ABBATH, TOXIC HOLOCAUST und HELLRIPPER - Hamburg

01.02.2024 | 16:08

27.01.2024, Kultur Palast

Rasanter infernalischer Abriss in drei Akten bei fast vollem Haus.

Die Vorzeichen könnten durchaus schlechter sein. Es ist Samstag, erstmals mehrere Stunden Sonne am Stück in diesem Jahr erinnern daran, dass in einigen Wochen der Frühling endlich wieder vor der Tür steht, das erste Live-Konzert des noch jungen Jahres für mich steht an und last but not least: Ich hab darauf auch noch tierisch Bock und bin heiß wie Frittenfett, liegt das letzte besuchte Konzert nun doch schon bald drei Monate zurück, und das ist definitiv schon viel zu lange her. Also ab in die U-Bahn und auf direktem Weg Richtung Osten nach Hamburg-Billstedt, wo sich ein durchaus interessant zusammenstelltes Triple-Package in Band-Gestalt von ABBATH, HELLRIPPER und TOXIC HOLOCAUST anschickt, mir und allen anderen Anwesenden eine hoffentlich möglichst gelungene Jahres-Livepremiere zu bescheren. Das ganze findet natürlich nicht im Bambi Galore statt, sondern im deutlich größeren Kultur Palast eine Etage höher. Und dass ich anscheinend wohl nicht der einzige bin, der auch 2024 wieder ordentlich Bock auf gepflegten Lärm, Schweiß und Headbangen hat, beweist bereits beim Ankommen eine riesige Schlange, die sich bis zur Hauptstraße erstreckt. Wahnsinn, das hab ich so in all den Jahren, die ich nun schon sehr regelmäßig dort hinpilgere, noch nie erlebt. Es ist aber, wie es ist. Also erstmal gemütlich ne Fluppe anstecken, dezent in die umherschwirrenden Gesprächsfetzen reinlauschen und der umliegenden Fanschar der harten und derben Klänge mal genauer aufs Maul schauen. Vokuhila-Schnorres-Träger in bunten 80er-Metal-Kutten, komplett in schwarz gekleidete Black Metal-Jünger, studentisch angehauchte Hipster-Metaller mit Schiebermütze, auffallend viele sehr junge Nachwuchs-Headbanger(und Headbangerinnen!) mit zu viel Testosteron im Blut aber noch zu wenig Bartflaum im Gesicht. Dazu die einen oder anderen üblichen Verdächtigen, die gefühlt sowieso immer da sind. So und nicht anders muss das! Meine Angst, es nicht rechtzeitig zur ersten Band zu schaffen, löst sich glücklicherweise relativ schnell in Wohlgefallen auf, da es dann doch erstaunlich schnell geht und ich mich doch recht fix in dem mit roundabout 700 Nasen prall gefüllten Venue wiederfinde, nicht ohne mich vorher natürlich noch mit einer schönen, kalten Knolle Astra-Bier bewaffnet zu haben.

Fast pünktlich, mit nur wenigen Minuten Verspätung, entern dann die schottischen Black Speedster von HELLRIPPER die Bühne. Und Speed ist hier wahrlich das Stichwort, schalten die vier Jungs doch gleich von Anfang an von null auf hundert in den sechsten Gang, um der hungrigen bzw. konzerttechnisch ausgehungerten Meute ihre rasiermesserscharfen und pfeilschnellen, leicht rock'n'rolligen, aber mit stattlicher Schwärze versehenen Speed-Kompositionen vor den gierigen Latz zu knallen. Die Spielfreude, die die vier Männer dabei an den Tag bzw. den Abend legen, sucht ihresgleichen. Absolut tight im Zusammenspiel wird hier so unfassbar brachial drauflos gebolzt und geballert, dass es mir fast die Kauleiste aus dem Mundwerk reißt, dabei befinde ich mich doch in sicherer Distanz zu dem weitaus turbulenteren Geschehen einige Reihen vor mir. Schlagzeuger Max Southall bearbeitet das überschaubar zusammengestellte Support-Drumkit mit einer solchen Wucht und brutalen Präzision, dass mir angst und bange wird, ob der Schlagzeuger der noch folgenden zweiten Combo das Ding danach noch unfallfrei wird bedienen können. "Are you ready to dance?" erkundigt sich Sänger/Gitarrist und Mastermind James McBain bei den Anwesenden. Anscheinend ja, entern doch ab dem vierten Song bereits erste adrenalingepuschte Kuttenträger die Bühne, um sich wagemutig von selbiger in die mittlerweile gut schweißgebadete Meute zu stürzen. Mir rinnen selbst bereits erste gewaltige Nassperlen in den Hosenbund und ich bereue mittlerweile ein wenig, mich heute für den klassischen Heavy Metal-Winter-Dreireiher, bestehend aus Shirt, Zipper und schwerer Lederjacke, entschieden zu haben. Wenn man dabei aber Granatensongs lauschen darf, die auf Namen wie 'Hell's Rock 'n' Roll', 'Nekroslut' und 'All Hail The Goat' hören, sind das aber natürlich nur kleine Opfer, die man gerne bereit zu bringen ist. Und nach dem letzten Song 'Headless Angels' hinterlässt die Band vielleicht noch nicht kopflose (Höllen-)Engelsgestalten, war dafür aber sehr behilflich dabei, dass der ein oder die andere zumindest am nächsten Tag ein paar Gramm weniger auf die Waage bringen darf, dem Flüssigkeitsverlust sei Dank. Abriss deluxe!

Ich mache mich derweil, wie der Großteil der anwesenden Meute, auf den Weg nach draußen, um dringende Frischluft einzuatmen, ein wenig fachmännische Fachplauderei hier und da, ein weiteres Hopfengetränk und geschwind wieder auf in den glorreichen Kampf, gleicht bei der unglaublichen Menge an Leuten heute sowohl der Aus- als auch der Wiedereintritt in den 'Palast' doch einem kleinen beschwerlichen Höllenritt. Aber ich bin erfolgreich, mir auch hier wieder ein halbwegs ruhiges Plätzchen im vorderen Bereich zu sichern und zu schauen, was die drei amerikanischen Black Thrasher um Mastermind Joel Grind von TOXIC HOLOCAUST für uns nun wohl so alles bereithalten. Es wird nach dem zuvor absolvierten Baller-Inferno zwei Gänge in den vierten runtergeschaltet, was im Umkehrschluss aber freilich nicht bedeutet, dass der anwesenden Hörerschaft hier besonders viel Gelegenheit geboten wird, die bei der ersten Band gut aufgebrauchten Akkus wieder aufzuladen. Nach einem sphärischen horrorfilmartigen Intro und anfänglich etwas dünnem Gitarrensound, ist die Band schnell angekommen im Hier und Jetzt und wartet mit variablem und dynamischen Thrash Metal mit wohl dosierter Hardcore- und Punk-Schlagseite auf. Rustikal und räudig, aber dabei mitunter schön breaklastig im Songwriting, genau mein Ding. Mir vom Namen schon lange ein Begriff, muss ich mich mit dem Œuvre der Band zeitnah tatsächlich mal wirklich eingehender beschäftigen, passt der facetten- und abwechslungsreiche Hochgeschwindigkeits-Thrash doch eigentlich genau in mein Beuteschema. Manchmal setzt man unbewusst einfach die falschen Lücken bei all der Flut an Bands da draußen, aber das ist wiederum ein anderes Thema. Die Jungs aus Portland wissen mit sechs Alben im Gepäck und massig Liveerfahrung natürlich ebenfalls ganz genau, wie man mit dem Mob im Innenraum umgehen muss und fordern daher deutlich mehr als einmal erfolgreich den einen oder anderen Circle Pit ein. All die parallel stattfindenden Stagediving-Contests sind hier noch nicht einmal explizit erwähnt, wobei es sich dabei, wie ich erst jetzt bemerke, immer wieder um denselben Jungspund handelt, der nicht müde wird, nach erfolgreich absolvierter Sprungakrobatik keine zwei Minuten später wieder die Bühne zu stürmen, um selbiges Spiel noch ca. zehn weitere Male zu wiederholen, und ich übertreibe hier jetzt nicht. Nicht nur ich scheine mir im Stillen zu denken: Wieso zur Hölle musstest du diese zweifelsohne ausgezeichnete Art der Körperertüchtigung ausgerechnet heute für dich entdecken? Die Band trägt es mit Humor, naja, zumindest halbwegs… Zwei Reihen vor mir lässt sich eine Metallerin von ihrer besseren Hälfte auf die Schultern hieven, um mit der rechten Hand standesgemäß gen Bühne zu fistraisen und mit der linken Hand aus einer aufgeschnittenen Ananas eine mir nicht näher zu identifizierende Flüssigkeit zu schlürfen. Irre. Hier gibt es heute wirklich nichts, was es nicht gibt. Apropos Fistraising. Statt in die Höhe gehaltener Handys dominieren hier heute buchstäblich ausnahmslos in die Luft geballte Fäuste und Pommesgabeln, soweit das Auge reicht. Es scheint also doch zu funktionieren: einem Live-Gig beizuwohnen ohne die stetige Hand am Mobiltelefon-Abzug.

So, dasselbe Pausenritual noch einmal: draußen schnell einen Glimmstängel durchziehen, "Halli" hier, "Hallo" da, ein schnelles Sturzbier einverleiben und mit einem zweiten Trinkbier auf die Hand die vorhandenen Hopfenreste aus den Zahnzwischenräumen runterspülen und wieder ab Richtung Bühne, will ich doch keine Minute verpassen, wenn der alte Dämonen-Harlekin Olve Eikemo aka ABBATH mitsamt muskalischer Mitstreiter zum infernalischen nächtlichen Tanztee bittet. Da ich mit seinen doch eher unkonventionelleren und gelegentlich eher im Midtempo verwurzelten Solowerken bedeutend mehr anfangen kann, als mit den letzten beiden IMMORTAL(Demonaz)-Alben, kann ich es kaum erwarten, mir das Ganze nun endlich auch erstmals live zu Gemüte zu führen. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal kurz erwähnt haben, dass der (Black Metal-)"Szene" (was immer man darunter letztendlich auch genau verstehen mag) solche nonkonformen Charakterquerköpfe wie Abbath in meinen Augen sehr gut tun. Ich habe einfach eine Schwäche für in vielerlei Hinsicht aus der Art geschlagene positive Kaputskis, die sich selbst dauerhaft nicht zu ernst, vor allem aber nicht wichtiger nehmen, als es letzten Endes niemand wirklich ist. Hope you got my point, but back to the topic. 'Hecate' von meinem persönlichen Lieblingsalbum "Outstrider" eröffnet die finale Nachtmesse, gefolgt von dem morbiden und abwechslungsreichen 'Acid Haze' und dem bereits als Vorabsingle veröffentlichten 'Dream Cull', vom aktuellen Album "Dread Reaver". Der Speedkracher 'Ashes Of The Damned', vom gleichnamigen Debütalbum, sorgt dann dafür, dass bereits nach vier Nummern alle Soloalben songtechnisch berücksichtigt wurden.

Die Zeit der Kreistänze und des Wellenreitens sind nun weitestgehend unwiderruflich passé, dafür haben die Menschen am Lichtpult und der Nebelmaschine jetzt aber bedeutend mehr zu tun als im Vorfeld des Abends. Es wird zunehmend schwer stroboskopisch und neblig im ehrwürdigen Kultur Palast. Abbath himself und die ihn umgebenden Mitmusikanten sind perfekt aufeinander eingespielt. Das ist nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit, verfolgte zumindest ich in der Vergangenheit doch nicht immer so ganz genau, wer zu welchem Zeitpunkt neben ihm gerade welches Instrument bedient. Aber hier ist sicher: die auf der Bühne befindlichen Mucker haben im Vorfeld der Tour mehr als einmal die hiesigen Proberäume zur Tour-Vorbereitung gemeinsam besucht. Weiter geht's mit dem titelgebenden und riffstarken 'Dread Reaver' vom aktuellen Album und dem angenehm progressiv durchhauchten 'Bridge Of Spasms' vom Debüt, bevor man der hungrigen Horde das gibt, wofür sie, neben aller Liebe und Zuneigung für des Meisters Solowerke, letzten Endes selbstverständlich auch gekommen ist. IMMORTAL lautet hier natürlich das unheilige Zauberwort. Dieser immerwährende und ewige Fluch der eigenen Ex-Band, die einen auf Lebenszeit prägt und partout nicht mehr wirklich loslassen will, wobei man hier natürlich eher von einem satansfürchtigen Segen sprechen muss, wäre uns hier und jetzt andernfalls doch sonst die Darbietung von stilprägenden Genre-Klassikern wie 'In My Kingdom' oder 'Beyond The North Waves' verwehrt geblieben. Wahrhaft mächtig ist das! Es folgen im Weiteren vom Debüt 'Fenrir Hunts' und mit 'Warriors' sogar ein Song vom famosen "I"-Album, bevor es mit 'The Artifex' vom zweiten Album noch mal episch und speedig wird. Mit dem Nackenknacker 'One By One' wird das Kapitel IMMORTAL für den heutigen Abend beendet. Der diabolische Songzyklus beginnt sich langsam aber sicher zu schließen, so dass man die mittlerweile gut durchfeuchtete und in ausnahmslos positive Mitleidenschaft gezogenen Hörerschaft erneut mit zwei Songs vom Erstlingswerk in die Hamburger Nachtlandschaft entlässt: Nach dem in meinen Ohren eher schwächeren 'Winters Bane' wird mit dem grandiosen 'To War' nach knapp 80 wie im Höllenflug vergangenen Minuten der ultimative Deckel draufgemacht - auf einen ganz fantastischen Konzertabend mit drei angenehm unterschiedlichen Bands, die mir alle auf ihre ganz eigene Art und Weise enorm viel Spaß bereitet und vor allem durchweg grandios Arsch getreten haben. Auch die dargebotene Soundqualität bei allen drei Bands ist von einigen kleinen und kurzen anfänglichen Problemen bei TOXIC HOLOCAUST und ABBATH mal abgesehen sehr gut. Viel perfekter kann die persönliche Livepremiere des Jahres unterm Strich eigentlich gar nicht ausfallen!

Ein großes Lob sei an dieser Stelle auch noch einmal an Flo und sein großartiges Team ausgesprochen, welches zum einen dafür gesorgt hat, dass sich die eingangs erwähnte Riesenschlange in nullkommanix aufgelöst hat und zum anderen, dass bei insgesamt drei Tresenkräften und der doch nicht gerade geringen Menge an Leuten niemand länger als drei Schluck Bier auf sein Getränk warten musste. Jedenfalls nicht, als ich dort zugegen war…

Setliste: Hecate; Acid Haze; Dream Cull; Ashes Of The Damned; Dread Reaver; Bridge Of Spasm; In My Kingdom; Beyond The North Waves; Fenrir Hunts; Warriors; The Artifex; One By One; Winterbane; To War

Redakteur:
Stephan Lenze

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