Zum Tod von CHESTER BENNINGTON: Ein Nachruf
23.07.2017 | 17:12Die Schreckensnachrichten für die Metalszene wollen im Jahr 2017 aber auch einfach kein Ende nehmen. Vor gerade einmal zwei Monaten betrauerten wir an dieser Stelle den Freitod von Chris Cornell (SOUNDGARDEN), vor nicht einmal einer Woche kam David Zablidowsky (ADRENALINE MOB) bei einem fürchterlichen Autounfall ums Leben und nun erreicht uns mit der Nachricht vom Suizid Chester Benningtons die nächste Hiobsbotschaft. Gerade einmal 41 Jahre wurde der Sänger von LINKIN PARK, der zwischenzeitlich auch bei den STONE TEMPLE PILOTS aktiv war, alt, bevor seine Depressionen auch ihn am 20. Juli 2017 in den Freitod trieben. Die Wahl des Datums scheint dabei kein Zufall gewesen zu sein, denn dieser Tag ist der Geburtstag von Chris Cornell, der vor seinem Tod eng mit Bennington befreundet war. Der LINKIN PARK-Fronter hinterlässt insgesamt sechs Kinder, sowie eine Ehefrau, denen in diesen schweren Stunden natürlich unser Mitgefühl gilt. Da viele unserer Redakteure auch ganz persönliche Erinnerungen mit dem Sänger verbinden, haben wir dieses mal ein etwas anderes Format gewählt, verzichten auf einen Würdigung seiner musikalischen Errungenschaften und beleuchten stattdessen, was Bennington und seine Musik für eine ganze Generation bedeutet haben:
Als ich die Breaking News im Internet gelesen habe, bin ich noch drei Stunden wach geblieben, um auf die Bestätigung von Mike Shinoda zu warten: Chester Bennington ist gestorben, Suizid. Ich habe gehofft, dass es ein Hoax ist. Auch wenn die Nachricht sich so schnell in den sozialen Medien verbreitete, dass die ersten Nörgler über die Flut an Beleidsbekundungen schon laut wurden, da hatten andere die Botschaft noch gar nicht bekommen.
Ich muss gestehen, dass ich bei den Todesfällen der vergangenen Monate ebenfalls zu den Personen gehört habe, die den postmortalen Hype um Musiker eher kritisch gesehen haben. Der Tod von Chester Bennington hat mich jedoch volle Breitseite erwischt. Mit dem Sänger von LINKIN PARK ist für mich zum ersten Mal ein Musiker gestorben, der meine Jugend musikalisch gewaltig geprägt hat.
Ob das nun Tage waren, in denen ich aus pubertärem Trotz 'Num' so laut gedreht habe, damit niemand im Haus hören konnte, dass ich am Heulen war. Abende, in denen ich, das Kissen vor der Brust, 'Leave Out All The Rest' in Dauerschleife gehört habe. Oder Proberaumpartys, auf denen wir 'In The End'zum Himmel schrien und uns dabei jung, stark und irgendwie unsterblich fühlten.
Wild, rebellisch und alleine gegen den Rest der Welt – LINKIN PARK war für mich jahrelang mehr eine Lebenseinstellung als eine Musikrichtung. Und das bleibt die Band auch heute für mich: Denn wie soll man die treibende, energetische, brachiale und zeitgleich im wahrsten Sinne des Wortes herzzerreißende, melodische Musik, der auf ewig Chesters einzigartige Stimme anlasten wird, sonst beschreiben?
Es gab Zeiten in meinem Leben, da habe ich LINKIN PARK gar nicht mehr gehört. Nicht etwa, weil mir die Band an einem gewissen Punkt zu Mainstream geworden ist, zu poppig oder was auch sonst immer die Kritiker an ihnen zu maulen haben. Ich habe ihre Musik nicht mehr gehört, weil Chester Benningtons Stimme, seine unverkennbaren Screams ebenso wie sein sanfter Klargesang eine Menge an die Oberfläche gebracht hat, was ich mich nie zu sagen getraut hätte. Dessen ich gar nicht fähig war, es mit Worten auszudrücken.
Für mich waren Chester Bennington und LINKIN PARK immer eine Art Sprachrohr; das Gefühl, verstanden zu werden, wenn Wut, Schmerz, Verzweiflung und Trauer im Leben Achterbahn fahren. Umso schmerzvoller die bittere Erkenntnis, dass Chester Bennington niemanden hatte, der ihm dieses Gefühl zurückgeben konnte.
Lieblingssong: 'Numb'
Wenn ich an Chester Bennington und LINKIN PARK denke, dann kommt mir unweigerlich immer der lauen Sommertag in den Sinn, an dem ich erstmalig das Video zu 'Crawling' auf MTV zu sehen bekam. Allein die Intensität dieses ersten Screams, den der damals noch mit blonder Stachelfrisur ausgestattet Frontmann in den ersten Sekunden des Tracks von sich gibt, hat mich aus dem Stehgreif umgehauen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zwar dank meines Vater schon einen Crashkurs in Sachen Rockmusik erhalten, der solche Klassiker wie die ROLLING STONES oder PINK FLOYD umfasste, doch der Sound von 'Crawling' war genau das, was ein Teenager brauchte, um gegen die langweiligen Klassenkameraden zu rebellieren und die eigenen Eltern zur Weißglut zu treiben. Am nächsten Tag führte mein erster Weg zum lokalen Plattenladen, um mir erstmalig eine CD von meinem eigenen Erstparten zu kaufen. Natürlich war "Hybrid Theory" dank des Hypes schwer zu bekommen und so musste ich geschlagenen vier Tage warten, bis ich den Silberling endlich in Händen halten konnte. Im Anschluss rotierte die Platte praktisch dauerhaft in meinem Player und die Melodien und Lyriks gruben sich tief in mein Gedächtnis, sodass ich auch heute noch jede einzelne Zeile der insgesamt zwölf Tracks mitsingen kann. Natürlich nutzten die Jungs die Gelegenheit, die Scheibe auch in Deutschland live zu präsentieren, und so fand ich mich gemeinsam mit meinem etwas verdutzten Vater, der mich dank meines jungen Alters begleiten musste, am 23. September 2001 im Kölner Palladium wieder, wo LINKIN PARK mit einer energiegeladenen und einmaligen Show endgültig mein Interesse an härteren Klängen weckte. Was folgte, war eine verrückte Odyssey durch sämtliche Metal-Sparten, die mich schließlich von Nu Metal bis hin zu Black Metal führen sollte und die meinen Musikgeschmack nachhaltig geprägt hat.
In den weiteren Jahren gab es natürlich auch Zeiten, in denen ich für mehrere Jahre keine einzige Scheibe des Sextetts aus dem Regal gezogen habe, doch trotzdem bleiben die Kalifornier bis heute wahrscheinlich der wichtigste Baustein in meiner musikalischen und persönlichen Entwicklung. Immerhin weckten die Jungs nicht nur mein Interesse am Metal, sondern Chesters Tattoos und Piercings entfachten auch die Faszination für Body-Modifikationen, die mich bis heute begleitet. Genau das ist es auch, was den plötzlichen Tod dieser Ikone der Nu Metal-Bewegung für mich so unfassbar traurig macht. Gleichzeitig finde ich es vor allem bedrückend, dass wieder ein Musiker auf Grund von Depressionen einen Freitod gewählt und sich mit gerade einmal 41 Jahren viel zu früh aus dem Leben verabschiedet hat. Einfach beängstigend, zu was diese Krankheit einen Menschen treiben kann, was es umso trauriger macht, dass viel zu viele unserer Mitbrüger dieses Thema ganz offensichtlich nicht besonders ernst nehmen. Das lassen zumindest die vielen fürchterlichen Kommentare vermuten, in denen Nutzer auf Facebook dem Fronter Verantwortungslosigkeit vorwerfen. Niemand weiß, wie er sich gefühlt hat und dementsprechend sollte sich auch niemand dazu aufschwingen, diese Entscheidung zu veruteilen.
Zum Trost bleibt uns allen nur das musikalische Vermächtnis, das er und LINKIN PARK uns hinterlassen haben und das oftmals von Kritikern viel zu wenig gewürdigt wird. Sicher muss man die Musik nicht gut finden, doch man muss einfach den Hut vor der Experimentierfreudigkeit ziehen, mit der sich die Band von Album zu Album über sämtliche Genre-Grenzen hinweg immer wieder neu erfunden hat. Ebenso muss man ihnen zugestehen, dass sie in einer Zeit, in der viele der großen Namen des Genres schwächelten, dafür gesorgt haben, dass Metal auch für eine ganze Generation von Teenagern ein Thema war, wodurch Chester und seine Kollegen einen großen Teil dazu beigetragen haben, dass die Szene heute so groß ist wie vielleicht nie zuvor.
Lieblingssong: 'What I've Done'
Man ey, das ist doch... doof. So richtig doof. Und fühlt sich komisch an. Richtig komisch. Diese Band, die ich schon seit Längerem ignoriere, da sie sich musikalisch in eine Richtung entwickelt hat, welche ich wirklich furchtbar langweilig finde. Aber der Tod Chester Benningtons lässt mich nicht kalt - wie könnte er auch? Schließlich gehöre ich als bald 30-jähriger zu genau der Generation Metalfans, die wie selbstverständlich von LINKIN PARK zu unser aller Lieblingsmusik geführt wurde. Was haben wir "Hybrid Theory" totgehört, diese mit viel Mühe erstellte, jedoch erkennbare schlechte Raubkopie aus Polen. Die Veröffentlichung von "Meteora" habe ich dann bewusst mitbekommen; eine weitere Großartigkeit, die seinem Vorgänger in nichts nachstand. Zwei Alben, von denen ich schon jetzt weiß, dass ich sie am Ende meiner Tage öfter gehört haben werde als nahezu alle anderen (noch so großartigen) Scheiben meiner restlichen Sammlung. Ohne jeden Zweifel. Der Horizont war klein, der Durst groß, und LINKIN PARK hatte gemeinsam mit ein paar Genre-Kollegen alles an Bord, was es bedurfte, um diesen zu stillen. Umso schöner ist die Erkenntnis, dass ich eben diese beiden Alben auch heute noch immer mal wieder gerne auflege und aus voller Überzeugung für Überplatten halte.
Meinen "einen" großen persönlichen LINKIN PARK-Moment hatte ich allerdings tatsächlich erst vor einigen Jahren bei Rock im Park. Ursprünglich wollten ein Kumpel und ich nur mal kurz vorbeischauen, da bis zum Beginn von MOTÖRHEAD auf der Nebenbühne noch ein wenig Zeit zu überbrücken war. Musikalisch war das schon lange nicht mehr unser Ding, aber hey, vielleicht spielen sie ja einige alte Songs. Und siehe da, wir bekamen eine Setlist, die wir niemals für möglich gehalten hätten, drängelten uns wie kleine Pubertierende (Flashback?) zum ersten Wellenbrecher nach vorne, haben uns schlussendlich den gesamten Auftritt gegeben und ausnahmsweise mal Lemmy sausen lassen. Wir sangen, luftgitarrten und freuten uns an den Liedern unserer Anfangstage - eine riesiger Spaß, welche die "normalen" Fans um uns herum sichtlich irritierte. Als wir zu den schließenden Klängen von 'Overkill' noch dem LINKIN PARK-Gig auf der großen Bühne hinterher hingen, habe ich meinen Frieden mit der Entwicklung der Band gemacht und mich gefreut, sie wenigstens einmal und dazu noch in dermaßen guter Verfassung (und mit entsprechender fantastischer Setlist) gesehen zu haben.
Eine "Larger than life"-Story habe ich entsprechend nicht parat. Chester Bennington war nie mein Held oder ein persönliches Vorbild, noch war LINKIN PARK je meine absolute Lieblingsband. Und doch ist es ein trauriger Moment, wenn man weiß, dass eine so starke Stimme meiner Jugend für immer stumm bleiben wird. Ruhe in Frieden, Chester, und danke für zwei herausragende Soundtracks meiner jüngeren Jahre, die mich zweifelsohne mitgeprägt haben - und auch heute noch begeistern.
Lieblingssong: 'In The End'
Ohne LINKIN PARK würde ich keine harte Musik hören. Das dürfte Fakt sein. Ich bin in der gleichen Generation wie Oliver, Tobias und Leoni aufgewachsen, werde nächstes Jahr 30. Auf einem Sommerzeltlager drehten wir im August 2001 LINKIN PARK auf, ein anderes Kind hatte eine gebrannte CD dabei, es lief: 'Crawling'. Ich hatte definitiv noch nie so harte Musik gehört, war irritiert, verstört. Als Dreizehnjähriger kam ich über eine Mitschülerin an "Hybrid Theory" ran. Das Album rotierte wahrscheinlich häufiger als jede andere CD bei uns zu Hause, begeisterte nach mir auch fast alle meine jüngeren Geschwister. Im Sommer 2002 fing ich an, CDs zu kaufen, bald stand "Reanimation" im Regal, die einige anstrengende, aber auch hoch interessante Mixes zu bieten hatte. In traurigen Momenten hörte ich 'My December', war ich wütend durfte 'A Place For My Head' oder 'Papercut' laufen. Mit 'Somewhere I Belong' kehrten die Jungs etwas nachdenklicher zurück, Chester rückte stärker in den Vordergrund im Bandgefüge, die Hip-Hop-Elemente begannen zu schwinden. Auch "Meteora" läuft heute noch regelmäßig - die ersten beiden LINKIN PARK-Alben sind für mich die musikalischen Manifeste meiner Pubertät, einzig die RED HOT CHILI PEPPERS spielten eine ähnliche Rolle für mich.
Als vierzehnjähriger Teenie wollte ich ausschauen wie Chester, trug langärmlige schwarze Hemden, gelte meine Haare nach oben. Einzig die Tattoos waren nie mein Ding. Und einige Mitschüler erkannten: Der will ausschauen wie der LP-Sänger. Ich werde nie vergessen, wie ich vor 200 Teenies 'Numb' am Klavier spielte und einigermaßen passabel nachgesungen habe (auf einem Teenie-Wochenende sollte ein Teilnehmer ein englisches Lied vorspielen - ich wurde es letztlich). Chester und Co. waren tief in meinem Innersten verankert, ich kannte sonst nur BEATLES-Lieder auswendig. Während ich tiefer in den Metal einstieg (Danke, Powermetal.de!) kollaborierten die sechs Jungs mit Rapper JAY-Z. Heute kann ich darüber schmunzeln, mit 16 war ich entsetzt. 2007 stellte "Minutes To Midnight" mein Fansein auf eine Probe, aber das Ticket für die 2008er Tour wurde trotzdem gekauft. Hingegangen bin ich nicht - an dem Wochenende kam ich letztlich mit meiner Frau zusammen. Auch diese Erinnerung haftet für mich an LINKIN PARK.
Während ich das Shinoda-Projekt FORT MINOR noch ganz spannend fand, distanzierte ich mich mit "A Thousand Suns" deutlich von LINKIN PARK. Das lag nicht an Chester. Sein Gesang war auf Platte immer fein, abwechslungsreich, emotional. Aber während LP Elektropop machte, wollte ich CELTIC FROST verstehen.
Als ich von Chesters Tod las, war ich geschockt. Viele Promis aus Film, Sport, Politik und Fernsehen sind in den letzten Jahren verstorben, doch gefühlt trifft es erstmals ein Idol meiner Pubertät. Chester prägte meine Generation wie Fred Durst oder Chad Kroeger. Ich war nie im LP-Fanclub, und habe die Band letztlich nie live gesehen. Aber ohne Chesters zerbrechliche, aggressive, auch nicht immer ganz saubere Stimme hätte ich nie meine ganzen Faves heutiger Tage kennen gelernt.
Dass Chester an den Folgen einer Depression starb, letztlich dem Suizid erlag und keinen Ausweg kannte macht mich unendlich traurig.
Hier berührt es mich als Vater, als Freund, als Seelsorger - wie kann ich Menschen helfen, Licht zu sehen in der Dunkelheit der Depression?
In meinen Teenie-Tagen halfen mir die von Chester gesungenen Songs, mit meinen Emotionen klar zu kommen. Umso trauriger ist es für mich, dass er selbst den Weg aus der Dunkelheit nicht mehr finden konnte.
An die sechs Kinder von Chester zu denken, zerreist mir das Herz. Ich hoffe, dass sie etwas Ruhe und Frieden finden können. Den wünsche ich - von ganzem Herzen - nun auch Chester Bennington. Ich hoffe, er ist da hinter der Todesgrenze fündig geworden.
Er mag nicht der größte Rock-Sänger seiner Zeit gewesen sein. Aber für meine Sozialisation war er wohl der bedeutendste.
Als ich gestern meine Jugendgruppe betreute und merkte, wie über Chester diskutiert wurde, wie seine (oft neueren) Songs abgespielt wurden merkte ich: Auch die Generation danach hat er noch entscheidend prägen dürfen. Dieses Monument bleibt.
Lieblingssong: 'Crawling'
Abschließend bleibt damit nur noch einmal einen Appell an alle Leser und Leserinnen zu richten, damit das Thema Depression wirklich ernst genommen wird. Viel zu oft wird diese gefährliche Krankheit noch als ein reiner Gemütszustand angesehen, was viel zu oft dazu führt, dass der Zustand der Patienten verharmlost und vielleicht sogar als Schwäche angesehen wird. Das ist es aber keines Falls. Depressionen sind eine Krankheit wie beispielsweise Krebs auch und betroffene sollten sich nicht nur ihren Verwandten und Freunden anvertrauen, sondern auch Hilfe bei Einrichtungen wie der Deutschen Depressionshilfe oder der deutschen Depressionsliga suchen, denn ihnen kann geholfen werden!
- Redakteur:
- Tobias Dahs