ALICE COOPER und BLACK MIRRORS - Northeim

02.07.2024 | 22:30

22.06.2024, Waldbühne

Ein bisschen Horror-Show im Nirgendwo.

Das soll gar nicht despektierlich klingen, aber so manchem ALICE COOPER-Fan dürfte beim Anblick des offiziellen "Too Close For Comfort"-Posters womöglich genau das durch den Kopf geschossen sein. Hamburg, Dresden, Nürnberg, Northeim...Northeim? Wo zur Hölle ist Northeim? Diese kleine Stadt (ca. 30.000 Einwohner) in Südniedersachsen ist beileibe kein musikalischer Hot-Spot, so dass ein Konzert von einer Legende wie ALICE COOPER schon einer kleinen Sensation gleichkommt. Dabei hat der Ort mit seiner Waldbühne eine Open-Air-Location zu bieten, welche mit ihrem Fassungsvermögen von knapp 7.000 Besuchern nicht nur die ideale Größe für solche Veranstaltung bietet, sondern mit ihrer, einem alten Amphitheater nachempfundenen, Bauweise mitten im Wald auch optisch und vor allem auch akustisch einiges zu bieten hat. Die typische Achillesverse, dass bei einer Freiluftveranstaltung der Sound vom Wind verweht wird, ist hier beinahe ausgeschlossen. Hier knallt es je nach Künstler schon ganz ordentlich. Ich selbst durfte bereits Bands wie IN EXTREMO (Northeim Open Air 2008 & 2009) und SUBWAY TO SALLY (Spectaculum Infernum 2008) vor Ort begutachten und das Gelände macht tierisch Laune. Somit war es direkt auf mehreren Ebenen schade, dass ab 2010/2011 gefühlt keine Events mehr durchgeführt wurden, welche für Freunde der härteren Gitarrenmusik noch relevant sein könnten. Und jetzt – wie aus dem Nichts ALICE COOPER. Damit war es natürlich Ehrensache, dass ich mir diese Größe auch das erste Mal bei einer Solo-Show zu Gemüte führe. Ich durfte Herrn Cooper zwar schon einige Mal auf Festivals erleben, aber meistens mit einem stark gekürzten Set und leider häufig mit einem eher semi-interessierten Publikum. Der Junge hat mehr Songs zu bieten als 'Poison' und 'School’s Out'. Leider haben mit dieser offensichtlichen Hit-Reduzierung besonders alteingesessene Bands zu kämpfen. Zumindest ich musste sowas auch schon bei DEEP PURPLE ('Smoke On The Water') URIAH HEEP ('Lady In Black') erleben. Klar, dass sind die unbestreitbaren Mega-Hits, aber das vollkommende Ignorieren des restlichen Materials tut schon weh. Somit war die Vorfreude auf den heutigen Abend groß, zumal das aktuelle Album "Road" auch ein richtig gutes Spätwerk ist.

Bevor die Horror-Show vom Großmeister beginnt, dürfen wir uns allerdings von BLACK MIRRORS aus Belgien einheizen lassen. Ich muss gestehen, dass ich mit dem Songmaterial der Combo überhaupt nicht vertraut bin und sie bisher auch komplett ignoriert habe. Zu großflächig wurde das Label "neue Grunge-Hoffnung" auf die Band gedrückt und sorgte zumindest bei mir dazu, dass ich bisher noch nicht das Verlangen spürte, mich intensiver mit Marcella Di Troia und Co. auseinanderzusetzen. Das wird sich jetzt ändern. Das bisschen Grunge was dieser bunten Mischung aus Classic Rock und Blues Rock beigemischt wurde, kann ich ja locker verschmerzen. Das klingt Live eher wie eine rohere, ungeschliffene Form von THE BLUES PILLS. Ähnlich wie bei den Schweden, lastet das ganze Songmaterial aber nicht nur auf den Schultern der Frontfrau, sondern auch musikalisch werden richtig gute Akzente gesetzt. Diese starker Gitarrenfokus holt auch das zu Beginn verhaltende Publikum immer weiter ab und sorgt dafür, dass sich die Band ihren Beifall zum Ende der Show redlich verdient. Gelungener Auftritt und eine schöne Hausaufgabe für Herrn Rosenthal.

Trotz höherem Show-Anteil hält sich die Umbauphase für ALICE COOPER in Grenzen und die Stimmung hat keine Chance abzuflachen. Im Gegenteil, sobald der Vorhang fällt und die Sicht auf das großen "Banned In Germany"-Banner freigibt, ist das gemischte Publikum (ist eine Floskel, aber hier ist tatsächlich jedes Alter anwesend) direkt verzaubert und hat Bock auf jede Menge Hits. Besonders der Einstieg ist grandios. Grade 'Welcome To The Show' ist mit Sicherheit erwartbar gewesen, beweist aber, wie großartig die Nummern vom neuen Album live funktionieren. Diesen Aspekt hatte Herr Vincent Damon Furnier ja insbesondere im Aufnahmeprozess von "Road" im Hinterkopf. Und das Ding ist fett. Und dann ist schon der erste Gänsehaut-Moment der Show gekommen. Ich durfte 'No More, Mr. Nice Guy' schon mehrmals hören, aber endlich singt man nicht mehr gefühlt allein mit, sondern die ganze Waldbühne hat Lust auf diesen Killer-Refrain. Alice kann die Stimmung über das komplette Set aufrechthalten, auch bei Nummern, wie 'Billion Dollar Babies', 'Hey Stoopid' oder 'Go To Hell' merkt man, dass die Gäste Bock auf alle Songs vom Großmeister haben. Solche Songs leben auch einfach von einem engagierteren Publikum. Grundsätzlich kann man festhalten, dass die Show eine bunte Mischung aus fast allen Schaffensperioden abbildet und keine großen Hits ausspart.

Besonders die Rückkehr in die Setliste von eben 'Go To Hell' oder auch 'Feed My Frankenstein' inklusive riesigem Monster auf der Bühne, sorgt bei meinen Begleitern und mir für zusätzliche Freude. Dazu gesellen sich ein paar Songs, welche so nicht zu erwarten waren. Insbesondere 'Lost In America' haben viele nicht unbedingt auf dem Schirm und das am heutigen Abend zwar 'Snakebite' aus der Songauswahl fliegt, wir dafür aber Jason Voorhees auf der Bühne begrüßen dürfen, sorgt für absolute Begeisterung. Zu den Tönen von 'He's Back (The Man Behind The Mask)' schnetzelt sich unser Lieblings-Slasher über die Bühne. Besonders durch das Ambiente der Waldbühne hat man das Gefühl, dass das Camp Crystal Lake direkt um die Ecke liegen muss. Ein echtes Highlight. Weitere persönliche Höhepunkte sind, dass unvermeidbar großartige 'Poison' und der 'Black Widow Jam'. Hier merkt man nochmal deutlich, dass diese Band eben nicht nur nettes Beiwerk ist, sondern durch die Bank großartige Musiker am Werke sind  Insbesondere bei Nita Strauss ist es immer wieder erstaunlich, wie schnell manchen Zuhörern die Argumente flöten gehen, sie würde dort ja nur als optisches Schmankerl stehen. Diese Frau ist eine Wahnsinns-Gitarristin und steckt einen Großteil der männlichen Konkurrenz locker in die Tasche. Gerade mit dem von Marvel ausgeliehenen Black Widow-Logo, entsteht so schon eine sehr epische Komponente.

Gegen Ende der Setliste werden dann auch die Showelemente sukzessive hochgefahren und geben dem ganzen noch eine etwas andere Gewichtung. Dass dabei so ikonische Momente, wie die Zwangsjacke oder die Guillotine nicht fehlen, versteht sich von selbst. Die Enthauptung funktioniert einfach immer wieder fantastisch. Ob das in der Vergangenheit blutiger war oder überhaupt alles etwas größer, kann ich nicht beurteilen. Auch das manche Elemente etwas steifer rüberkommen und auch nicht alle Komparsen echte Schauspieler sind, kann ich locker verschmerzen. Ich finde eher diese laienhafte Umsetzung versprüht einen gewissen B-Movie-Charme und ich kann nur hoffen, dass ich mit 76 Jahren noch eine solche Dynamik an den Tag legen werde. Davon ab kann ich aber auch ohne Probleme verstehen, wenn ein jüngeres Publikum, das teilweise schon etwas cringe findet, was hier auf der Bühne geboten wird. Apropos Alter! Ob das der Grund ist, dass auf die Schlange verzichtet wird oder ob die gesetzlichen Regularien mittlerweile zu hoch sind, kann ich nur mutmaßen. Das ist zwar schade, aber dennoch verschmerzbar. Dafür entschädigt eine komplett bombastische Version von 'Elected' zum Ende des regulären Sets nochmal alle Fans. Hier passt das aktuelle Alter nämlich bizarrerweise wie die Faust aufs Auge und man möchte es bis nach Washington schreien, es doch lieber mit dem "Jungspund" Alice zu probieren. Ach, wenn es nicht alles so bitter wäre. Haben wir nun alle Höhepunkte verbucht? Natürlich nicht. Es fehlt noch die obligatorische Zugabe und natürlich ist auch an diesem Abend der absolute Hitgigant 'School's Out' der Schluss-Act, welcher nochmal das gesamte Publikum zum Mitsingen animiert. Das genau an diesem Abend in der Region die ABI-Bälle stattfinden und ein guter Freund aus diesem Grund sogar das Konzert absagen musste, ist die Kirsche auf einem Song, der so viele Erinnerungen und Emotionen hochruft, wie wenige Rock-Klassiker überhaupt. Gänsepelle gallore.

Da auch der Wettergott den gesamten Tag die Füße stillgehalten hat, kann man nur von einem absolut gelungenen Konzert sprechen. Wenn ich überhaupt was zu kritisieren hätte, dann das ich mir schon mehr Songs vom aktuellen Album gewünscht hätte und grade die Meganummer 'I'm Alice' als Outro massiv unter Wert verkauft wird. Aber ehrlicherweise wüsste ich auch fast keinen Song der dafür aus der Setliste hätte fliegen dürfen. Normalerweise würde ich sagen, dass dieser Hit und so eine schnuckelige Nummer von meinem persönlichen Geheimtipp "Brutal Planet" bei einem 90-minütigen Set doch locker noch on Top draufgepasst hätten, aber gleichzeitig muss ich mich fragen, ob ich mit 76 Jahren auch noch 90min+x am Tag arbeiten möchte? Eher nicht. Somit volles Verständnis dafür und absolute Dankbarkeit, dass wir ein solches Konzert immer noch erleben dürfen. Bleib gesund Alice und komm bald wieder – vielleicht sogar wieder ins Nirgendwo in Südniedersachsen.

Setliste: Lock Me Up; Welcome To The Show; No More Mr. Nice Guy; I'm Eighteen; Under My Wheels; Bed Of Nails; Billion Dollar Babies; He's Back (The Man Behind The Mask); Be My Lover; Lost In America; Hey Stoopid; Welcome To My Nightmare; Cold Ethyl; Go To Hell; Poison; Feed My Frankenstein; Black Widow Jam; Ballad Of Dwight Fry; I Love The Dead (inclusive Killer); Elected; Zugabe: School's Out

Photo Credit: Andre Schnittker

Redakteur:
Stefan Rosenthal

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