WRAITHCULT: Exklusive Listening-Session zum neuen Album "Gestalt"

23.02.2012 | 07:13

Die Nachricht wog schwer: HELFAHRT lösen sich auf! Doch alle Musiker der Band sind mittlerweile wieder musikalisch aktiv. WRAITHCULT heißt das Projekt der Ludwig-Zwillinge (THULCANDRA, NEBELMYTHEN), sowie Andreas (Drums) und Markus (Gitarre). Wir durften exklusiv in "Gestalt" hören.

Es war das Ende einer kleinen, zumindest lokalen, Legende: Als HELFAHRT ihre Auflösung im Jahr 2010 bekannt gaben, sorgte die Nachricht dennoch nicht nur in und um München für traurige Überraschung, denn die Jungs um Sänger Max Marquart haben sich auch in Gesamt-Deutschland einen Namen erspielt. Umso freudiger wurde dann die Nachricht aufgenommen, dass zumindest alle Musiker mit weiteren Projekten der Musikwelt erhalten bleiben.

Der ehemalige Sänger Max gründete eine Stoner-Metal-Band, SOLEIL GRIS, der Rest der Truppe gründete die Band WRAITHCULT und begab sich kurz darauf in die Woodshed Studios von DARK-FORTRESS-Gitarrist V. Santura, um dort das Debutalbum "Gestalt" aufzunehmen. Die Zusammenarbeit dieser Kreativköpfe hat auch auf dem letzten HELFAHRT-Album "Drifa" phänomenal funktioniert. Doch genug der Worte, mitten hinein in das bayerische Black-Metal-Album "Gestalt".


Mit einem Highspeed "Intro" beginnt der Opener des Albums, 'Cold Moon'. Der gesamte Song hat diese "Wir sind zurück"-Attitüde und Sänger-Gitarrist Sebastian Ludwig bestätigt das. Die erste Überraschung ist die Verwendung einer tragenden Lead-Gitarre, die sich über einen groovenden Mid-Tempo-Teil erhebt – eine Neuerung im Hause Ex-HELFAHRT, jetzt WRAITHCULT. Und ein Statement, denn es geht bei dieser Band keineswegs darum, "HELFAHRT mit neuem Sänger" zu etablieren, vielmehr wollen die Jungs ihr neuestes Kind als etwas eigenständiges verstanden wissen. Dass die Vergangenheit dabei dennoch immer wieder einmal aufblitzt, ist keineswegs ungewollt, denn man merkt, dass die Musiker stolz sind auf das, was sie in den letzten Jahren geschaffen haben.

Mit dem zweiten Song 'The Emptiness' treten WRAITHCULT nicht weniger als einen donnernden Felsabgang im kalten Frost einer Januarnacht los. Das ist böse, das ist klirrend-kalt, das ist groovender Black Metal. Zum ersten Mal kommt auch die Vielseitigkeit des Sängerdebütanten Sebastian voll zur Geltung: Er singt ungewöhnlich für Black Metal, nimmt in seinen harschen Gesang schwingende Töne mit hinein und klingt damit verdammt oldschool – und ein bisschen nach VENOM. Cool! Der Song stellt eine Betrachtung des Lebens dar, will den Schmerz durch Sinnlosigkeit vertonen – und das funktioniert.


"Wir wollen den Finger in die Wunden der Gesellschaft legen, wir wollen die Disfunktionalität wiedergeben, wir sind deutlich negativer als HELFAHRT geworden und wir versprechen keine Hoffnung". Diese Worte des Bandleaders sind hart und spiegeln dennoch nahezu perfekt die Vision und die Kunst der Band wieder. 'Staggering Vision' verbreitet eine, durch aufgelöste Akkorde getragene, depressive Atmosphäre, die etwaige aufkommene Hoffnung durch gnadenlose Blast-Beats im Keim erstickt. Das Riff am Anfang des Songs deutet daraufhin, dass das Grundgerüst der Nummer drei auf dem Album schon zu HELFAHRT-Zeiten entstanden sind. Mit dem 'Electronic Voice Phenomenon' hat es auch ein Zwischenspiel auf das Album geschafft, das einerseits zum Durchatmen einlädt, andererseits aber eine wabernde, ungemütliche Spannung erzeugt.

Die durch 'Nine Wounds' rhythmisch herausfordernd und etwas verschachtelt aufgenommen wird. Auch dieser Song ist ein Beispiel für das HELFAHRT-Erbe, scheinen Teile des Songs doch in dieser Zeit verpflanzt, dann aufgezogen, geerntet, gut abgehangen und schließlich im Jahr 2011 raffiniert worden zu sein. Bevor wir cleane Gitarren hören – übrigens alles E-Gitarren auf dem Album – darf auch ein Mittelteil mit Solo nicht fehlen. Des Ergebnis klingt nach einer groovend rockigen Variante von SECRETS OF THE MOON, oder anders: verdammt stark. An den treibenden Rhythmen merkt man, dass es der Band wichtig ist, Songs zu schreiben, die auch live funktionieren.


'Serpent Sacrifice' entlädt ein episches Riffgewitter in beser SATYRICON-Tradition, wozu sich eine sehr eigenwillige Rhythmik gesellt, die den Hörer seltsam stößt, antreibt. Sebastian teilt dieses Gefühl und unterstreicht das versierte Spiel des Drummers Andreas: "Er hat viel Gefühl im Drumming, ergänzt immer wieder kleine Verzierungen, fällt dabei aber nie aus dem Kontext." Der schleppende Gesang kontrastiert die Schnelligkeit des Songs und verbeugt sich tief vor Tom Gabriel und seinem Schaffen mit CELTIC FROST und gegenwärtig TRYPTIKON. Eine massive, aggressive Abrechnung mit den falschen Propheten dieser Welt stellt 'Prophet Deceiver' dar. Neben einem aus 'Drifa & Snior' bekannten Bass-Break, das sofort jede Menge Wiedererkennungswert freisetzt, fällt neben dem einprägsamen Refrain das versierte, wenn auch fast minimalistische Solo auf. Dieses wurde von Steffen Kummerer eingespielt, der Mitmusiker der Ludwig-Brüder bei THULCANDRA und Mastermind der Technik-Deather OBSCURA.

Der siebte Song stellt einen Höhepunkt auf dem Album dar und vereint all die Qualitäten der Band. Der Titeltrack des Albums wird durch die besondere Bass-Arbeit von Tobias dominiert: "Es ging darum, den Bass als Instrument wahrzunehmen und ihn nicht nur mitlaufen zu lassen", erklärt Tobias. Der Song klingt dadurch ultra-aggressiv, der Bass sägt fast als dritte Gitarre, und dennoch oder gerade deshalb wird hier nicht skandinavischer, sondern sehr eigener Black Metal geboten. Durch die Kombination mit cleanen Gitarren erhält der Song eine zusätzliche Dimension, die die harte Aggression durch tränenreiche Melancholie hervorhebt.


Den Abschluss des Albums bildet 'Miasma Of A Thousand Truths'. Hinter dem sperrigen Songtitel versteckt sich ein energiegeladener, eruptiver Song voller schwarzer Black-Metal-Epik. Den Schluss stellen hyperventilierende Gitarren mit einer extrem hohen Verzerrung dar, fast wie der Schrei dieser lichtlosen Engels-"Gestalt", die das Album beschreibt. Den Bayern ist mit diesem Debütalbum eine sehr eigenständige, groovende Interpretation des oldschool Black Metals gelungen. Das pagane von HELFAHRT wurde zugunsten einer bitterbösen Hoffnungslosigkeit aufgegeben, nicht ohne das damals schon vorhandene Dunkle mit in diese neue Zeit hinüberzuretten. Die Entwicklung zu einer abgeklärten Ernsthaftigkeit, die mit HELFAHRT begonnen hat, findet in WRAITHCULT und "Gestalt" eine neue Ebene. Das Dunkle, das Mystische, das Geheimnisvolle tritt nun deutlich zu Tage und lädt durch seine zwingende Propaganda dazu ein, sich dem bösen Geist voll und ganz hinzugeben.

Auf der Homepage der Band kann man sich die Songs 'Cold Moon' und 'Prophet Deceiver' anhören.

Redakteur:
Julian Rohrer

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