ANATHEMA - Hamburg

18.06.2010 | 11:03

16.06.2010, Knust

ANATHEMA endlich wieder unterwegs.

Ich habe ANATHEMA tatsächlich erst mit "Alternative 4" ernsthaft wahrgenommen, weshalb dieses Album für mich den absoluten Höhepunkt ihrer bisherigen Laufbahn markiert. Das ist natürlich sehr subjektiv, aber bei derartig emotionaler Musik geht das auch nicht anders. Das Album hat mich damals schlicht und ergreifend bei den Eiern gepackt und mich umgehauen, musikalisch und textlich. Und auch das nachfolgende "Judgement" erzielte einen ähnlichen Eindruck bei mir. Alles, was die Band danach (oder davor) komponiert hat, finde ich sehr gut, erreicht aber nicht den Status dieser beiden Alben. Daher gehe ich ohne allzu große Erwartungen und beinahe etwas unentschlossen zum Konzert, obwohl ich im Hinterkopf die noch immer präsenten Eindrücke ihres letzten Besuches in Hamburg wiederfinde. Das war ein tolles Konzert, aber damals war ich auch noch ernsthafter Fan der Insulaner. Warum diese persönliche Einleitung? Nun, um auch den Zweiflern verständlich zu machen, dass man von einem ANATHEMA-Konzert, egal, unter welchen persönlichen Vorraussetzungen man es besucht, nicht enttäuscht werden kann.

Hoppla, Fazit schon vorweggenommen. Egal, erspart euch das Lesen meines restlichen Textes. Seid also dankbar. Kurz nach 21.00 Uhr betreten die Jungs die Bühne des sehr gut gefüllten Knust und erfreuen sofort mit guter Laune, gutem Sound und toller Musik. Selbst in den vorderen Reihen hat man einen unverminderten Hörgenuss, so dass man sich sehr schnell von den hypnotischen Klängen fesseln und von der Musik treiben lassen kann. Sehr schön.

Die wenigen kurzen Ansagen von Vincent Cavanagh amüsieren – wie auch die Einwürfe von Daniel – bestens und sorgen für eine angenehm lockere Atmosphäre. Vom ersten Ton an wird die Band vom Publikum abgefeiert. Man spürt die Freude, dass die lange Pause endlich zu Ende ist, auf beiden Seiten. So ist es beinahe gleichgültig, ob Songs vom aktuellen Album – wie beispielsweise das grandiose 'Angels Walk Among Us' – oder olle Kamellen der Marke 'Sleepless' zum Einsatz kommen. Jeder Song wird frenetisch mitgesungen, so dass Basser Jamie mehrfach das teilweise unbenutzte Mikro von Sängerin Lee Douglas in die Menge dreht.

Ich für meinen Teil bin nach wenigen Minuten völlig gefesselt und vergesse sowohl die schwülen Temperaturen als auch meine ursprüngliche Unlust, an diesem Abend zu einem Konzert zu gehen. Dem sympathischen Quintett gelingt es einfach mit spielerischer Leichtigkeit, eine musikalische Aura aufzubauen, in der man sich verliert. Unterstützt von einer spartanischen, aber gleichermaßen effektiven Lichtuntermalung entsteht eine zauberhafte Darstellung. Dabei ist es dann auch völlig egal, welchen Song die Band anstimmt. Damit vergesse ich auch meinen ursprünglichen Vorsatz, mir Notizen zur Setlist zu machen. Ist auch völlig gleichgültig, denn über die gesamte Spielzeit spielen die fünf Damen und Herren nicht einen Ton, bei dem ich keine Gänsehaut habe. Highlights gibt es en masse, aber ich verweise mal dezent auf die unglaubliche Version von 'A Natural Disaster', die wirklich jeden in der Halle aus den Socken haut. Vor allem der Gesang von Lee Douglas sorgt für offene Münder in der Halle. Wenn sie beinahe schüchtern am Mikro steht und nicht weiß, wo sie hinschauen soll, ist man einfach völlig sprachlos, sobald sie einfach lossingt.

Aber auch bei flotten Nummern wie meinem Favoriten 'Panic' geht mächtig die Post ab. Es ist halt ein grandioses Wechselbad der Gefühle, welches zumindest bei mir überkocht, als Daniel plötzlich allein mit seiner Akustischen auf der Bühne steht und ein Medley ankündigt. Als er dann 'Running Up The Hill' von Sangesgöttin Kate Bush anstimmt, ist meine Fassung endgültig hinüber. Hammer! Auch wenn einige Unwissende hinter mir lautstark rätseln, was sie da denn jetzt hören, ist im Publikum ein angenehmes Knistern zu spüren. Längst ist allen Anwesenden klar, dass sie das Vergnügen haben, einem ganz besonderen Konzertereignis beiwohnen zu dürfen. Übergang zu 'Are You There?'. Megagänsehaut.

Irgendwann ist das schönste Ereignis aber zu Ende, und so verzieht sich die Band nach etwa zwei Stunden von der Bühne, und sogar das Licht in der Halle geht schon an. Der frenetische Jubel und die Weigerung des Publikums, die Halle zu verlassen, bringen als Belohnung noch 'Comfortably Numb' und 'Fragile Dreams' sowie die Erkenntnis ein, dass ANATHEMA hoffentlich endlich dort landen, wo sie schon lange hingehören: in die Herzen aller Freunde emotionaler Musik. Es ist toll, dass es solche Bands noch gibt.

Redakteur:
Holger Andrae
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