WUMPSCUT: Interview mit Rudi Ratzinger
01.01.1970 | 01:00Am 15.03.2004 ist es endlich soweit: Der Elektro/Industrial-Samplekönig
Rudy Ratzinger öffnet mit "Bone Peeler" wieder die Pforten zu den
Abgründen der menschlichen Seele. Das neue :WUMPSCUT:-Opus ist deutlich ruhiger ausgefallen als seine Vorgänger, was aber keinem Fan des Projekts die Schweißperlen auf die Stirn treiben muss. Vielmehr entfaltet die Scheibe eine gedrückte, unterschwellig extrem aggressive Atmosphäre, die selbst für :WUMPSCUT:-Verhältnisse eine ungeheure Wucht und Durchschlagskraft entwickelt. Die Entstehung eines solchen Werks ist immer einen Einblick wert, vor allem, wenn einem ein solch polarisierendes und interessantes Gegenüber zu Verfügung steht wie eben jener Rudy Ratzinger.
Alex Straka:
"Bone Peeler", die neue, am 15.03.2004 unter deinem "Beton Kopf Media"-Label erscheinende, :WUMPSCUT: ist wieder einmal eine äußerst düstere musikalische Reise geworden.
Rudi Ratzinger:
Besten Dank...
Alex Straka:
Der grimmige Unterton, der deinen Veröffentlichungen immer anhaftet, steht sehr weit im Vordergrund. Das ganze Album umgibt eine ziemlich bedrohliche Atmosphäre.
Rudi Ratzinger:
Genau, so ist das wohl.
Alex Straka:
Wenn ich mir "Bone Peeler" anhöre, interessiert mich, wie du an deine Musik herangehst. Hast du zuerst eine Melodie oder bestimmtes Hook im Kopf, und fügst dann die kreierten Samples ein?
Rudi Ratzinger:
Ganz unterschiedlich: Ich warte, bis es draußen kühl und dunkel wird (also am besten nicht im Hochsommer), schmeiß dann den letzten Sofa-Sitzer gegen Mitternacht aus der Bude (oder auch nicht ...), setz mich an die Maschinen, nehm mir einen Sample/einen Synth vor, und los geht's. Sehr schnell hab ich dann vergessen, an was ich arbeite, so gegen Vier hör ich dann keine Fehler mehr und fertig ist die Laube. Zumindest für diesen einen Tag ist das so, dies heißt nicht, dass ich nur vier Stunden an einem :WUMPSCUT:-Track sitze - auch, wenn in diesem Zeitraum schon Grundgerüste für sehr bekannte :WUMPSCUT:-Teile entstanden sind.
Alex Straka:
Du samplest zum Beispiel bei 'Our Fatal Longing' den alten
Fritz-Haarmann-Kinderreim in etwas abgewandelter Form. Gerade hier kreierst du eine ziemlich morbide Atmosphäre, die wohl typisch für Rudy Ratzinger ist.
Rudi Ratzinger:
Ja, ist sie wohl. Der Sample stammt aus "M. Eine Stadt sucht einen Mörder" - Das musst du aber bitte ganz, ganz klein schreiben, denn ich hab nicht beim Mörder angerufen, um mir die Stimme clearen zu lassen... Ist sicher begeistert, was meinst du... Es war eine ziemliche Pfriemelei, die einzelnen Silben zu setzen, es hat sich aber vollends gelohnt, denk ich. Die gesamte :WUMPSCUT:-Familie musste beim ersten Durchhören lachen - Es rechnet einfach keiner mit diesem Wechselbad, deshalb ist die Sache letztendlich auch so amüsant, oder wie unser "großartiger" DSDS-Alex sagen würde: gänsehautreibend.
Alex Straka:
Auch auf "Bone Peeler" bekommt der geneigte Fan wieder eine Frauenstimme zu hören. Bei 'Your Last Salute' untermalt eine gewisse Clara S. die fast schon apokalyptische Endzeit-Atmosphäre des Songs. Kannst du ein wenig über deinen Neuzugang erzählen?
Rudi Ratzinger:
Clara stieß im Frühling 2001 zur Familie, ursprünglich ein
:WUMPSCUT:-Fan, war dann nach einem halben Jahr Frau :WUMPSCUT:, ist es immer noch und es bot sich aufgrund ihrer katalanischen Herkunft an, ihre Stimme zu integrieren - vor allem aufgrund des Umstandes, dass es viele verschiedene Versionen gibt, die sehr gut dafür passend sind (den ruhigen Album-Mix als "Bone Peeler"-Abschluss, den DATOM-Remix in Zusammenarbeit mit CEREBRAL APOPLEXY, der ebenfalls auch auf dem DJ Dwarf Four erscheint, den AIR FORGE-Remix, den LAITTOG-Remix, den DAS ICH-Remix und den NAKED BEAT-Remix).
Alex Straka:
Auf "Bone Peeler" bleibt politisch provokante Lyrik aus. Hast du von vornherein ein Album beabsichtigt, das die Zuhörer nicht mit "politischer Unkorrektheit" konfrontiert? In der Vergangenheit bist du ja ein paar mal gehörig angeeckt.
Zum einen könntest du kurz zum Remix von DER BLUTHARSCH Stellung beziehen ...
Rudi Ratzinger:
Schlicht und einfach hervorragend ...
Alex Straka:
... und uns in einem Aufwasch über die Reaktionen auf "Preferential Tribe" aufklären.
Rudi Ratzinger:
Es gab nur zwei, denk ich: erstens die moralisch einwandfreie Institution "Sonic-Seducer-Redaktion" und zweitens die "Grufties gegen rechts" - Alle anderen hab ich sehr positiv formuliert und auf meine Schulter klopfend in der Mailbox gefunden. Ich hätte DER BLUTHARSCH gerne wieder dabeigehabt, aber zu dem Zeitpunkt, als mir das in den Sinn gekommen ist, war es dann schon zu spät: Ich hab mit Albin Julius im Alltag nichts zu tun, und es gab sehr viele andere, die sich als Remixer anboten. Das ist dann schon alles, kein schlechtes Gewissen, aber auch kein bewusstes Gieren nach Skandal. So brav bin ich - fast ein Schaf auf der Weide. Nein, ein Schäfchen. Nein, ein Schäfelchen. Nein, ein Schäfelschäfelchenchen.
Genau. Ich bin mir sicher, dass der eine oder andere Klugscheißer und weltverbessernde Ex-Gymnasiast sich an einer Rise-Again-Interpretation von HAUS ARAFNA reiben wird/reiben kann - Ist doch sicher auch was ganz Verwerfliches, hab ich Recht? Weiß nicht so genau (und ist mir auch völlig wurscht), denn der Remix ist ham-mer-art-ig, das kann ich dir sagen. Mrs. Arafna (im Übrigen eine ganz spezielle Freundin von mir) hat mir verraten, dass sie normalerweise ja nichts remixen, Mr. Arafna war aber der Meinung, ihm würde doch einiges zu den übersandten Samples einfallen. Gesagt, getan - Ihre Version halte ich persönlich auch für eine der gelungensten auf dem sogenannten Bonus "Disciple" (der zweiten CD, die als Dankeschön für die Fans über die Erstauflage von "Bone Peeler" praktisch gratis mit dazukommt).
Alex Straka:
Was ich wirklich sehr gelungen finde, ist die Symbiose aus deiner düsteren und bedrohlichen Musik und dem genialen Artwork von Scott Graig (http://www.cancerbox.com). Das Booklet fängt die :WUMPSCUT:-Atmosphäre perfekt ein und komplettiert sie visuell sehr schmutzig und anatomisch geprägt. Wie kam der Kontakt zu Scott Graig zustande?
Rudi Ratzinger:
Im Gegensatz zu "Embryodead" lag auch dieses mal kein roter Faden zugrunde - Ich hab nun einfach für die Idee eines Knochenschälers dick was übrig, und somit ist eher die Grafik Bezug herstellend zum Album-Titel. Scott Craig hat vor zwei Jahren die letzte F/A/V (genannt "Freude am Verzweifeln") gestaltet, und nachdem er auch gerne für :WUMPSCUT: etwas gebastelt hätte, wurde er für "Bone Peeler" engagiert. Er arbeitet in den USA in einer Klinik und hat daher anscheinend die Möglichkeit, in der Pathologie mit dem Präparator seine Frühstücksbrötchen neben den kürzlich Verstorbenen zu belegen. Schönes Privileg, hätt' ich auch gerne...
Alex Straka:
Songs wie zum Beispiel 'The March Of The Dead' sind sehr kriegerisch und wütend und würden sich gut auf einem Soundtrack diverser Horrorstreifen machen.
Rudi Ratzinger:
Jetzt lob mich doch nicht soviel ...
Alex Straka:
Hast du schon mal darüber nachgedacht, in Zukunft was in dieser Richtung zu machen?
Rudi Ratzinger:
Nein, dafür ist auch in Zukunft sicherlich keine Zeit.
:WUMPSCUT: fordert sehr viel Zeit, denn hier wird so gut wie alles von mir persönlich gemacht.
Alex Straka:
Die Person Rudy Ratzinger ist in den Medien eher als Mensch bekannt, der provokant ist, der kein Blatt vor den Mund nimmt und mit bestimmten Äußerungen gerne Diskussionsstoff und Entrüstungsstürme entfacht. Wie weit ist dieser Rudy Ratzinger von dem außerhalb des Musikgeschäfts entfernt?
Rudi Ratzinger:
Wenn ich im Rahmen eines Artikels über :WUMPSCUT: ein Podium geboten bekomme, bin ich gerne bereit, zu provozieren (wenn's denn meiner Meinung nach sein muss), zu diskutieren, zu ironisieren etc. Ein :WUMPSCUT:-Interview ist ähnlich einer :WUMPSCUT:-CD. Daran kommt keiner vorbei. Weichspüler-Aussagen mit null Prozent praktischem Nährwert gibt's genug da draußen.
Alex Straka:
Würdest du uns einen kleinen Einblick in den privaten Rudy Ratzinger geben?
Rudi Ratzinger:
Ich reiße toten Ratten NICHT den Kopf ab, um sie dann anschliessend genüsslich auszusaufen.
Alex Straka:
Würdest du bitte die neue :WUMPSCUT: in deinen eigenen Worten beschreiben und was du mit dem Album ausdrücken möchtest.
Rudi Ratzinger:
Hinhören - Das findet jeder für sich anders raus...
Alex Straka:
Ich habe als Mitarbeiter des Online-Mags Powermetal.de deinen Output rezensiert. Als Metalfan ist mir aufgefallen, dass du in musikalischer Hinsicht gar nicht so weit von Metalacts wie zum Beispiel SAMAEL entfernt bist, wobei sich deine Musik natürlich auf einer viel elektronischeren Ebene abspielt.
Rudi Ratzinger:
Davon hab' ich überhaupt keine Ahnung - wahrlich und wahrhaftig.
Alex Straka:
Was hört die Privatperson Rudy Ratzinger?
Rudi Ratzinger:
Nur Musik mit Seele.
Alex Straka:
Kommen in deiner Sammlung auch Metal-CDs vor?
Rudi Ratzinger:
Ja, allerdings nur die Klassiker aus meiner Jugend (JUDAS PRIEST, DEMON, IRON MAIDEN, SAXON, DIO etc.) - Enttäuscht? Hoffentlich nicht ZU sehr...
Alex Straka:
Man kennt dich als Menschen, der zu aktuellen Strömungen eine Meinung hat und diese auch immer unverblümt äußert. Was gibt es momentan für Themen, die dich als mündigen Menschen herausfordern und aufwühlen?
Rudi Ratzinger:
Einwegpfand (Ich hoffe, dass sich bald ein Attentäter erbarmt und unseren großartigen Umwelt-Minister Jürgen Trittin bei der Vorlage seiner nächsten "Erfolgsstatistik" erschiesst - So einen unpraktischen und sinnentleerten Scheißdreck hab ich schon lange nicht mehr erlebt); Steuerreform (für jeden immerhin 12 Mack 80 mehr in der Kasse); Saddam(der Mann heißt meines Wissens Hussein mit Nachnamen - Eine ekelhafte Nachbarin nenn ich ja auch nicht beim Vornamen); Toll Collect (War nix mit toll collecten, wenn auch schon im Haushalt seit Anfang September fest mit eingeplant. Ich hoffe, dass sich bald ein Attentäter erbarmt...); Stößchen (Komm mir nur her, ich zeig dir schon, wie elegant man einen vom Sektglas abstehenden, kleinen Finger brechen kann) und Foto-Handy (statt diesen Bröselbildern wär mir eines lieber, das nackt auf dem Tisch drei Bälle jonglieren kann). Du siehst: Alles in Butter im Hause :WUMSCUT:, kann nicht mehr lange dauern, bis mich einer wegputzt, weil ich so unerträglich bin. Hab halt keine anderen Probleme - wirklich nicht. Hach ...
Alex Straka:
Der Erstauflage vor "Bone Peeler" liegt die Bonus-CD "Disciple" bei, die randvoll gepackt ist mit Remixen der neuen Songs. Dabei geben sich Szenegrößen wie SUICIDE COMMANDO, AIR FORGE oder DAS ICH die Klinke in die Hand.
Rudi Ratzinger:
Bei AIR FORGE irrst du - Das kennt noch keiner...
Alex Straka:
Wann kam dir die Idee zu diesem Bonus und wie schafft man es, all diese Künstler zu diesen Remixen zu bewegen?
Rudi Ratzinger:
Ich denke, es ist an der Zeit, ein Zeichen zu setzen: Auf "Bone Peeler" findest du keinen (buchstabiert: k,e,i,n,e,n) Durchhänger, dazu noch den Bonus "Disciple" (auch hier nur Hochkaräter) - Der Wert von Musik leidet (unter anderem) durch Kopieren und illegale Downloads doch sehr, es wird Zeit, dem gierenden Volk klarzumachen, was man für 15 Euro ganz legal alles bekommen kann.
Alex Straka:
Teilweise erreichen die Tracks auf "Bone Peeler" eine Atmosphäre, die mich an Acts wie DEPECHE MODE erinnern. Als Beispiel nenne ich mal 'In The Peace Of Night'.
Was sind deine musikalischen Wurzeln und welche Acts haben dich zu deinem beeindruckenden Werdegang bewegt?
Rudi Ratzinger:
Elektronische Musik aller Art, aber auch andere Stilrichtungen (vorrangig auch oben genannte Metal-Heroen).
Alex Straka:
Zu guter Letzt möchte ich die bereits in der Einleitung erwähnte Ruhe des neuen Albums ansprechen. Ich finde, dass die Scheibe gerade durch diese "leise" und "unterschwellige" Energie viel mehr Tiefenwirkung erhält als frühere Werke, die an allen Ecken und Enden geknallt haben. Siehst du das ähnlich oder unterscheidet sich deine Meinung grundlegend von meiner Behauptung?
Rudi Ratzinger:
Wie schon so oft gesagt, ich denke so gut wie gar nicht über :WUMPSCUT: nach - :WUMPSCUT: passiert einfach!
Alex Straka:
Rudy, vielen Dank für den Einblick in Privatleben und musikalisches Schaffen einer Szene-Ikone.
Rudi Ratzinger:
Klingt für meine bescheidenen Ansichten viel zu hochtrabend, auch dann, wenn man's doch (ungläubig) immer wieder gerne hört - Keine Ursache!
- Redakteur:
- Alex Straka