ALCEST, HEXVESSEL und THE FAUNS - München

07.02.2014 | 19:13

18.01.2014, Backstage Halle

Manchmal nerven Gefühle doch einfach.

Wenn man eines festhalten will: Metaller vor so eine Band wie THE FAUNS zu bekommen, ohne dass Tomaten mit kleinen Nietenapplikationen auf die Bühne fliegen, das kann man den Franzosen von ALCEST durchaus als Leistung anerkennen. Denn THE FAUNS aus Bristol spielen träumerischen Indie-Pop mit Soundwänden, angeführt von einer hübschen Sängerin im kleinen Schwarzen, die vor allem Aaaaa- und Ooooo-Passagen in die locker gefüllte Halle im Münchner Backstage lethargiert. Insgesamt versteckt sich die Band hinter sphärischen Drei-Akkord-Arrangements, die zwar niemandem wirklich weh tun, aber eben auch nicht mitreißen können. Einziges Highlight des Gigs ist der erste Tablet-Fotograf, der dem Autor dieser Zeilen auf einem Konzert untergekommen ist. Mutig hält er sein iPad in die Höhe und ist irgendwie symptomatisch für diesen Hipster-Einstieg in den Abend. (Oh Gott, sag das das nicht wahr ist, Julian. Die Handy-Knipserei ist schon ätzend, aber jetzt auch noch diese Riesendinger? Ich bin schon bei dem Gedanken genervt. FJ).

CODE, DODHEIMSGARD, HEXVESSEL: Um Name-Dropping muss sich der Sänger, Gitarrist und Songwriter der nun folgenden Band keine Gedanken machen. Der Brite und derzeitige Wahl-Finne Kvohst sorgt an diesem Abend allerdings nicht für rasenden Black Metal oder gar abgedrehte Melodie-Spiralen. Mit Hexvessel heißt das Rezept: Ein okkulter Bronzetopf mit 70er-Rock, dazu psychedelische Flüssigkeiten, zähe Gitarrenfäden, verbindende Mystik-Vocals und die eine oder andere Blechbläser-Prise. Die langen Songs kommen gut an in der Halle.

HEXVESSEL bringt jene faszinierende Dynamik aus langsamen, ruhigen, fast Mantrenhaften Passagen und emotionalen Gipfelstürmen auf die Bühne, die die Band zum absoluten Geheimtipp gemacht hat. Leider wird sich zeigen, dass genau das dem französischen Headliner nicht gelingen wird. Doch dazu später mehr. Die stimmige Lichtshow und Kvohsts Charisma – lassen Sie sich da bitte nicht von dem Schlapphut ablenken, liebe Besucher – machen den ersten HEXVESSEL-Auftritt in München zu jenem Erlebnis, das sich viele im Vorfeld gewünscht und erhofft hatten.

Dass die Mehrzahl der Besucher wegen des netten, aber auch etwas verschrobenen jungen Mann aus Frankreich gekommen sind, der jüngst ein äußerst streitbares Album veröffentlicht hat, überrascht sicherlich niemanden. Doch genug von der schnöden Realität in einfachen Zahlen und nüchternen Überlegungen. ALCEST ist eine Band zum Träumen. Deutlich erinnere ich mich in der Vorbereitung auf das Konzert und das Interview mit dem Mastermind Neige an meine erste Begegnung mit der Band. Die Musik stand damals noch mit beiden Beinen im Black Metal, der Unterkörper im Post Metal, der Torso befand sich in etwas, das sich Shoegaze nannte, und der Kopf? Der begeisterte mit teils naiven, teils schrägen, aber immer wunderschönen Gesangparts, lediglich durchbrochen von BURZUMesken Screams. "Le Secret" klang unheimlich neu, unheimlich anders, unheimlich gut. Damals wünschte ich mir nichts mehr, als diese Band endlich einmal live zu sehen.

Das war vor vielen Jahren. Heute blickt Neige auf die Veröffentlichung von vier Alben und einer E.P. zurück, wurde in der New York Times rezensiert und dort als die Enya des Black Metals bezeichnet. Nun ja, ganz so schlimm ist es vielleicht nicht. Doch nicht wenige Fans wurden durch das 2014 veröffentlichte und durch diese Tour promotete Album "The Shelter" nicht gerade freudig überrascht. Neige und sein Kompanion Winterhalter warfen darauf jegliche Black-Metal-Einflüsse über Bord, hell und klar produzierten sie dabei ein "Eeel good summer album", wie sie im Interview bestätigten. Live wollen sie nun also zeigen, ob der Sound einerseits den älteren Songs in nichts nachsteht und andererseits in seiner Zerbrechlichkeit auf der Bühne überhaupt umgesetzt werden kann.

Die Antwort vorne weg: Es klappt nicht. Zwar stellen sich sofort die Ohrwurm-Melodien ein und auch das mitsingen und mitwippen funktioniert erstaunlich gut. Doch das Träumerische, das ALCEST so besonders macht, geht unter in fetten Bässen, und die vielen Graustufen, die die Alben der Franzosen zu einer Wundertüte der Entdeckungen machen, werden zusammengefasst in die Aggregatzustände "laut" und "leise". Bei den "Shelter"-Songs steckt live deutlich mehr Bumms im Hintern, sprich: Der Metal-Faktor ist ordentlich heraufgeschraubt worden. Ist das gut? Für jene, die das neue Album nicht so gut finden, scheint der härtere Mix zu funktionieren. Doch das wird den Songs nicht gerecht. Sie können ihre gute Wirkung einfach nicht entfalten. Und um nun doch zu den harten Zahlen zurückzukehren: Der Anteil der Fans, denen das gefällt, ist – abgeleitet vom Applaus – allerdings deutlich höher als der der Kritiker. Eine von den positiv überraschten Fans ist die geschätzte Kollegin Hang, die das Konzert ein wenig anders empfunden hat:

[Julian Rohrer]

ALCEST hat für mich einen ganz besonderen Stellenwert. Im Grunde war "Voyage De L´Ame" der persönliche Anstoß, um mit Black Metal richtig anzufangen. Bereits auf dem PartySan Open Air konnte ich mich der Magie von Neige und Co nicht entziehen und dieses Konzert übertrifft einfach alles noch einmal. Schon allein das Intro 'Wing' lässt mich die Augen schließen und von unendlichen Weiten träumen, bis schließlich die erste Single 'Opale' ertönt. Ich habe mich gefragt, wie sie die Songs von "Shelter" umsetzen werden und erstaunlicherweise klappt es vorzüglich. Diese unglaublich positive Stimmung schwappt von der Bühne langsam bis in die hintersten Reihen und erreicht auch die härtesten Kritiker, denen ein kleines Lächeln über die Gesichter huscht. Wegen der Musik? Fast.

Denn selbst für Nicht-"Shelter"-Möger wird dieses Konzert zum Ohrenschmaus, da großzügig aus allen vorherigen Alben etwas gespielt wird. Insgesamt ist dieser Abend auf eine musikalische Art und Weise anders und auch kleine Patzer verzeihe ich ihnen sofort. Von der fehlenden Atmosphäre, wie sie oben beschrieben wird, merke ich überhaupt nichts, denn mich berührt es unglaublich. Zeit spielt einfach keine Rolle mehr und dieser tranceähnliche Zustand wird nur durch 'Délivrance' unterbrochen, der das Ende der Show markiert. Ich dachte ALCEST während eines Sonnenuntergangs auf einer Freilichtbühne zu sehen, wäre das Maß aller Dinge gewesen, aber in dieser kleinen, abgedunkelten Halle haben sie es vollbracht, Musik wirklich spürbar zu machen, die in das Innerste der Menschen greift.

[Hang Mai Le]

Mehr Fotos von dem Abend auf der Seite des Fotografen: EmotionalPhotoArt.

Redakteur:
Julian Rohrer

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