ALLIGATOAH: Out Of Office-Tour 2025 - München, Hannover und Hamburg
16.02.2025 | 15:3325.01.2025, Olympiahalle, ZAG Arena und Barclays Arena
Pflichttermin für die Work-Life-Balance.
So ist das in der heutigen Arbeitswelt. Kaum sind die ersten Arbeitstage des Jahres passé, dürstet der Körper schon wieder nach einem notwendigen emotionalen Ausgleich zum Alltagsstress und seinen vielfältigen Herausforderungen. Das dachte sich wohl auch der Lieblingsrapper der metallischen Szene, ALLIGATOAH, und lädt seine Fans zur "Out Of Office-Tour 2025" ein, um gemeinsam dem Tagesgeschäft zu entfliehen. Auch in unserer Redaktion ist dieser Schrei nach Eskapismus auf offene Ohren gestoßen, so dass sich gleich drei Kollegen auf die Reise machen, um zu eruieren, ob diese Konzerte demnächst in den Katalog diverser Krankenkassen aufgenommen werden müssen, oder ob man tatsächlich erst im Anschluss reif für die nächste Kur ist. Den Anfang macht Lea, welche am 25.01.25 die Olympiahalle in München besucht.
[Stefan Rosenthal]
Bevor ALLIGATOAH vom Mond in die Olympiahalle nach München kommt, versucht Voract YU für ihn herauszufinden, ob es das Publikum überhaupt wert ist, dass der Star des Abends so einen weiten Weg auf sich nimmt. Dafür kommt er pünktlich um 19:00 Uhr auf die Bühne und beginnt 'Alli-Alligatoah' zu spielen. YU wurde 2022 von ALLIGATOAH entdeckt und etwas später auch von seinem Label unter Vertrag genommen. Seine Musik geht in die Richtung früherer ALLIGATOAH Songs und die Texte handeln großteils von linkspolitischen Themen. Mit dabei sind ein E-Gitarrist und eine Schlagzeugerin. Es fällt auf, dass YUs Bühnenpräsenz im Vergleich zu andern Voracts sehr selbstbewusst ist. Er macht nicht weniger Show als später ALLIGATOAH und stimmt das Publikum damit perfekt auf ihn ein.
Nach einer Umbaupause, in der ein ganzes Büro auf der Bühne entsteht, geht das Licht aus und ALLIGATOAHs Band kommt auf die Bühne. Die Musiker tragen alle einen grauen Anzug und passen so super ins Bühnenbild. Schon da geht die Show los und die Gäste der Olympiahalle werden ins Office entführt. 'Stay In Touch' ist der erste Song, wobei ALLIGATOAH selbst noch gar nicht richtig auf der Bühne ist. Er erreicht das Publikum per Face-Time-Anruf auf der großen Leinwand, bei dem man erkennen kann, dass er fällt. Wohin? Naja, nach München, stellt sich kurz darauf hinaus, als es kracht und er von oben auf die Bühne plumpst. Natürlich nicht wirklich, aber mit etwas Pyrotechnik und ein bisschen Kleidung lässt sich diese Illusion ganz leicht erzeugen. Danach müssen Nicht-Metal-Fans stark sein, denn es geht erst einmal weiter mit sechs Songs des neuen Albums.
Obwohl sicherlich auch Fans im Publikum sind, die weniger mit dem Album "Off" anfangen können, fällt das auf jeden Fall nicht auf. Während seiner Songs zerstört ALLIGATOAH einige Gegenstände im Büro und unterstreicht seine oft auch aggressiven Texte dadurch – zusätzlich zum Metal-Sound – noch mehr.Der Oberrang der Olympiahalle ist kaum besetzt und die Zuschauer, die dort sitzen, sind dort wahrscheinlich auch eher gelandet, weil ein Teil des Unterrangs wohl versehentlich doppelt verkauft wurde. Ich begebe mich trotzdem dorthin, und das im Prinzip mit freier Platzwahl. Auch von oben ist die Show sehr eindrucksvoll und begeistert. Und was natürlich super ist: Man sieht die ganze Größe des Moshpits, welches sich als Eröffnung des Songs 'Scheißdreck' auftut – und das geht tatsächlich fast vom FOH bis zum Bühnengraben.
Die komplette Show ist voll mit Details und Easter Eggs und das auch schon beim Voract. Man bekommt das Gefühl, dass alles, was auf der Bühne passiert, gesagt oder getan wird, alles Teil einer großen Story ist. Sogar die Leute, die umbauen, tragen blaue Overalls und passen so ins Bild. Zum Ende des Konzerts gibt es dann noch einige der früheren Songs und bei 'Willst du' singt natürlich jeder mit. Um etwa 22:10 Uhr beendet ALLIGATOAH sein Konzert mit einer Piano-Version von 'Partner in Crime' und einem anschließenden Flug zurück zum Mond.
[Lea Müller]
"Schenk den Menschen Botschaften und dein Temperament – sie werden nur darüber streiten, wer dich länger kennt". Ich möchte sagen: "Ich, ich, ich – Ich, ich, ich – Ich, ich, ich und du nicht". Zumindest kommt mir das heute Abend in der ZAG-Arena so vor. Auch wenn ALLIGATOAH sich in den Letzten Jahren stilistisch spürbar verändert hat, gibt es da draußen auch sogenannte Metal-Fans, welche Lukas Strobel schon seit Jahren für seine künstlerische Qualität abfeiern, also lange bevor Wacken-Auftritte seine Stellung in der Szene zementiert hatten. Ich gehöre ja sogar zu der Fraktion Menschen, die ihn ohne diese teilweise übergestülpt wirkenden Rock- und NU-Metal-Vibes sogar noch ein Klasse besser fanden. Das ist ein Ballast, den die Reihen vor mir, mit dem Abi-Abschluss-Hoodie von 2023, so sicherlich nicht mit sich rumtragen dürften. Mann, fühle ich mich alt heute! So bekommt der Über-Hit 'So Raus' schon eine ziemliche Meta-Ebene.
Ebenfalls ist es irritierend, so ein junges Publikum im Rahmen einer "Out Of Office"-Tour mit entsprechend konzeptionellem Überbau abfeiern zu sehen, wenn man ganz genau weiß, so viele Büroräume haben die jungen Hüpfer wahrscheinlich noch gar nicht gesehen. Funktioniert so eine Show, die mit Frustrationen im Großraumbüro, fehlender Work-Life-Balance und einer Menge Boomer-Themen spielt, denn überhaupt bei einem Publikum mit dem Durchschnittsalter Anfang 20? Stimmungstechnisch überraschenderweise absolut. Es wird an allen Ecken und Enden mitgesungen und so sehr gefeiert, wie es diese Generation anscheinend unter Ekstase versteht. Das mag manchem neueren Metalhead mit SLAYER-Shirt zwar zu wenig Eskalation bieten, aber verdient trotzdem das Prädikat "Gute Stimmung".
Gerne hätte ich mir auch den mir vollkommen unbekannten Support-Act YU in dieser jungen Umgebung zu Gemüte geführt, aber überraschenderweise findet der Auftritt nicht statt. Schnell Instagram und Facebook durchgescrollt – aber eine Erklärung bleibt verborgen. Wobei, so überraschend ist es wohl gar nicht, da es entsprechende Informationen auf TikTok gab. "Keine Ahnung, wovon alle reden, ich bin so raus, so raus, so raus". Die Show von ALLIGATOAH entspricht im Kern der Variante, welche ich auch schon auf dem "Open Flair Festival" sehen durfte und wird nur durch weitere Songs und einem Block mit Lukas als Mental-Health-Guru erweitert. Während mir der Metal-Yoga-Kurs doch schon eine Spur zu gaga ist, finde ich aber mein Seelenheil in der Setliste. Ich habe es schon häufiger hier erwähnt, dass ich ein großer Fan davon bin, viele Songs vom aktuellen Album einfließen zu lassen. ALLIGATOAH treibt das sogar auf die Spitze, indem er bis auf 'Menschliches Versagen' alle Tracks von "Off" umsetzt. Dafür gibt es direkt beide Daumen hoch. Im Umkehrschluss bleibt somit natürlich nur noch begrenzter Platz für weitere Hits oder ältere Klassiker. Auch diese werden aber deutlich rockiger oder metallischer performt als bisher und fügen sich in den doch sehr gitarrenlastigen Grundtenor prima ein. In Summe ein wirklich erstklassiger Auftritt. Nun liegt es an Lukas selbst, ob er seine innere Mitte wirklich gefunden hat und beim nächsten Album genauso Headbanger-tauglich unterwegs sein wird oder es ihn wieder zurück in die eher luftigen Beats-Regionen verschlägt. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, und wenn man das 'Der Hugenottenfriedhof'-Cover und das herrlich bekloppte 'Musik' mit ALEXANDER MARCUS als mögliche Indikatoren nimmt, dann könnte die nächste Tour wieder einen ganz anderen Schwerpunkt setzen. So bleibt ALLIGATOAH weiterhin auch für meine Ohren zu 100% relevant. Wie geht es dir denn Chris?
[Stefan Rosenthal]Freut mich zu hören, dass ihr beiden viel Spaß bei der Show hattet! Bei uns fängt es etwas stressig und verwirrend an, denn genau wie du, Stefan, hatte ich vorab keine Information bekommen, dass der Opening Act ausfallen würde. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, vor jeder Show die Instagram Stories aller beteiligten Bands anzuschauen, da die realen Startzeiten ja oft nicht immer mit dem übereinstimmen, was Promoter und Venues angeben. Da ich hier keine Infos gefunden habe, bin ich davon ausgegangen, dass YU wie angekündigt um 20 Uhr starten würde, mit ALLIGATOAH habe ich dementsprechend für 20:45 / 21:00 gerechnet.
Meine Begleitung und ich kommen kurz vor knapp an der Arena an und nach einigem Hin und Her und dem vergeblichen Versuch, eine Garderobe zu finden, an der keine riesige Menschenmenge steht, stehen wir zwei Minuten vor Showbeginn in der Halle. Soweit auch noch alles entspannt. Wir suchen uns eine schöne Ecke, nicht zu nah und nicht zu fern von der Bühne, ich bau schnell meine Kamera zusammen und verschwinde dann kurz für zwei Songs in den Fotograben, um ein paar Bilder von YU zu machen. Das ist der Plan, der jedoch dann dadurch durchkreuzt wird, dass plötzlich ein ALLIGATOAH von der Decke auf die Bühne kracht und es direkt mit dem Hauptact losgeht. Ich brauche tatsächlich ein bisschen, bis mir bewusst wird, dass das jetzt auch gleich der Showstart ist und ALLIGATOAH nicht einfach nur YU vorstellt. Also unter Hochdruck zumindest eine der beiden Kameras zusammengebaut und schnell in den Graben, Bilder machen. Nach den drei Songs dann meine Begleitung wiederfinden und erstmal durchatmen, jetzt kann das Konzert auch für mich losgehen.
Dies ist vielleicht dann auch der Moment, in dem ich dir, wertem Leser, verraten sollte, dass ich vor diesem Konzert quasi gar nichts von ALLIGATOAH kannte. Ich weiß natürlich, dass er mehrmals beim "Wacken Open Air" aufgetreten ist, und habe im Vorfeld kurz in eine Handvoll Lieder reingehört, bin aber doch sehr blauäugig aufs Konzert gegangen.Da bin ich aber ziemlich der Einzige an diesem Abend in Hamburg, denn um uns herum scheinen alle sehr textsicher zu sein und das Publikum ist definitiv auch älter als bei Stefan – wenn man mal die Kinder ausklammert, die mit ihren Eltern da sind. Zum Auftritt selbst hat Lea ja bereits viel gesagt, die Bürozerstörung passt super zum Setting und auch die – man kann es nicht anders sagen – Comedyeinlagen zwischen den Songs erzeugen ein sehr kohärentes Bild. Ob es kollektives Yoga in der ausverkauften Barclays Arena ist, oder ob Lukas mit angeleitetem "Ha! Ha! Ha!" alle zum Lachen bringt – die Stimmung ist super. Wer zu einem ALLIGATOAH-Konzert geht, der erwartet aber wohl auch, dass die Einleitung zu 'Du bist schön' einfach nur aus dreiminütigem Vokallangziehen besteht. Für einen ersten Gänsehautmoment bei mir sorgt jedoch das Publikum, als es kollektiv einen "Ganz Hamburg hasst die AfD"-Gesang anstimmt.
Musikalisch habe ich auch absolut nichts zu meckern. Die Abmischung ist bei zwei Liedern nicht ganz perfekt, aber da kann man bei einer dermaßen großen Setliste mal beide Augen zudrücken. Ich fühle mich auf jeden Fall exzellent unterhalten und ALLIGATOAH wird zukünftig hin und wieder Einzug in meine Playliste finden.Das Konzerterlebnis endet dann mit einer Piano-Version von 'Partner In Crime'. Ein Sonderlob verdient sich heute Abend das Hamburger Publikum, das hier die Show nochmals um ganze 10 Minuten verlängert, weil der Chor einfach nicht aufhören will zu singen. Da ist dann sogar das Reptil auf der Bühne gerührt. Von wegen nordisch kühl!
Nach einem durchweg unterhaltsamen Abend kann ich behaupten: ich bin jetzt auch ein Toahsten.
[Chris Schantzen]
Ich kann dir nur zustimmen, Chris. Ein sehr unterhaltsamer Abend, eine super Stimmung und die Songs des neuen Albums, die bereits vor einiger Zeit einen Platz in meiner Playliste gefunden haben, endlich live zu hören, ist schon etwas ganz Besonderes.
[Lea Müller]
Text: Lea Müller, Stefan Rosenthal, Chris Schantzen
Fotocredits YU: Lea Müller
Fotocredits ALLIGATOAH: Chris Schantzen
- Redakteur:
- Stefan Rosenthal