steckt dahinter?
Kip:
'Ghosts' ist nur der erste Teil eines dreiteiligen Stücks, das ich für ein Ballett geschrieben habe. Dieser erste Teil wurde in Austin, Texas, aufgenommen. Wenn du meinen musikalischen Werdegang verfolgst, wirst du feststellen, dass ich immer meine Wurzeln in der klassischen Musik hatte, gar nicht so weit weg von den Streicherquartetten aus Ungarn. Davon wirst du in Zukunft noch viel mehr hören.
Chris:
Ist die Arbeitsweise mit klassischen Musikern sehr unterschiedlich zum Arbeiten mit Rockmusikern?
Kip:
Ja, klassische Musiker sind in ihrer Arbeitsweise komplett anders ausgerichtet. Sie haben ihre Wurzeln in der Klassik. Die meisten Rockmusiker wissen nichts von der Musik vor den Sechzigern.
Chris:
Wo wir vorhin noch bei den Vergleichen waren: Der Song 'Pages And Pages' erinnert stark an PETER GABRIEL. War dir das bewusst und vielleicht gar beabsichtigt?
Kip:
Eigentlich haben wir beim Komponieren nicht an PETER GABRIEL gedacht, aber wenn du Ähnlichkeiten hörst, dann fasse ich das als Kompliment auf. Danke schön. Ich bin wirklich stolz auf 'Pages And Pages', denn es drückt ein tiefes Gefühl von Melancholie aus.
Chris:
Ansonsten findet man auf dem Album überwiegend ruhige Songs, vor allem im Mittelteil. Hattest du keine härteren Songs mehr, oder war das genau so beabsichtigt?
Kip:
Ja, das ist genau das, was ich wollte. Es ist wirklich ein Album, dass du in Ruhe hören musst. Es ist definitiv keine "easy listening music".
Chris:
Alles schön und gut, aber dadurch brichst du natürlich mit allen kommerziellen Regeln ...
Kip:
Das hängt davon ab, wie du es hörst. Wenn du nur einen Song hörst, zum Beispiel 'Nothing' oder 'Where Will You Go', dann ist das schon ziemlich kommerziell und könnte im Radio laufen. Hörst du aber das komplette Album, ist es letztendlich wohl nicht als kommerziell zu bezeichnen. Ich mache künstlerische Aussagen. Ich finde, die Leute verschwenden zu viel Zeit damit, nur wegen Geld erfolgreich zu werden und opfern dafür die Qualität ihrer Musik. Oder sie beschneiden sich in ihrer Kunst und können am Ende nicht mehr 100% dahinter stehen. Als ich vor Jahren mein erstes Soloalbum gemacht habe, entschied ich für mich, dass ich musikalisch soweit gehen würde, wie ich es für notwendig erachte, um die Musik so klingen lassen zu können wie ich sie höre, und mich nicht um den so genannten "Erfolg" zu kümmern. Ich will Musik schreiben, die jeden Test der Zeit besteht.
Chris:
Ich denke, das ist dir gelungen. Du hast viele Aufnahmen in Istanbul mit deinem "partner in crime" Cenk Eroglu gemacht und eine Menge arabische Elemente mit in deine Musik eingebaut. War das deine oder Cenks Idee?
Kip:
Eigentlich habe ich mit diesen arabischen Elementen schon auf "Songs From The Ocean Floor" begonnen, wie beispielsweise 'Free' oder 'Song Of Midnight'. Sie wurden geschrieben, nachdem ich nach Ägypten gegangen bin.
Chris:
Wenn ich sagen würde, dass "From The Moon To The Sun" kein richtiges Partyalbum, sondern eher ein nachdenkliches, ruhiges und sehr erwachsenes Werk geworden ist, würdest du mir zustimmen?
Kip:
Ja, damit bin ich vollkommen einverstanden und danke dir dafür, dass du es wahrgenommen hast. In diesem Album steckt ein spirituelles Element. Kein wirklich beabsichtigtes, aber wenn es jemand im richtigen Umfeld hört, kann es seine Seele erreichen.
Chris:
Dein Album ist als "voice-over"-Promo an die Presse verschickt worden. Warst du an dieser Entscheidung beteiligt?
Kip:
Ja, wir hofften einfach, dass das Album nicht zu schnell im Internet auftauchen würde.
Chris:
Auf "youtube" findet man einige selbstproduzierte Videos zu diesem Album oder auch zu WINGER, die euch bei der Arbeit im Studio zeigen. Gehört das zu deinem Marketingplan?
Kip:
Es gibt so viele kreative Möglichkeiten, sich auszudrücken und die Musik zu verbreiten. Ich habe die meisten Videos davon selbst produziert.
Chris:
Gibt es eigentlich eine bestimmte Aussage über dich, die du noch nie gehört hast, aber gerne mal hören möchtest?
Kip:
(Lacht) Ich habe irgendwie schon alles gelesen. Es wurde geschrieben, dass ich großartig bin, oder auch absoluter Müll. "That is that nature of the beast". Entscheidend für mich ist, dass ich ein guter Musiker bin. Am Ende geht es doch immer nur um die Musik.
Chris:
Gibt es irgendwelche Pläne für eine Solotour?
Kip:
Ja, ich werde im November für ein paar Akustikshows nach Europa kommen.
Chris:
Zum Schluss muss ich natürlich noch einmal auf WINGER zu sprechen kommen. Gibt es hier schon irgendwelche Pläne für eine neue Scheibe?
Kip:
Bisher gibt es keine Pläne, aber ich habe schon einige Ideen gesammelt.
Chris:
So, Kip. Vielen Dank für das nette Interview. Jetzt hast du noch die Gelegenheit, ein paar abschließende Worte an deine deutschen Fans zu richten ...
Kip:
Thank you for all the support!
- Redakteur:
- Chris Staubach